Samstag, 9. Juni 2018

Fürchte dich





Fürchte dich nicht vor der Vergänglichkeit: was sie verschlingt, ist nur das Nichts. Was ist, ist ewig. Was nichts ist, vergeht. So vergeht deine äußere Hülle, deine Verbannung, aber nicht deine Seele. Und wenn sie vergeht, fürchte dich dennoch nicht.

Fürchte dich nicht vor der Vergangenheit: sie holt dich ein, aber sie lässt wieder los, wenn sie durch dich zur Vergänglichkeit gelangt. Deine Schuld wird dir vergeben. Und wenn sie dir nicht vergeben wird, fürchte dich dennoch nicht.

Fürchte dich nicht vor dem Tod: wenn du dich fragst, wo du nach dem Tod sein wirst, frage dich, wo du vor deiner Geburt warst. Und solltest du nach deinem Tode völlig vernichtet werden, fürchte dich dennoch nicht. Mehr als das Nichts wird der Tod von dir nicht fordern - du kannst nichts verlieren. Und verlierst du dich selbst, so verlierst du nur die Illusion, nicht nichts gewesen zu sein.

Fürchte dich nicht vor der Hölle - nichts, was nicht nichts in dir ist, kommt in sie hinein. Ist noch so wenig Himmel in dir, so kommt er nicht in die Hölle, selbst wenn du in die Hölle kommst. Das ewige Eis Gottes wird niemals schmelzen, die Schneejungfrau wird niemals entjungfert. Die Kindheit wird in der Eiswüste niemals Jugend.

Fürchte dich nicht davor, dass dein hinterhältiger Nachbar in den Himmel kommt: kein Glaube und keine Vergebung wird den in seinem Innern Dreckigen reinwaschen, - vor seiner endgültigen Vernichtung wird nur seine Schuld vergeben. Niemand kommt zu den Eismädchen, der nicht schneerein ist. Kein Held und kein Heiliger kann die Tür zum Eispalast Gottes aufstoßen.

Und nun fürchte dich! Fürchte dich vor Gott, aber nicht vor ihm, - er war vor jedem Ihm, der Ursprung aller Ursprünge, der Wille aller Willen. Fürchte dich vor Göttin, aber nicht vor ihr, - sie war vor jeder Ihr, das Ziel aller Ziele, der Selbstzweck aller Selbstzwecke. Fürchte dich vor dem unendlichen, ewigen Glück, urihm, ultraihr zu begegnen, denn deine Liebe wird wahr werden, und deine Gier wird erlischen.

Ziehst du in seinen Eispalast ein, so nicht als ein Verzehrer, sondern als ein Koster des Unverzehrbaren; wandelst du in seiner Eiswüste, so nicht als sein Kind, sondern als ein ihn, das ewige, unwelkbare Kind, Schauender.