Montag, 14. Mai 2018

Keuschheit





Dreijährige spielen mit ihren Holzbauklötzen, doch etwas ist faul im Staate Dänemark: ein besonders lieber Junge, nennen wir ihn Hiob, muss immer die Burg neu aufbauen, und darf sie nie kaputt machen. Er beginnt mit Gott zu hadern: "Warum, o großer Gott, darf ich, der die höchsten Burgen baut, nie eine Burg kaputt machen?" Eine schreiende Ungerechtigkeit. Ein teuflischer Sechsjähriger bringt den kleinen lieben Jungen auf die Idee, die Burg unerlaubt kaputt zu machen, bevor die Spielkameraden ihre Kaputtmachbälle bereit gestellt haben. Doch Hiob ist ein rechtschaffener Junge, und lässt sich nicht zum Wortbruch verführen. Was hat er davon? Bloß, dass die anderen Dreijährigen weiterhin seine Burgen kaputt machen, und er sie immer und immer wieder aufbauen muss. Ein altersweiser Neunjähriger spendet Hiob Trost: "Wenn du erwachsen bist, wirst du ein großer Kaputtmacher sein! Du wirst nichts mehr bauen müssen, und alle werden für dich bauen, damit du kaputt machen kannst!"

Wer will dieser unglückliche Dreijährige sein? Wer will der Kumpeltyp bei einer Frau sein? Niemand. Doch meist langt es nicht, etwas nicht zu wollen, das Gegenteil davon zu wollen, oder etwas ganz anderes zu wollen, - alles bleibt beim Alten. Wer sich nicht traut, sich sein Kaputtmachrecht mit Gewalt zu nehmen, ob aus feigheitlichen oder moralischen Gründen, zieht der Kürzeren, und hat als der Dumme nichts zu melden. Also phantasiert er sich in ein besseres Leben, in welchem er der Kaputtmachkönig ist.

Unkeuschheit ist das Laster schlechthin, und die Moral eines Menschen ist nichts wert, wenn sie nicht über den Mittelpunkt seines Seins zum Tier gebietet. Das Tierische im Menschen will sich fortpflanzen, will den ungezügelten ekelerregenden Wucher. Zurecht darüber erschrocken, strebt der Mensch, der sich seiner Kreatürlichkeit bewusst ist, unterbewusst den Tod an. Als Objekt dient der sexuelle Mensch der trostlosen Weitergabe des Trostlosen, als Subjekt will er diesen Prozess endlich zu einem Ende bringen, und strebt den Tod an. Das Naheliegendste, der Suizid, ist aus Feigheitsgründen eine schlechte Option, das berserkerhafte Vernichten all dessen, was da wuchert, wird früh genug wegsozialisiert. Was bleibt, ist der Sex, der Ersatztod und der Ersatzmord, der größte Fluch und schönste Traum aller Sinnenwesen.

Die ursprüngliche Ganzheit, die Jungfräulichkeit, wird durch den sexuellen Akt kaputt gemacht. Nicht die genitale Jungfräulichkeit ist gemeint, sondern die Jungfräulichkeit als ursprüngliche Ganzheit: alles, was an einem Sexobjekt bereits verbraucht ist, scheidet beim nächsten Mal aus, und so geht es weiter, bis nichts mehr vorhanden ist, worauf sich die natürliche Zerstörungswut richten könnte. Dann kommt der Fetisch ins Spiel: er erfindet neue Gebiete der Begierde, findet immer bizarrere Oasen in der Wüste der Lust. Irgendwann geht nichts mehr, das Objekt ist so verbraucht, dass sein Anblick nur noch Ekel auslöst. Wer "es nicht so erlebt hat", hält winzige Mosaiksteine für ein Ganzes. Doch dies sei nur nebenbei bemerkt, denn das eigentlich Irre ist, dass wir Menschen genau diesen jämmerlichen Zerstörungsprozess immerfort wollen, und ihn sogar ins Jenseits projizieren, wo wir ihn uns als Belohnung ausmalen.

Was soll ich tun, um ins Paradies zu kommen? Falsche Frage, wenn das Paradies ein kostenloses Bordell ist, ein Garten der ewigen Lust, die nie versiegt, und deren Objekte unkaputtbar sind. Die nimmerschwangeren 72 Jungfrauen werden einem schnell wie menschenfressende Monster vorkommen, wenn man merkt, dass man auf ewig ein Sklave seiner auf sie gerichteten Begierde ist, und sie durch keine sexuelle Perversion so endgültig verbrauchen wird, dass man sie nie mehr begehren könnte. Das sinnliche Paradies ist die Hölle, ein Ort, an dem man nur eins möchte: sterben. Deshalb fängt das Himmelreich schon in diesem Leben an, im eigenen Herzen, das sich vom Fluch des Töten- und Sterbenwollens befreit, und zum ewigen Leben, zur Keuschheit findet.