Montag, 4. Juni 2018
Hoffnung in der Liebe
Die Hoffnung des Liebenden besteht nicht darin, dass ein billiges Flittchen (leider verliebt man sich meist in solche) seine Liebe erwidert, sondern darin, dass sie kein billiges Flittchen ist. Ein Teilaspekt, gewiss. Um es größer zu fassen: in der Liebe hofft man, dass die Geliebte dem Bild, das man sich von ihr gemacht hat, auch wahrhaft, sprich innerlich entspricht: dass sie gut, rein und unschuldig ist. Doch auch das ist noch nicht alles. Man kann schließlich an jeden Menschen in der Hoffnung herantreten, dieser möge ein guter, reiner, aufrichtiger Mensch sein, - ohne ihn deshalb gleich zu lieben. Liebe ist für den Liebenden unendlich wichtig, gar wichtiger als das Leben, also muss noch unendlich viel mehr in ihr sein.
Grundsätzlich wächst jeder Mensch mit unterbewussten Erwartungen auf, dass die Welt im Großen und Ganzen gut und gerecht ist, dass das Leben einen Sinn hat, und dass man selbst gewollt ist, sprich nicht durch einen Zu- oder Unfall entstanden. Es ist keine Kindheit realistisch vorstellbar, die diese Erwartungen nicht zumindest teilweise infrage stellte. Sobald aber die Grunderwartungen enttäuscht werden, werden sie bewusst, und die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit als leidvoll erfahren.
Was kann nun alle drei Grunderwartungen zugleich - 1) die Welt ist gut und gerecht, 2) mein Leben hat einen Sinn, 3) ich bin gewollt - zu scheinbar berechtigten, nicht bloß leeren Hoffnungen machen? Eine selbst gewählte Lebensaufgabe, eine Berufung macht die Welt noch lange nicht gut und gerecht, und das Leben erscheint nur solange sinnvoll, bis man die Lust an dieser Aufgabe verloren hat; außerdem will man zwar etwas, ist aber dadurch noch nicht gewollt. Der Nihilist, der den Sinn des Lebens als solchen verwirft, wird dadurch versöhnt, dass er die Welt nun als gerecht erlebt, wenn auch nicht als gut: alle sind einsam, verlassen, zufällig in die Welt geworfen, zum Tode bestimmt. Ein religiöser Fanatiker erlebt sein frommes Leben durchaus als sinnvoll, und fühlt sich gewollt (wenn auch bloß von jemandem, den er niemals sehen wird, und an dessen Dasein er nur glauben kann), jedoch erfährt er die Welt als einen verfluchten Ort, an dem es so ungerecht wie nur möglich zugeht.
Wer liebt, ist wieder Kind, fühlt sich in die Zeit vor dem Verlust des Urvertrauens zurückversetzt. Das zarte Glück des Liebenden, das ihm alle drei Grunderwartungen erfüllt, ist jedoch von kurzer Dauer, und der Liebende selbst in dieser kurzen Zeit sehr verwundbar. Die Größe eines liebenden Herzens offenbart sich schon dadurch, dass ein Liebender alles - außer der Entweihung seiner Liebe - bedenkenlos verzeiht. Die Tragik des Liebenden besteht darin, dass er die Güte der Welt, das sinnvolle Leben und das bedingungslose Gewolltsein nur scheinbar selbst erlebt, in Wahrheit aber auf die geliebte Person projiziert.
Weil Liebe prinzipiell an ihrem Objekt scheitern muss, schwören viele gebrochene Herzen ihr ab und suchen ihr Heil in der Religion. Eine Religion ohne Liebe ist der fanatische wie hoffnungslose Glaube eines verhärteten Herzens an die strafende Gerechtigkeit, die diese grausame Welt bitteschön vernichten möge. Gott wird in der Negation der Welt gesucht, und nicht gefunden, denn die Negation des Endlichen ist nicht das Unendliche, sondern das Nichts. Das Unendliche aber schließt das Endliche in sich ein.
Nicht Verachtung und Verbitterung sollten die Antwort des Liebenden sein, wenn sich die Geliebte als seiner Liebe nicht würdig erweist (da Liebe nichts fordert, sondern selbst die Unendlichkeit gibt, kann sie nicht nicht gut genug sein, - sie kann entweder auf ein würdiges oder auf ein unwürdiges Objekt treffen; da sie keiner Erwiderung bedarf, kann sie nicht durch Nichtzurückgeliebtwerden scheitern). Die Antwort, die sich für ein großes Herz von selbst versteht, ist gütiges (nicht verachtendes) Mitleid.