Sonntag, 8. Juli 2018

Folter und Vergebung





Ein bestialischer Sexualmord an einem Kind. Der Vater des Kindes ermittelt heimlich auf eigene Faust, findet den Täter, und lässt ihn solange leiden, bis dieser fühlt, was er dem Kind und seiner Familie angetan hat. Ein böser Mensch, der Vater, denn ein guter Mensch würde nicht selbst zum Monster werden, würde niemals so tief sinken, sondern das Recht walten lassen. So sehr das Zutodefoltern des Täters unmenschlich und abstoßend wirkt, wirkt das "Richtige" bestenfalls feige und apathisch, strenger kalt und automatisch. Wer liebt, ist kein Monster, und das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Handelt es sich nun um zwei gegensätzliche Alternativen, oder wird bei diesem Entweder-Oder eine menschenverachtende Ideologie bedient?

Was ist das wahre Gegenteil des rächenden Handelns? Wirklich das Vertrauen auf die Härte des Gesetzes? Nein, die beiden Alternativen sind windschief zueinander, haben nichts miteinander zu tun. Um dies zu begreifen, muss man erst verstehen, was der Rächer will: der Rächer will vergeben. Der Rächer will Reue sehen, denn der Täter soll nicht irgendwas Furchtbares empfinden, egal was, sondern genau das, was er selbst einem Anderen angetan hat. Der Rächer will die Seele des Täters vor der Hölle retten. Natürlich weiß er das nicht, denn er lebt in einer Zeit, in der nur die sogenannte Alternative zur sogenannten Selbstjustiz gesetzlich geregelt ist. Als die Scheiterhaufen noch brannten, gab es ebenfalls den gesetzlichen und den privaten Weg der Vergeltung und Vergebung - abgesehen von sadistischen Trittbrettfahrten war es die Vergebung, die durch die Vergeltung möglich gemacht wurde.

Wer heute von Vergebung spricht, meint nicht die Reinigung der Seele des Täters, die Tilgung der unerträglichen Schuld, die, wenn sie krankerweise nicht bereits empfunden, durch Schmerz und Leid fühlbar gemacht wird, - nein, man meint, dass dem Täter mit breitem Grinsen vergeben wird, und seine Schuld damit vergessen. Die gesetzliche Strafe will auch keine Seelen retten, sondern ein abgefallenes Rädchen ins Getriebe zurückschrauben, resozialisieren. Das moderne Rechtssystem ist ein auf einer nihilistischen Ideologie basierendes Glücksspiel, in dem jeder hofft, dass der bestialische Kindesmord der anderen Familie passiert, dass der Nachbar überfallen und misshandelt wird, und nicht man selbst. Passiert - Pech gehabt. Jede darüber hinaus wertende Aussage ist heiße Luft, esoterischer Kitsch. Harte Währung ist nur die so oder solange Haftstrafe in einem Kaufvertrag, den der Täter ohne Einwilligung des Opfers mit dem Gesetzgeber zu vorab geklärten Konditionen vereinbart.

Dass sich der Autor die Scheiterhaufen und die Folterbänke keineswegs zurückwünscht, versteht sich von selbst, und er zweifelt gar sehr daran, dass es viele Leser geben wird, die die Vorzüge der Moderne so bewusst wahrnehmen und so hoch schätzen wie er selbst, - aber aus der begründeten Ablehnung darf kein Tabu entstehen, das Schreckliche verstehen zu wollen. Hat man es verstanden, dann begreift man, dass das Gegenteil von einem gesetzlosen Rächer, der den Täter fühlen lassen will, was dieser dem Anderen angetan hat, nicht der gesetzestreue Bürger ist, sondern eine geheime Bürgermiliz, die in ihren Kellern Folter- und Vernichtungslager errichtet, um den Verbrechern völlig unabhängig von den Besonderheiten dieser oder jener bestimmten Tat die mit wissenschaftlichem Beirat schlimmstmöglichen Schmerzen anzutun. Niemand schreit: fühlst du jetzt, was du meinem Kind angetan hast!? - nein, kalt und automatisch werden sie das Quälen und Töten vollziehen, und irgendwann wird die berechnende Intelligenz ihnen nahelegen, es präventiv zu tun.