Samstag, 8. Dezember 2018
Die Jury (1996): Moralische Filmkritik
Vor 22 Jahren sah man im Kino die meisterhafte Verfilmung von Grishams Roman "Die Jury": im Süden der USA vergewaltigen zwei weiße Männer die zehnjährige Tochter eines Schwarzen, der sie daraufhin im Gerichtssaal vor ihrer Verhandlung mit einem M16-Sturmgewehr erschießt, und dabei leider einen Sicherheitsbeamten am Bein trifft. Der Fall scheint klar: der Vater des minderjährigen Vergewaltigungsopfers ist schuldig. Doch er wird aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat freigesprochen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: alle haben den eiskalten Rachemord mit angesehen, der Mann war voll zurechnungsfähig, und dennoch ist das Urteil "nicht schuldig" goldrichtig.
In Wiesbaden sah man es ähnlich, als man dem Film das Prädikat "besonders Wertvoll" verlieh, in Frankreich sah man es eher durch eine geschmacksverirrte Brille, so dass der Film als "dreckig", "ekelhaft" und "ultra-populistisch" beschimpft wurde, soweit Wikipedia nicht lügt. Wirbt der Film für Selbstjustiz? Dreckig, ekelhaft, und ultra-populistisch, dass dies dem Großteil aller Actionfilme, die genrebedingt oft Rachefilme sind, nie vorgeworfen wird, - warum eigentlich nicht? Wohl deshalb, weil man davon ausgeht, dass es solche Filme nicht ernst meinen. "A Time to Kill", wie "Die Jury" im Original heißt, meint es aber todernst. Nicht jeder ist dem Film gewachsen. Selbst das große Staraufgebot kann die Verstörung nicht aufwiegen, die dieser Film bei einer feigen Kriecherseele hinterlässt. Manchmal muss das Recht gebrochen werden, damit Recht geschieht. Nicht der Buchstabe, sondern der Geist des Gesetzes ist das Gesetz. Es gibt keine Entschuldigungen und keine Ausreden: das moralisch Richtige muss getan werden, auch wenn es gegen geltendes Recht verstößt. Diese Selbstverständlichkeiten sind es nicht, die den Film so besonders machen, sondern der Umstand, dass ein kaltblütiger Rachemörder für nicht schuldig wegen Unzurechnungsfähigkeit erklärt wird. Natürlich muss sein Anwalt dieses auf bessere Zeiten und Menschen hoffen lassende Urteil durch einen Trick erzwingen, indem er die Jury bei ihrem Rassismus packt, und sie vorstellen lässt, das vergewaltigte Mädchen wäre weiß gewesen. Sofort sieht jeder ein, dass die Vergewaltigung eines Mädchens - eines weißen Mädchens! Weiß, die Farbe der Unschuld, weißes Mädchen, das Objekt eigener Liebe und Begierde! - ein so grausames Verbrechen ist, dass sie den Täter außerhalb der Menschheit stellt, und moralisch vogelfrei macht.
Anders gesagt: jemandem, dessen Tochter vergewaltigt wird, ist solch unmenschliches Leid widerfahren, dass man ihn, sofern man sich selbst zurecht einen Menschen nennt, von jeglicher Schuldfähigkeit freisprechen muss. Es gibt Verbrechen, die ein derartiges Maß an Leid zugfügen, dass im existentiellen Ernst der Situation alles menschliche Recht nur noch als ein Spiel gesehen werden kann, und erst wenn das Recht in diesen existentiellen Extremsituationen gebrochen wird, erhält es seine Ernsthaftigkeit und Würde zurück.
Soll hier für Rache und Selbstjustiz plädiert werden? Eine dreckige, ekelhafte Frage. Warum nicht stattdessen die Frage stellen, ob hier womöglich in aller Ernsthaftigkeit aufgerufen werden soll, nicht zu vergewaltigen? Aber es ist doch selbstverständlich, dass man es nicht tun soll! - könnte man nun ausrufen, und wäre im Unrecht: Vergewaltigungen sind keine Erdbeben, keine Naturgewalten, sie werden von Menschen begangen, die genauso zurechnungsfähig sind wie die, die sich dafür rächen.
Selbstjustiz ist nicht ohne Grund ein Verbrechen, aber der Grund für Selbstjustiz ist immer ein vorangegangenes Verbrechen, und wer Selbstjustiz schärfer verurteilt, als das zugrundeliegende Verbrechen selbst, ist ein Verbrecher, der das Recht nur deshalb nicht bricht, weil er zu feige ist, es aber bei der ersten Gelegenheit sofort brechen würde. Im Urteil "nicht schuldig wegen Unzurechnungsfähigkeit" ist das Recht nicht ad absurdum geführt, sondern im Hegelschen Sinn aufgehoben: negiert und bewahrt zugleich, auf eine höhere Ebene gestellt. Es gibt Verbrechen, für deren Bestrafung das Recht hinreicht, und es gibt Greueltaten, die zu ungeheuerlich sind, um deren Handhabung zu verrechtlichen. Dazu gehört der systematische Kindesmissbrauch etwa durch Eltern genauso wie die im Film thematisierte Vergewaltigung. Dreckig und ekelhaft ist die Selbstgefälligkeit derer, die sich einen darauf runterholen, human zu sein, die im Angesicht unmenschlichen Leids als gute Menschen glänzen wollen, - dabei ist zu schweigen, und zu hoffen, dass keinem Kind so etwas jemals wieder passiert, das einzige, was die selbsternannten Guten tun können, um sich nicht als unzurechnungsfähig aufgrund eitler und überheblicher Blödheit zu erweisen.
Donnerstag, 29. November 2018
Gott beschneidet nicht
Folgendes steht nicht zur Diskussion, sondern ist von jedem, der für die Beschneidung ist, mit gesenktem Haupte als wahr anzuerkennen:
1. Es gibt keine jüdischen, muslimischen, christlichen, scientologischen, buddhistischen, atheistischen, faschistischen oder satanistischen Kinder: es gibt nur Kinder, deren Religionsfreiheit bis zur Religionsmündigkeit darin besteht, keinen Schaden durch die Religionsausübung ihrer Eltern erleiden zu müssen.
2. Gott beschneidet nicht. Gott stienigt nicht. Gott zündet keine Scheiterhaufen an. Jeder religiöse Brauch ist ein Produkt menschlicher Kultur, nicht göttlicher Eingebung. Jedem steht es frei, seine Seele dem Gott seiner Wahl zu schenken; Handlungen, die er gegenüber seinen Mitmenschen vollzieht, sind niemals mit Bezug auf Gott zu rechtfertigen. Kein Mensch darf im Namen Gottes handeln, - jeder handelt vor Gottes Angesicht für sich allein.
3. Wer die Menschenrechte anderer Personen nicht respektiert, begeht eine kriminelle Gewalttat, unabhängig davon, ob er sich auf seine schlechte Kindheit, seinen Glauben oder den ihm erscheinenden Teufel beruft. Die Goldene Regel bietet Schlüpflöcher für Verbrechen mit subjektivistischer Rechtfertigung, und ist daher falsch (wer aus Glaubensgründen darüber froh ist, im Namen der Religion als Kind misshandelt worden zu sein, wird es für gut befinden, andere Personen aus religiösen Gründen zu misshandeln); sie ist durch die Radiumregel zu ersetzen - deine Freiheit hört auf, wo die Freiheit des anderen anfängt - , präzisiert: Jeder hat das Recht auf seine Person mit Leib und Seele.
Dies eingesehen, kann es kein Pro und Contra mehr geben, denn etwas, was aus einem absoluten Prinzip verboten ist (dem Menschenrecht des Kindes auf Unversehrtheit), ist nicht mehr verhandelbar. Es gibt Abertausende gute Gründe, verhaltensauffällige Jugendliche präemptiv zu töten, damit aus ihnen keine Schwerverbrecher werden, aber diese Gründe sind alle nichtig angesichts des nicht relativierbaren Menschenrechts auf Leben.
Spaßeshalber schauen wir uns die "Argumente" der Beschneidungsbefürworter an:
i. Das steht in den heiligen Büchern. - Damit dies ein Argument sein kann, muss bewiesen werden, dass das jeweils als heilig befundene Buch von Gott ist. Wer anderen etwas antun will, und sich dabei auf etwas beruft, steht in der Beweispflicht, und muss die Wahrheit seiner Entscheidungsgrundlage objektiv beweisen. Ich glaube an Gott, bin aber gegen rituelle Körperverletzung im Namen Gottes, da mein Glaube nur erlaubt, mein Recht auf meine Person meinem Gott zu unterwerfen; um mit meinem Glauben die Legitimität einer Handlung gegenüber anderen Menschen begründen zu können, muss ich logisch zwingend beweisen, dass es (meinen) Gott gibt.
ii. Das ist Tradition. - Kinderficken ist (oder war) in vielen Kulturen Tradition. Ist traditionelles Kinderficken gut, und Freestyle-Kinderficken böse?
iii. Weil es politisch inkorrekt ist, für die Beschneidung zu sein! - Richtig, diese wehleidigen Kleinkinder, die sollen sich nicht so anstellen! In Afrika verhungern Kinder, was ist da schon eine Beschneidung? So denkst du, oder ähnlich? Erstens hast du es nicht zu entscheiden, was einem Kind zumutbar ist, denn subjektive Beliebigkeit führt dazu, dass alles erlaubt ist: wenn ich es für zumutbar halte, dich zu erschießen, weil du zu viel Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst, dann sei bitte nicht so wehleidig! Politisch inkorrekt? Die neue Mode, fein. Politisch inkorrekt wäre aber auch, auf deine heiligen Bücher zu urinieren, deine Mutter zu enthaupten, deinen Vater in den Arsch zu ficken, sämtliche Genozid-Gedenkstätten zu Denkmälern für die mutigen politisch inkorrekten Täter umzubilden.
Dienstag, 27. November 2018
Die Mädchen
Ich weiß nicht, was ein Korb ist. Ich habe es nie versucht. Doch, einmal, da wurde ich gerade 17, und die Zeit vergeht quälend langsam in dem Alter. Ich war katholischer Konvertit, in den Glaubensinhalten gemäßigt, im Glauben daran radikal. Aber es geschah einfach nichts, Gott gab mir kein Zeichen. Also provozierte ich eigenhändig eine Situation, in der die göttliche Vorsehung Farbe bekennen musste. Ich schrieb einem Mädchen, in welches ich seit einigen Tagen ein wenig verknallt war, einen Liebesbrief. Es ging gar nicht um das Mädchen, - es ging darum, was jetzt geschehen würde. Ich schrieb einem durchaus hübschen Mädchen. Ich erwartete nichts weniger, als ein Wunder. Ich wollte, dass Gott sich endlich zeigt, denn ein Gott, der sich so verhält, als existierte er nicht, existiert vielleicht gar nicht.
Ablehnung kenne ich aus anderen Zusammenhängen: der ist nicht so wie wir, der ist anders, der ist seltsam, der ist nicht einer von uns. Ablehnung kenne ich als soziale Ausgrenzung, nicht als zwischenmenschliche Erfahrung. Wenn es mit den Mädchen ernst war, wenn ich nicht ein wenig, sondern ganz schön bis sehr verknallt war, dann wusste ich einfach nicht, was ich tun sollte, schaute zwar sehnsüchtig vom Weiten die Mädchen an, aber hatte sie nie angesprochen. So kam ich nie in Versuchung, meine Ansprüche zu senken, oder gar mich von der Vorstellung des Idealmädchens zu verabschieden. Ich träumte immer weiter meinen Traum, und lebte mein Leben. Vielleicht hätte ich es auch andersrum versuchen sollen.
Die Mädchen sind schon das Wichtigste, weil das Schönste und Bezauberndste, was diese Welt zu bieten hat, - darum habe ich gleich zu Anfang das Unbedeutende übersprungen. Mit den Mädchen ist aber das Höchste in der Sphäre des Empirischen erschöpft. Ob mich der Nachbarshund, jene alte Nervensäge oder dieser Esel da ablehnt, geht mir am Arsch vorbei. Soziale Ablehnung wird vom Rechtsstaat, in dem ich lebe, durch die zivile Ordnung abgefedert. Freundschaften kann man schließen, also beenden, wenn dem Freund oder der Freundin meine Nase nicht mehr gefällt. Auch an die Familie ist man in der Postmoderne nicht mehr so gebunden, dass man Ablehnung etwa durch enttäuschte Eltern oder neidische Geschwister und Cousins täglich ertragen müsste.
Über den Mädchen steht nur noch Gott, das Ganze, das Absolute. Ich fühle mich in dieser Welt deplatziert. Werde ich vom Universum abgelehnt? Gefalle ich Gott nicht? Wenn er mich mag, warum hat er mich in diese jämmerliche und jammervolle Welt werfen lassen, anstatt mich gleich im Paradies auszusetzen? Warum passiert mir nicht das, was ich mir wünsche, oder was ich will? Wieso bin ich nicht allmächtig? Weil ich ein endliches Wesen bin. Ich selbst bin in meinem inneren Wesen die Ablehnung, denn das Ich ist zuallererst die Negation all dessen, was es selbst nicht ist. Das Ich unterscheidet automatisch eine äußere Welt von sich selbst, und erlebt dadurch eine Ablehnung, die es selbst verursacht. Die Welt hat sich gegen mich nicht verschworen - sie leistet mir nur natürlichen Widerstand, weil sie erstens wirklich und zweitens endlich ist, genau wie ich.
Sonntag, 25. November 2018
Sex ist nur ein Sonderfall von BDSM
Niemand will Sex. Man schämt sich, es beim Namen zu nennen, und nennt es Sex. Was man will, ist BDSM, und es gibt vier, nein acht Typen von Menschen, die sich dadurch unterscheiden, ob der Schwerpunkt ihres Feuchtwerdens beim Gedanken an B, D, S oder M liegt, wobei es jeweils die Option aktiv (+) und passiv (-) gibt:
1. B+ ist ein Kontrollfreak, ein gewissenhafter, penibler, reinlicher Mensch, eine treue und eifersüchtige Seele.
2. B- mag es, die Kontrolle zu verlieren, scheut Verantwortung, überlässt das Handeln dem Anderen, ist aber auch ein Genießer und Beobachter, mag es, eifersüchtig gemacht zu werden, und der Gedanke, dass ihn sein Partner betrügt, geilt ihn heimlich auf.
3. D+ ist ein Machtmensch, liebt den Sieg und die Demütigung des Gegners, mag Zeremonien und Rituale, hört sich selbst gern beim Reden und sieht sich selbst gern beim hochnäsigen Stolzieren zu, steht auf klare Rangfolgen und Machtsymbole, ist bei physischer Gewalt eher zurückhaltend, aber mag es, andere zu erniedrigen und zu beschämen.
4. D- ist ein devotes Hündchen, Sklave von Traumberuf, ist süchtig nach ständiger Erniedrigung und Bestrafung, sanftmütig und fröhlich, mag es, in der Ohnmachtposition eines Säuglings zu verweilen, aber auch vollkommen beschützt und umsorgt zu werden.
5. S+ ist ein Gewaltfreak, der im Gegensatz zu D+ keinen hochbekäme, wenn jemand ihm die Stiefel lutschte, es sei denn, die Zunge des Lutschenden wäre wund und die Stiefel gesalzen. S+ ist gleichgültig gegenüber Erniedrigung, er will weh tun, und kann sein "Opfer" sogar verehren und sich vor ihm verneigen, sich selbst als niedriger betrachten, - ihm ist es allein um den Schmerz zu tun. Er ist ein Forschergeist, neugierig, experimentiert gern, ist ein Spieler und Voyeur.
6. S- ist keineswegs mit einem Masochisten zu verwechseln: der Masochist will Schmerzen erleiden, S- will es eigentlich nicht, will vielmehr gegen seinen Willen gequält werden, will, dass sein Wille gebrochen wird, und ist eigentlich ein Sadist. S- ist in hohem Maße schizophren, kommt gut mit Widersprüchen zurecht, kann z.B. eine Falschbeschuldigung in Sachen Vergewaltigung fabrizieren und aufrichtig daran glauben. S- provoziert Gewalt, um sich verbissen gegen sie zu wehren; er ist ein Spieler, der zwar alles gibt, aber insgeheim zu verlieren hofft. Selbstverletzung ist bei S- keine Seltenheit, wobei er sich nicht als Verursacher der Selbstverletzung empfindet. S- neigt zum Wegschauen beim sexuellen Missbrauch sowie zum sexuellen Selbstmissbrauch, weshalb die Sexualität von S- zu seinem Besten so früh wie möglich auf den erlösenden BDSM-Pfad gelenkt werden sollte.
7. M+ ist ein Meister der Buße und Selbstkasteiung, ein religiöser Fanatiker und Märtyrer, ein politischer Gutmensch und ein Verbrecher aus Sucht nach Reue.
8. M- ist ein Masochist, der Schmerz und Leid hasst und bekämpft, um sie noch intensiver zu empfinden. Während M+ gern selbst und selbstbestimmt Schmerzen erträgt, mag es M-, wenn ihm Leid gewaltsam aufgezwungen wird. M- weint gern auf dem Friedhof, regt sich über Ungerechtigkeiten auf, sucht auf der Welt nach Leid und findet es überall, um nichts dafür zu können, und es ausmerzen zu wollen. Wie S- ist M- nicht selten schizophren, anfällig für psychische Delikatessen wie das Münchhausen-Syndrom und für Depressionen. M- kann BDSM-Aktivitäten scheinbar nichts abgewinnen, aber träumt davon, in sie hineingezogen zu werden.
Mittwoch, 17. Oktober 2018
Problem des Bösen im absoluten Idealismus
Frei nach Schellings Freiheitsschrift.
1. Die Welt ist das Nicht-Ich Gottes.
2. Gott setzt die Welt als das Andere seiner Selbst, etwas von ihm Freies, aber Lebendiges - der Mensch kann hingegen nur Maschinen erschaffen, die kein freies Sein haben.
3. Der Mensch geht aus dem Nicht-Ich Gottes hervor. Es ist das Andere des Geistes, somit irrational, geht von selbst nicht im Geist auf.
4. Die Aufgabe des Menschen ist, die Welt im Geist aufgehen zu lassen.
5. Die Freiheit der unbewussten Welt ist ihr Anderssein im Bezug auf den Geist, ihre Unabhängigkeit von dem Geist.
6. Die Freiheit des Menschen ist der Geist. Der Mensch ist frei, wenn er als vernünftiges Wesen handelt, nicht nach Bedürfnissen und Willkür, sondern nach der Pflicht, die er einsieht.
7. Die Freiheit des Menschen ist das Gute. Der Mensch ist frei, wenn er sich von Trieben befreit und nach vernünftiger Einsicht handelt. Die Freiheit der Welt ist das Böse. Die Welt ist frei, wenn sich nicht Gott ist.
8. Die Freiheit des Menschen ist eine Freiheit zu etwas - zum Guten. Die Freiheit der Welt ist eine Freiheit von etwas - von Gott.
9. Die Welt ist alles unbewusste Sein, auch den unbewussten Menschen einschliessend.
10. Die Natur ist das zu Gott aufstrebende Sein, das sich in der Naturgeschichte und der Weltgeschichte Entwickelnde, der Grund der progressiven Evolution.
11. Die Natur ist das aktive, tätige Prinzip, wie der Geist. Die Welt ist passiv, ihr Wesen ist das Nicht-Ich Gottes, sie erschöpft sich darin, das Andere des Geistes zu sein.
12. Die Natur widersetzt sich dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik - sie ist eine schaffende, ordnende Kraft, aber unbewusst - der Mensch ist ebenso schöpferisch, aber bewusst.
13. Das schöpferische Element im Unbewussten - die Natur - zeigt, dass die Welt ihren Ursprung nicht im Zufall, sondern in Gott hat. Die Evolution hat eine Richtung - zur Vollkommenheit hin. Die Evolution verläuft aber innerhalb der Welt und unterliegt den Trägheitsbestimmungen wie dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder der Gravitation.
14. Das Böse der Natur ist ihre Trägheitsbestimmung, sie hat keine Freiheit in Bezug auf das Böse. Das Böse bricht als Zufall in die Natur ein, kehrt ihre eigenen Gesetze in Werkzeuge der Zerstörung um - die natürliche Selektion ist das Gute in den Grenzen des Bösen; Entwicklung im Universum der Trägheit.
15. Das Böse des Menschen ist sein Beharren auf eigenem Sein, seiner Souveränität von Gott.
16. Macht sich der Mensch, der nur Subjekt ist - Substanz ist er nur in Gott - substantiell, verabsolutiert er sein endliches Sein und negiert somit Gott.
17. Das Negative ist nicht die Freiheit, sondern die Unfreiheit des Menschen. Das träge Bestehen auf eigenem Sein ist widervernünftig und triebhaft. Die Vernunft sieht ein, dass die Freiheit des Menschen in Gott ist. Der böse Wille widersetzt sich der Einsicht, beharrt auf sich selbst, will sich selbst und nur sich selbst.
18. Der gute Wille will über sich hinaus - und das ist das Vernünftige an ihm - er erkennt seine Endlichkeit und will sie überwinden. Der böse Wille will nur sich selbst, verabsolutiert sein eigenes endliches Wesen und negiert Gott, das Unendliche, das Absolute.
19. Als Endliches Wesen nach Vollkommenheit zu streben ist fruchtlos, Vollkommen wird das Endliche nur, wenn es im Unendlichen aufgeht. Durch die Selbstaufgabe des endlichen Subjekts gewinnt es im Unendlichen Vollkommenheit - das ist die Gnade und die Liebe Gottes.
Sonntag, 7. Oktober 2018
Die Abtreibung unter den Umständen der conditio humana
Es ist ein beliebtes Hobby vieler unterdurchschnittlich intelligenter Zeitgenossen, gegen das Recht der Frauen auf Abtreibung zu protestieren. Sie wollen angeblich menschliches Leben schützen und schrecken gar vor religiösem Terror nicht zurück. Wie problematisch die religiöse Basis des Schutzes von Embryonen ist, zeigt das Dilemma einer vergewaltigten Frau, deren Würde aufs Schwerste verletzt worden ist, die aber zur Mörderin wird, wenn sie die Frucht der Vergewaltigung abtreibt. Wenn Gott die menschliche Sexualität so eingerichtet hat wie wir sie vorfinden - warum hat er nicht dafür gesorgt, dass aus Vergewaltigung kein Leben entstehen kann? Warum kann jeder mit jedem jederzeit ein Kind zeugen? Warum müssen wir in der Regel verhüten, weil wir Angst vor ungewollten Befruchtungen haben? Gott hätte es gewiss so arrangieren können, dass ausschliesslich verheiratete Paare mit im ergreifenden Gebet artikuliertem Kinderwunsch die Ehre hätten, neues Leben zeugen zu können.
Nun hat sich Jupiter anders entschieden und die menschliche Sexualität von der Sexualität der Hunde und Ratten überhaupt nicht differenziert. Bei Mensch und Hyäne wird nach den gleichen Regeln gepoppt und der biologische Vorgang der Befruchtung verläuft identisch. Damit gilt es klarzumachen, dass menschliches Leben als biologisches Phänomen keine höhere Würde für sich beanspruchen kann als das Leben einer Feldmaus. Wenn unsere Nutztiere erkranken, schlachten wir sie ab. Wenn kranke Menschen abgeschlachtet werden, sprechen wir von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Offenbar gibt es doch einen Unterschied- aber worin besteht er? Er besteht allein in der Tatsache, dass Menschen Personen sind, und nur Personen kennen so etwas wie Würde. Das biologische Leben kommt prächtig ohne Würde aus, Vergewaltigungen bei Katzen sind an der Tagesordnung, aber keine Katze hat je einen Kater deswegen angezeigt. Das biologische Leben folgt seinen eigenen Regeln, welche für das Leben der Personen, die wir Menschen vermutlich als einzige Tierart auf Erden sind, nicht mehr gelten. Die Gemeinschaft der Personen unterliegt Gesetzen, die im Tierreich keine Bedeutung haben, da der Code dieser Gemeinschaft dem Tierreich unzugänglich ist. Nur Personen kennen Liebestragödien und Fragen der Ehre, nur unter Personen macht es Sinn, bei einer Tötung von Mord zu sprechen, eine ungerechte Tötung mit diesem bösen Wort markierend. In der Natur gibt es weder Recht noch Unrecht, weder gut noch böse, dies ist einzig und allein unser menschlicher Code, der die Regeln der Biologie ausser Kraft setzten kann, soweit wir als bewusst handelnde Wesen unsere biologische Natur kontrollieren können.
Die Würde des Menschen ist die Würde der Person, die der Mensch ist. Ab wann ist es sinnvoll, von einer Person zu sprechen? Ist ein Embryo eine Person? Ist ein vier Monate alter Fötus eine Person? Ist ein Neugeborenes eine Person? Ich fürchte, die Antworten auf diese drei Fragen lauten jeweils nein, nein und nein. Wir tun so, als ob Neugeborene schon Personen wären, um keine Gesetzeslücke entstehen zu lassen. Wenn wir Säuglinge betrachten, gilt für uns, dass sie Menschen wie wir sind, also mit einem Recht auf Leben und unantastbarer Würde. Gilt aber unser Code für sie? Behandeln uns Kleinkinder so wie eine Person eine andere Person nach unserem Code zu behandeln hat? Nein, aber sie lernen es, und zwar indem wir es ihnen beibringen.
Von Allein tut sich nichts, Wolfskinder sind keine Personen und die Geheimnisse unseres Codes mit den seltsamen Konstruktionen wie Norm und Sittlichkeit, wie Scham und Schuldgefühl, werden sich ihnen niemals offenbaren.
Wollen wir nun allem Leben die Würde zusprechen, die für uns als Personen gilt? Wie steht denn das Leben zu diesem Vorschlag? Würde es sich an unsere moralischen Werte halten, würde es unseren Code annehmen? Nein. Wir können gern Tiere schützen, aber es wäre ratsam, nicht zu vergessen, dass es Tiere sind. Man kann seinen Hund gern haben, aber die Frage nach Recht und Unrecht würde den Hund überfordern. Das biologische Leben kann nicht in die Gemeinschaft der Personen aufgenommen werden, weil es ihre Gesetze nicht erfüllt. Und wir überschreiten unsere Kompetenzen, wenn wir Tieren Würde zusprechen, welche für sie keine Bedeutung hat.
Еntwicklungsbiologisch gesehen fällt die Bilanz der Nachforschungen darüber, ab wann ein Mensch eine Person ist und etwas davon hat, dass seine Würde angeblich unantastbar ist, fällt ernüchternd aus. Wir müssen uns nicht nur von der romantischen Anbetung von Föten verabschieden, sondern zugeben, dass einige der Wesen, die wir mit Selbstverständlichkeit als Personen betrachten, gar keine sind. Die Geburt ist eine künstliche Trennlinie, die von unserer Zivilisation als der Beginn des Menschseins postuliert wird. Mann kann diese Trennlinie aber in beide Richtungen unterwandern- wem das Leben an sich heilig ist, und ich halte ausdrücklich fest, dass es sich um ein Phänomen handelt, welches im biologischen Sinn als Leben angesehen wird - denn jede andere Definition von Leben als diese wäre reine Spekulation, ausser wenn man den Rahmen erweitern oder verengen, also entweder die Viren als Lebewesen oder die Insekten als Bioroboter definieren würde – der sollte nicht erst den Fötus als schützenswert betrachten, sondern schon bei den Eizellen und den Spermien anfangen, was zur Folge hätte, dass Verhütung und Masturbation nicht anders als Verbrechen bezeichnet werden dürften; wer aber erst die Person als des Schutzes würdig erachtet, kann sich einen Dreck um Babyleichen der Mütter wider Willen scheren – wenn er es denn kann, denn wir können von unserer instinktiven Veranlagung her nicht anders, als unmündige dumm schreiende Säuglinge als uns im Menschsein, womit auch im Personsein, ebenbürtig zu betrachten.
Zurück zu den denkfaulen Antiabtreibungsaktivisten. Diese bedauernswerten Menschen haben ein so geringes Selbstvertrauen, dass sie auf ihrer Suche nach einem Feind den denkbar schwächsten Feind wählen, nämlich meist sehr junge Frauen in Notsituationen. Was für eine Heldentat, eine siebzehnjährige Vergewaltigte als Mörderin zu bezeichnen, weil sie die Frucht der Schandtat abreiben lassen will. Abtreiben lassen - also Vorsicht, noch mehr Feinde lauern, nämlich Ärzte, die den Frauen in Notlage helfen, diese halbwegs so zu meistern, dass sie weiter leben können.
Der Bauch der Frau gehört derselben Frau, keinem Gott, keinem Mann und keiner religiös-fundamentalistischen Bande von charakterlich kleinen Feiglingen, die mit ihrem eigenen Leben nicht klarkommen und noch schwächere Menschen zu mobben suchen, um sich gross vorzukommen.
Mittwoch, 26. September 2018
Auf wessen Seite ist Gott?
Es gibt Sachen, die dem Gefühl unmittelbar einleuchten: zu morden und zu vergewaltigen ist nicht bloß deshalb böse, weil es jemandem weh tut, sondern aus einem absoluten, nicht relativierbaren, nicht verhandelbaren Grund. Dem Verstand leuchtet aber unmittelbar ein, dass es einen solchen transzendenten Grund weltimmanent nicht geben kann. Das Weltgeschehen ist die Summe kontingenter amoralischer Ereignisse.
Aber nein doch, es gewinnen am Ende immer die Guten! Ja, so scheint, es, weil die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Auch Hitlers Erben wären heute die Guten, wenn Hitler damals den Krieg gewonnen hätte. Und was ist mit dem Holocaust? Vergessen. Geschichte kann umgeschrieben werden, Unrecht geleugnet, Opfer zu Verbrechern erklärt. Das wollen wir nicht wahr haben, das können wir nicht.
Wir fordern, dass Gott auf der Seite der Schwachen, der Entrechteten sei. Gott ist aber kein endliches Wesen, und kann als Kriegspartei nicht in das Weltgeschehen eingreifen. Aber es kann doch nicht sein, dass alles Gute vergebens ist, und das Böse am Ende triumphiert! Doch, kann es. Dann kann es aber auch keinen Gott geben! Geschenkt, es gibt keinen Gott.
Bleibst du dabei, dass zu morden und zu vergewaltigen böse ist, wenn du davon ausgehen musst, dass es Gott - zumindest in dieser Welt - nicht gibt? Bleibst du dabei, dass mit aller Härte gegen jene gekämpft werden muss, die Kinder missbrauchen, selbst wenn es keine höhere Gerechtigkeit gibt? Warum es nicht selbst tun, wenn der größte Held und der übelste Schurke nach dem Tod einfach aufhören zu existieren, und alles Gute vergessen, und alles Böse vergeben wird? Warum nicht rausgehen und Menschen töten? Warum nicht eine korrupte, opportuinistische Hure des Schicksals werden?
Warum nicht? Wer sich diese Frage nicht stellt, steht nicht im Verdacht, seinen Verstand zu gebrauchen. Die Dummen beiseite, aber ein denkender Mensch, ein Gedankenverbrecher, wird sich natürlich die Frage stellen, warum es angesichts erdrückender Sinnlosigkeit nicht erlaubt sein soll, ein hedonistischer Extremist zu sein, - und da das Leben eines Jeden zu großen Teilen aus Leid besteht, wird Hedonismus auch rachsüchtigerweise Sadismus bedeuten.
Ich kann es nicht. Nicht, weil ich Angst hätte: gerade Angst müsste ich nicht mehr haben, wenn es für höllische Taten keine höllische Vergeltung gibt. Nicht, weil ich nicht nachgedacht hätte. Nicht, weil ich die Konsequenzen einer Welt, in der nichts heilig ist, verdrängt hätte. Ich kann es nicht, weil ich es nicht bin: ich bin nicht dieses Wesen, das nach der Pfeife des Zuckerbrotes und der Peitsche tanzt; ich bin im tiefsten Innern angeekelt von der Ansicht, Recht auf all das zu haben, wozu ich die Macht hätte. Ich kann Gott leugnen, aber ich kann mich selbst nicht leugnen.
Ich weiß nicht, ob es Gott gibt, und auf wessen Seite er ist, wenn es ihn gibt. Ich weiß aber, auf wessen Seite ich bin. Hier stehe ich, und will nicht anders. Ich kann anders, denn sonst wäre ich nicht frei, und meine Entscheidung wäre nicht meine. Ich will nicht anders, als die bloße Macht für nichtig zu achten. Ich will nicht anders, als mich vor dem, was mir heilig ist, tief zu verneigen, ungeachtet dessen, dass es nicht die geringste Macht hat, ja völlig wehrlos ist.
Freitag, 7. September 2018
Wie dankt man Gott?
Deutschland ist - woran die Mainstreammedien seit Jahren nicht den geringsten Zweifel lassen - von Sinnen. Bevor Deutschland sich abschafft, dachte ich mir, schenke ich dem deutschen Volke einen zweiten Planeten Erde ohne Putin, Obama und den irren Kult um wen oder was auch immer. Ein teures Geschenk übrigens. Ich bin ja nur ein Mensch, - wieviel Menschenarbeit allein im Terraforming steckt, ist in Papiergeld gar nicht auszudrücken. Ein ganzer Planet, nur für die Deutschen! Müssten sie mir nicht auf ewig dankbar sein? Aber halt, das war nur ein Scherz. Den Planeten behalte ich, aber dafür vollbringe ich eine andere Großtat: ich lasse mich öffentlich hinrichten, damit es nie wieder Krieg auf Erden gibt.
Ein Tod für den ewigen Frieden! Ein Mensch opfert sein Leben, damit die Menschheit in Zukunft vom sinnlosen Tod verschont bleibt, - eine Heiligsprechung wäre da kaum zu vermeiden. Irgendwas Großes werde ich auf jeden Fall schon noch vollbringen, aber vorher sollten die Milliardäre dieser Welt ihre Kohle mal zusammenlegen, und mir gemeinsam eine Billion Euro schenken, - mit der Auflage, dass ich das ganze Geld in zehn Jahren verbrauchen muss. 1000 Milliarden Euro für zehn Jahre: die Luxusnutten für dieses Budget müssten erst noch am Computer entwickelt und mit dem Biodrucker geklont werden. Und vergessen wir nicht, die ganzen Milliarden sind nicht nur gestohlen und geraubt: manche Milliardäre haben ihr Leben lang hart dafür gearbeitet.
Ein zu großes Opfer? Durchaus, doch ist nicht jedes Opfer für einen Sterblichen zu groß? Früh am Morgen pünktlich aufstehen und zur Arbeit gehen, das Zimmer aufräumen, einkaufen, joggen, sich waschen und rasieren: allein das schon ist für jeden ehrlichen menschlichen Koala unzumutbare Mühe. Kinder großziehen, ein Unternehmen gründen, ein Leben lang für ein Ideal kämpfen, - das ist doch etwas für Masochisten! Denken, die schwerste aller Arbeiten, und die brotloseste aller Künste! Und die Quelle der höchsten Freude, wie man nicht erst seit Aristoteles weiß. Sein Gott ist einer, der nichts anderes tut, als zu denken, - er hat es nicht nötig, Welten zu erschaffen und eifersüchtig auf andere Götter zu sein. Der Gott der Christen hat sich aber entschieden, eine Welt zu erschaffen. Das hat angeblich eine Woche gedauert. War es schwer, ging es mit unvorstellbarer Mühe und unzumutbaren Entbehrungen einher?
Wieviel kostet es ein allmächtiges Wesen, jemandem einen Planeten zu schenken? Wie groß ist das Opfer für einen Unsterblichen, wenn er sich kreuzigen lässt und zwei Tage auf tot macht? Wie dankbar für ein Geschenk von 1000 Milliarden Euro muss jemand sein, der im wörtlichen Sinne alles hat? Es ist absurd, Jesus zu verehren, weil sein Tod am Kreuz so schmerzvoll war, es sei denn, man hält ihn für einen gewöhnlichen Menschen. Dann ist er aber kein größerer Held als etwa Jan Hus oder Alexander Matrossow. Es ist albern, Gott zu verehren, weil er eine so große und komplexe Welt erschaffen hat. Wäre ich allwissend und allmächtig, hätte ich mindestens genausoeine erschaffen. Doch ich kann mir nur Welten ausdenken, die schön und gut, aber nicht real sind, während Gottes Gedanken unmittelbar Wirklichkeit werden.
Wenn der Dank dem Geschenk angemessen sein soll, dann kann Gott von den Menschen weder unmenschliche Mühe noch unvorstellbare Opferbereitschaft erwarten, denn das Geschenk des Seins und der Erlösung von der Sünde haben ihn nichts gekostet, und wir könnten ihm auch nichts geben, das er nicht schon hat. Aber in der Willensfreiheit sind wir ihm gleich. Wir können uns frei für oder gegen das Gute entscheiden, und weil er es - symbolisiert durch die Erlösungstat Jesu - gut mit uns meint, schulden wir ihm nichts als eine gute Gesinnung. Diese kostet uns nichts, und doch ist sie unendlich viel wert.
Mittwoch, 29. August 2018
Ausführung aus der Philosophie
Nach erfolgreichem Einsatz biologischer Waffen feindesseits steht ein verwirrtes Menschlein, Hartmut oder Weichfeigheit, im hastig über den furchtsamen oder furchtlosen schönen oder alternativästhetischen Körper aufpräservatierten Schutzanzug in der Gegend und sein kluger oder nichtzudiskriminierender Verstand zittert sich durch die Geistesgeschichte der Kultur, nicht der Barbarei, auf der Suche nach der letzten Gewissheit, dem tödlichen Virus entkommen zu sein.
So versichert Parmenides, dass wenn das tödliche Virus nicht im Schutzanzug drin ist, dann ist es nicht drin, und wenn es drin ist, dann ist es drin. Wenn es aber nicht drin ist, so ist es falsch zu sagen, es sei drin, und wahr zu sagen, es sei nicht drin. Und, so weiß Aristoteles, ist das Virus entweder drin oder nicht drin, es kann aber nicht zugleich drin und nicht drin oder nicht drin und drin sein. Ist es nicht drin, so ist es nicht drin, denn sonst könnte man ja sagen, es sei drin, wenn es nicht drin ist, und warum entledigt man sich dann nicht sogleich des bewegungseinschränkenden Ganzkörpercondoms.
Platon juckt es den Ausschlag, ob das Virus nun drin ist, oder vielmehr nicht drin, denn der Idee nach muss das Virus zwangsläufig draußen sein, sonst wäre der Schutzanzug kein Schutzanzug. Und falls das Virus doch drin ist, so ist es nur eine Täuschung der Sinne, in Wahrheit aber ist das Virus nicht drin, sobald der Schutzanzug aufgesetzt ist. Kant nach, und zwar nach Kant, wird der Anzuganziehende im Endeffekt sterben, aber solange er lebt, kann er prinzipiell nicht wissen, ob das Virus nun drin ist. Es kann so scheinen, als sei es drin, aber es kann genauso nicht drin sein, und es kann so scheinen, als sei das Virus nicht drin, und da juckt trotzdem was. Das Virus an sich ist eh unsichtbar, man kann nur das Jucken wahrnehmen.
Descartes würde gewiss zuallererst zweifeln, ob der Schutzanzug überhaupt einer ist; fertiggezweifelt, würde er nur zum weiteren Zweifel vordringen, nämlich ob das Virus überhaupt ist. Wenn es Gott gibt, dann gibt es auch biologische Waffen, und wenn es biologische Waffen gibt, so ist auch dieser Schutzanzug echt. Leibniz würde ruhig durch die menschlichen und tierischen Kadaver hindurch stolzieren, denn in der besten aller möglichen Welten hätte er den besten aller möglichen Schutzanzüge. Freilich hätte er es auch mit der effektivsten aller möglichen Biowaffen zu tun.
Aus dem dogmatischen Schlummer risse unseren sterbenden Überlebenden kein Hume, wenn nicht Hegel, dem das Virus so gut drin ist, wie es draußen ist, denn insofern das Virus als draußen seiend bestimmt ist, ist es durch diese Erkenntnis ins Rein eingedrungen, und wenn es nur nicht drin und nicht drin sein könnte, dann könnte niemals gesagt werden, es sei nicht drin, denn bestimmte Rede behauptete immer das Gegenteil zugleich, wie Schelling beihusten würde. Was dem Hegel verführerisch ist, ist dem Schelling leibhaftig. Ohne Rücksicht auf topologische Vernunft, oder aber gerade angesichts dieser, wüsste Schelling zu meinen, dass das Drinseiende draußen wiewohl das Draußenseiende drin ist, denn sonst wäre es, was auch immer, gottlos, und da alles Seiende in Gott enthalten ist und Gott enthält, so ist der im Schutzanzug Seiende im Virus enthalten wie sein Schutzanzug das Virus enthält. Existentiell wäre nur, dass das Ansteckende den Anzusteckenden zum Angesteckten ansteckte. Käme Camus, so wäre Heilung Sysiphusarbeit.
Dienstag, 28. August 2018
Todesstrafe oder nicht?
0. Die Frage "Bist du für oder gegen die Todesstrafe?" ist eine Fangfrage, die zum Ziel hat, die Person, die für die Todesstrafe ist, als böse darzustellen, ohne sich auf Argumente einzulassen. Im freien Meinungsaustausch müsste man antworten: "Ich bin kein Sadist, kein Antisemit, kein Nazi, kein Tierquäler, kein Kinderschänder. Tut mir Leid, wenn ich dich damit enttäusche". Ernsthaft: Meinungen sind blosses Gerede. Der eine Mörder hatte eine schlechte Kindheit, der andere Mörder eine gute. Beide haben gemordet. Man kann natürlich meinen, dass der Mörder mit der guten Kindheit eigentlich auch eine schlechte Kindheit hatte, die nur nicht so aussah, als sei sie eine schlechte Kindheit gewesen. Es wird nach Gründen - nach Entschuldigungen - gesucht. Diese Einstellung hat aber die Voraussetzung, dass der Mensch nur ein Spielball der äußeren Verhältnisse ist und selbst nichts für sein Handeln kann. Da die Voraussetzung selbst nicht bewisen ist, ist die Suche nach Gründen sinnlos. Man kann sich vielleicht darauf einigen, dass eine Kindheit per definitionem schlecht ist und somit jeder eine schlechte Kindheit hatte und niemand für sein Handeln verantwortlich ist. Die eigentliche Frage lautet also: Ist der Mensch für sein Handeln verantwortlich oder nicht?
1. Der Mensch ist für sein Handeln nicht verantwortlich. Der Mörder kann nichts dafür, dass er gemordet hat. Dann hat aber die Allgemeinheit, die ihn bestraft, ebenfalls nichts dafür, was sie mit ihm macht. Es sind auch bloss Menschen, die den Mörder bestrafen, und somit sind sie für ihr Handeln auch nicht verantwortlich. Wird der Mörder mit dem Tode bestraft - kann keiner etwas dafür. Wird er überhaupt nicht bestraft - dann war das Wetter vielleicht so schön, dass man sich darauf geeinigt hat, ihm seine Tat einfach mal zu verzeihen. Wenn man annimmt, dass der Mensch für sein Handeln nicht verantwortlich ist, kann man kein Argument gegen die Todesstrafe mehr vorbringen. Die Todesstrafe wäre genauso zufällig wie der Mord und keiner wäre dafür verantwortlich. Warum Todesstrafe? - Warum nicht?
2. Der Mensch ist für sein Handeln verantwortlich. Der Mörder muss die Verantwortung für den Mord übernehmen, die Strafe muss seinem Verbrechen angemessen sein. Was ist sein Verbrechen? Mord. Was ist Mord? Mord ist vorsätzliche Tötung eines Menschen. Sie hat den Tod des Mordopfers zur Folge. Was die angemessene Strafe für Mord ist, ist klar.
3. Dennoch bin ich persönlich gegen die Todesstrafe. Die Justiz ist fehlbar, ein Irrtum kann Menschenleben kosten. Die Todesstrafe ist irreversibel und die Revision nach ihrem Vollzug somit sinnlos. Die Verantwortung für Unrecht, welches aus Justizfehlern resultieren könnte, wäre Todesstrafe geltendes Recht, würde ich selbst nicht tragen wollen, und hätte somit kein Recht, es von anderen Menschen im Dienst der Allgemeinheit zu verlangen.
Samstag, 11. August 2018
Die Würde des Menschen
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", so der allererste Satz im Grundgesetz der BRD. Um dieser Verpflichtung Folge leisten zu können, muss die Politik, die Gesellschaft und schliesslich jeder Einzelne wissen, was denn genau die Würde des Menschen ist. Die Würde des Menschen ist nicht empirisch nachweisbar, sie liegt jenseits des Reichs der Naturwissenschaften, im Reich der Ideen, das ausschliesslich in der individuellen sowie kollektiven Phantasie, und nirgendwo sonst, existiert. Das Reich der Ideen ist uns durch unser Selbstbewusstsein zugänglich. Wir nehmen nicht nur die Aussenwelt mit ihren Reizen und unsere Körper mit ihren Bedürfnissen, Lüsten und Schmerzen wahr, wir wissen auch noch, dass wir sie wahrnehmen. Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, das um seine Existenz weiss, aber ebenso weiss der Mensch um seine Sterblichkeit. Da niemand vor seiner Geburt existiert hat, kann sich niemand seine Nichtexistenz vorstellen, denn alle Vorstellung ist ausschliesslich durch die Erfahrung innerhalb der konkreten materiellen Existenz entstanden. Der einzelne Mensch weiss um seine Sterblichkeit und kann sich zugleich die Welt ohne seine Existenz nicht vorstellen. Der Zustand nach dem Tode ist mehr als nur unbekannt, es wird niemals eine Kenntnis dieses Zustandes existieren. Dies steigert die Angst vor dem Tode als eine dem menschlichen Geist immanente Furcht vor dem Unbekannten ins Unendliche.
Der Tod darf nicht sein obwohl er unvermeidlich ist. Das Leben wird angesichts des Todes zum höchsten Gut und die Erhaltung des Lebens zu seinem Sinn. Der Sinn des Lebens ist der letzte Zweck desselben, über welchen kein Zweck mehr gedacht werden kann, und welcher daher als letzter Zweck nur Zweck und nicht zugleich Mittel zu einem weiteren Zweck ist. Der todesbewusste Mensch lebt, um den Tod zu überleben, und weiss im Gegensatz zum Tier, welches instinktiv dasselbe Ziel verfolgt, dass ihn irgendwann der Tod doch ereilen wird und dass sein Lebenszweck damit absurd ist. Der Mensch braucht also eine Idee, die den Tod transzendiert, und ihn trotz des unvermeidlichen Todes weiter leben lässt. So denkt er sich eine unsterbliche Seele aus und konstruiert einen Gott, damit die selbst ausgedachte Seele nicht mehr die selbst ausgedachte Seele, sondern von einem allmächtigen Wesen geschaffene und damit wirklich unsterbliche Seele ist. So scheint es. In Wirklichkeit aber bedarf der Mensch einen Gott aus anderen Gründen. Er weiss, woher die Idee der unsterblichen Seele kommt, und keine Erweiterung dieser Idee um etwa einen allmächtigen Schöpfer vermag diese Vorstellung real werden zu lassen. Egal ob sich der Mensch einen Gott vorstellt oder nicht, er wird sterben. Und er will nicht sterben. Die beste Voraussetzung für das Nichtsterben ist der Frieden, welcher nur dann erreicht ist, wenn alle Menschen denselben ethischen Grundsätzen folgen. Wie ist dies zu erreichen? Am Besten durch die Imagination eines Schöpfers, des allmächtigen Gottes, eines Richters, der die Seele nach dem Tod entlohnt oder bestraft. Das Gesetz, nach welchem der Mensch durch seinen Gott gerichtet wird ist dasjenige Gesetz, welches am Besten für den Menschen selbst ist. Es ist das Gesetz der Wahrung und Erhaltung des Lebens, das Gesetz der Nächstenliebe, das Gesetz, welches aus der Lebensrettung die grösste Tugend macht, die ein Mensch praktizieren kann. Ein allmächtiger Gott wird zum Zweck der moralischen Institutionalisierung des Lebenserhaltungsprinzips konstruiert.
Der Mensch ist von Natur aus egoistisch wie jedes andere Tier. Ein konsequenter Egoismus kann lebensgefährliche Konflikte verursachen, welche um den Zweck der Wahrung des Lebens dringend zu vermeiden sind. Der Einzelne muss sich als zu einem Kollektiv zugehörig empfinden, wodurch er ersten sich selbst in Lebenssicherheit wähnt und zweitens das Nichtsterben der Anderen durch ihr Nichttöten garantiert. Der Humanist braucht für die Errichtung eines solchen Kollektivs keinen Gott, er erfasst die rationalen Gründe der Vorteile des Gemeinsinns gegenüber dem Eigensinn und bringt die Idee der Menschheit hervor. Das Tötungsverbot kommt nun nicht mehr von einem personifizierten jenseitigen Gott, es wird vom neuen Gott, der Idee der Menschheit, abgeleitet. Die Idee der Menschheit aber neigt dazu, den Einzelnen dem Kollektiv unterzuordnen, so dass im Falle eines Interessenkonflikts zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv der Einzelne aufgeben muss, und es kann in einem extremen Fall das Aufgeben des Lebens gemeint sein. Ist die Tötung von einem oder mehreren Individuen für eine Gemeinschaft vorteilhaft, so ist sie geboten. Wie kann der Einzelne sicher sein, niemals zu diesen Opfern an den Gott Menschheit gehören zu müssen? Der Einzelne kann dessen nur relativ sicher sein, zu einer absoluten Sicherheit verhelfen weder Besitz noch Macht. Es bedarf einer neuen Idee, die dem utilitaristischen Gemeinsinn übergeordnet ist. Diese Idee muss jedes Individuum vor jedem anderen Individuum und der Gemeinschaft, sowie die Gemeinschaft vor jedem Individuum schützen. Diese Idee muss den absoluten Verbot des Tötens postulieren. Es ist die Idee der Würde des Menschen. Ein Mensch darf nicht getötet werden, weil er ein Mensch ist, und einen Menschen ist die Menschenwürde immanent.
Der Selbsterhaltungstrieb ist der grundlegende Trieb, ohne welchen der Fortpflanzungstrieb und der Ernährungstrieb nicht denkbar wären, weil sie der Selbsterhaltung als Voraussezung für ihre Entfaltung bedürfen. Der Verstand befriedigt den Selbsterhaltungstrieb, indem er der Selbsterhaltung auf eine besonders anspruchsvolle Art dient. Er universalisiert das Prinzip der Selbsterhaltung und schützt das Leben in einem viel umfangreicheren Masse, als es etwa den nicht selbstbewussten Lebewesen möglich ist. Er konstruiert die Würde des Menschen als eine vermeintlich dem Leben übergeordnete, in Wirklichkeit dem Zweck der Lebenserhaltung dienende Idee.
Der Mensch erkennt seine Würde weder aus der Natur noch aus der Selbstreflexion, er konstruiert sie zum Zweck der Selbsterhaltung. Was ist aber die Würde? Worin besteht sie? Sie besteht hauptsächlich in der Selbstbewusstheit, in der Ich-Empfindung, die der Mensch als einziges Lebewesen zu vernehmen vermag, die keine natürlichen Grenzen kennt und daher regelrecht in einer Hybris mündet, die Unsterblichkeit, absolute Glückseligkeit und schliesslich Erhabenheit über die ganze restliche Welt zu fordern weiss. Die Würde des Menschen besteht in der empfundenen Unmöglichkeit des Ich-Todes, in der Wahnvorstellung der Unsterblichkeit, die uns allen immanent ist und daher keine Wahnvorstellung mehr ist. Sie ist Religiosität, Moralität, Menschlichkeit. Die Würde des Menschen ist unantastbar- weil meine Würde unantastbar ist, und weil ich ein Mensch bin.
Mittwoch, 8. August 2018
Freie Wahl der Religion
Vor zehn Jahren drückte ich aus Langeweile die Select-Taste hinter dem linken Ohr, und mir erschien im Geiste eine transparente Benutzeroberfläche. Ich stellte fürs Erste eine andere Helligkeit ein, veränderte die Farbsättigung, wählte dann die Taste "Optionen" und des Weiteren "Religion wählen". Ich dachte, Buddhismus wäre eine coole Religion, oder warum nicht Islam? Nein, dachte ich, ich wähle eine Religion, deren Anhänger die niedrigste Geburtenrate aufweisen, sprich im Durchschnitt die wenigsten Kinder auf diese glücksferne Welt setzen. Später besann ich mich und wählte die Religion mit den höchsten und komplexesten moralischen Werten, mit den größten Freiheiten und der konkretesten Bestimmung der Menschenwürde, mit der höchsten Autonomie des Menschen vor Gott, dem Staat und dem kulturellen Milieu, und so wurde ich Christ.
Das Christentum war gewitzt genug, nach der Aufklärung nicht auseinanderzubrechen, sondern alle Werte, alle kulturellen und ethischen Errungenschaften in sich aufzunehmen, die einst von nicht selten atheistischen Freigeistern aufopferungsvoll gegen das institutionelle Christentum durchgesetzt wurden. Wäre das Christentum sich treu geblieben und hätte auf seinen frühmittelalterlichen Werten beharrt, gäbe es heute entweder kein Christentum oder keine freiheitliche zivilisierte "westliche" Welt. Zur Koexistenz von Menschenrechten und Hexenverbrennung gehört jedenfalls mehr Phantasie, als eine Gesellschaft aushalten kann.
Da sich die Geschichte so und nicht anders abgespielt hat, ist heute Christsein kein Widerspruch zu den Menschenrechten, sondern deren Bestätigung, und darum bin ich Christ. Im Übrigen bin ich gegen Kopftücher in geschlossenen Ortschaften bei Tempo 120 und darüber, für den Verbot des Raucherverbots in Eckkneipen mit Muezzin, für die Gegner der Kreuze im Schwimmbad für Klassenzimmer mit Migrationshintergrund und gegen Regenwälder, die für überflüssige Bücher abgeholzt werden. Etwas ist mit mir nicht in Ordnung, wenn ich eine Religion praktiziere, die den ohne sie bereits bestehenden Werten und Normen nichts hinzufügt außer schlechten Märchen und phantasiearmen Mythen.
Moral ist etwas für Kinder, damit sie sich in einer Wertegemeinschaft sozialisieren können und diese, alsbald erwachsen, mittragen. Moral ist, was gut für das Ganze ist, den Einzelnen hält sie am Leben und am Funktionieren, sie gibt seinem individuellen Leben keinen besonderen Sinn. Wenn wir uns einigen, einander nicht umzubringen und gemeinsam in eine Rentenkasse einzuzahlen, dann brauchen wir dazu keine Religion, sondern das Wissen der Massenpsychologie und der Volkswirtschaftslehre. Religion hingegen ist der Egoismus in Reinform, so pur, dass er glänzt.
Religion beantwortet mir die Frage, woher ich - ich als der ich als ich bin, nicht als homo sapiens - komme, wohin ich - ich persönlich - gehe, wer und was ich bin. Moral brauche ich, um geregelt und gesittet leben zu können, Religion brauche ich, um in Würde sterben zu können. Sobald es persönlich wird, sobald es mir in meiner geistigen Privatsphäre um mich selbst geht, um den Sinn meines Lebens, um meinen persönlichen Umgang mit meiner Sterblichkeit, muss der religiösen Toleranz gekündigt und der Relativismus über den Haufen gescheitert werden. Ich bin Christ, weil ich mich so entschieden habe. Für mich. Der somit persönliche Charakter meiner Auffassung davon, wo ich herkomme, wo ich hingehe und was ich bin, ist, anders als es scheint, genau das Gegenteil eines Relativismus, der jedem seine Wahrheit zugesteht. Ob der homo sapiens vom Affen oder vom Fisch abstammt, ist interessant, mir aber letztlich egal; was mich persönlich nach meinem irdischen Ableben erwartet oder worin mein persönlicher Sinn des Lebens besteht, ist - süßer, nicht bitterer - Ernst. Ich kann in dem, was ich für mich persönlich glaube, keine Rücksicht auf Ethik, Moral oder Recht nehmen, kann in meiner Einsamkeit angesichts des Todes mit niemandem solidarisch sein und habe beim Sterben kein Recht auf Leben und im Jenseits keine Menschenrechte.
Mittwoch, 11. Juli 2018
Der göttliche Luxus
Die Religion der Nützlichkeit traf mit voller Wucht auf den humorlosesten Monotheismus, woraus die Religion der Freiheit resultierte, so die Hegelsche Evolutionstheorie der Religion. Das göttliche Nichts auf der einen Seite, der nichtige Mensch auf der anderen Seite, und Nichts mal Nichts ergibt Nichtnichts. Doch der Reihe nach.
Ich opfere der Göttin der Fruchtbarkeit, damit ich kein Viagra brauche. Ich besteche den Donnergott, damit es auf meinen Acker regnet. Der Götterhimmel ist eine launische Maschine, nichts Höheres im moralischen Sinne, keine absolute Wahrheit, und von durchaus begrenzter Macht. An Götter zu glauben, um rein diesseitigen Nutzen zu erheischen, ist zynischer Nihilismus. Wo Nützlichkeit haust, ist die Heiligkeit aus dem Tempel gewichen, und Kaufleute sind eingezogen.
Ich bin ein Nichts vor Gott, seine Macht ist absolut, und ich habe nur zu gehorchen und zu fürchten, aber keine Rechte und keine Würde. Gott ist ein launischer Alleinherrscher des Universums, und alles, was ich bin und habe, ist von seiner Gnaden. Die Kluft zwischen mir und diesem Gott ist unüberbrückbar, er wird mir auf ewig fremd bleiben, eine äußere absolute Macht, die mich beschenkt und beraubt, zwingt und quält, nach Belieben leben oder sterben lässt.
Nun kommt jemand daher, der so vermessen ist, zu behaupten, er selbst sei Gott, der einzige, den es gibt, und er glaubt auch noch selbst daran. Ein glücklicher Narr! Wohl dem, der keine Himmelsmaschine mehr braucht, und all seinen Aberglauben stattdessen in seine eigene Person setzt. Der größte Verbrecher von allen! Wie wagt er es, sich der eine und einzige Gott zu nennen? Ja, das ist vermessen. Niemand wird glückselig, außer durch ihn. Nichts sollst du ihm opfern, er selbst ist das Opfer: seine Vermessenheit erklärt er zur höchsten Wohltat überhaupt. Er tritt von der größtmöglichen Beleidigung aller Menschen auch nach Folter und Kreuzigung nicht zurück.
Das wahrhaft Göttliche ist ein Luxus. Frage nicht, was Gott für dich tun kann, frage dich, was du tun kannst, um der Glückseligkeit würdig zu sein, um vor seinem Angesicht zu bestehen. Das wahrhaft Menschliche ist vermessen: es tritt all den Nihilismus der Nützlichkeit mit Füßen und will über alles Endliche hinaus greifen, um mit sich selbst eins zu werden. Alles Glück, worum du Gott bittest, ist nichtig. Das Glück, das Gott selbst ist, ist unendlich. Die Evolution ist Nutzenoptimierung und erschafft, was sofort unterginge, wenn es nur ein Quantum schlechter wäre. Das Bewusstsein des Absoluten kann nicht evolvieren, es trifft dich spontan, wie ein Blitz. Religion ist kein nützlicher Bestandteil des menschlichen Lebens: sie ist Luxus, sie ist Verschwendung, sie ist der Endzweck.
Dienstag, 10. Juli 2018
Töten und Entmenschlichung
Entmenschlichung, sagt man heute, sei notwendig, um einen Feind oder Gegner töten zu können. Es ist nicht überliefert, was Leute, sie sich zu solchen Aussagen hinreißen lassen, für gewöhnlich im Fernsehen gucken, jedoch bestimmt nicht die großartige Serie "Spartacus: Blood and Sand". Nochmal dasselbe ohne Spaß gesagt: die totale Bevormundung durch die Ideologie der political correctness verdammt ohne jedes Argument alles, was diskriminierend, gesundheitsschädlich oder tödlich ist. So ist es kein Wunder, dass Hündchen der Rasse homo sapiens sapiens, die heutzutage dressiert werden, lernen, der Krieg und das Töten sei das Böse schlechthin.
Der Krieg ist gewiss ein Übel, aber eine unverzichtbare Konstante der Menschheitsgeschichte, und, wie Heraklit sagte, der Vater aller Dinge. Eine noch festere Konstante ist der Kampf, der meist als Konkurrenzkampf um Ehre, Besitz und Sexualpartner in Erscheinung tritt. Eine Welt ohne Krieg wäre eine Welt im Dauerbürgerkrieg der Einzelkämpfer gegeneinander; je länger die Phase andauert, in der nicht "wir" gegen "die" kämpfen, umso brutaler wird der Kampf jeder gegen jeden geführt, wenn auch nicht mit den Waffen des Krieges. Eine Welt ohne Krieg wäre immer noch eine Welt, in der jeder andere zu erniedrigen strebte, um sich selbst zu erhöhen, versuchte, auf Kosten anderer reich zu werden, und Familien und Kindheiten zerstörte, um zu ficken. Die Grünen waren in ihrer Gründungsphase eine radikale Friedenspartei, und viele in ihren Reihen forderten eine Legalisierung schweren sexuellen Kindesmissbrauchs.
Die Abwesenheit von Krieg macht noch keinen Frieden, und kein Krieg zwischen größeren Gruppen bedeutet noch kein friedliches Zusammenleben von kleinen Gruppen und einzelnen Personen untereinander.
Das bisher Gesagte ist banal, jetzt geht es zur Sache. Natürlich wurde der Feind in der Kriegsgeschichte öfter als es meiner Argumentation nützen würde entmenschlicht, aber es war schon eher wie in der Serie "Spartacus: Blood and Sand", als in den phantasielos politisch korrekten Phantasien gewisser Phantasten: Kriegsparteien begegneten einander mit Respekt, und Gladiatoren achteten ihre Gegner, und empfanden es als große Ehre, einen berühmten Gladiator in der Arena zu besiegen und zu töten. Es ist in der Regel so, dass Menschen sich dessen voll bewusst sind, dass sie Menschen töten, wenn sie Menschen töten.
Ein Rachemord wäre sinnlos, wenn der Rächer die ins Jenseits zu befördernde Person vorher entmenschlichen würde, denn die Rache gilt ja gerade der Person, die sich schuldig gemacht hat, und nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn sie nicht als menschliche Person betrachtet wird. Im Krieg wird das Töten durch die Lebensgefahr und das Zusammengehörigkeitsgefühl erleichtert, und nicht so sehr durch Entmenschlichung des Feindes. Für die Kriegsverbrechen der Nazis, insbesondere für die Konzentrationslager, war ein großes Maß an Entmenschlichung unentbehrlich, aber nicht, weil Menschen zu anderen Menschen nicht von Natur aus grausam sein können. Menschen haben immer Menschen getötet, und es hat nicht selten einfach Spaß gemacht: hat etwa Julius Cäsar, der damit prahlte, eine Million Gallier abgeschlachtet zu haben, seine Feinde entmenschlicht? Nein, denn damit hätte er nur seinen eigenen Ruhm gemindert. Hatten Dschingis Khan und Timur Lenk eine entmenschlichende Meinkampflektüre nötig, um mit großer Freude Millionen Menschen abzuschlachten?
Unsere Kultur sieht auf das Töten mit einem sehr christlichen Tunnelblick: die Entmenschlichung des Feindes wurde erst nötig, nachdem jedes Töten zur Sünde erklärt wurde. Man wollte töten, aber man durfte keine Menschen töten. Also tötete man Unmenschen. Ganze Völker wurden zu Nichtmenschen erklärt. Die Freude am Kampf gegen einen geachteten Gegner wurde durch sadistisches Vergnügen am Foltern angeblicher Satansanbeter ersetzt. Ein weiterer geistig-moralischer Tiefpunkt der abendländisch-christlichen Zivilisation. Dagegen ist ein ritterlich geführtes Gemetzel, ein ehrenvoller Gladiatorenkampf oder ein Duell zweier Adliger ganz schön menschlich.
Sonntag, 8. Juli 2018
Folter und Vergebung
Ein bestialischer Sexualmord an einem Kind. Der Vater des Kindes ermittelt heimlich auf eigene Faust, findet den Täter, und lässt ihn solange leiden, bis dieser fühlt, was er dem Kind und seiner Familie angetan hat. Ein böser Mensch, der Vater, denn ein guter Mensch würde nicht selbst zum Monster werden, würde niemals so tief sinken, sondern das Recht walten lassen. So sehr das Zutodefoltern des Täters unmenschlich und abstoßend wirkt, wirkt das "Richtige" bestenfalls feige und apathisch, strenger kalt und automatisch. Wer liebt, ist kein Monster, und das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Handelt es sich nun um zwei gegensätzliche Alternativen, oder wird bei diesem Entweder-Oder eine menschenverachtende Ideologie bedient?
Was ist das wahre Gegenteil des rächenden Handelns? Wirklich das Vertrauen auf die Härte des Gesetzes? Nein, die beiden Alternativen sind windschief zueinander, haben nichts miteinander zu tun. Um dies zu begreifen, muss man erst verstehen, was der Rächer will: der Rächer will vergeben. Der Rächer will Reue sehen, denn der Täter soll nicht irgendwas Furchtbares empfinden, egal was, sondern genau das, was er selbst einem Anderen angetan hat. Der Rächer will die Seele des Täters vor der Hölle retten. Natürlich weiß er das nicht, denn er lebt in einer Zeit, in der nur die sogenannte Alternative zur sogenannten Selbstjustiz gesetzlich geregelt ist. Als die Scheiterhaufen noch brannten, gab es ebenfalls den gesetzlichen und den privaten Weg der Vergeltung und Vergebung - abgesehen von sadistischen Trittbrettfahrten war es die Vergebung, die durch die Vergeltung möglich gemacht wurde.
Wer heute von Vergebung spricht, meint nicht die Reinigung der Seele des Täters, die Tilgung der unerträglichen Schuld, die, wenn sie krankerweise nicht bereits empfunden, durch Schmerz und Leid fühlbar gemacht wird, - nein, man meint, dass dem Täter mit breitem Grinsen vergeben wird, und seine Schuld damit vergessen. Die gesetzliche Strafe will auch keine Seelen retten, sondern ein abgefallenes Rädchen ins Getriebe zurückschrauben, resozialisieren. Das moderne Rechtssystem ist ein auf einer nihilistischen Ideologie basierendes Glücksspiel, in dem jeder hofft, dass der bestialische Kindesmord der anderen Familie passiert, dass der Nachbar überfallen und misshandelt wird, und nicht man selbst. Passiert - Pech gehabt. Jede darüber hinaus wertende Aussage ist heiße Luft, esoterischer Kitsch. Harte Währung ist nur die so oder solange Haftstrafe in einem Kaufvertrag, den der Täter ohne Einwilligung des Opfers mit dem Gesetzgeber zu vorab geklärten Konditionen vereinbart.
Dass sich der Autor die Scheiterhaufen und die Folterbänke keineswegs zurückwünscht, versteht sich von selbst, und er zweifelt gar sehr daran, dass es viele Leser geben wird, die die Vorzüge der Moderne so bewusst wahrnehmen und so hoch schätzen wie er selbst, - aber aus der begründeten Ablehnung darf kein Tabu entstehen, das Schreckliche verstehen zu wollen. Hat man es verstanden, dann begreift man, dass das Gegenteil von einem gesetzlosen Rächer, der den Täter fühlen lassen will, was dieser dem Anderen angetan hat, nicht der gesetzestreue Bürger ist, sondern eine geheime Bürgermiliz, die in ihren Kellern Folter- und Vernichtungslager errichtet, um den Verbrechern völlig unabhängig von den Besonderheiten dieser oder jener bestimmten Tat die mit wissenschaftlichem Beirat schlimmstmöglichen Schmerzen anzutun. Niemand schreit: fühlst du jetzt, was du meinem Kind angetan hast!? - nein, kalt und automatisch werden sie das Quälen und Töten vollziehen, und irgendwann wird die berechnende Intelligenz ihnen nahelegen, es präventiv zu tun.
Mittwoch, 4. Juli 2018
Lieben oder glauben?
Dem Glauben kann man auf viele Schlichen kommen, nicht bloß auf eine die. Zum Beispiel geliebt zu werden ist ein Glauben. Kein Werk, keine Tat kann Liebe beweisen. Wer nicht glauben kann, kann nicht geliebt werden, denn er wird dem Liebenden nie glauben.
Geliebt werden ist ein Leiden, kein Tun. Die Voraussetzung für ein Nicht-Tun muss eigentlich Nichtstun sein. Aber dem ist anders: wer nicht glauben kann, dass er geliebt wird, wird nicht geliebt, denn eine Liebe, die ins Leere geht, ist keine.
Dass Gott Liebe ist, ist ein in der christlichen Theologie hinreichend bekannter Satz. Die logischen Konsequenzen gehen die Theologen nichts an, wir sind ja nicht im Mittelalter. Schade. Nicht, dass das Mittelalter vorbei ist, sondern dass die Theologie eine irrationalistische Pseudowissenschaft geworden ist.
Was bedeutet es für den christlichen Glauben, dass Gott Liebe ist? Nichts, nur eine Daseinsberechtigung. Auch in einer entzauberten und deterministisch durcherklärten Welt kann Liebe nicht sein, ohne dass der Geliebte an sie glaubt. Wer an Gott nicht glaubt, denn liebt Gott nicht - aber nicht als Strafe, sondern weil es ihm unmöglich ist. Der Wille des Menschen ist frei - er kann selbst entscheiden, woran er glauben will. Ist dem so?
Glauben können muss man lernen. Wodurch? Dadurch, dass man geliebt wird, durch Urvertrauen. Wer keine Liebe erfahren hat, kann nicht an die Liebe glauben. Nun ist es zirkulär: einerseits kann die Liebe ohne den Glauben nicht wirken, andererseits ist die Liebe erst die Voraussetzung für den Glauben, sie muss also bereits gewirkt haben, wenn ein Glaube da ist.
Wieder einmal lernt man, dass Glaube und Unglaube nichts darüber aussagen, wie es in einem Menschen mit Gott steht. Was auch die Fähigkeiten und die Erfahrungen eines Menschen zu seiner Gottesnähe beitragen sollten, die Gottesferne ist immer nur so weit wie der Schwanz der Katze, welche sich in denselbigen beißt.
Montag, 2. Juli 2018
Traurigerweise
Glücklich sind, die glücklich sind, wenn sie glücklich sind, und die traurig sind, wenn sie traurig sind, - ein elementarer Satz der Mystik. Glücklich sind, die glücklich sind, wenn sie glücklich sind. Die glücklich sind, aber nicht glücklich sind, sondern dankbar sind, dass sie glücklich sind, sind nicht glücklich. Wer glücklich ist, ist glücklich, und muss nicht um sein Glück in Furcht oder in Dankbarkeit bangen.
Die traurig sind, sind aber schon traurig, - wie können diese noch glücklich sein? Mystik ist nicht Psychologie, es geht nicht darum, dass etwa traurige Kinder auf Befehl der Eltern nicht traurig sein dürfen, sprich keine Traurigkeit zeigen dürfen, und deshalb depressiv werden. Wir betrachten den weniger banalen Fall: jemand ist traurig, und darf es auch sein, und seine Traurigkeit ist nicht grundlos, - und wir behaupten nichts weniger, als dass er trotzdem glücklich sein kann.
Wer traurig ist, ist nicht bloß traurig: auch er bangt und fürchtet sich, wie der Glückliche um sein Glück. Ein Glück, das nicht als Glück angenommen wird, ist kein Glück. Eine Traurigkeit, die nur Traurigkeit ist, und keine Verzweiflung, ist ein Glück.
Glücklich sind, die hungern, doch nicht ans Verhungern denken, sondern einfach hungrig sind. Glücklich, die sich fürchten, doch nicht das Schlimmste bereits vorwegnehmen, sondern sich einfach nur fürchten. Glücklich, die trauern, und nicht daran verzweifeln.
Es gibt jeden Grund, traurig, hungrig, durstig, beschämt und ängstlich zu sein. Doch es gibt keinen Grund, diese Zustände als unentrinnbares Schicksal an die Wand zu projizieren und anzustarren. Der nächste Augenblick kann alles verändern.
Traurigerweise hält man fest, was man hat, und sei das, was man hat, Trauer, Durst, Scham oder Furcht. Glücklicherweise muss man nicht festhalten, was man behalten will. Traurigerweise hält man an Gründen fest, wie an einem Grund, hält sich fest am Boden, - wo man gleichzeitig versucht, zu fliegen. Glücklicherweise passiert alles, was wichtig ist, grundlos, nämlich aus der Freiheit des Willens. Mystik ist Vernunft, keine Zauberei. Wer das Gesagte so verstanden hat, als müsse man nur sich etwas, das man will, mit größter Sehnsucht wünschen, hat nichts verstanden.
Sonntag, 17. Juni 2018
Selbsttranszendenz
Wer kein Bedürfnis nach Selbsttranszendenz hat, empfindet seine Endlichkeit nicht als Mangel, und Endlichkeit ist für ein geistiges Wesen der Mangel schlechthin. Nur ein dummer, tierischer Mensch strebt nicht über sich hinaus: in seiner Erfahrung dreht sich die Welt ohnhein um ihn; sein erbärmliches Pseudo-Ich, seine "Persönlichkeit", die nur ein Plagiat ist, erlebt er als den Mittelpunkt des Universums. Dies harte Urteil trifft wohlgemerkt einen niedrigen und gemeinen Menschen, der mit geklautem Geist sich einem geistig Hochstehenden ebenbürtig wähnt. Das bloße menschliche Tier, homo sapiens, welches sich nicht anmaßt, mehr als ein Tier zu sein, kann nicht verachtet werden, so wie eine Taube nicht dafür verachtet werden kann, dass sie nur eine Taube ist.
Wer ein Bedürfnis nach Selbsttranszendenz hat, kann sich theoretisch zwischen Romantik und Religion entscheiden. In der Romantik wird Endliches als unendlich verklärt, indem man sich in einen anderen Menschen verliebt; in der Religion wird Unendliches personifiziert, und somit verendlicht. Beide Verhältnisse sind fehlerhaft, weil das Endliche sich gegenüber dem Unendlichen nicht angemessen verhalten kann: das Endliche und das Unendliche sind inkommensurabel.
Die romantische Liebe muss an der Realität scheitern - nicht obwohl, sondern weil sie edel und rein ist. Dennoch ist sie für die conditio humana als Option unverzichtbar, denn durch sie wird im einzelnen Menschen die Idee der Menschheit verehrt. Nichts anderes bedeutet, sein Ich-Ideal auf die geliebte Person zu projizieren: diese Person hat durch ihr Menschsein prinzipiell Anteil an der Idee der Menschheit, und das eigene ideale (somit transzendentale, nicht empirische) Ich ist die Menschheit als Person. Dadurch erklärt sich, weshalb das Scheitern einer romantischen Liebe als Scheitern der Menschheit als solcher erlebt wird.
Die Religion ist die vernünftige Form der Selbsttranszendenz, da sie auf ein tatsächlich Unendliches blickt. Jedoch kann die endliche Vorstellungskraft des Menschen das Unendliche nicht erfassen, und muss es personifizieren, und somit verendlichen: ein so oder so bestimmter Gott ist nicht mehr Gott, sondern nur ein Gott. Wenn man den Himmel auf die Erde holt, wird aus Religion Ideologie. Glaubt man an das abstrakte Unendliche, kann man es vom Nichts nicht mehr unterscheiden, und fällt mit dem Pantheismus ins Endliche zurück.
Die Tragik - die Notwendigkeit aber Unmöglichkeit des Selbsttranszendenz - des geistigen aber endlichen Menschen ist zugleich seine Größe. Der nicht über sich hinaus strebende, ungeistige Mensch will sich diese Größe erschleichen, ohne die Tragik zu erfahren; er kann religiöser wirken als der wahrhaft Religiöse, er kann Liebe vorspielen, obwohl er unfähig ist, sie zu empfinden oder nur zu verstehen. Es will kein angemessenes Schlusswort einfallen, denn es gibt keine Versöhnung im Endlichen.
Dienstag, 12. Juni 2018
Vitalspannung (M)
M/W - VS - Wesenheit
100:0 - unendlich - Gott
99:1 - 98 - Hochadler
98:2 - 48 - Edeladler
97:3 - 31,3 - Übermensch
96:4 - 23 - Hochpassionarier
95:5 - 18 - Heros
94:6 - 14,7 - Solare Dihairesis (Licht - sehen)
93:7 - 12,3 - Moralische Klarheit
92:8 - 10,5 - Öffnung zum Logos
91:9 - 9,1 - Weltekel
90:10 - 8 - Großer Künstler
89:11 - 7,1 - Edler Ritter (Musik - hören)
88:12 - 6,3 - Vollmond
87:13 - 5,7 - Krieger
86:14 - 5,1 - Edelhedonist
85:15 - 4,7 - Ästhetischer Individualismus (riechen)
84:16 - 4,25 - Unternehmergeist
83:17 - 3,9 - Edler Bürger
82:18 - 3,5 - Eitler Hedonist
81:19 - 3,2 - Halbmond
80:20 - 3 - Lunares Optimum
78:22 - 2,5 - Trivialhedonist (fühlen)
75:25 - 2 - Eitler Chthoniker (schmecken)
70:30 - 1,3 - Chthonisches Optimum
66,6:33,3 - 1 - Tiermensch/Gattungswesen
60:40 - 0,5 - Subpassionarier
Die Vitalspannung ist das Verhältnis der männlichen und weiblichen Anteile in der Persönlichkeit eines Menschen. Eine sehr weibliche Frau, die 95% W und 5% M ist, hat die Vitalspannung von 95:5 - 1 = 18. Das Gleiche gilt umgekehrt für einen sehr männlichen Mann. Der verhausschweinte Mann ist nur zu 70% männlich, das ergibt eine Vitalspannung von 70:30 - 1 = 1,33.
Dies ist eine VS-Tabelle für Männer. Ein solares Optimum gibt es nicht, da der Solarist über die Welt hinaus strebt, bzw. technisch ausgedrückt seine VS sukzessive erhöht (nach Sloterdijks Interpretation des Rilkeschen Satzes "Du musst dein Leben ändern").
VS < 1: Wille zum Nichts
VS 1 bis 2,5: Wille = Trieb/Bedürfnis
VS 2,5 bis 5: Wille = Wunsch
VS 5 bis 10: Wille zum Erfolg
VS 10 bis 20: Wille zur Macht
VS > 20: Wille zum Wert
100:0 - unendlich - Gott
99:1 - 98 - Hochadler
98:2 - 48 - Edeladler
97:3 - 31,3 - Übermensch
96:4 - 23 - Hochpassionarier
95:5 - 18 - Heros
94:6 - 14,7 - Solare Dihairesis (Licht - sehen)
93:7 - 12,3 - Moralische Klarheit
92:8 - 10,5 - Öffnung zum Logos
91:9 - 9,1 - Weltekel
90:10 - 8 - Großer Künstler
89:11 - 7,1 - Edler Ritter (Musik - hören)
88:12 - 6,3 - Vollmond
87:13 - 5,7 - Krieger
86:14 - 5,1 - Edelhedonist
85:15 - 4,7 - Ästhetischer Individualismus (riechen)
84:16 - 4,25 - Unternehmergeist
83:17 - 3,9 - Edler Bürger
82:18 - 3,5 - Eitler Hedonist
81:19 - 3,2 - Halbmond
80:20 - 3 - Lunares Optimum
78:22 - 2,5 - Trivialhedonist (fühlen)
75:25 - 2 - Eitler Chthoniker (schmecken)
70:30 - 1,3 - Chthonisches Optimum
66,6:33,3 - 1 - Tiermensch/Gattungswesen
60:40 - 0,5 - Subpassionarier
Die Vitalspannung ist das Verhältnis der männlichen und weiblichen Anteile in der Persönlichkeit eines Menschen. Eine sehr weibliche Frau, die 95% W und 5% M ist, hat die Vitalspannung von 95:5 - 1 = 18. Das Gleiche gilt umgekehrt für einen sehr männlichen Mann. Der verhausschweinte Mann ist nur zu 70% männlich, das ergibt eine Vitalspannung von 70:30 - 1 = 1,33.
Dies ist eine VS-Tabelle für Männer. Ein solares Optimum gibt es nicht, da der Solarist über die Welt hinaus strebt, bzw. technisch ausgedrückt seine VS sukzessive erhöht (nach Sloterdijks Interpretation des Rilkeschen Satzes "Du musst dein Leben ändern").
VS < 1: Wille zum Nichts
VS 1 bis 2,5: Wille = Trieb/Bedürfnis
VS 2,5 bis 5: Wille = Wunsch
VS 5 bis 10: Wille zum Erfolg
VS 10 bis 20: Wille zur Macht
VS > 20: Wille zum Wert
Samstag, 9. Juni 2018
Fürchte dich
Fürchte dich nicht vor der Vergänglichkeit: was sie verschlingt, ist nur das Nichts. Was ist, ist ewig. Was nichts ist, vergeht. So vergeht deine äußere Hülle, deine Verbannung, aber nicht deine Seele. Und wenn sie vergeht, fürchte dich dennoch nicht.
Fürchte dich nicht vor der Vergangenheit: sie holt dich ein, aber sie lässt wieder los, wenn sie durch dich zur Vergänglichkeit gelangt. Deine Schuld wird dir vergeben. Und wenn sie dir nicht vergeben wird, fürchte dich dennoch nicht.
Fürchte dich nicht vor dem Tod: wenn du dich fragst, wo du nach dem Tod sein wirst, frage dich, wo du vor deiner Geburt warst. Und solltest du nach deinem Tode völlig vernichtet werden, fürchte dich dennoch nicht. Mehr als das Nichts wird der Tod von dir nicht fordern - du kannst nichts verlieren. Und verlierst du dich selbst, so verlierst du nur die Illusion, nicht nichts gewesen zu sein.
Fürchte dich nicht vor der Hölle - nichts, was nicht nichts in dir ist, kommt in sie hinein. Ist noch so wenig Himmel in dir, so kommt er nicht in die Hölle, selbst wenn du in die Hölle kommst. Das ewige Eis Gottes wird niemals schmelzen, die Schneejungfrau wird niemals entjungfert. Die Kindheit wird in der Eiswüste niemals Jugend.
Fürchte dich nicht davor, dass dein hinterhältiger Nachbar in den Himmel kommt: kein Glaube und keine Vergebung wird den in seinem Innern Dreckigen reinwaschen, - vor seiner endgültigen Vernichtung wird nur seine Schuld vergeben. Niemand kommt zu den Eismädchen, der nicht schneerein ist. Kein Held und kein Heiliger kann die Tür zum Eispalast Gottes aufstoßen.
Und nun fürchte dich! Fürchte dich vor Gott, aber nicht vor ihm, - er war vor jedem Ihm, der Ursprung aller Ursprünge, der Wille aller Willen. Fürchte dich vor Göttin, aber nicht vor ihr, - sie war vor jeder Ihr, das Ziel aller Ziele, der Selbstzweck aller Selbstzwecke. Fürchte dich vor dem unendlichen, ewigen Glück, urihm, ultraihr zu begegnen, denn deine Liebe wird wahr werden, und deine Gier wird erlischen.
Ziehst du in seinen Eispalast ein, so nicht als ein Verzehrer, sondern als ein Koster des Unverzehrbaren; wandelst du in seiner Eiswüste, so nicht als sein Kind, sondern als ein ihn, das ewige, unwelkbare Kind, Schauender.
Mittwoch, 6. Juni 2018
Hybris
Seit wann glaubst du an Gott? Seit der Kindheit, seit Kurzem, noch nicht, oder erst in der Hölle? Ein Scherz zur Aufheiterung, versteht sich. Niemand kommt in die Hölle, als nur durch Hybris. Und "hybrid" bist du doch nicht, nein, ganz gewiss nicht. Ich glaube an Gott seit dem 21.2.1998, und das hat mit dem Christentum nichts zu tun, das war reine Mystik. Ich war den ganzen Abend allein draußen spielen, es war fünfzehn Grad warm - und siehe, Gott erschuf fünfzehn Grad. Aber zurück zu dir - stell dir vor, du, Konvertit aus Liebesverzweiflung, oder christlich erzogener Ottonormalchrist, das spielt keine Rolle, stellst irgendwann fest, dass sich auf der Welt durch deine Gebete nichts ändert, dass Gott sie nicht erhört, dass du unglücklich bist, während die Gottlosen in Saus und Braus, konkreter, in Sex und Liebe leben. Du verabschiedest dich vom Glauben. Atheist erhobenen Hauptes. Wenn Gott dies, das und jenes zulässt, kann es ihn ganz sicher nicht geben.
Nun gibt es dich. Du leidest. Nichts Besonderes eigentlich, aber du merkst, dass du anders leidest, als du wegen all der kleinen Fälle, Unfälle und Zufälle in deinem nun ja ganz befriedigenden Leben leiden solltest. Du leidest daran, dass das Leben an sich sinnlos ist. Gut und Böse sind nur Kinderwörter ohne Bedeutung. Aber das kann, darf, soll nicht sein! All diese Schönheit in der Natur, in der Kunst, all diese Grausamkeit, die nach höherer Gerächtigkeit schreit, - es gibt Dinge, die nicht relativ sein können. Der Holocaust, der Sexualmord an einem kleinen Jungen in der Nachbarschaft - das ist nicht relativ schlecht, das sind Übel von absoluter Bedeutung, und wer dies verneint, ist nicht bloss einer anderen Meinung, sondern wahrhaft ein böser Mensch. Aber das alles spielt keine Rolle - Gott gibt es ja nicht, das absolut Gute ist ein leeres Ideal. Nein, denkst du, denn du bist abgrundtief gut. Wenn es Gott nicht gibt, sagst du, dann bin ich Gott.
Nun werden dich Menschen vom gemeinen Verstande als größenwahnsinnig bezeichnen - du bist doch nicht Gott! Natürlich bist du nicht allmächtig, du machst Fehler, du weißt ein kleines Bisschen weniger als alles. Ein hilfloser Gott, der wie ein Hund leidet - das passt durchaus in das Gottesbild der zeitgenössischen Theologie. Aber so weit wollen wir das Niveau hier nicht sinken lassen. Du nimmst die Bürde auf dich, Gott zu sein, um all das Gute auf der Welt zu würdigen, um es nicht umsonst sein zu lassen. Von Außen betrachtet, ist die Aussage "Ich bin Gott" der größtmögliche Wahnsinn, eine maßlose Anmaßung. Objektiv gesehen bist du weder größenwahnsinnig noch Gott: solange Gott blau macht, bist du seine Blaupause, oder ungefähr so relativ ähnlich. Hybris ist aber dort zu Hause, wo man beim Namen Bescheidenheit klingelt.
Eine christliche Gemeinde, die nichts mit den offiziellen Kirchen zu tun haben will und behauptet, auf einzig wahrhaft gute und richtige Weise an Gott zu glauben. Man redet sich mit Bruder Paul und Schwester Petra an, und die Logik ist hier eigentlich zu Schade, aber muten wir ihr diese halbe Runde Sparring mal zu - wären Paul und Petra deine Geschwister, würdest du sie mit Bruder Paul und Schwester Petra anreden? Nein, du redest sie ganz normal mit Paul und Petra an. Was sagst du aber, wenn du bei der Anrede jedes mal betonst, dass du die Beiden für deinen Bruder und deine Schwester erachtest? Du sagst, wie gütig du bist, so gütig, dass du wildfremde Menschen Bruder und Schwester nennst. Die Klöster haben ihre jahrhundertelange Tradition, dort ist es schick, einander Bruder Paul und Schwester Petra zu nennen, so als würde man Doktor Paul und Professor Petra sagen. Wo jedoch auf äußerlich gelebte Güte so viel Wert gelegt wird, stellt sich die Frage, welche inneren Unzulänglichkeiten diese kompensieren soll.
Ein Christ, der dich auf der Straße anspricht und dir erzählt, nur seine evangelikale Freikirche würde das wahre Christentum praktizieren, hat sie. Ein islamischer Missionar, der dir sagt, es gäbe keinen anderen Weg ins Paradies, als den Islam, leidet an, aber womöglich nicht unter ihr. Ich, wenn ich dir sagen würde, nur das, was ich in meiner Kolumne über Gott schreibe, sei die Wahrheit, wäre an ihr erkrankt. Weder Toleranz noch Relativismus heilen sie. Nur Aufrichtigkeit, selbst-bewusste, bodenständig und himmelsehend gelebte Würde kommt gegen sie an. Du kannst nicht für alle Menschen den Weg zu Gott, ins Paradies oder in die beste aller Gesellschaften bestimmen. Deine Menschenwürde ist von absoluter Gültigkeit, aber nicht dadurch, dass du über anderen Menschen stehst, dass du der Beste, der Klügste, der Einzigste bist. Wenn du in deiner konkreten Lebenssituation zum Schluss kommst, dass du Gott bist, da es dort draußen keinen Gott gibt, dann ist es für dich auch wahr - so wahr jedes subjektive Empfinden und jede persönliche Lebenserfahrung ist: es wäre doch lächerlich, zu behaupten, du wärest in das Mädchen dort nicht verknallt, nur weil es deine subjektive Empfindung ist. Wenn du aber für mich entscheiden willst, was der Weg zum Glück, zum Paradies, zu Gott ist, dann ist es Hybris.
Montag, 4. Juni 2018
Hoffnung in der Liebe
Die Hoffnung des Liebenden besteht nicht darin, dass ein billiges Flittchen (leider verliebt man sich meist in solche) seine Liebe erwidert, sondern darin, dass sie kein billiges Flittchen ist. Ein Teilaspekt, gewiss. Um es größer zu fassen: in der Liebe hofft man, dass die Geliebte dem Bild, das man sich von ihr gemacht hat, auch wahrhaft, sprich innerlich entspricht: dass sie gut, rein und unschuldig ist. Doch auch das ist noch nicht alles. Man kann schließlich an jeden Menschen in der Hoffnung herantreten, dieser möge ein guter, reiner, aufrichtiger Mensch sein, - ohne ihn deshalb gleich zu lieben. Liebe ist für den Liebenden unendlich wichtig, gar wichtiger als das Leben, also muss noch unendlich viel mehr in ihr sein.
Grundsätzlich wächst jeder Mensch mit unterbewussten Erwartungen auf, dass die Welt im Großen und Ganzen gut und gerecht ist, dass das Leben einen Sinn hat, und dass man selbst gewollt ist, sprich nicht durch einen Zu- oder Unfall entstanden. Es ist keine Kindheit realistisch vorstellbar, die diese Erwartungen nicht zumindest teilweise infrage stellte. Sobald aber die Grunderwartungen enttäuscht werden, werden sie bewusst, und die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit als leidvoll erfahren.
Was kann nun alle drei Grunderwartungen zugleich - 1) die Welt ist gut und gerecht, 2) mein Leben hat einen Sinn, 3) ich bin gewollt - zu scheinbar berechtigten, nicht bloß leeren Hoffnungen machen? Eine selbst gewählte Lebensaufgabe, eine Berufung macht die Welt noch lange nicht gut und gerecht, und das Leben erscheint nur solange sinnvoll, bis man die Lust an dieser Aufgabe verloren hat; außerdem will man zwar etwas, ist aber dadurch noch nicht gewollt. Der Nihilist, der den Sinn des Lebens als solchen verwirft, wird dadurch versöhnt, dass er die Welt nun als gerecht erlebt, wenn auch nicht als gut: alle sind einsam, verlassen, zufällig in die Welt geworfen, zum Tode bestimmt. Ein religiöser Fanatiker erlebt sein frommes Leben durchaus als sinnvoll, und fühlt sich gewollt (wenn auch bloß von jemandem, den er niemals sehen wird, und an dessen Dasein er nur glauben kann), jedoch erfährt er die Welt als einen verfluchten Ort, an dem es so ungerecht wie nur möglich zugeht.
Wer liebt, ist wieder Kind, fühlt sich in die Zeit vor dem Verlust des Urvertrauens zurückversetzt. Das zarte Glück des Liebenden, das ihm alle drei Grunderwartungen erfüllt, ist jedoch von kurzer Dauer, und der Liebende selbst in dieser kurzen Zeit sehr verwundbar. Die Größe eines liebenden Herzens offenbart sich schon dadurch, dass ein Liebender alles - außer der Entweihung seiner Liebe - bedenkenlos verzeiht. Die Tragik des Liebenden besteht darin, dass er die Güte der Welt, das sinnvolle Leben und das bedingungslose Gewolltsein nur scheinbar selbst erlebt, in Wahrheit aber auf die geliebte Person projiziert.
Weil Liebe prinzipiell an ihrem Objekt scheitern muss, schwören viele gebrochene Herzen ihr ab und suchen ihr Heil in der Religion. Eine Religion ohne Liebe ist der fanatische wie hoffnungslose Glaube eines verhärteten Herzens an die strafende Gerechtigkeit, die diese grausame Welt bitteschön vernichten möge. Gott wird in der Negation der Welt gesucht, und nicht gefunden, denn die Negation des Endlichen ist nicht das Unendliche, sondern das Nichts. Das Unendliche aber schließt das Endliche in sich ein.
Nicht Verachtung und Verbitterung sollten die Antwort des Liebenden sein, wenn sich die Geliebte als seiner Liebe nicht würdig erweist (da Liebe nichts fordert, sondern selbst die Unendlichkeit gibt, kann sie nicht nicht gut genug sein, - sie kann entweder auf ein würdiges oder auf ein unwürdiges Objekt treffen; da sie keiner Erwiderung bedarf, kann sie nicht durch Nichtzurückgeliebtwerden scheitern). Die Antwort, die sich für ein großes Herz von selbst versteht, ist gütiges (nicht verachtendes) Mitleid.
Donnerstag, 24. Mai 2018
Das Antiintelligenzressentiment
"Im Club der Idioten" wäre ebenfalls ein passsender Titel für diesen Kommentar, aber das Wort Idiot in seiner ironischen Verspieltheit und mit seinem altgriechischen Ursprung ist mir zu lieb und zu teuer, um es den im Folgenden psychiatrisch behandelten Vollpfosten zu schenken. Als Vorwort möchte ich mit einem der dümmsten relativistischen Vorurteile aufräumen: "wertend = subjektiv". Jenes gilt für den speziellen Fall, dass das Wertende und das Bewertete sich auf derselben Stufe befinden: ein Amoralischer kann einem Amoralischen zwar Amoral vorwerfen, aber dieser Vorwurf ist nicht mehr als ein subjektives Empörungsgut; ein ethischer Mensch kann einen Parasiten, der davon lebt, dass sich alle außer ihm ethisch verhalten, mit gutem Recht von Oben herab werten und bewerten.
Nun zu unseren falschen Freunden, die Christen und Heiden unbedingt von Jesus erzählen müssen, die sich berufen fühlen, Katholiken und Protestanten zum Christentum zu bekehren. Ich sage einem jener Freunde, dass ich die von ihm angeführte Bibelstelle anders als er interpretiere, woraufhin dieser erwidert, das sei eben nur eine Interpretation, wonach er mir seine Interpretation durchpaukt. Ich weise ihn auf die inneren Widersprüche seiner Worte hin, er warnt mich vor dem stolzen und sündhaften Verstand, der sich gegen Gottes Wort wehrt und gegenüber der Liebe Gottes das Herz verschließt. Was meint er mit der Liebe Gottes? Dass ich meine Persönlichkeit und meine Integrität gänzlich aufgeben soll, um seine Bibelinterpretation für die allerwahrste Wahrheit zu halten?
Ich habe viele Jahre auf der Welt gelebt, habe gesucht, gehofft, geglaubt und gezweifelt. Nun kommt dieser Missionar daher, "evangelisiert" mich, und erwartet von mir, dass ich alles was ich war und bin vergesse, und ihm und seiner Schafherde nachfolge. Da will man Atheist sein, da will man Bibeln verbrennen. Da will man in einem Staat leben, in dem Religion verboten ist und Kirchen Museen sind. Wo findet man noch Menschen, die von einem den inneren Selbstmord erwarten um der angeblichen Erlösung willen? Aber vielleicht spricht hier nur mein egoistisches Ego, das sich über Gott, meinen Freund und einen IQ von 75 überhebt.
"Die Klugen sind die Verdammten". "Wer denkt, hat kein Herz". Wie oft trifft man auf Vorurteile, einfachere Leute seien dafür herzlicher, liebevoller, lustiger, hilfsbereiter? Ein Wunschdenken, das darauf beruht, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: der Klügere ist nämlich in Wirklichkeit (meist) auch emotional höher entwickelt, sensibler, liebevoller, hilfsbereiter, humorvoller und musikalischer. Größer. So einfach ist das.
Der hilflose Neid gegenüber seelisch-geistig Größeren gießt sich allzugern in Vorwürfe der Arroganz und des Größenwahns aus. Gott erscheint in den Worten der einfachen Leute schockierenderweise als ein selbstsüchtiger Despot, der die Menschen zwingt, sich so tief zu erniedrigen, bis. Bis? Bis sie auf dem Niveau unseres viehischen Freundes ankommen. Warum verehrten die Massen Stalin? Weil er die Besseren erniedrigen und töten ließ, bis alle gleich waren, bis der Neid des Geringen auf den Größeren befriedigt war. Warum jubeln die Massen dem jüdisch-christlich-islamischen Gott zu? Weil Klerikalfaschisten und deren debile Nachbeter die Deutungshoheit über die heiligen Schriften haben. Ich habe oft über eine ungewöhnliche Maßnahme nachgedacht: man könnte doch den Leuten ihre Bibeln wegnehmen und alle kirchlichen Ämter abschaffen. Das Wort eines lebendigen Gottes würde mitnichten verstummen, das dämliche Muhen vom primitivsten Neid gesteuerter Rinder vielleicht.
Montag, 14. Mai 2018
Keuschheit
Dreijährige spielen mit ihren Holzbauklötzen, doch etwas ist faul im Staate Dänemark: ein besonders lieber Junge, nennen wir ihn Hiob, muss immer die Burg neu aufbauen, und darf sie nie kaputt machen. Er beginnt mit Gott zu hadern: "Warum, o großer Gott, darf ich, der die höchsten Burgen baut, nie eine Burg kaputt machen?" Eine schreiende Ungerechtigkeit. Ein teuflischer Sechsjähriger bringt den kleinen lieben Jungen auf die Idee, die Burg unerlaubt kaputt zu machen, bevor die Spielkameraden ihre Kaputtmachbälle bereit gestellt haben. Doch Hiob ist ein rechtschaffener Junge, und lässt sich nicht zum Wortbruch verführen. Was hat er davon? Bloß, dass die anderen Dreijährigen weiterhin seine Burgen kaputt machen, und er sie immer und immer wieder aufbauen muss. Ein altersweiser Neunjähriger spendet Hiob Trost: "Wenn du erwachsen bist, wirst du ein großer Kaputtmacher sein! Du wirst nichts mehr bauen müssen, und alle werden für dich bauen, damit du kaputt machen kannst!"
Wer will dieser unglückliche Dreijährige sein? Wer will der Kumpeltyp bei einer Frau sein? Niemand. Doch meist langt es nicht, etwas nicht zu wollen, das Gegenteil davon zu wollen, oder etwas ganz anderes zu wollen, - alles bleibt beim Alten. Wer sich nicht traut, sich sein Kaputtmachrecht mit Gewalt zu nehmen, ob aus feigheitlichen oder moralischen Gründen, zieht der Kürzeren, und hat als der Dumme nichts zu melden. Also phantasiert er sich in ein besseres Leben, in welchem er der Kaputtmachkönig ist.
Unkeuschheit ist das Laster schlechthin, und die Moral eines Menschen ist nichts wert, wenn sie nicht über den Mittelpunkt seines Seins zum Tier gebietet. Das Tierische im Menschen will sich fortpflanzen, will den ungezügelten ekelerregenden Wucher. Zurecht darüber erschrocken, strebt der Mensch, der sich seiner Kreatürlichkeit bewusst ist, unterbewusst den Tod an. Als Objekt dient der sexuelle Mensch der trostlosen Weitergabe des Trostlosen, als Subjekt will er diesen Prozess endlich zu einem Ende bringen, und strebt den Tod an. Das Naheliegendste, der Suizid, ist aus Feigheitsgründen eine schlechte Option, das berserkerhafte Vernichten all dessen, was da wuchert, wird früh genug wegsozialisiert. Was bleibt, ist der Sex, der Ersatztod und der Ersatzmord, der größte Fluch und schönste Traum aller Sinnenwesen.
Die ursprüngliche Ganzheit, die Jungfräulichkeit, wird durch den sexuellen Akt kaputt gemacht. Nicht die genitale Jungfräulichkeit ist gemeint, sondern die Jungfräulichkeit als ursprüngliche Ganzheit: alles, was an einem Sexobjekt bereits verbraucht ist, scheidet beim nächsten Mal aus, und so geht es weiter, bis nichts mehr vorhanden ist, worauf sich die natürliche Zerstörungswut richten könnte. Dann kommt der Fetisch ins Spiel: er erfindet neue Gebiete der Begierde, findet immer bizarrere Oasen in der Wüste der Lust. Irgendwann geht nichts mehr, das Objekt ist so verbraucht, dass sein Anblick nur noch Ekel auslöst. Wer "es nicht so erlebt hat", hält winzige Mosaiksteine für ein Ganzes. Doch dies sei nur nebenbei bemerkt, denn das eigentlich Irre ist, dass wir Menschen genau diesen jämmerlichen Zerstörungsprozess immerfort wollen, und ihn sogar ins Jenseits projizieren, wo wir ihn uns als Belohnung ausmalen.
Was soll ich tun, um ins Paradies zu kommen? Falsche Frage, wenn das Paradies ein kostenloses Bordell ist, ein Garten der ewigen Lust, die nie versiegt, und deren Objekte unkaputtbar sind. Die nimmerschwangeren 72 Jungfrauen werden einem schnell wie menschenfressende Monster vorkommen, wenn man merkt, dass man auf ewig ein Sklave seiner auf sie gerichteten Begierde ist, und sie durch keine sexuelle Perversion so endgültig verbrauchen wird, dass man sie nie mehr begehren könnte. Das sinnliche Paradies ist die Hölle, ein Ort, an dem man nur eins möchte: sterben. Deshalb fängt das Himmelreich schon in diesem Leben an, im eigenen Herzen, das sich vom Fluch des Töten- und Sterbenwollens befreit, und zum ewigen Leben, zur Keuschheit findet.
Samstag, 12. Mai 2018
Faire Chance
Ein mephistophelischer Schurke hat irgendwo im Nirgendwo zwei Gruppen von Menschen in zwei Kerker gesperrt. Die Kerker lassen sich von Außen leicht öffnen, aber von Innen weder durch Muskelkraft noch durchs Nachdenken. Diese Menschen sind in einer Not, die nicht erfinderisch macht, sondern tot. In einer Stunde werden diese Menschen ersticken. Du bist etwas weniger als eine Stunde von jedem der Kerker entfernt - geometrisch gesehen so ziemlich in der Mitte - und kannst somit nur eine Gruppe retten. Alles, was du weißt, ist, dass die eine Gruppe aus 11 Personen besteht und die andere aus zwei. Wen rettest du? Die 11 Leute, das ist immerhin eine Fussballmannschaft. Die zwei könnten ein Paar sein - und du, bist du zufällig unfreiwillig Single? Nimm doch Rache am glücklichen Pärchen und rette die größere Anzahl - jeder wird sagen, du hast das Richtige getan. Nicht?
Streng moralisch gesehen, ist mehr nicht besser. Die zwei Unglücklichen sind auch Menschen. Jeder hat eine faire Chance verdient. Du hast eine Münze in der Tasche - wirf sie! Kopf heißt die zwei Glücklichen da, Zahl heißt Zahl. Du wirfst Kopf. Die Zwei dürfen es sein. Aber etwas stört dich daran - du kannst ja nicht nur zählen, sondern auch rechnen. In der Gruppe mit 11 Personen sind natürlich auch zwei Leute enthalten, sogar fünfkommafünf Mal. Warum also die Zwei da, und nicht zwei von den 11? Der Münzwurf ist unfair. Du hast noch vom Glücksspiel letzten Samstag einen zwölfseitigen Würfel. Du schimpfst, dass es insgesamt 13 sind, und der Würfel somit zwecklos. Du machst dir 13 Lose. Ziehst du einen der Zwei, rettest du die Beiden. Ziehst du einen der 11, rettest du natürlich die 10 anderen mit. Ist doch fair, oder?
Mathematisch wäre nichts daran auszusetzen, aber das Leben ist keine Mathematik. Etwas gefällt dir nicht an dieser Fairness, du hast ein ungutes Gefühl. Du bist wahrscheinlich nah an den Sprüngen, doch um dir ganz sicher auf dieselben zu helfen, sage ich: stell dir vor, du wärst einer dieser Menschen. Da kommt irgendein Idiot daher und wirft eine Münze oder zieht Lose, und es geht darum, ob du überlebst oder stirbst. Es hätte genausogut eine Maschine sein können. Wie fühlst du dich, wenn du eine faire Chance gehabt hast, aber, so läuft nunmal das Spiel, eine Niete gezogen hast? Du musst sterben, das ist ohnehin klar, aber du stirbst nicht als Mensch, sondern als ein Los, eine Spielfigur. Kein gutes Gefühl. Natürlich kann es dir egal sein, warum dich jemand rettet oder sterben lässt. Hauptsache Tatsache: entweder du lebst, oder du stirbst.
Jetzt darfst du wieder den Helden spielen. Ganz ehrlich - willst du so einen Nihilisten wirklich retten? Ist es dir nicht egal, ob jemand, dem es egal ist, warum er lebt oder stirbt, lebt oder stirbt? Du hast ein moralisches Prinzip, das da lautet 11 : 2 = 5,5 (und es ist demnach 5,5 mal moralisch besser, die 11 Leute zu retten als die zwei), oder aber, dass jeder eine faire Chance verdient. Du arbeitest dein Prinzip an einem ihm angemessenen Verfahren ab, und ansonsten ist es dir furzegal, wer lebt und wer stirbt. Würde jemand dich retten wollen? Wahrscheinlich nicht, sondern nur sein Prinzip an einem angemessenen Verfahren abarbeiten, wobei es dieser Person furzegal wäre, ob du lebst oder stirbst.
Wenn du dich entscheidest, selbst zu entscheiden, macht es dich menschlicher, aber auch fehlbarer. Du könntest aus minderwertigen psychologischen Gründen eine folgenschwere Entscheidung treffen, die du moralisch nicht würdest vertreten können. Du könntest nach Lust und Laune, also nach Willkür entscheiden, was nicht weniger zynisch wäre, als sich hinter einer Münze zu verstecken. Es wäre nur nicht feige, und deine Falten würden, wenn du alt bist, nicht die Geschichte eines abgenutzten Körpers erzählen, sondern die Geschichte eines Menschen, der richtige und falsche, gute und schlechte Entscheidungen getroffen hat. Du entscheidest, du stellst dich der Verantwortung, darauf kommt es an, und wenn du dich aus psychologischen Gründen für unfähig erklärst, auf eigene Faust die richtige Entscheidung zu treffen, dann eliminierst du dich selbst als moralisches Subjekt und machst dich zu einem Psychoroboter. Aber ist das nicht eine Spur zu romantisch, die Eigenverantwortung so zu überhöhen, wo sie im Endeffekt zu keinem besseren Ergebnis führen kann, als der mechanische Zufall? Du bist besser - ein besserer Mensch - wenn du auf eigene Faust und Verantwortung entscheidest, aber dadurch handelst du nicht besser. Der Münzwurf kann übrigens, wenn man es romantisch mag, auch als eine Entscheidung Gottes interpretiert werden.
Error. Rechner abgestürzt. Egal, wie deine persönliche Einstellung ist, was für Wertvorstellungen du hast, wie du handelst, es werden entweder zwei oder elf Menschen sterben. Alles umsonst. Alles sinnlos. Mach, was du willst. Sei böse. Damit dich keiner der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigen kann, musst du eine der Türen aufmachen. Aber ansonsten kannst du dir genüsslich ausmalen, wie die Elf kurz vorm Ersticken durchdrehen und sich die Köpfe einschlagen, während du die Zwei rettest, und dich somit heimlich als den Mörder von neun Extraleuten feiern kannst. Du kannst aber auch dir größere Gruppe retten - dir werden neun Menschen mehr dankbar sein, und Dankbarkeit kann man immer gut gebrauchen. Denk dir dabei, wie die Zwei, womöglich Eltern von zehn glücklichen Kindern, erbärmlich verrecken, - du sexy Bösewicht, hast zwar die größere Gruppe gerettet, aber mindestens einen Menschen mehr unglücklich gemacht, als die Differenz zwischen 11 und 2 - und dazu noch kleine, unschuldige Kinder! Nun, selbst wenn du so ein Teufel bist, kannst du in dieser Situation nicht böser handeln, als der allerheiligste Märtyrer. Na gut, der Märtyrer würde sich wahrscheinlich aus dem höchstmoralischen Prinzip des größtmöglichen Leidens der Entscheidung verweigern und ins Gefängnis gehen. Weniger dramatisch geht auch: ein streng gläubiger Mensch würde nicht Gott spielen wollen, und aus dieser Borniertheit heraus alle sterben lassen.
Wie also, zum Teufel, handelt man hier richtig? Wie handelt man so richtig falsch, dass einem die Hörner wachsen? Hier fällt beides zusammen. Was lernen wir? Dass eine Handlung an sich nicht moralisch sein kann, sondern nur der Wille, die Absicht, der Gewissensbiss? Wer es noch nicht gelernt hat, hat eben was gelernt. Aber hier geht es nicht um eine Kantstunde, hier geht es um Menschen, lebende und sterbende Menschen, keine abstrakten Probleme der Moralphilosophie. Vielleicht sollte man die Letztere als Gotteslästerung verbieten, denn jeder moralphilosophische Satz ist zynisch und riecht streng nach Hybris. Nicht dass wir, wenn wir über Moral nachdenken, Gott spielen - der Einwand wäre zu naiv - , aber dass wir dabei die anderen Menschen, die echte, lebende, leidende und hoffende Menschen sind wie wir, zu Zahlen, Fällen und Problemen herabsetzten, dass wir vom Menschen als Menschen abstrahieren, ist das unverzeihlich Überhebliche dabei.
Sonntag, 6. Mai 2018
Theologisches Casino
Jedes Wesen auf Darwins Erde ist Opportunist. Man tut, was man kann, um Lust zu fördern, und Unlust zu vermeiden. In profanen Dingen ist das keine schlechte Idee, aber die Versuchung ist groß, sie auch in religiösen Belangen anzuwenden. Ich lebe, ich werde sterben, aber so richtig vorstellen, tot zu sein, kann ich mir nicht. Vielleicht lebt meine Seele doch nach dem Tod weiter - ich kann es nicht wissen, sollte aber sicher gehen. Tausende esoterische Konzepte bieten meiner Seele zu unterschiedlchen Konditionen den Jenseitsdeal an. Mit wem soll ich einen Vertrag schließen?
Es gibt als sicher geltende Jenseitsversicherungen: Christentum, Judentum und Islam genießen bei Rating-Agenturen wie dem gesunden Menschenverstand und dem Bauchgefühl ein hohes Ansehen. Buddhismus, Taoismus und sektiererisches Christentum gelten als unsicher bis hoch spekulativ. Wenn sich an eine Jenseitsversicherung vertraglich binden, dann schon an eine mit hohem Marktanteil und klaren Vertragsbedingungen. Bei Buddhismus, Taoismus und anderen diesseitslastigen Marken sind die Bedingungen sehr klar, aber der Gewinn tendiert gegen Null: du bekommst zurück, was du investierst. Das ist ein Bollwerk gegen die Inflation, wie etwa das physische Gold, aber für gierige Naturen nicht sonderlich verlockend.
Nach langem Überlegen entscheide ich mich für die relativ sichere Jenseitsversicherung Christentum - sie ist durchaus spekulativ, aber es spekulieren so viele mit, dass auch nach Ponzi-Schema viel Gewinn zu machen ist, vorausgesetzt, es gibt massenweise noch größere Idioten. Leider gilt diese Überlegung nur für das Diesseits: Idioten kann ich ausnutzen, um etwa als Kleriker auf Kosten der Gesellschaft leben zu könen, aber auch zwei Gigaidioten werden mir im Jenseits nicht nützlich sein, wenn es im Jenseits nichts gibt. Ich muss darauf spekulieren, dass ich nach meinem Ableben durch ein Nadelöhr ins Paradies gelange, und bei dieser Veranstaltung ist jede Jenseitsversicherung gleich spekulativ.
Wozu dann eine Jenseitsversicherung abschließen? Ganz einfach: man schließt eine gewöhnliche Versicherung auch nicht dazu ab, dass sie ungünstige Zwischenfälle verhindert, sondern dafür, dass sie die Schäden abmildert. Wenn ich als Christ schon nicht in den Himmel komme, weil es nach dem Tod schlicht nichts mehr gibt, so profitiere ich durch die Zugehörigkeit zu dieser Spekulationsgemeinschaft: sozial, weil je größer die eigene Gruppe, umso mehr Macht durch die Zugehörigkeit zu ihr, und moralisch, weil wiederum je größer die Gruppe, umso mehr Leute teilen meinen Glauben an die Überlegenheit meines Glaubens.
Eine kluge Rechnung, aber ohne das Jenseits gemacht: für wen sich eine Religion im Sozialen erschöpft, dessen Leben erschöpft sich darin ebenso. Wenn es im Jenseits etwas gibt, dann müssen alle Menschen nach dem Tod durch einen Flaschenhals hindurch, und können nur sich selbst und ihr Gewissen, aber keine Wertpapiere und Beziehungen mitnehmen. Wen das Jenseits ohnehin nicht interessiert, für den gibt es einen sicheren Tipp: die Investmentbank Nihilismus zockt, mit hohen Dividenden lockend, an den Jenseitsversicherungsmärkten, und macht sich das Investitionsverhalten ihrer Kunden geschickt zunutze.
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