Montag, 21. Dezember 2020

Logos und Chaos

 

 

Logos Realismus: Denken ist Sein, ideational-platonisch

Logik 50% Logos. Idealismus: Dualismus von Form und Materie (Aristoteles), von Gut und Böse (Zoroastrismus und alle davon beeinflussten Religionen); wir sind "Bürger zweier Welten" (Kant).

Logistik 90% und mehr Chaos. Szientismus als Versuch, Ordnung im Chaos durch falsifizierbare und experimentelle Wissenschaft zu schaffen.

Logem Logos als Einzelnes, Chaos als das Allgemeine. Das denkende Individuum als Insel des Logos im Ozean des Chaos der Welt; das Ich als Insel des Logos im Ozean des Chaos des Unbewussten.

Donnerstag, 19. November 2020

Die Bedeutung der neoliberalen Revolution

 

 

 

Die Kolonialmächte und Nazideutschland kämpften zwar gegeneinander, aber für die gleiche elitäre Weltordnung; der wahre ideologische Gegner waren die egalitären Gesellschaften der UdSSR und der USA, die schließlich gewannen. Die neoliberale Revolution 1979 war der Beginn der Rückkehr der elitären Weltordnung.

Die elitäre Anthropologie geht davon aus, dass Menschen sich grundsätzlich unterscheiden, etwa nach Rasse und Klasse, die egalitäre Anthropologie geht von der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen aus: Menschen sind unterschiedlich reich und mächtig, aber grundsätzlich gleich.

Wer heute lebt und vor ca. 1970 geboren wurde, für den ist die egalitäre Sichtweise selbstverständlich, auf dieser gründen sich die humanistischen Werte der westlichen Wertegemeinschaft. Wer später geboren wurde, ist mit zwei Ideologien aufgewachsen, die sich gegenseitig ausschließen und dennoch als eins und dasselbe präsentiert werden. Das logisch Unvereinbare sollte psychisch ununterscheidbar sein; dort nimmt das Zerreißen der westlichen Gesellschaft seinen Anfang.

Radikal egalitärer Feminismus stellt Frauen als die grundsätzlich bessere Menschenart gegenüber Männern dar, radikaler Liberalismus der Chancengleichheit macht aus reichen und armen Menschen zwei verschiedene Spezies, radikal egalitärer Antirassismus erfindet die rassistische Identitätspolitik. Die elitäre Ideologie stellt sich als die Vollendung der egalitären Weltordnung dar.

 

Die Ersetzung von Science Fiction durch Fantasy im öffentlichen Bewusstsein kann nicht unerwähnt bleiben. Egalitär-humanistische Science Fiction wechselte ins nihilistische Horror-Genre (Alien, 1979), mit der Star-Wars-Trilogie und für Kinder mit Harry Potter wurde das psychopolitisch Positive, der Zukunftsoptimismus, in den Bereich des elitären Fantasy-Genres verlagert.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Die Krise unserer Zeit

 

 

 

Seit der neoliberalen Revolution von 1979 häufen sich Pogrome gegen die Mittelschicht: in den 80-ern Lateinamerika, in den 90-ern der Ostblock und das weiße Südafrika, in den 00-ern Nordamerika und Westeuropa. Politik als Mittel der Reichen und Superreichen, den alten Abstand zwischen den Klassen wiederherzustellen, damit aus Wohlstandsunterschiedenen weiterhin Machtunterschiede werden.

Die systematische Zerstörung der Mittelschicht scheint in der Corona-Pandemie weltweit ihre Vollendung gefunden zu haben, der wirtschaftliche Ruin des demokratischen Kerns der Völker scheint gewollt. Die Eliten wollen prekär lebende und politisch unmündige Massen. Deshalb wurde natürlich das Coronavirus in die Welt gesetzt!

Was haben wir Glück, dass es nicht die Pest ist! Mit naturwissenschaftlichem Analphabetismus und verschwörungstheoretischer Überrationalisierung zufälliger oder systemintern notwendiger Vorgänge hätten wir längst unser Grab geschaufelt, zumindest die Gräber von 2 bis 4 Milliarden Erdbewohnern. Nein, das Coronavirus ist keine Erfindung irdendwelcher Verschwörer, und ja, natürlich nutzen die Mächtigen opportunistisch jede Möglichkeit, ihre Macht zu verteidigen und zu konsolidieren.

Der Kapitalismus hat eine systeminterne Logik, die keine Politik machende und in wirtschaftlicher Sicherheit lebende Mittelschicht zulässt. Es muss ständiger Lohndruck bestehen, zu gut lebende Millionen bedeuten die Abkehr der Gesellschaft vom Diktat des Geldes und damit eine Herausforderung des kapitalistischen Systems. Wirtschaftskrisen, inszeniert oder tatsächlich systembedingt entstanden und von den Mächtigsten ausgenutzt, sind so alt wie das kapitalistische System.

Die derzeitige Krise kann von Staat und Gesellschaft zusammen gegen die Wirtschaft gelöst werden, anstatt wie üblich von Staat und Wirtschaft gegen die Gesellschaft (oder beim Zerfall der UdSSR von Wirtschaft gegen Staat und Gesellschaft). Dafür muss der Staat das Primat der Politik erklären und scheinbare wirtschaftliche Notwendigkeiten durch freie demokratische Entscheidungen ersetzen. Wo der Staat sich vom Diktat der Finanzmacht befreit, gibt es eine friedliche Zukunft, wo der Staat zu schwach ist, folgt der Bürgerkrieg.

Die globale Wirtschaft muss zusammenbrechen, ansonsten droht der Weltbürgerkrieg. Es sind keine Lösungen der Krise auf Kosten der Gesellschaft mehr möglich, der neoliberale Möglichkeitsraum ist ausgereizt. Die globale Ungleichheit, auch länderintern, hat ein Ausmaß erreicht, bei dem der Großteil der Bevölkerung nichts mehr zu verlieren hat. Die Staaten haben nun die Entscheidung, ob sie die Wirtschaft oder die Gesellschaft retten wollen. Die Rettung der Wirtschaft führt zwangsläufig zu Krieg zwischen den Staaten, die Rettung der Gesellschaft zur multipolaren Welt anstatt der Neuen Weltordnung und zu Autarkie und Protektionismus.

Mittwoch, 23. September 2020

Barock

 

 

 

War die Renaissance die Wiederkehr der klassischen Antike, so war die Reformation die Wiederkehr der christlichen Spätantike. Kaiser Theodosius besiegte am Frigidus das unchristliche Heidentum, die frigide Zeit Luthers und Calvins besiegte das humanistische Christentum. Die Renaissance-These, in vollem Ernst zu behaupten, der Mensch sei das Maß aller Dinge (nicht nur zum Spiel wie einer der antiken Sophisten), gechallengt durch die Antithese „Alles ist eitel“ ergab die Neuzeit im engeren Sinne: das Barock.

Barock war die Behauptung Giordano Brunos, das Weltall sei unendlich. Barock waren der Hamlet Shakespeares und die Sonette Greifs. Am Barocksten war der Neuanfang der Philosophie durch Descartes. Da schlug die Stunde der Neuzeit und begann das Zeitalter der Neuanfänger: es gab keine Philosophie vor Leibnizens Monadologie, nein, es gab keine wahre Philosophie vor Kants Kritik der reinen Vernunft, nein, alles war nur Vorgeplänkel bis zu Fichtes Wissenschaftslehre! Physik, die kleine Schwester der erhabenen Metaphysik, wurde zur selbstständigen Wissenschaft. Naturforscher entdeckten die Welt neu. Das flachere, extrovertierte Pendant waren die Entdeckungsreisen.

Die klassische Musik schlechthin, das sind Bach, Händel und Vivaldi, und Pachelbel, musse nicht vergesse, Pachelbel. Die der abendländischen Kultur der Neuzeit eigentümliche Kunst ist die Musik. Da ist die Kultur des Atheismus bzw. Humanismus bzw. Szientismus besser als alle anderen. Ihre Musik macht diese Kultur einzigartig. Alles andere beeindruckt viel weniger. Kein Werk Shakespeares „zieht“ so wie Elektra oder Antigone des Sophokles. Die bildende und bildhauende Kunst sind „okay“. 

Der Stachel des „Alles ist eitel“ durchbohrt unentwegt die barocke Selbstgefälligkeit. Savonarola ist im Blut, Calvin in den Nerven. Der Mensch ist sterblich und als Individuum am sterblichsten. Das sensible, todesfürchtige und -besessene, lebens- und erlebnishungrige originelle Ich betritt im neuzeitlichen Barock die Bühne der Weltgeschichte, und weiß es: Die Welt ist eine Bühne.

Montag, 21. September 2020

Philipp II gegen die Zeit

 

 

Intrigant, Lebemann und Taugenichts, Sohn des eigentlich Herrn der Welt, Philipps II von Spanien, stirbt Don Carlos 1568 und inspiriert zwei Jahrhunderte später Schiller zu seinem berühmten Drama. Die Stimme der Vernunft mahnt, der König des universal herrschenden katholischen Spaniens soll zwar mit Gewalt um den universalkatholischen Frieden kämpfen, aber nicht um den Preis des Friedens eines Friedhofs. Der arrogante Herzog Alba führt sich sehr standesgemäß in Flandern auf, doch hat keinen Erfolg. Spanien überdehnt seine Kräfte über den ganzen Globus und ist mehrmals pleite. Der alte König stirbt in Qualen nach langem Leiden an diversen Krankheiten. Und doch war die Vergeblichkeit das Traurigste daran. Der große Maler El Greco lebt und malt zu ebendieser Zeit. Das lebesbejahende Zeitalter des Barocks wurzelt auf den Gipfeln der katholischen Melancholie.

Auf den Resignationsdefätisten Montaigne folgt der Neuanfänger Descartes, sekundiert von lebemännisch-lebensklugem La Rochefoucauld. Frankreich übernimmt die Führung, die Spanien verloren hat. Aber hatte das große Reich des fundamentalistischen Christianismus überhaupt eine Chance? Philipp II herrschte von 1556 bis 1598, sein diokletianesk unheimlicher Vater, der legendäre Karl V, dankte vor seinem Tode noch ab, und teilte Spanien und das HRR unter den Söhnen Philipp und Ferdinand. Schon zu diesem Zeitpunkt war Philipp nicht der Eine, sondern einer von zwei: zwei Habsburgern. Die Dynastie wird geteilt bleiben; die spanischen Habsburger verlieren, die österreichischen gewinnen an Bedeutung, die Gesamtmacht der Familie sinkt.

Und wer waren Philipps Zeitgenossen? Seine Besiegerin Elisabeth I von England, eindeutig bedeutendere Königin. Iwan dem Bedrohlichen von Russland war sie nicht hochgestellt genug, er soll sie als Braut verschmäht haben. John Dee, der Zeitgenosse, der den Ausdruck "Britisches Empire" prägte, war nicht begeistert. Er träumte von einem 360-Grad-Reich am oberen Ende der Nordhemisphäre. Süleyman der Gesetzgeber war Philipps Zeitgenosse, ein größerer König mit einem mächtigeren Reich. Die Osmanen wurden 1571 bei Lepanto besiegt, was für sie aber kein spanisches 1588 war. Frankreich hatte Fieber, kämpfte Bürgerkrieg für Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Hugenotten, und war dennoch nie zu schwach, um Spanien in Schach zu halten. Im Dreißigjährigen Krieg zeigte es, wer auf dem Kontinent der Boss war. Das ferne Ming-China bemerkte die großen Habsburger nur als Randnotiz, und Indien? Ladies and Gentlemen, Jalaluddin Muhammad Akbar, der größte Herrscher seiner Zeit. Kam im selben Jahr wie Philipp II auf den Thron und regierte bis 1605, da war sogar Elisabeth schon eine tote Frau. Der Großmogul des Mogulreichs regierte zur Entstehungszeit Don Quijotes das reichste und mächtigste Land der Welt.

Sonntag, 13. September 2020

Das Tausendjährige Reich

 

 

 

Das Tausendjährige Reich des Herrn begann in der Krise des 3. Jahrhunderts. Gott, figurativ gesprochen, sandte die Cyprianische Pest, und konnte es dicker nicht auftragen: es war wahrscheinlich Marburg, jedenfalls ein Filovirus. Aus der Krise des 3. Jahrhunderts erstand kein spätantikes Imperium Romanum, sondern ein christlich-mittelalterliches „oströmisches“ Reich. Das späte 3. und das ganze 4. Jahrhundert hindurch steigt das Christentum aus seiner marginalen Existenz zur Dominanz auf. In Indien derweil scheitert der Buddhismus: da alle fremden Eroberer der letzten Jahrunderte Buddhisten waren, wird Buddhismus mit Fremdherrschaft assoziiert und abgestoßen. Das klassische hinduistische Gupta-Reich begründet ein goldenes Zeitalter Indiens, vergleichbar mit dem goldenen christlichen Frühmittelalter von Konstantin bis Justinian.

Der Gott der Christen schenkt also nicht nur Europa, sondern der ganzen indoarischen Rasse eine geile Zeit. Doch dann zürnt er wieder: 541 ist es ihre Majestät Yersinia Pestis höchstpersönlich, die aufräumt. Der oströmische Katechon übernimmt sich, das dritte goldene Reich des magischen Zeitalters, das persische Sassanidenreich (wiederum zur eigenen klassischen Religion zurückgekehrt: dem Zoroastrismus), scheitert ebenfalls. Das Machtvakuum füllt der neugegründete Islam, der von Iberien bis zum Indus die Herrschaft übernimmt. Zeitgleich steigt das mächtige Tang-Reich in China auf: das sind die wahren Big Players des Mittelalters, nicht die ersten Drei. Ein Gott, unbeständig wie das Wetter, und letztlich hat die unbesiegbare Sonne doch nur die Gebete erhört; die Menschen waren noch nie vorsichtig damit, wofür sie beteten.

Die 200-jährige biologische Dominanz des Pestbakteriums endet zeitgleich mit dem Omijjaden-Kalifat und der eigentlichen Tang-Dynastie, die nach der An-Lushan-Rebellion nie wieder zu alter Größe zurückfindet. Ab jetzt laden die Tang-Kaiser Uiguren ein, um chinainterne Aufstände zu unterdrücken, nebenbei plündern die Gäste die chinesischen Großstädte. Schließlich zerstören die Kirgisen das Uigurenreich, gründen aber kein eigenes. Ach ja, und der dritte Big Player neben den Tang und den Omijjaden? Natürlich die Göktürken. Um 750 hört man auch von denen nichts mehr. Die dritte Phase des Mittelalters beginnt. Die Geheime Geschichte der Mongolen lässt die Khalkha-Mongolen, das Volk Temudschins, von der mythischen Figur Bodoncar abstammen: die große Krise des 10. Jahrhunderts hat in der Welt der Nomaden sogar die Erinnerungen an die früheren Reiche getilgt. Xiongnu? Göktürken? Nie gehört. Aber die Oghusen machen sich schon auf den Weg und in einem der sprichwörtlichsten Niemandsländer der Welt, dem Territorium zwischen dem Kaspischen Meer und dem Aralsee Zwischenstation.

Die Merowinger als eurasisches Spielzeuggroßreich der ersten Phase werden von dem etwas weniger niedlichen Karolingerreich abgelöst, die dritte Phase gehört nicht den Kapetingern, sondern dem großen Basileus von Konstantinopel und dem kleinen Otto dem Großen von Sachsen. In der vierten Phase entsteht erst die westeuropäische Zivilisation des Mittelalters: die großartigen Kathedralen in Frankreich und Flandern, das Angevinische Reich, die Tigerstaaten des iberischen Christianismus. Die treibende Kraft der vierten Phase in Europa sind die Normannen: als England im Westen und Kiewer Rus im Osten nehmen sie Europa in die Zange. Die militärische Schwäche und kulturelle Glanzzeit Chinas während der Song-Dynastie fällt in ebendiese Zeit. Auch wirtschaftlich ist das wehrlose China ein Gigant. Indien zerfällt in in der Regel drei über den Subkontinent herrschende mittelgroße Reiche, bis die Ghuriden die Dekadenzzeit des Hinduismus beenden und die islamische Fremdherrschaft in Indien etablieren. Die islamische Welt selbst zerfällt sukzessive ab dem frühen 8. Jahrhundert, der Islam als wichtigste Religion des magischen Zeitalters gewinnt indessen die Oghusen und andere Turkvölker, die der Welt des Islam zwar nicht die Einheit, aber die militärische Dominanz zurückbringen. Die Kreuzzüge scheitern. Chinas wirtschaftlich-kulturelle Arroganz scheitert. Die Eroberung Nordchinas durch die Jurchen erweist sich als Blauphase für den Untergang Chinas.

Das christliche Mittelalter ist welthistorisch ein östlich dominiertes Zeitalter, das mit den großen drei Kaisern Aurelian, Diokletian und Konstantin beginnt und mit dem Untergang der globalen mittelalterlichen Welt im 13. Jahrhundert endet. Die Pest des 14. Jahrhunderts räumt nur noch auf, die Zerstörung ist zu diesem Zeitpunkt schon geschehen. Da es eine Zeit der Schwäche für Europa ist, da im Westen kein Großreich das große Römerreich beerbt, wird die antike Tradition nicht zerstört, sondern als dem magischen Zeitalter überlegen weitergeführt. Daran kann der Humanismus des 14. Jahrhunderts anknüpfen. Das 1000-jährige Reich des christlichen Mittelalters war also ein Urlaub Europas von der Geschichte. Gut erholt kommt es schließlich zurück und erobert die Welt.   


Das Mittelalter

Phase 1: Magische Goldene Zeit
Mitte des 3. Jh. bis Mitte des 6. Jh.
Großreiche: Oströmisches Reich, Sassanidenreich, Gupta-Reich
Religiöse Dominanz: Christentum, Zoroastrismus, Hinduismus

Phase 2: Das sogenannte Frühmittelater
Mitte des 6. Jh. bis Mitte des 8. Jh.
Großreiche: Omijjaden-Kalifat, Tang-China, Göktürken-Großkhanat
Religiöse Dominanz: Islam, Buddhismus

Phase 3: Die Krise des Mittelalters
Mitte des 8. Jh. bis Mitte/Ende des 11. Jh.
Großreiche: keine; vielleicht Ostrom unter der Makedonischen Dynastie
Religiöse Dominanz: keine, stattdessen interne Kämpfe 

Phase 4: Hochmittelalter
1066 oder 1071 oder 1095 bis Mitte des 13. Jh.
Großreiche: keine; viele mittelgroße Reiche wie in Phase 3
Religiöse Dominanz: keine, dafür Religionskriege (Kreuzzüge)

Mittwoch, 19. August 2020

Die weibliche Affirmation

 

 

 

Es soll weder eine logo- euro- und phallozentrische Zuschreibung noch ein patriarchaler Zwang stattfinden: das Wesen des Weiblichen kann auch aus der Empirie erschlossen werden. Die Frau ist grundsätzlich lebensbejahend und hedonistisch (sinnlichkeitsbejahend), passiv idealistisch (liebbar) und aktiv sensualistisch (verführerisch). Die erste weibliche Affirmation ist somit die Affirmation der Sinnlichkeit.

Sinnlicher Genuss und Selbstgenuss korreliert mit der natürlichen Neigung zur Körperpflege und sinnlicher Verzärtelung. Es muss angenehm sein, eine Frau zu berühren, so wie die Frau sich selbst gern mit Genuss berühren will. Das männlich-idealistische Ideal des Schönen wird aufgeweicht durch die weibliche Neigung zum Angenehmen; nicht der Zwang zum sterilen Idealismus, sondern ein Kompromiss zwischen Logos und Eros macht das Weibliche aus: Die Frau ist schön angenehm und angenehm schön.

Das Angenehme für sich selbst und andere beschränkt sich nicht auf die Sinnlichkeit: die Frau muss auch angenehm handeln; es muss angenehm sein, sich in ihrer Nähe zu befinden. Die meisten Männer empfinden heute genau das nicht: die Frauen sind unangenehm anstatt soft, schwierig anstatt nice, anastatt zärtlich antagonistic, anstatt zart rude. Viele Frauen rauchen, saufen, sind tätowiert, groß und übergewichtig; nicht alles davon ist gleichermaßen selbstverschuldet, aber es bedingt sich gegenseitig.

Die zweite weibliche Affirmation ist die Affirmation der Weiblichkeit: „Ich bin eine Frau“. Das bedeutet eben nicht, weibliche Privilegien zu fordern, ohne die Weiblichkeit zu leben. Ein Mädchen verprügelt man nicht, weil ein Mädchen keinen verprügelt. Prügelnde Mädchen zu schlagen ist keine Schande, sich gegen sie nicht zu wehren, macht einen Jungen zur Pussy.

Was ist Weiblichkeit? Ein positives Selbstverhältnis ist vor allem ein positives Verhältnis zur Schwäche. So bedeutet Weiblichkeit Zartheit: die Selbstaffirmation als schwach und verletzlich. Daraus folgt die Zärtlichkeit, die kostbare Fähigkeit, andere als verletzlich wahrzunehmen, und ihre Schwächen bejahend, nicht angreifend anzunehmen. Das bedeutet nicht, dass echte Frauen schwache Männer mögen. Aber jeder Mensch ist (nicht ausschließlich, aber auch bzw. einschließlich) schwach, denn jeder war Kind, und wer nicht innerlich tot ist, hat kindliche Anteile in seiner Persönlichkeit, und es sind gerade diese Persönlichkeitsanteile, die den Vitalitätsfluss vom Es zum Ich generieren.

Das Mütterliche gehört zum Weiblichen dazu, aber ist nicht das Ideal des Weiblichen; den anderen anzunehmen, wie er ist (in seiner Kindlichkeit und Schwäche), ist nicht bloß mütterlich, sondern genauso mädchenhaft (an der Person des anderen interessiert, zärtlich-verspielt, kindlich-empfänglich); die dritte Affirmation ist die Affirmation der Empfänglichkeit. Dies bedeutet neben der Annahme des anderen auch sich lieben und beschützen zu lassen (die Emanze schreit: „I´m a strong and independent woman!“), sich ansehen und schönfinden zu lassen (die Feministin brüllt: „That´s male gaze!“); schließlich ist die Frau für den Mann attraktiv, weil sie gerade nicht männlich ist. Nun kann man das Weibliche philosophisch-idealistisch als leer definieren (wie Otto Weininger: Mann ist Sein, Weib ist Nichts), oder aber das Weibliche empirisch ergründen, was auf ein bestimmtes Frauenideal hinauskommt, welches eben nicht sozial konstruiert und beliebig ist.

Sonntag, 16. August 2020

Nazivergleicher sind Nazis

 

 

Der Kontext, in dem heutige Nazivergleiche stattfinden, müsste jedem klar sein, der kein sogenannter Holocaustleugner ist: das Naziregime verschuldete einen Krieg mit 55 Millionen Toten, über die Hälfte davon Zivilisten. Über 10 Millionen Menschen wurden gezielt ermordet, weil sie Homosexuelle, Behinderte, Zigeuner, Slawen oder Juden waren. Wenn heute Linke gegen Rechte den Nazivergleich als Totschlagargument benutzen, dann behaupten sie, ihre Gegner würden den Nazi-Unmenschen im Dritten Reich gleichen.

Rechte und Konservative gleichen in Wirklichkeit eher den Rassisten der US-amerikanischen Gesellschaft der 1950-Jahre. Amerika unter Eisenhower war ein zutiefst rassistisches Land, das 100 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei immer noch eine Bürgerrechtsbewegung nötig hatte. Was waren aber die schrecklichsten Greueltaten dieser Gesellschaft? Gab es eine Massenvernichtung der schwarzen Bevölkerung? Es gab einzelne Lynchmorde. Wurde während des Krieges gegen Japan die japanische Bevölkerung der USA massakriert? Sie wurde interniert, was man damals schon kritisch betrachtet hatte. Zur gleichen Zeit gab es in der BRD Adenauer und Filbinger. Da von Nazis und Rassisten gehasste Minderheiten schon während des Krieges vertrieben oder ermordet wurden, gab es sie in Deutschland nicht. Der Nazi-Wahn und Rassenhass flossen harmonisch in die Propaganda des Kalten Krieges mit ein. Viele Naziverbrecher blieben in Deutschland an der Macht.

Die Neue Rechte, die Alt Right und all die antiislamischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen im heutigen Westen sind weit entfert von dem Zivilisationsbruch der Nazi-Unmenschen. Sie sind vielfälitig, keine Einheit. Einige sind friedlich, andere nicht. Viele haben ein diskriminierendes Menschenbild, beruhen auf Rassismus und Intoleranz. Aber wo ist die rechte Bewegung, die nur einen Bruchteil der Nazi-Greueltaten zu tun beabsichtigt?

Es ist klug, den Anfängen zu wehren. Deshalb muss man sich ehrlich fragen, ob es heute noch Menschen mit dem Nazi-Mindset gibt, und wo sie zu finden sind. Ein amerikanischer Rassist oder ein französischer Nationalist sind keine Nazis. Sie denken diskriminierend, aber nicht eliminatorisch. Welche Gruppe behandelt aber ihre Gegner als etwas, was es nicht geben darf? Das ist der linksgrüne Mainstream unserer Zeit. Seit der Kulturrevolution der 1960-er Jahre hatte der totalitäre Ungeist allmählich die Flagge gewechselt: der Vater war in der NSDAP, der Sohn, ganz der Vater, kam bei den Grünen unter. Nur Schwäche, Feigheit und Hedonismus hindern die Kinder- und Enkelgeneration daran, ihre Gegner nicht nur mit Shitstorms und Boykotten, sondern auch physisch zu vernichten.

Dass der Faschismus, wenn er wiederkommt, sich Antifaschismus nennen wird, ist ein geläufiger Aphorismus. Lippenbekenntnissen sollte nicht geglaubt werden, man sollte besser prüfen, wes Geistes Kind die besten Deutschen aller Zeiten im besten Deutschland, das es je gab, wirklich sind. Damals wollten die Nazis ihre politischen Konkurrenten mit der Bolschewismus-Keule mundtot machen. Heute macht der linksliberale Ungeist, der weder links noch liberal ist, alle Andersdenkenden pauschal zu Nazis. Eine Ungeheuerlichkeit angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die von historischen Nazis begangen wurden! Und im Kampf gegen ursprüngliche, „rechte“ Nazis, ein kontraproduktiver Zug, der gerade den Nazis im rechten Spektrum ein sicheres Versteck in der Masse all derer verschafft, die pauschal als Nazis diffamiert werden. So, als ob der Antifaschist gerade den „wahren Nazis“ heimlich helfen wollte, vielleicht weil der Sohn die Niederlage des Vaters rächen will?

 

Freitag, 31. Juli 2020

Empathie und Verlogenheit im Kulturkampf





Im Kulturkampf um Begriffe wie N-Wort-Kuss oder M-Ohrenstraße beanspruchen die Befürworter der Sprechverbote und politisch korrekten Umbenennungen Empathie für sich. Dass lässt sie moralisch überlegen aussehen und sie fühlen sich als bessere Menschen. Aber Empathie hat ihren Preis. Echte Empathie lässt sich beim genauen Hinsehen von vorgetäuschter (gelogener) oder sich selbst fälschlich zugeschriebener (verlogener) Empathie unterscheiden.

Empathie trifft dich hart, du leidest mit. Empathie ist nicht selektiv, sie macht keine Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß, Mann und Frau, Konservativ und Liberal, Reich oder Arm. Schadenfreude darüber, dass auch reiche Menschen sehr unglücklich sein können, lässt sich mit echter Empathie nicht vereinbaren. Mitgefühl mit alleinerziehenden Müttern und „I bathe in male tears“-Einstellung gegenüber Scheidungsvätern hat nichts mit wahrer Empathie zu tun.

Wahre Empathie ist lösungsorientiert, weil es nicht darum geht, sich durch das Mitfühlen gut zu fühlen. Der wirklich Empathische will wirklich helfen. Gutmenschen-Empathie will sich gut anhören und gut anfühlen. Verlogene Empathie empört sich, wahre Empathie sucht still nach Lösungen. Der politisch korrekte Gutmensch, der bestimmte Gruppen pauschal verteufelt und anderen Gruppen einen Heiligenschein ausstellt, hat keine Empathie. So handelt vielmehr ein Soziopath.

Im Kulturkampf um Begriffe wie N-Wort-Kuss oder M-Ohrenstraße beanspruchen die Gegner der Sprechverbote und politisch korrekten Umbenennungen das Recht auf ihre alten Gewohnheiten. Dass manche dieser Sprechgewohnheiten diskriminierend und verletzend sind, scheint sie nicht zu interessieren. Sie hören einfach nicht zu. Sind sie deswegen einfach nur schlechte Menschen. Eine Gegenfrage: Aber hört man denn ihnen zu?

Jemand, der den CSD prinzipiell unterstützt, und sagt: „Ich finde gut, dass Homosexuelle für ihre Rechte demonstrieren, aber müssen sie denn in Lack und Leder marschieren, müssen sie in der Öffentlichkeit sexuelle Praktiken zeigen, müssen meine Kinder das sehen?“, gilt im politisch korrekten Mainstream als Gegner im Kampf gegen Rechts. Ansatt eines „herrschaftsfreien Diskurses“ gibt es die linksliberale Deutungshoheit über alle kulturellen und gesellschaftlichen Fragen. Wer mit seiner Meinung dagegen verstößt, wird in seiner Ehre verletzt und in seiner Würde gekränkt, gilt sozial als Mensch zweiter Klasse und moralisch als minderwertig. Die Ausgrenzung und Diffamierung von Andersdenkenden und der moralische Furor, der mit echter Moralität nichts zu tun hat, haben ein Klima des Gleichgültigkeit und des Fuckyouismus geschaffen.

Jeder Schritt des Konservativen auf den linksliberalen Mainstream zu verpufft in der totalitären Forderung: Entweder du stimmst unserer Doktrin voll und ganz zu oder du bist rechts und damit ein Nazi. Dass viele Konservative (und sogar Zentristen) als Gegenreaktion tatsächlich nach Rechts rücken, ist die logische Konsequenz. Im letzten Jahrzehnt ist dementsprechend ein rechter Mainstream entstanden, der ebenfalls alles verdammt, was mit seiner Doktrin nicht voll übereinstimmt. Die Lehre ist: Einseitigkeit funktioniert nicht, weder in der Liebe noch in der Freundschaft noch in der Politik. Wer einen Neutralen oder gar Sympathisanten zu einseitigen Zugeständnissen zwingen will, befördert eine negative Gegenseitigkeit, nämlich Feindschaft.

Montag, 27. Juli 2020

Der goldene Preis





Wer kein Geld zum Leben hat, ist unglücklich. Das sage nicht ich, das sagen zahlreiche Studien. Die sagen aber auch, dass der Peak der Glücklichkeit bei einem hohen fünfstelligen Jahreseinkommen erreicht ist, danach wird man wieder unglücklicher. Der Geldbetrag auf dem Konto steigt, die Zufriedenheit fällt. Man erreicht schließlich ein „uncanny valley“, ein unheimliches Tal der Unzufriedenheit, und mit mehr Geld steigt wieder das Glücksempfinden.

Ein solider Millionär erreicht wiederum einen Gipfel der Reichseins-Zufriedenheit. Das Geld ist nicht mehr Geld, sondern bei diesen Beträgen das Äquivalent von Status. Doch auch hier gilt das Gesetz der Unzufriedenheit bei zu viel Geld. Madonna, Angelina Jolie, Leonardo di Caprio, Donald Trump: Künstler mit Top-Status und Businessleute mit einem dem Top-Status entsprechenden Geldäquivalent müssen sich unbedingt politisch austoben, im Ideallfall Staatschef werden. Warum?

Es gibt offenbar einen Geldbetrag, der zu hoch ist, um einfach nur reich zu sein, und es gibt eine Quantität von Ruhm bzw. einen Geldäquivalent von Ruhm, wo nicht mehr das Zuviel an Status, sondern das Zuwenig an Macht empfunden wird. Egal, wie Trump an sein Geld gekommen ist: es wurde so viel, dass es zu wenig wurde. Und er ist keine Ausnahme: überall auf der Welt tendieren Superreiche dazu, Staatschef werden zu wollen.

Es gibt, verlassen wir die Beobachtungsebene und steigen wir zum Theoretischen, einen chthonisch-tellurischen und einen lunaren Peak der Zufriedenheit mit Geld. Das Geld als Geld, als Mittel, Güter und Dienstleistungen zu erwerben, wird schnell genug. Der gemeine Mensch, der chthonische Tellurist, ist mit einem Jahreseinkommen von 80000 Euro voll zufrieden. Doch das Element des Lunaristen ist nicht Geld, sondern Ruhm. Darum ist der unbegabte Lunarist erst mit dem Geldäquivalent eines sozialen Top-Status zufrieden. Es geht nicht um den Reichtum an sich, sondern um die Fähigkeit zum Statuskonsum, um die Augenhöhe mit Reichen und Berühmten.

Der finanziell zu erfolgreiche Künstler geht in die gleiche Falle wie der zu wohlhabende bodenständige Bourgeois: das Geld, das er hat, ist nicht mehr nur Geld, bzw. der Status ist mehr als bloß Status. Ab einem bestimmten Geldbetrag bedeutet Status die Fähigkeit, politische Macht auszuüben. Der Superstar konzentriert sich nicht mehr auf seinen nächsten Film, sondern will die Welt retten, engagiert sich politisch, führt soziale und asoziale (shitstormische) Bewegungen an. Oder er wird gleich Chef seines Landes. Die erdverbunden-bodenständigen russischen Ölmilliardäre sind zu reich, um bloß reich zu sein; hat der Chthoniker sehr viel Geld, nimmt auch er politisch Einfluss und wird Oligarch.

Nun strebt der begabte Lunarist nicht nach der Hauptrolle im nächsten Blockbuster, um reich zu werden. Er will ein vortrefflicher Schauspieler sein; der Hauptpreis der Filmakademie ist das Symbol für verdienten künstlerischen Ruhm. Der politische Mensch verachtet Geld und Ruhm und strebt direkt nach Macht. Putins Kritiker behaupten, er hätte sich schon vor Jahren ein Vermögen zusammengeklaut, das ihn zu einem der reichsten Menschen der Welt macht. Das ist durchaus möglich: wer Macht hat, kann sich Geld einfach nehmen. Stalin lebte asketisch und hatte eine megalomanische Machtfülle. Auch dem Unbestechlichen, dem strahlenden Helden der Endphase der Französischen Revolution, war Geld egal. Diese Männer zahlten den eisernen Preis, nicht den goldenen.

In der 2. Staffel von Game of Thrones fragt der Piratenkönig seinen zurückgekehrten Sohn, wie dieser seinen teuren Umhang bezahlt hatte: „Hast du den eisernen Preis bezahlt oder den goldenen?“ Gesenkten Hauptes antwortet der Sohn: „Den goldenen“. Er hat also Geld bezahlt, anstatt den Besitzer zu töten, und ihm den Umhang wegzunehmen. Die pure, unbestechliche Macht, lässt sich mit Geld nicht kaufen. Darum verachten Machtmenschen den Kaufmannsstand. Verhandelt wird mit dem Schwert, bezahlt mit dem Tod. Ein bloßer Millionär, der sich zur High Society zählt, aber eben nur Geld hat, ist ein Hochstapler. Ein Milliardär, der sich zum Oligarchen macht, ist ein Hochstapler. Ein echter Machtmensch als Staatsschef kann den reichsten Milliardär des Landes ohne große Gerichtsverfahren einkerkern, und ist im Recht, insofern sich dieser Mann mit Geld Macht erkaufen wollte.

In der modernen Gesellschaft der Dekadenz entsteht die Anmaßung, alles mit Geld kaufen zu wollen. In der postmodernen Gesellschaft der Ultradekadenz setzt sich diese Anmaßung durch und Status und Macht werden nur noch als Geldäquivalent verstanden. Status als Status anzustreben, ist ein Rätsel, darum gilt der Schauspieler, der sich für eine Rolle im Film kaputt macht, als Freak. Auch Macht als Macht wird nicht mehr verstanden, und jemand wie Putin erscheint nicht mehr als normaler Mensch, sondern als eine KI oder Alien-I vom Mars. Dabei ist Macht als Macht der solare und Status als Status der lunare modus operandi in der anthropologischen Trias.


Sonntag, 26. Juli 2020

Die Hochkultur des Humanismus





Der Staat ist die Kirche des Humanismus. Die klassische humanistische Theokratie ist der Absolutismus. In der Dekadenzphase wird aus Religion politische Ideologie.

Renaissance: 1340-1500

Vitalwert: steigend
Ideologische Dominanz: genuine Kultur der Ich-Religion, Antike als Vorbild
Machtkern: verteilt
Kulturkern: Norditalien

Neuzeit: 1500-1700

Vitalwert: hoch
Ideologische Dominanz: Humanismus im engeren Sinne, politischer Absolutismus
Machtkern: Spanien/Frankreich
Kulturkern: verteilt

Frühmoderne: 1700-1830

Vitalwert: hoch, sinkend
Ideologische Dominanz: Liberalismus, Menschenrechts-Humanismus
Machtkern: Aufstieg des Britischen Reiches
Kulturkern: Frankreich/Deutschland

Hochmoderne: 1830-1918

Vitalwert: noch hoch, fallend
Ideologische Dominanz: Sozilaismus/Szientismus im engeren Sinne
Machtkern: Britisches Reich
Kulturkern: verteilt

Spätmoderne: 1918-1968

Vitalwert: mittel, stürzend
Ideologische Dominanz: Faschismus
Machtkern: USA
Kulturkern: Frankreich

Postmoderne: seit 1968

Vitalwert: niedrig
Ideologische Dominanz: Feminismus, Infantilismus, Nihilismus
Machtkern: USA
Kulturkern: USA

Die drei humanistischen Ideologien (sukzessive Dekadenzerscheinungen der Kultur des Atheismus/Szientismus) sind gesellschaftliche Bewältigungsstrategien des Untergangsprozesses der abendländischen Hochkultur. Aus der genuin humanistischen Perspektive handelt es sich dabei um einen Dehumanisierungsprozess:

1. Der Liberalismus erfordert hohe Autonomie des Individuums, aktive Selbstbestimmung, große Willenskraft, ist sozial kalt und wirtschaftlich schöpferisch.

2. Der Sozialismus erfordert hohe Frustrationstolerannz und Selbstbeherrschung, Freiheit und Autonomie wird vergesellschaftet; sozialer Ausgleich, wirtschaftliche Teilhabe.

3. Der Faschismus vergemeinschaftet Freiheit und Autonomie, das Individuum geht in der Gesellschaft organisch auf; soziale Wärme und Raubökonomie.

4. Der Nihilismus feminisiert (1968-2001) und infantilisiert (seit 2001) das Individuum; soziale Schwüle, Fäulnis, Auflösung des menschlichen Subjekts, atomisierte Objekte, parasitäre Ökonomie (Outsourcing der Wertschöpfung, aber auch der Sklavenarbeit; die Mehrheit parasitiert auf technologischem Fortschritt, geleistet von wenigen, sowie von billiger Arbeitskraft in ärmsten Weltregionen. Totale Dominanz des Finanzsektors). Scheinbar handelt es sich um den siegreichen Liberalismus, in Wirklichkeit wird totale Entfremdung als freiheitlich (bzw. neoliberal) erlebt.

Samstag, 25. Juli 2020

Humanismus 3: Faschismus




Du bist 18 und vital, willst dich verwirklichen, entfalten. Bindungen aller Art empfindest du als belastend. Du willst weder durch horizontale noch vertikale Beziehungen deine Selbstbestimmung einbüßen; weder Gleichmacherei noch Unterordnung deiner Interessen unter ein gemeinsames Ziel willst du akzeptieren. Die freiheitliche Gesellschaft des Liberalismus ist für dich optimal.

Zwanzig Jahre später bist du Familienvater geworden. Deine berufliche und freizeitliche Wahlfreiheit hast du verwirklicht, auch sozial hast du deine Wahl getroffen: du willst nicht allein, sondern in einer Familie leben. Freiheit brauchst du eigentlich nicht mehr, denn du hast dich schon frei entschieden. Und jetzt hast du andere Sorgen. Das Schlechteste, was dir als Vater passieren kann, ist, dass deinem Kind etwas passiert. Jetzt siehst du die Polizei nicht mehr als Unterdrücker deines anarchisch-freiheitlichen Austobungstriebes, jetzt würdest du gern mehr Polizisten sehen, am besten an jeder Ecke, an der deine Tochter im Laufe des Tages vorbei muss. Du regst dich auf über all den kriminellen Dealerabschaum und forderst, dass der Staat endlich schärfere Gesetze gegen Kinderpornographie erlässt. Du misstraust Fremden und würdest dich in einer ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft viel wohler fühlen. Glückwunsch, du bist jetzt Faschist.

Von sozialdarwinistischen Ursprüngen des Faschismus wollen wir uns vom höchsten Wert des faschistischen Humanismus nicht ablenken lassen: der Sicherheit. Letztlich ist das Überleben, die Sicherheit der Nachkommen, auch darwinistisch gesehen, das höchste Ziel. Die faschistische Gesellschaft ist kriegerisch nach außen, aber homogen und friedlich im Inneren. Der Sozialdarwinismus der Faschisten ist rassistisch und richtet sich gegen andere Gesellschaften oder fremde Gruppen, er ist keineswegs als neoliberaler Sozialdarwinismus nach Adorno-Horkheimerschem Gesetz des Dschungels zu verstehen.

Der faschistische Vater Staat scheitert wie die sozialistische Mutter Staat an der menschlichen Natur. Entweder wird man vom äußeren Feind besiegt oder man ermüdet in der Diktatur der Sicherheit und kehrt allmählich zum entropisch verträglicheren Liberalismus zurück. Nicht zu vernachlässigen ist, dass der Welthegemon des 20. Jahrhunderts das liberale angloamerikanische Imperium ist. Faschistische Staaten werden gegen den sozialistischen Machtblock ausgespielt, benutzt und wieder fallengelassen. Eine faschistische Weltunion ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil die ideologische Grundlage des Faschismus eine internationale und multikulturelle Gesellschaft ausschließt. Deutschland und Japan wären nach einem gemeinsam gewonnenen Weltkrieg mit großer Wahrscheinlichkeit wie in der Dystopie von Philip K. Dick sofort Feinde geworden.


Freitag, 24. Juli 2020

Humanismus 2: Sozialismus





Der Mensch als einsamer Wolf, bindungsloser Glücksritter, atomisiertes Individuum: das ist ein sozial sehr kaltes Paradies der Freiheit. Der konkrete lebendige Mensch will nicht bloß frei sein, er will auch geschätzt und geliebt, gebraucht und respektiert, versorgt und verstanden werden. Kein Mensch kann ohne Gesellschaft leben, und kein Mensch will als einsames rationales Wirtschaftssubjekt in der Gesellschaft leben. Es gibt nicht nur Business und freie Entfaltung der Person, es gibt auch horizontale und vertikale Beziehungen zu anderen Menschen. Und letztlich ist die Verwirklichung der Freiheit eine Möglichkeit, die auch scheitern kann, der Mensch aber lebt in der Wirklichkeit.

Die soziale Frage stellt sich in liberalen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts mit größter Schärfe und Dringlichkeit. Doch ausgerechnet das antiliberale Russland erlebt die radikalste sozialistische Revolution. Der Wert, den der sozialistische Humanismus am höchsten hält, ist Gleichheit. Gleichheit jetzt, am besten sofort, heißt es in Russland, wo nicht einmal ein Ende des Krieges abgewartet wird. Der Sozialist nimmt sogar den Zerfall seiner Gesellschaft in Kauf, solange in ihr Ungleichheit herrscht. Die begeisterten Volksmassen schaffen es aber, trotz Niederlage im Weltkrieg und trotz Interventionen der gestern noch Verbündeten im russischen Bürgerkrieg, auf den Ruinen des imperialistischen Kaiserreiches eine Union der sozialistischen Republiken zu gründen.

Diese sozialistische Union ist eine totalitäre Diktatur. Der Preis der klassenlosen Gesellschaft ist die totale Unterdrückung der Freiheit. Eine humanistische Theokratie entsteht: der Staat, die Kirche der Religion Atheismus/Szientismus, herrscht mit absoluter Macht. Statt einer Trennung von Staat und Kirche vernichtet man einfach die Kirche, denn der Staat ist die Kirche. Die durch die Revolution aufgestiegene Generation setzt kolossale Kräfte frei, doch als sich die Gesellschaftsstruktur verfestigt, erweist sich Gleichheit wieder als Illusion: die Parteibonzen sind der neue privilegierte Stand. Apathie macht sich breit in einer Gesellschaft, die nichts mehr zusammenhält, weil sie die versprochene Gleichheit nicht verwirklicht hat. Vom Triumpf des humanistischen Gemeinwohls (erster Mensch im Weltraum, 1961) bis zur Auflösung des sozialistischen Machtblocks durch asoziale Egoisten vergehen nur 30 Jahre. Weitere 30 Jahre später ist Russland eines der ungleichsten Länder der Welt.

Donnerstag, 23. Juli 2020

Humanismus 1: Liberalismus






Als Selbstbezeichnung haben wir nicht das sperrige Schrägstrichwort, sondern den spritzigen Begriff Humanismus für unsere Religion gewählt. Der Atheismus/Szientismus ist die Ich-Religion, somit die Religion der Selbstvergottung des Menschen. Der Mensch ist das Maß aller Dinge: dieser Satz ist nunmehr kein sophistischer Frevel, sondern ein ernstes, positives weltanschauliches Programm. Die Renaissance arbeitet es aus, die Neuzeit verwirklicht es.

Was ist der Mensch? Vernunftbegabtes Sinnenwesen, und zwar als Individuum. Was ist der höchste Wert des Menschen? Die Würde. Aber worin besteht sie? Der Liberalismus sagt: in der Freiheit. Der Mensch ist seit dem Beginn der Zivilisation unfrei gewesen, nun soll er sich, und zwar jeder, frei entfalten können. Die individuellen Startbedingungsunterschiede fallen nicht ins Gewicht, denn wenn jeder frei ist, kann er selbst alles werden, was er will und kann.

Doch die positive Freiheit, die Freiheit-zu, erfordert Ziele. Der Atheist lebt für sich, nicht für Gott; der Szientist entzaubert die Welt, nicht nur die äußere (Naturwissenschaft), sondern auch die innere (Geisteswissenschaft). Je weiter der Liberalismus fortschreitet, umso weniger positive Freiheit ist möglich, Ziele werden eines nach dem anderen sinnlos. Was bleibt, ist der Kampf um immer mehr Freiheit-von: Freiheit von politischer und sozialer Unterdrückung, Freiheit von Fremdbestimmung der Geschlechtsidentität (Transsexualität), Freiheit von den Beschränkungen des Menschsein (Transhumanismus). Die absolute negative Freiheit führt konsequent zum Antinatalismus, der moralischen Maxime, nicht die Freiheit eines Menschen dadurch zu beschränken, dass man ihn in die Welt setzt (denn man raubt ihm eine Menge negativer Freiheiten, indem man ihn genetisch determiniert, die Familie, das Land und die Zeit seiner Herkunft bestimmt, ihn zur Unvermeidlichkeit von Leid und Tod verdammt usw.).

Mittwoch, 22. Juli 2020

Warum ist der Szientismus die Ich-Religion?





Die begrifflich höchste Wissenschaftsphilosophie, Fichtes Wissenschaftslehre (1794), gründet auf dem Satz „Ich=Ich“. Seit Descartes steht das erkennende Subjekt im Zentrum des wissenschaftlichen Weltbildes. Zu den konkreten einzelnen erkennenden Subjekten kommen wir noch zurück. Descartes geht als barocker Mathematiker davon aus, dass wir die Welt naiv-realistisch wahrnehmen und durch den Verstand erkennen können (Rationalismus R0). Kants Kritizismus reflektiert das menschliche Erkenntnisvermögen, um Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlichen Erkennens zu erkennen (R1: Reflexion). Hegel reflektiert das Erkennen des Erkennens (R2: Reflexion der Reflexion). Wohin man schaut, überall verhandelt man das Verhältnis zwischen dem Subjekt (Ich) und dem Erkennen (Wissenschaft).

Locke geht als Empirist davon aus, dass wir die Welt naiv-realistisch wahrnehmen und dadurch erkennen können, wobei der Verstand die Erkenntnis nicht erst ermöglicht, sondern hinterher ordnet, so dass wir keine einzelnen Erkenntnisinhalte, sondern eine systematisierte Vorstellung von der Welt im Kopf haben (Empirismus E0). Hume reflektiert als skeptischer Empirist die Rolle des Verstandes und der Sinne bei der Welterkenntnis und stellt die Möglichkeit von System und Wissenschaft in Frage (E1: Reflexion). Berkeley geht den Weg des Empirismus konsequent zu Ende bis zum Satz „Sein ist Wahrgenommenwerden“, womit er im subjektiven Idealismus/Solipsismus landet (E2). Rationalismus und Empirismus, beide auf die Spitze getrieben, finden die Quelle aller Erkenntnis im Ich (Hegel im denkenden, Berkeley im wahrnehmenden Subjekt). Die Erkenntnistheorie der Neuzeit führt immer zurück zum Ich.

Und nun zu den einzelnen erkennenden Subjekten; wer mich endlich verstanden hat, genießt und schweigt: Die Temperatur misst man in Kelvin (bzw. Grad Celsius, Grad Fahrenheit usw.), die Energie misst man in Joule, die elektrische Spannung in Volt, die magnetische Flussdichte in Tesla. Lord Kelvin (1824-1907) war ein britischer Physiker, James Joule (1818-1889) war ein britischer Physiker usw. usf.

Dienstag, 21. Juli 2020

Abendländische Machtkämpfe





15. Jahrhundert. Der chinesische Kaiser Yongle schickt kolossale Flotten in die Welt, die die kulturelle (das war ihnen am wichtigsten), militärische und wirtschaftliche Dominanz Chinas anerkennt. Chinas BSP war zu jener Zeit, wie schon während der Song-Dynastie, nicht nur absolut, sondern wohl auch pro Kopf höher als in reichsten Ländern Europas. Am Ende des Jahrhunderts schickt die spanische Krone schäbige Schiffe, deren Besatzungen durch Fehlkalkulation der Abstände fast verhungern, aber durch Zufall die Karibik entdecken. Portugiesen, die Afrika umsegeln, werden bestenfalls als Piraten betrachtet, keineswegs als Botschafter einer hochentwickelten und mächtigen Kultur.

Im 16. Jahrhundert ist Europa immer noch nicht fertig mit sich selbst. Auf den Religionsfrieden 1555 folgt der Machtkampf der machiavellisch-bodinschen Nationalstaaten, der 1648 entschieden wird. Als Religion siegt der Protestantismus (Atheismus bzw. die Ich-Religion in verstecker Form) gegen den Katholizismus (den alten Aberglauben), als Staat das frühmoderne cartesianische Frankreich gegen das spätmittelalterliche Spanien. Die hohe See erobern englische Piraten und holländische Händler, beides keine Bedrohung für niemanden, allenfalls für spanische Flotten und portugiesische Ostasien-Kaufleute. Die unmittelbaren Nachbarn sind mächtiger: die aufgeblasene litauische Zecke, die sich Polen einverleibt hat, und das riesige Osmanische Reich sind Kolosse für Europa und machbare Gegner für Ming-China und Mogul-Indien.

Der mitteleuropäische Bürgerkrieg springt auf die Insel über, erst 1688 ist Britannien befriedet und erst 1757, nach einem keineswegs überlegenen Sieg in Bengalen, durch Raub reich genug, um die industrielle Revolution zu finanzieren. Dieser Dusel-Sieg findet zur Zeit des ersten europäischen Weltkriegs statt (1756-1763), der um Ost- und Westindien geführt wird; England siegt auch in Nordamerika. Militärisch gibt das Land des Sonnenkönigs die Führung an das geschäftstüchtige England, kulturell an das zersplitterte Deutschland ab. Das antisystemische Element der abendländischen Zivilisation, Russland, fegt Polen-Litauen, Schweden und die Osmanen vom Platz und wird zum systeminternen Gegenpol erst Englands (The Great Game), dann der USA (Kalter Krieg).

Deutschlands Weg von der Kultur in die Dekadenz führt über Siege in Forschung, Entwicklung und Kriegskunst zu zwei gescheiterten Versuchen der Welteroberung. Damit ist entschieden, dass nicht Europa unter deutscher Führung, sondern die von Beginn an als titanisch-kybelisch konzipierten USA Britannien als Weltmacht beerben (mit dem genannten systeminternen Gegenpol). Das Abendland als Hochkultur ist dem Osten nie überlegen: die Unterwerfung Chinas geschieht im Zeitalter der Dekadenz und selbst die Aufteilung Afrikas findet erst kurz vor dem dritten europäischen Weltkrieg (1914-1918) statt. Seinen letzten Krieg in der Hochphase der Kultur führt Europa als seinen zweiten Weltkrieg, den napoleonischen Krieg, ein Jahrhundert zuvor.

Der Kampf der Titanen verursacht 1962 und 1983 fast einen nuklearen Weltuntergang; der tellurisch-demetrische Titan lenkt einmal auf „Der Klügere gibt nach“-Art ein, und einmal entscheidet sich ein russischer Soldat, auf einen Atomangriffsalarm nicht zu reagieren. Da Demeter nicht theomachisch-titanisch ist, gibt der russische Demetrios (Dmitrij, nicht Iwan: der archetypische Russe ist Sohn der Demeter) nach und löst sein Reich des Bösen auf. Das andere, Ulalume, scheint zu triumphieren, doch der kybelische Titan zerstört sich zunehmend selbst im Terrorismus-Wahn (ab 2001) und im kulturellen Nihilismus (die unmittelbare Gegenwart). Die abendländische Zivilisation hat die Welt nicht ritterlich erobert, sondern krokodilesk verschlungen und nicht verdaut. Der Rest der Welt wird sich vom Westen der Welt nicht in einem klassischen Machtkampf befreien, sondern das Krokodil von Innen zerreißen und nicht viel übrig lassen.

Montag, 29. Juni 2020

Achtung, Anerkennung, Respekt und Wert





Was für Kant das menschlich Normale war, wollen wir hier als edel betrachten: die Fähigkeit, durch Taten anderer Menschen zur Achtung gezwungen zu werden. Wessen Achtung nicht erzwungen werden kann, denn muss man noch nicht einen Unmenschen nennen, aber man kann schon sagen, dass es sich um keinen edlen Menschen handelt.

Ist Achtung für einen anderen Menschen das Eingeständnis dessen Erhabenheit über einen selbst, so ist Anerkennung ein teilweises Eingeständnis des Besserseins eines anderen. Anerkennung muss nicht der ganzen Person gelten, sondern ist in der Regel an bestimmte Leistungen gebunden. Wer nicht der Anerkennung fähig ist, ist noch kein Unmensch, aber asozial ist er schon.

Respekt ist die Haltung gegenüber einem anderen Menschen, die seine Gleichwertigkeit mit einem selbst zum Ausdruck bringt. Grundsätzliche Unfähigkeit dazu ist nun in der Tat subhuman.

In einer ultradekadenten Gesellschaft ist Achtung undenkbar: kein ontologischer Parasit wäre jemals in der Lage, das uneingeschränkte Bessersein eines anderen zuzugeben. Auch Anerkennung ist einer ultradekadenten Verbrechernatur nicht abzuringen: es wird entweder relativierend psychologisiert oder der Subpassionarier bestreitet die evidente überragende Leistung des Mitmenschen. Der Letzte Mensch kennt nur Angst anstelle des Respekts und gleicht somit dem Tier.

Nicht nur die Anzahl der Achtung, Anerkennung und Respekt verdienenden Menschen verringert sich mit dem Verfall einer Gesellschaft, auch die Fähigkeit, jemanden zu achten oder auch bloß zu respektieren kommt der Masse abhanden. Und so spült sich eine ultradekadente Gesellschaft eine Abwärtsspirale herunter, zuerst die kulturelle und zwingend darauf folgend die zivlisatorische Kloake.

Mittwoch, 27. Mai 2020

Der Übermensch





Nietzsches Ich-Phantasie vom Übermenschen handelt im Grunde von der Wiederaufstehung des Gottes der Ich-Religion: das Ich, der tote Gott, soll wie Osiris, Dionysos und Jesus zum ewigen Leben wiederauferstehen. Der Übermensch, der wiederauferstandene Ich-Gott, würde die volle Kontrolle über seine Triebe und Neigungen behalten und mächtiger Herr über das eigene Un- und Unterbewusste sein.

Der Wille zur Macht ist der Wille des Ichs zur Selbstbehauptung. Je größer die Macht, umso stärkere Feinde werden besiegbar, gipfelnd mit dem stärksten Feind des Ich, dem Unter- und Unbewussten. Dann hat der Wille die Kontrolle über den Körper und es entsteht der athletische asketische heroische Über-Mensch. Die atheistische Anthropologie bestimmt den Menschen implizit als ein Wesen mit einem Ich: das Ich ist das Wesen des Menschen. Doch das Wesen des Übermenschen ist nicht das Über-Ich: je mehr das Un- und Unterbewusste herrscht, umso stärker wird die äußere Herrschaft des Über-Ich über das Ich, welches sich notgedrungen unter die Herrschaft der Normen, der Sitten, des Gewissens, oder auch nur der gesellschaftlich ausgeübten Gewalt fügt, um von seinem inneren triebhaften Tyrann nicht zerstört zu werden.

Der Übermensch aber ist so stark, dass er ohne ein Über-Ich sein Unter- und Unbewusstes beherrschen kann. Der Über-Mensch braucht keinen guten Hirten, weil er gar keinen Hirten braucht. Die Nazi-Ideologie sah im Über-Ich nicht den guten Hirten, sondern das schädliche Gewissen, das die barbarische Vitalkraft des Menschen an ihrer Entfaltung hinderte. Hitler sah im hochmoralischen edlen Dschingis Khan nur den barbarischen skrupellosen Zerstörer, wo dieser in Wirklichkeit der Gesetzgeber in einem Zustand der Anarchie und der Gründer des legendären Mongolischen Friedens (pax mongolica) war.

Das vom Über-Ich losgelöste Ich, dass das Unter- und Unbewusste nicht beherrscht, sondern sich von dessen Triebhaftigkeit treiben lässt, ist nach Nietzsches Logik nicht der Über-, sondern der Unter-Mensch. Diese Bestie wurde zum Desiderat der barbarischen Ideologie der Nationalsozialisten, dieses Monstrum der heteronomen getriebenen Kraft. So wurde Nietzsches Idee vom Übermenschen durch die Nazis nicht bloß missverstanden, sondern ins Gegenteil verdreht.  

Sonntag, 24. Mai 2020

Das Abendland ist nicht christlich





Das Judentum sah sein Ende unter dem römischen Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert und führt seitdem wesenlos eine zufällige Existenz als Diaspora-Volksreligion. Das Christentum tötete sich selbst mit dem 4. und dem Albigenserkreuzzug. Das legendäre Ende des Islam kam am 12.2.1258.

Scheinbar sind Christentum und Islam die am weitesten verbreiteten Religionen unserer Zeit und die Juden scheinen ihren alten Glauben immer noch ernst zu nehmen. In Wirklichkeit leben die Anhänger aller abrahamitischen Religionen so, als könnte es ihren Gott genausogut nicht geben. Der religiöse Inhalt der großen Drei ist zum Aberglauben reduziert und zu politischer Ideologie pervertiert worden.

Wer sind denn unsere wahren Heiligen heute? Newton, Darwin, Hawking. Unsere Märtyrer sind Bruno und Galilei. Die Religion des globalen Westens heißt Szientismus und ihr Gründungsmythos ist die Renaissance unmittelbar nach der Katastrophe des 14. Jahrhunderts. Bei differenzierter Betrachtung erweist sich der Szientismus als Religion der Eliten. Die Religion der Massen ist der Atheismus.

Die Kirche des Atheismus ist der Staat machiavellisch-bodinschen Typs und der Nationalstaat als Spätform. Die Kirchenväter des Atheismus heißen Heinrich VIII. von England, Ludwig XIV. von Frankreich, Darwin, Marx und Lenin. Der Protestantismus ist die kopernikanische Wende des Christentums: nicht ich glaube, weil ich denke, dass es Gott gibt, sondern ich denke, dass es Gott gibt, weil ich an ihn glaube. Jede Sekte hat ihren Gott, jedes Individuum hat seinen eigenen, pragmatisch wie bei William James.

So wie der Hellenismus, weil er geistiges Allgemeingut der Zeit Jesu war, zur metaphysischen Grundlage des Christentums wurde (Christentum ist, wie ein berühmter Kritiker bemerkte, Platonismus für Dumme), zog sich der Atheismus ein christliches Gewand an und trat als Protestantismus in die Welt bis der Anblick des nackten Atheismus die abendländische Kultur nicht mehr erschreckte (seit der Aufklärung).

Mittwoch, 20. Mai 2020

Das Lebensjahr





Ein menschliches Individuum hat wie alles in der Natur seine Jahreszeiten. Nach 20-jähriger Immerwiederkunft auf die Frage des Lebensalters stelle ich heute fest, dass die Zuordnung, auf die ich vor 8 Jahren gekommen bin, im Großen und Ganzen am besten der Realität entspricht:

1. Januar: 0-ter Geburtstag bzw. halt eben Geburtstag

1. Februar: 3-tter Geburtstag

1. März: 6-ter Geburtstag

1. April: 10-ter Geburtstag

1. Mai: 14-ter Geburtstag

1. Juni: 18-ter Geburtstag

1. Juli: 22-ster Geburtstag

1. August: 26-ster Geburtstag

1. September: 30-ster Geburtstag

1. Oktober: 35-ster Geburtstag

1. November: 40-ter Geburtstag

1. Dezember: 45-ter Geburtstag

Mit 50 feiert man Lebenssilvester, dann endet life time und legacy time beginnt. Der Frühling gehört der Frau, der Herbst dem Mann. Die Hochzeit der Frau ist die Sommersonnenwende, in diesem Lebensalter soll sie auch gefeiert werden. Im Spätsommer zu heiraten ist suboptimal, im Herbst zu spät. Kleinkinder in ihrem Lebensjanuar genießen durch den Mutterinstinkt weitgehend Gleichelieb, danach haben die Mädchen einen Wert und die Jungen keinen. Deshalb werden den Mädchen schon ab dem Lebensfebruar Ehrentitel vergeben:

Februar: Mäuschelchen

März: Mäuschen

April: Maus

Mai: Mädchen

Juni: Mieze

Der Junge bekommt seinen Wert nicht von der Natur gegeben, sondern muss diesen durch die Mannwerdung entwickeln:

Mai: Ein Nichts

Juni: Kanonenfutter/Ratte

Juli: Soldat/Hase

August: Offizier/Fuchs

September: Wolf

Oktober: Mann

Die Frau ist schon durch ihre Natur Frau und nimmt bis zur Sommersonnenwende an Wert noch zu. Ein Mann muss, um auf die Null zu kommen, sich erst einmal 35 Jahre entwickeln. Dafür ist er im Spätherbst in seinen Entwicklungsmöglichkeiten frei von natürlichem Zwang.

Das Weibliche ist die Natur, die Blume blüht im Mai, die Frucht wird im Sommer reif. Das Männliche ist die Kultur: der Mann baut sich für den Spätherbst und den möglichen langen Winter ein Haus. Wer mit 40 charakterlich ein Nichts ist, sich noch für nichts im Leben entschieden hat, vielleicht noch eine Familie gründen will, vielleicht aber auch nicht, ist in seiner Entwicklung eben im Mai zurückgeblieben. Im Oktober seines Lebens weiß ein Mann, ob er ein Heiliger oder ein Weiser, ein Mönch oder ein Vater, ein Heerführer oder ein Schamane sein will.

Im Februar hört die Frau ein Dubistsosüß, im März ein Dubistsoniedlich, im April ein Dubistsoschön, im Mai ein Ichliebedich, im Juni ein Willstdumichheiraten. Der Mann wird im Mai enttäuscht, im Juni gegrillt, im Juli gedrillt, im August ernüchtert, kann sich im September befreien und im Oktober sein Leben in Freiheit beginnen. 

Freitag, 15. Mai 2020

Das Gute als Existenzberechtigung





Wer gut sein will, hat es schwer: ständig wird er auf kleinste Verfehlungen hin kritisiert, unter Rechtfertigungsdruck gestellt und auf seine „eigentlichen“ Motive hin gaslightet. Versucht er, das Messen mit zweierlei Maß zu unterbinden, erwidert sein Kritiker: „Ich halte mich selbst gar nicht für gut, also muss ich nicht denselben Ansprüchen gerecht werden wie du“. Da glaubt er, fein raus zu sein, und ist dabei so grob raus, wie man nur sein kann, nämlich raus aus der Existenzberechtigung.

Das Gute ist das, was sein soll. Wer gut sein will, tut es nicht, um anderen zu gefallen, sondern aus Pflicht (andernfalls will er nicht gut sein, sondern nur gut scheinen). Die Pflicht, gut zu sein, erwächst aus dem Recht, zu sein. Nur das Gute hat ein bedingungsloses Existenzrecht. Wer nicht durch seine Natur gut ist (ein Engel), sondern sich fortwährend frei zwischen Gut und Böse entscheiden muss (das ist die conditio humana), verdient sein Daseinsrecht erst durch die Willensanstrengung, gut zu werden.

Die Existenz des menschlichen Subjekts ist ontologisch prekär. Von der Objektseite ist der Mensch ein Tier, von der Subjektseite ein Ebenbild Gottes. Das selbst-bewusste Subjekt hat eine innere Teleologie mit dem Endziel Glückseligkeit. Damit hat der Mensch das Recht, sich selbst für einen Endzweck zu halten. Daraus resultiert die Pflicht, mit der Kraft des Willens das Gute anzustreben.

Wer gar nicht den Anspruch hat, gut zu sein, hat auch keine Würde, denn nur ein Endzweck, ein absoluter Selbstzweck hat Würde. Der Mensch als Tier ist nur ein relativer Selbstzweck, aber vielmehr das Mittel der Selbsterhaltung für seine Gattung/seine DNA. Er muss auch keinen moralischen Gesetzen gerecht werden, sondern nur seine Gene weitergeben.

Der dogmatische Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist nur dann wahr, wenn die Würde mit der moralischen Pflicht einhergeht: Die Pflicht zum Guten ist unantastbar, denn diese macht die Würde des Menschen aus. Wer aber, die Pflicht von sich weisend, sagt: „Ich halte mich gar nicht für einen guten Menschen“, mag sich in seinem Eigendünkel für cool und lässig halten, ist aber in Wahrheit nur ein Nichtswürdiger.

Dienstag, 12. Mai 2020

Der Shawshank-Sigma





Ein Mann jungen bis mittleren Alters kommt unschuldig lebenslänglich hinter Gittern: das kann eine allgemeine Metapher für die Geworfenheit in die Welt sein, aber auch eine besondere für z. B. ein toxisches Elternhaus, das das Leben nachhaltig vergiftet. Er ist introvertiert und wird in der neuen Lebenssituation sofort omegaisiert. Der feine Unterschied zwischen einem Außenseiter, als der er scheint, und einem Einzelgänger, der er eigentlich ist, deutet schon an, dass der Mann charakterlich ein Sigma ist.

Ein Sigma leugnet nicht die Hierarchie, er nimmt sie an, lebt und spielt damit. Auch ein omegaisierter Sigma entwickelt keine Ressentiments, sondern entwickelt sich zu einem „Mann des langen Willens“, wie die alten Mongolen sagten. Für den tyrannischen Gefängnischef nimmt er die Rolle des Gamma an, wäscht für ihn Geld, doch dabei baut er all die Jahre für sich selbst dort draußen eine Identität auf. Während seine Mitgefangenen darauf warten, dass er sich irgendwann umbringt, denkt er immer an Freiheit, nicht an den Tod. Durch seinen Charakter und seine sigma-souveränen, nicht gamma-manipulativen guten Taten wird er immer mehr zur lebenden Freiheitsstatue an einem Ort der Unfreiheit. Doch alle konkreten Pläne für seine Selbstbefreiung behält er für sich.

Auf einmal ist er weg, und keiner weiß, was passiert ist. Nur ein großes Loch in der Wand lässt die Kraft seines Willens erahnen: viele Jahre lang grub er heimlich einen Fluchtweg. Jeden Tag musste er damit rechnen, dass das Loch bei 10, 50, 90, 99% der getanen Arbeit bei einer Zimmerkontrolle doch noch entdeckt wird. Doch er führt seinen Plan konsequent zu Ende. Das ist die Art, auf die ein Sigma positiv denkt. Ein Gamma dagegen malt sich die Welt schön, lebt Lebenslügen, verzerrt seine Wirklichkeit, um „positiv denken“ zu können. Taten folgen dem positiven Denken eines Gamma nicht, es bleibt bei Hoffnungen und Absichten.

Dieser Film zeigt, dass der Sigma-Rang in der soziosexuellen Hierarchie nicht situativ oder fraktal eingenommen werden kann (in der Familie ein Alpha, auf der Arbeit ein Delta; in der Schule ein Omega, im Nerd-Freundeskreis ein Gamma usw.), sondern auf einer bestimmten charakterlichen Grundstruktur basiert. Nicht weil der Sigma es am schwersten hat, ist es am schwersten, ein Sigma zu sein, sondern weil der Sigma-Rang sehr voraussetzungsreich ist und einen festen Charakter, einen starken Willen und viel Persönlichkeitsentwicklung erfordert. Allein mit einem großen „Selbstbewusstsein“, das durch ein positives Elternhaus und überlegene genetische Ausstattung (physische Stärke, Intelligenz) zustande kommt, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit ein Alpha oder Beta/Bravo, aber noch lange kein Sigma.

Donnerstag, 16. April 2020

Tathagatagarbha




Die Chinesen und Tibeter lernten den Buddhismus nicht als das ursprüngliche Theravada kennen, das eine soteriologische Negation des indischen Brahmanismus war, sondern als Mahayana, dessen Ziel nicht mehr die Erlöschung war. Der chinesische Chan- und der tibetische Vajrayana-Buddhismus setzen nicht auf den graduellen, stufenweisen Aufstieg zur Erleuchtung, sondern auf unmittelbare Erkenntnis. Die sofortige Erleuchtung im Chan (und dem daraus enstandenen japanischen Zen) und die unmittelbare Erkenntnis der Buddha-Natur im Dzogchen sind für den dekadenten Westler verführerisch, der ohne Beweise behaupten darf, die Erleuchtung erlangt und die Buddhaschaft erreicht zu haben. Mit solchen faulen Selbsterlösern aus dem Nihilismus der eigenen Bedeutungslosigkeit in den Nihilismus der narzisstischen Selbstimmanenz füllen sich die buddhistischen Zentren der westlichen Metropolen.

Für den wahren Buddhisten des Westens indes liegt die Faszination des Chan/Zen oder Dzogchen in der paradoxen Natur der Erleuchtung. Auf die Frage des Zen-Schülers, wann er endlich die Erleuchtung erreicht, kann der Meister nur mit „Nie“ antworten, denn der Weg zur Vollkommenheit kann nicht durch ein bestimmtes Zeitquantum bemessen werden. Und dennoch gibt es die Erleuchtung. Das bedeutet, dass sie nur erreicht werden kann, wenn man aufhört, in der Zeit danach zu streben. Wer strebt, verfehlt das Ziel. So kommt es auf das taoistische „Wu wei“, das Nichttun, hinaus. Die Koans des Zen-Meisters und der Unterricht des Dzogchen-Lamas sollen den Schüler eben nicht auf dem Weg zur Vollkommenheit anleiten, sondern nur dessen Geist befreien, ihn von allem leer machen, auch vom Streben nach Vollkommenheit.

Ohne die nihilistische Grundlage des Hinayana, sondern auf der Basis des nicht-seinsverneinenden und damit nichtseins-verneinenden Mahayana lässt sich mit dem Shan/Zen oder Dzogchen der spirituelle Materialismus, der dem Nihilismus der Erlöschung entgegengesetzte Pol, umgehen. Jeder Weg zur Erleuchtung, der über Stufen geht, führt letztlich dazu, dass das Zählen der Stufen mit dem Ziel selbst verwechselt wird. Die Stufen sind aber nur der Weg, und es ist egal, wie viele Geisteszustände bis zur Erleuchtung durchschritten werden müssen: man schafft es nicht, wenn man seinen spirituellen Fortschritt über die Höhe seines Geisteszustandes definiert, erstens, weil von jeder noch so hohen Stufe der Unvollkommenheit der Weg zur Vollkommenheit immer noch unendlich ist, und zweitens, weil je höher die Stufe, umso größer das Anhaften daran, und umso schwerer die Einsicht, dass trotz der vielen Jahre der Meditation die Vollkommenheit genauso weit weg ist wie am Anfang des Weges.

Freitag, 3. April 2020

Ontologie und Epistemologie





Du bist eines Verbrechens angeklagt und hast kein Alibi und 1000 Motive. Nur du allein weißt, dass du in Wahrheit unschuldig bist, da du das Verbrechen nicht begangen hast. Weil deine Unschuld unbeweisbar ist, ist sie deswegen auch unwahr? Oder du hast das perfekte Verbrechen begangen, und dir ist die Schuld unmöglich nachzuweisen. Dennoch kennst du die Wahrheit.

Ein Gottesbeweis ist unmöglich, aber was sagt das über das Sein Gottes aus? Es gibt eine Kluft zwischen Ontologie und Erkenntnistheorie, die bei der Reduktion des Logos auf die Logik, der Wahrheit auf die Beweisbarkeit, scheinbar geschlossen wird. Doch die Wahrhaftigkeit erfordert es, genauer hinzuschauen: der Schluss von Logischem auf Ontologisches ist erschlichen.

Ein Beweis des Nihilismus, der objektiven Sinnlosigkeit des Lebens, resultierend aus dem Nichts nach dem Tod, ist ebenso unmöglich. Doch wenn nach dem Tod tatsächlich nichts mehr ist, ist das Leben in Wahrheit sinnlos. Wir können nur hoffen, dass es nicht stimmt, aber wir können es nicht beweisen.

Die Trennung von Ontologie und Epistemologie lässt weder Theisten noch Nihilisten triumphieren. Es könnte beides wahr sein: dass Gott und Unsterblichkeit der Seele ontologische Wahrheiten sind, oder aber, dass es in Wahrheit weder Gott noch die Seele gibt.

Der Verstand, das Vermögen der Logik, ist epistemologisch beschränkt. Die Vernunft, die es mit Ideen (Logos) und nicht mit Begriffen (Logik) zu tun hat, kann ihre Gegenstände nicht logisch beweisen. Die Fähigkeit, die Idee des Guten zu verstehen, ist kein Beweis der Wahrheit dieser Idee. Ontologische Gegenstände entziehen sich der epistemologischen Überprüfung.

Kann man etwas wissen, das man nicht beweisen kann? Man kann wissen, ob man eines Verbrechens schuldig ist, ohne seine Schuld oder Unschuld anderen beweisen zu können. Dieses unmittelbare Wissen gibt es aber nur, wenn man selbst der Urheber der gewussten Wahrheit ist. Es ist wahr, dass du X nicht ermordet hast, obwohl du kein Alibi und 1000 Motive hattest. Kannst du aber mit Sicherheit wissen, ob Y der Mörder von X ist?

Da die Vernunft ihre Ideen nicht selbst hervorbringt, kann sie ihre ontologische Wahrheit nicht wissen. Obzwar die Vernunft denken kann, dass die Seele unsterblich ist, und das Sein Gottes aus moralischen Gründen postulieren muss, ist kein ontologisches Wissen darüber möglich. Die Mystik behauptet, zu unmittelbarem Wissen der Vernunftideen gelangen zu können, doch sobald sie auf ihre Methoden verweist, sinkt sie von der Ontologie zur Epistemologie herab: auch nicht-diskursives Erkennen ist nur eine Erkenntnismethode und genauso fehlbar wie die logisch-begriffliche Verstandeserkenntnis.

Donnerstag, 2. April 2020

Zeit und Vitalspannung im Nirmanakaya





Das Prinzip des Verwandlungzustandes (Nirmanakaya) ist die Zeit. In der christlich-orthodoxen Theologie ist der Raum heilig und die Zeit unheilig. Der Raum ist das anschauliche Weltgesetz, er ist ewig und unzerstörbar; die Zeit ist der innere Sinn (Kant) des unglücklichen Bewusstseins (Hegel), sie ist Heilszeit/Erlösungszeit bzw. Strafzeit. Der Sinn der Zeit ist das Ende der Zeit; das Sein in der Zeit ist das Sein zum Tode (Heidegger). Die 6 Bereiche des Verwandlungzustandes im Mahayana-Buddhismus sind vor allem an der Qualität der erfüllten Zeit zu unterscheiden:

Der Bereich der Götter: sehr hohe Vitalspannung, lange Zeiträume (Zeit erscheint durch ihre Länge raum-haft), aber dennoch vergänglich, und somit dem Leid des Wandels unterworfen.

Der Bereich der eifersüchtigen Götter: übermenschliche VS, aber noch nicht göttlich; Eifersucht auf die Götter und der Kampf um die höchste Position im endlichen Raum bestimmen den Zustand. Zeit ist großzügig in siegreiche und sieglose Phasen unterteilt; Nervenkitzel und sportliche Spannung.

Der Bereich der Menschen: VS 1 bis 30 (Chthoniker, Lunaristen und Solaristen). Der der Vernunft zugängliche Mittelbereich. Die optimale Geburt im Wiedergeburten-Kreis des Samsara ist die Geburt als solarer, wahrheitsuchender Mensch. Zeit ist biologische Lebenszeit, geschlichtliche Zeit und Heilszeit. Die Vernunft kann zu weniger leidvollen Zeitwahrnehmungen verhelfen.

Der Bereich der Tiere: VS unter 1. Zu vernebelt von Sinnen und Leidenschaften, um sich geistig zu entwickeln. Chthonische Telluristen, Subpassionarier und Tiere unterscheiden sich nur graduell bzw. gradueller als z. B. Menschen und Götter. Zeit ist rastlose Getriebenheit, eherne Notwendigkeit ohne Möglichkeit der Reflexion.

Der Bereich der Hungergeister: die Hölle der kraftlosen Gier; Begierde ohne Vitalität. Lust nach Lust; der Bereich unter Platons Höhle. Zeit ist Hungerzeit.

Der Bereich der Höllenwesen: die Krönung des positiv-viktimen Zustandes. Sinnloses Leiden und Hass. Zeit ist Leidenszeit, mit nichts als Leiden erfüllt.

Ein Gleichnis könnte das Gesagte weiter veranschaulichen: ein Meister lehrt Weisheit und lädt Freiwillige in sein Kloster ein. Dem Milliardär und dem Superstar geht es zu gut, sie hören nicht hin (sie halten sich für Götter). Der Suchtkranke und der gesundheitlich Schwache haben keine Disziplin oder Kraft, um der Disziplin des Meisters zu folgen (untere Bereiche). Der Manager will Top-Manager werden (Bereich der Eifersucht), der Zukurzgekommene will die Freuden des Lebens nachholen (wie ein von Bedürfnissen getriebenes Tier). Der rechtschaffene standesangehörige Mensch, z. B. Bauer, Händler, Krieger oder Mönch, hört dem Meister zu und folgt seiner Lehre. Nur wer sich der Wahrheit öffnet, kann dem Pfad der Erkenntnis folgen.

Freitag, 27. März 2020

Zölibat (mein Irrtum)





Ich Idiot schrieb die folgende Idiotenidiotie vor einigen Jahren zur Begründung des Zölibats:

Zur Forderung, unheilbar Kranken, deren Leben nur noch Qual ist, und die körperlich nicht in der Lage sind, sich das Leben zu nehmen, Sterbehilfe leisten zu müssen, kann man auf unterschiedliche Arten gelangen. Die menschenverachtenden Nationalsozialisten hätten diese Kranken für "unwertes Leben" erklärt, und darum Euthanasie gefordert. Jene, denen die Würde des Menschen wichtig ist, und kein bloßes Lippenbekenntnis, hätten auf Sterbehilfe plädiert, weil ein fremdbestimmtes Leben als lebende Leiche die Würde des Menschen verletzt.

Es kommt also nicht auf das Endergebnis einer Argumentation an, sondern darauf, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. Eine vernünftige Diskussion um den Zölibat für Geistliche lässt sich nicht führen, wenn das nicht passende Resultat zu einem Totschlagargument wird: man hört die Argumente der Gegenseite nicht mehr an, sondern verdammt sie, wenn das Ergebnis der Argumentation pro Zölibat ausfällt. Wenn einem das Ergebnis nicht gefällt, kann man beliebige äußere Gründe finden, warum die Argumentation ungültig sein muss; man kann also Unsinn reden, oder einer Argumentation immanent folgen, und deren innere Widersprüche, falls vorhanden, aufzeigen.

Was ist ein Geistlicher? Ein Geistlicher ist eine Person, die ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Man kann also davon ausgehen, dass ein Geistlicher an Gott glaubt. Nun ist die Unsterblichkeit der Seele untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden, ja selbst mit einer ganz auf Vernunft gegründeten moralischen Religion, wie sie Immanuel Kant in seiner Moralphilosophie entwickelt hat: damit die Würdigkeit, glücklich zu sein, mit der Strenge eines Naturgesetzes auch Glückseligkeit zur Folge hat, muss es eine Welt jenseits dieser geben, denn in dieser Welt ist alles Glück zufällig.

Ein Geistlicher ist nicht bloß ein gläubiger Christ, sondern die Religion, der Glaube, ist der Mittelpunkt seines Lebens, wie etwa die Familie für den natürlichen Menschen, oder der Beruf (die Karriere) für das bürgerliche Individuum. Geistliche leben in vielen Ländern vom Staat, d. h. vom Geld anderer Menschen. Ihre Aufgabe ist, ein Vorbild im Glauben zu sein, und ihre Qualifikation als Seelsorger kommt durch ihren Glauben zustande. Es kann keinen Gottesbeweis geben, aber es muss einen Glaubensbeweis geben, und dieser kann nur in der Lebensweise bestehen.

Wenn ein Mensch, der sein Leben dem Gottesdienst widmet, nicht bereit ist, auf das natürliche Gattungsleben (Familie, Sexualität) zu verzichten, muss davon ausgegangen werden, dass er nicht wirklich an Gott glaubt. So jemand eignet sich nicht als Geistlicher. Ein wirklich gläubiger Christ wird, selbst wenn er moralisch auf einer niedrigen Stufe steht, und somit ausschließlich um der größeren Freuden im Jenseits willen auf die Freuden im Diesseits verzichtet, niemals den Grundsatz vertreten, auf die Gefahr hin, dass es Gott doch nicht gibt, so viel wie möglich an Vergnügungen aus dieser Welt mitzunehmen. Wer aber so stark daran zweifelt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass er für seinen Glauben niemals auf irdische Freuden verzichten würde, von dem ist doch wenigstens zu erwarten, dass er kein Geistlicher wird.

A-fucking-ha, wer nicht wirklich an das Jenseits glaubt, und wer nicht die Diszip-fucking-lin hat, sollte kein Geistlicher werden. Daran ist zwar nichts falsch, aber das ist eben nur Logik. Geistliche dienen aber dem Logos, und so hat die erste Ableitung des Logos, die Logik, nicht die Autorität, in den Belangen des ersten Standes zu urteilen. Die zweite Ableitung des Logos, die Logistik, und die dritte, das Logem, ziemen dem unteren Dritten Stand und dem Pöbel. Was sagt aber der Logos zum Zölibat für Geistliche? Ein wahrer Mönch oder Priester muss zum ontologischen Ersten Stand gehören, d. h. er muss schon von seinem Charakter her den weltlichen Dingen abgeneigt sein. Dank seiner hohen Vitalspannung (hohem Männlichkeitsanteil an der Persönlichkeit) dürfte die Disziplin bei der sexuellen Enthaltsamkeit kein Problem sein.

Der Zölibat ist für einen wahren Geistlichen also keine jammervoll zu ertragende Verpflichtung, sondern eine ehrenvolle Auszeichnung: durch das öffentliche Bekenntnis zur Unbeflecktheit feiert er die Reinheit seines religiösen Gegenstandes. Mit dem Zölibat zeigt der Geistliche, dass er dem solaren, nicht dem lunaren oder chthonischen Reich angehört. Der Zölibat zeichnet den Mönch oder Priester als einen Menschen des Ersten Standes aus; ist der Mensch an sich kein bloßes Tier, so ist der Geistliche mit dem Zölibat überhaupt kein Tier mehr.

Donnerstag, 9. Januar 2020

Die Anti-Frauenhass-Redpill






Immer mehr Männer werden in dieser Zeit zu verbitterten Incels oder steigen aus dem sexuellen Markt freiwillig aus und werden MGTOW. Bei aller Demut gegenüber dem Leiden unverbittert leidender Incels und bei allem Respekt vor den Vernünftigen von den MGTOW muss festgestellt werden, dass beide Communities im Grunde von Frauenhass zusammengehalten werden. Den Frauenhass zu verbieten oder zu unterdrücken, würde diesen nur noch mehr verstärken. Stattdessen müssen die Frauenhasser ordentlich geredpillt werden, damit sie verstehen, in was für einer Gesellschaft sei gegenwärtig leben, und warum sich Frauen so frauenhassfördernd ihnen gegenüber verhalten. Verstehen ist nicht dasselbe wie Verständnis: ein Historiker, der dem Satz „Ich verstehe Hitler“ nicht zustimmt, ist ein armseliger Historiker, insbesondere wenn sein Fachgebiet der Nationalsozialismus ist. Ein Biologe, der Verständnis für den grausamen Lauf der Natur hat, und nach dessen Regeln auch die menschliche Gesellschaft umzustrukturieren empfiehlt, ist kein Wissenschaftler, sondern ein faschistoides sozialdarwinistisches Arschloch.

Die bitter benötigte Red Pill wäre die Einsicht in die soziosexuelle Hierarchie. Es gibt in der Natur unter Männern Anführer (Alphas), ihre Gefolgsleute (Betas), die große Mittelschicht der Durchschnittsmänner (Gammas und Deltas) und Ausgestoßene (Omegas). Die Monogamie sorgt(e früher) dafür, dass die Alphas und Betas den anderen Männern nicht alle Frauen weglocken. Je sexuell offener eine Gesellschaft wird, umso mehr nähern sich die Verhältnisse denen der Natur an: alle attraktiven bis durchschnittlichen Weibchen sammeln sich in Harems von Alphatieren, die Betamännchen bekommen für ihre Loylaität auch was ab, und der Rest muss sich mit den Resten zufrieden geben. Das heißt, dass ein Mann, der z. B. zum zweiten Dezil gehört (unter den ersten 10%, aber über den anderen 80% steht), nur noch Chancen auf eine unterdurchschnittliche Frau hat. Seit der sexuellen Revolution nähert sich die bürgerliche Gesellschaft des Westens immer mehr dem Tierreich an, weshalb trotz immer höheren Lebensstandards für alle sich immer mehr Menschen, besonders Männer, als zu kurz gekommen oder abgehängt empfinden.

Der sexuellen Befreiung folgt mit Notwendigkeit ein Verfall des öffentlichen Lebens. Das Leben in der Kultur war ein Leben mit Masken, aber die Gegenwart der Väter half Heranwachsenden, die Bedeutung der Masken zu durchschauen und mit Würde und Ehre eine Rolle zu spielen. Vaterlose, verwahrloste Authentizität ist an dessen Stelle getreten. Frauen verachten offen Gammas (sie werden für „creepy“ gehalten), schauen herab auf Deltas („Loser“), und behandeln Omegas würdelos. Durchschnittsmänner, die von Durchschnittsfrauen als unterdurchschnittlich wahrgenommen werden, sind frustriert und verbittern sich (Incels) oder steigen aus dem Spiel aus (MGTOW). Doch so ist die Natur: für die Weibchen existieren nur Alpha- und Betamännchen, die anderen sind unsichtbar. Wenn eine Gesellschaft im Bereich der Geschlechterbeziehung zur Natur zurückgekehrt ist, muss man sich dies klarmachen, anstatt das Verhalten der Menschen in dieser Gesellschaft nach den Maßstäben von Kultur und Zivilisation zu messen.

Freitag, 3. Januar 2020

Kulturelle und soziosexuelle Hierarchie



Die menschliche Kultur kennt aus der Ontologie der Seele entspringende Stände: den solaren Lehrstand, den lunaren Wehrstand und den chthonisch-tellurischen Nährstand. Doch der Mensch ist kein reines Kulturwesen, sondern auch Teil der Natur. Hier kommt die soziosexuelle Hierarchie ins Spiel:

Es gibt Alphas, Betas, Gammas und Deltas innerhalb sowie Sigmas und Omegas außerhalb der Hierarchie:

● α+ ist der gute Anführer (Captain America)
● α- ist der villaineske Anführer (Stalin, Hitler, Sauron)
● β+ ist der wertloyale Gefolgsmann (Iolaus)
● β- ist der hündisch loyale, aber auch verräterische Gefolgsmann (Stalin ggü. Lenin)
● γ+ ist der konstruktive Spezialist (Lucius Fox)
● γ- ist der destruktive Spezialist
● δ+ ist der anständige kleine Mann
● δ- ist der gehässige Spießbürger
● ω+ ist der Außenseiter durch tragische Umstände
● ω- ist der Außenseiter durch eigene Schuld (typischer Verbrecher)
● σ+ ist der gute einsame Wolf (Clint Eastwood)
● σ- ist der einsame Supervillain (Hannibal Lecter)

Die kulturellen Stände und die Stufen der soziosexuellen Hierarchie können sich überschneiden. Solar sind:

● α+ (der gute und weise Philosophen- bzw. Priesterkönig)
● γ+ (Priester, Gelehrter, Forscher)
● δ+ (Mönch)
● σ+ (Religionsstifter, Prophet, Philosoph)

Lunar sind:

● α+/- (König, tendenziell immer Tyrann)
● β+/- (Feldherr, Graf, Baron)
● γ+/- (Egonauten: Künstler, Kenner, Könner)
● σ+/- (Unternehmer, Selfmademan)

Chthonisch-tellurisch sind:

● α- (kybelisch-matriarchaler Tyrann)
● β- (Scherge)
● γ- (intellektueller Widerling)
● δ+/- (das einfache Volk)

Sonder- und Überschneidungsfälle sind unberücksichtigt. Es fällt auf, dass der chthonische Tellurist auf den oberen Rängen nichts zu suchen hat, da er dort nur schaden kann. Der Lunarismus ist janusköpfig und braucht solare Führung. Der Solarismus kennt keinen Beta-Rang, der Lunarist kann kein Delta sein. Chthonische Gammas (die Plage unserer Zeit) sind immer schädlich, lunare Gammas können gut und schlecht sein, solare Gammas sind in der Regel gut. Omegaisierte werden der Vitalspannung beraubt und finden sich zwangsweise im chthonischen Bereich wieder, können aber theoretisch jedem der Stände angehören bzw. als ω- aus den Ständen herausfallen und in die ontologische Kaste der Unberührbaren eingehen.