Mittwoch, 26. September 2018
Auf wessen Seite ist Gott?
Es gibt Sachen, die dem Gefühl unmittelbar einleuchten: zu morden und zu vergewaltigen ist nicht bloß deshalb böse, weil es jemandem weh tut, sondern aus einem absoluten, nicht relativierbaren, nicht verhandelbaren Grund. Dem Verstand leuchtet aber unmittelbar ein, dass es einen solchen transzendenten Grund weltimmanent nicht geben kann. Das Weltgeschehen ist die Summe kontingenter amoralischer Ereignisse.
Aber nein doch, es gewinnen am Ende immer die Guten! Ja, so scheint, es, weil die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Auch Hitlers Erben wären heute die Guten, wenn Hitler damals den Krieg gewonnen hätte. Und was ist mit dem Holocaust? Vergessen. Geschichte kann umgeschrieben werden, Unrecht geleugnet, Opfer zu Verbrechern erklärt. Das wollen wir nicht wahr haben, das können wir nicht.
Wir fordern, dass Gott auf der Seite der Schwachen, der Entrechteten sei. Gott ist aber kein endliches Wesen, und kann als Kriegspartei nicht in das Weltgeschehen eingreifen. Aber es kann doch nicht sein, dass alles Gute vergebens ist, und das Böse am Ende triumphiert! Doch, kann es. Dann kann es aber auch keinen Gott geben! Geschenkt, es gibt keinen Gott.
Bleibst du dabei, dass zu morden und zu vergewaltigen böse ist, wenn du davon ausgehen musst, dass es Gott - zumindest in dieser Welt - nicht gibt? Bleibst du dabei, dass mit aller Härte gegen jene gekämpft werden muss, die Kinder missbrauchen, selbst wenn es keine höhere Gerechtigkeit gibt? Warum es nicht selbst tun, wenn der größte Held und der übelste Schurke nach dem Tod einfach aufhören zu existieren, und alles Gute vergessen, und alles Böse vergeben wird? Warum nicht rausgehen und Menschen töten? Warum nicht eine korrupte, opportuinistische Hure des Schicksals werden?
Warum nicht? Wer sich diese Frage nicht stellt, steht nicht im Verdacht, seinen Verstand zu gebrauchen. Die Dummen beiseite, aber ein denkender Mensch, ein Gedankenverbrecher, wird sich natürlich die Frage stellen, warum es angesichts erdrückender Sinnlosigkeit nicht erlaubt sein soll, ein hedonistischer Extremist zu sein, - und da das Leben eines Jeden zu großen Teilen aus Leid besteht, wird Hedonismus auch rachsüchtigerweise Sadismus bedeuten.
Ich kann es nicht. Nicht, weil ich Angst hätte: gerade Angst müsste ich nicht mehr haben, wenn es für höllische Taten keine höllische Vergeltung gibt. Nicht, weil ich nicht nachgedacht hätte. Nicht, weil ich die Konsequenzen einer Welt, in der nichts heilig ist, verdrängt hätte. Ich kann es nicht, weil ich es nicht bin: ich bin nicht dieses Wesen, das nach der Pfeife des Zuckerbrotes und der Peitsche tanzt; ich bin im tiefsten Innern angeekelt von der Ansicht, Recht auf all das zu haben, wozu ich die Macht hätte. Ich kann Gott leugnen, aber ich kann mich selbst nicht leugnen.
Ich weiß nicht, ob es Gott gibt, und auf wessen Seite er ist, wenn es ihn gibt. Ich weiß aber, auf wessen Seite ich bin. Hier stehe ich, und will nicht anders. Ich kann anders, denn sonst wäre ich nicht frei, und meine Entscheidung wäre nicht meine. Ich will nicht anders, als die bloße Macht für nichtig zu achten. Ich will nicht anders, als mich vor dem, was mir heilig ist, tief zu verneigen, ungeachtet dessen, dass es nicht die geringste Macht hat, ja völlig wehrlos ist.