Freitag, 22. Dezember 2017

Was willst du?





"Was willst du? Was willst du?" "Einen Lamborghini". Nicht in der halbstarken Konnotation war die Eingangsfrage gemeint. Man wird langsam erwachsen (auf mich selbst beziehe ich mich hier retrospektiv, ich habe den Herbst 1998 im Sinn, aber es gibt durchaus Leute, die Glücklichen, die erst mit 30 und später anfangen, erwachsen zu werden). Dann wird einem die Frage gestellt, was man will. Mit einem diabolischen Lächeln, versteht sich. Denn der Rahmen dessen, was man wollen könnte, ist bereits abgesteckt, und man kann nur aus (wörtlich verstanden) gegebenen Möglichkeiten wählen.

Was will ich? Ich bin Mitte 15 und will ein schönes Mädchen kennenlernen, das mir ein furchtbares Geheimnis offenbart. Das Geheimnis lautet wie folgt: "Ich komme aus einer anderen Welt, und diese ist in Gefahr. Durch quantenmechanische Wechselwirkungen zwischen mehreren Multiversen ist die Feinstrukturkonstante meiner Welt ins Schleudern gekommen, sprich nicht mehr konstant. Du sollst dich nicht aufgrund meiner physikalisch am Rande der Unmöglichkeit befindlichen Schönheit mit mir verbünden, sondern um auch dein Universum, das ein Teil unseres gemeinsamen Multiversums ist, vor dem schwer-kräftigen gravitativen Untergang zu retten". Das will ich.

Nein, was willst du wirklich? Ingenieur werden, vielleicht Lehrer, oder Staatsminister, oder Universitätsprofessor? Selbstverständlich werde ich das Abitur machen und irgendetwas davon schon auswählen - um zu überleben. Aber ich werde mit komischen (statt kosmischen) Blicken dazu verdonnert, so zu tun, als dies bereits mein Lebensziel wäre. Ich frage nach: nicht einmal das Überleben, das jedes Tier zum Ziel seines Daseins genetisch auferlegt bekommt, soll mein Lebensziel sein? Noch weniger - ein Mittel zum Überleben als Lebensziel? Ihr habt da einen Menschen auf die Welt gebracht, keine Pflanze. Vom "Ebenbild Gottes" rede ich hier gar nicht - aber mein Selbst-Bewusstsein ist eine Tatsache! Wenn nicht mit Gott, dann doch mit Kant bin ich doch auch Bürger einer geistigen Welt. Und ich soll versteinern, anstatt in ihr zu leben?

Wir sind alle in Zwänge und Zwangszusammenhänge hineingeboren, und es macht keinen Unterschied, ob Kaiser Wilhelm oder die US-Notenbank für das Elend des 20. Jahrhunderts verantwortlich ist - auf den Knochen der Geschundenen haben unsere Eltern Eigenheime gebaut, worin sie uns Nächstenliebe und Gerechtigkeit gelehrt haben. Wir finden stets eine Welt vor, fangen nie neu an. Sind wir aber deshalb an all dem schuld, was vor uns war? Ich bezweifle, dass auch nur ein nach 1929 geborener Deutscher nach seinem Tod für Hitlers Verbrechen in die Hölle kommt. Politische Verantwortung (besser: historisches Erbe) und persönliche Schuld sind vier Schuhe. Kurz: wir sind weder an die Vergangenheit noch an die vorgefundenen Zwänge gebunden.

Warum binden wir uns dennoch daran, und lassen unser Leben davon bestimmen? Wer in einer Alkoholikerfamilie groß wurde, oder als Kind unter einer Scheidung zu leiden hatte, oder misshandelt wurde, gibt sich selbst die Schuld am Erlebten, um psychisch zu überleben, denn nur so kann das Kind in einer Illusion leben, nicht ohnmächtig zu sein. Warum bist du schuldig, Kind? Wenn ich nicht schuldig bin, habe ich nicht die Macht, etwas zu ändern, und bin übermächtigen Erwachsenen hilflos ausgeliefert! Kein Mensch hält das lange aus; von der totalen psychischen Umnachtung über Borderline bis zum Narzissmus bilden sich unterbewusst Schutzmechanismen, die später ein Leben lang fortwirken. Man entwächst seiner Ohnmacht und bleibt dennoch in ihr gefangen.

Was willst du also? Du. Nicht: was wählst du aus dem Vorgefundenen? Nicht: welche fremde Schuld fühlst du dich zu tragen berufen? Was willst du? Willst. Wollen. Wille. Dein Weg war lang:  aus dem Sein-Nichts-Gegensatz wurde über Sosein (Qualität), Teilchenhaftigkeit (Quantität), Mechanismus, Chemismus, vegetatives Nervensystem, Wahrnehmung, Verstand, Vernunft schließlich der Wille. Der Wille ist frei wie der Geist denkend und der Körper ausgedehnt. Was du willst, bestimmst du selbst, nicht die Umstände, nicht die Zustände. Ist das, was du willst, zufällig unmöglich? Dann schau auf deinen langen prähistorischen Weg zurück: dass aus Nichts etwas wird, dass aus Leblosem Leben wird, dass aus Unbewusstem Bewusstsein wird, ist unmöglich, aber es ist geschehen.

Montag, 18. Dezember 2017

Das Leben ist kein Ergebnisfussball





These: Wer in seinem Leben viel gelitten hat, hat eine hohe Sensibilität für das Leid anderer entwickelt, und wird ein gütiger und barmherziger Mensch. Antithese: Wer in seinem Leben nur Schlechtes erfahren hat, kann auch nichts anderes als ein schlechter Mensch werden. Beides kann nicht wahr sein, nicht wahr?

These: Wer sehr viel Glück hatte, wird ein glücklicher Mensch, und wird auch andere Menschen glücklich machen wollen. Antithese: Wer von Glück verwöhnt wurde, wird unsensibel und ignorant gegenüber dem Unglück der anderen; verwöhnte Menschen werden zu Monstern. Welche Aussage ist wahr? Gemeint ist nicht: was ist dein Standpunkt, ob du Optimist oder Pessimist bist, sondern was davon tatsächlich zutrifft. Die richtige Antwort ist: These und Antithese sind gleichermaßen falsch. Ob jemand ein guter oder ein schlechter Mensch wird, ist immer eine persönliche Willensentscheidung, und hängt nicht von den Umständen ab.

Doch die Umstände können so grausam sein, dass sie einen guten Menschen dazu treiben, zu töten, und du sollst ja nicht töten. Die Umstände können zu einem bösen Menschen so mild sein, dass er ein Leben lang fröhlich und friedlich lebt, ohne jemals seinen bösen Willen zu offenbaren. Der Wille ist kein bloßer Wunsch, sondern äußert sich in den Taten. Doch andererseits verraten die Taten allein noch nichts darüber, ob ein Wille gut oder böse ist.

Es ist durchaus möglich, dass einer, den alle nur als den Massenmörder oder Amokläufer von Musterstadt aus dem Fernsehen kennen, ein guter Mensch ist, und es ist genauso möglich, dass ein öffentlicher Heiliger in Wahrheit ein böser Mensch ist. Der Mensch wird nicht vor der Geburt dazu prädestiniert, gut oder böse zu sein, denn so wäre er Objekt und nicht Subjekt. Aber auch die Kontingenz der Außenwelt entscheidet nicht, was das transzendente Schicksal einer Seele ist, - und sei es durch die Taten, zu denen sie die Menschen durch Umstände treibt. Der freie Wille ist nicht nur frei zum Guten und zum Bösen, er ist auch frei von der äußeren Bestimmung durch Lebensverhältnisse und von dem durch Zufall und Kontingenz mitbestimmten Resultat seines Wirkens in der Welt, - und das ist immerhin frei genug, um ohne Misstrauen und Furcht an ein Leben nach dem Tod glauben zu können.

Samstag, 16. Dezember 2017

Heil





Das Heil liegt in der Ganzheit. Durch den Sund der Sünde von sich selbst getrennte Seelen finden kein Heil. Das Seelenheil ist kein Partikularvergnügen, sondern Glück als Ganzes, die Glückseligkeit.

Umso bizarrer ist der ewige Flirt der Menschheit mit dem Unheil. Das Kaputte ist mittlerweile ein Fetisch geworden. Unsere ganze Kultur ist vom Kaputten besessen. Das Heile kennen wir nicht mehr, und sobald wir versuchen, es vor- oder darzustellen, kommt heilloser Kitsch heraus.

Zur Erinnerung: das edle geistige Schönheitsideal für Leib und Seele ist die Zerbrechlichkeit, nicht die Zerbrochenheit. Die Romantik verklärt Zerbrochenheit als einen vermeintlichen Beweis der Zerbrechlichkeit, doch die psychisch-seelisch-geistige Mondlandschaft unserer Zeit ist nicht durch einen einzigen Biss in den falschen Apfel entstanden, sie ist vielmehr das Ergebnis brachialster psychosozialer Gewalt, das Resultat der unzähligen zwischenmenschlichen Atomkriege. Auch das Gröbste kann zerstört werden, aber auch das Feinste kann vor der Zerstörung bewahrt werden.

Du musst nicht kaputt sein, um zu beweisen, dass du ein Wesen von feinerer Struktur bist. Das Ich, der Kern der moralischen Persönlichkeit eines Menschen, kann überhaupt nicht kaputt gehen, da es nichts an sich hat, das zum Objekt werden kann. Das psychische Ego kann durchaus zerstört werden, und Abermillionen zerstörter Egos betreiben öffentlich Nabelschau im Wettbewerb darum, wer kaputter ist.

Als Subjekt, als moralisch verantwortliche Person, musst du deinen unzerstörbaren Kopf, dein unverwüstliches Ich hinhalten. Die Objektseite an dir solltest du aber schützen und pflegen, sofern es den höheren Pflichten nicht widerspricht. 




Donnerstag, 14. Dezember 2017

Gut





Handle so, dass das Prinzip deines Handelns ein allgemeines Gesetz sein könnte, fühlt man sich an Kant erinnert. Mit der Form der Gesetzmäßigkeit in seinem Handeln unterstreicht der Mensch seine Zugehörigkeit zum Reich der Vernunft: als bloßes Tier würde er allein affektiv handeln. Schon dadurch, dass der Mensch in der Lage ist, den logischen Sinngehalt des kategorischen Imperativs zu verstehen, ist er daran gebunden. Selbstredend handelt es sich hierbei um ein Ideal, und nicht um die Vorstellung, der Mensch könne und solle nur vernünftig handeln und seine Leiblichkeit und Naturhaftigkeit (die nichts als Heteronomie sprich Fremdbestimmtheit des eigenen Wesens ist: als Vernunftwesen gebe ich mir selbst meine Prinzipien, als Kreatur bin ich von einer meinem Wesen fremden Macht an eine objektive Realität wie Stoffwechsel, Fortpflanzungstrieb und Todesfurcht gebunden) verleugnen. 

Nun hat der moderne Mensch wahrlich kein Problem damit, dass er seine Kreatürlichkeit verleugnete und unterdrückte: er verhätschelt diese bis ins Ungesunde auf Kosten der Vernunft. Was er unterdrückt, ist der Zweck des ganzen Bühnenspiels, das unsagbar Böse, das Ich. Ein Scherz? Oder wie soll dies in einer Welt des Egoismus verstanden werden? Nein, wir leben in keiner Welt des Egoismus, wir leben in einer Welt der präegoischen Selbstsucht. Beispiele gern. Einen nicht nur peinlichen, sondern oft krankmachenden Tanz auf der Karriereleiter nennen wir Beruf, aus dem Wort Berufung abgeleitet. Eine medienwirksame Realisierung der nicht hinterfragten Ideale anderer nennen wir Selbstverwirklichung. Einen selbstzerstörerischen Lebensstil nennen wir egoistisch.

Die Gründe, weshalb das Weitere sich kaum Hoffnungen machen kann, verstanden zu werden, sind genannt. Ein psychisch verkrüppelter Mensch, durch den Glanz unbegrenzter Möglichkeiten tierischer Bedürfnisbefriedigung von seiner wahren Selbstverwirklichung, der Verwirklichung seiner Selbst abgehalten, wird sich um sein Ich nicht kümmern. Wer sein Ego isst, ist kein Egoist. Was wäre aber eine menschliche Selbstverwirklichung? Wohl wieder etwas Moralisches, denn wo soll sich sonst der Gegensatz zum Tierischen finden lassen?

Tertium datur. Handle so, - beginnt Kant den kategorischen Imperativ. Nicht: handle um. Du lebst nicht dafür, um dem Gesetz und den Propheten gerecht zu werden; du bist nicht auf der Welt, um moralische Gebote zu erfüllen. Es ist andersrum. Du bist da. Andere sind auch da. Um einen zwischen Vernunftwesen möglichen Frieden gewährleisten zu können, handelt ihr ethisch, und zwar nach der Form der Gesetzmäßigkeit. Empathie ist nicht genug: dein Handeln muss berechenbar sein, um dich als Vernunftwesen erkennen und dir vertrauen zu können. Doch es gibt genug Menschen, die glauben, im moralischen Handeln allein würde sich der Sinn des Lebens erschöpfen: sie sind auf der Welt, um moralisch zu handeln, um gut (als Mittel zum Zweck) zu sein.

Wenn es keine Selbstzwecke gibt, kann es auch keine guten Handlungen geben, denn für wen wären sie gut? Es sind die moralischen Prinzipienreiter, die aus der Welt eine Ethikmaschine machen, ein frommes aber sinnloses Theaterstück. Erst wenn du als Selbstzweck gut bist (Egoist), kannst du Objekt moralischen Handelns sein. Subjekt moralischen Handelns bist du bereits, indem du Vernunftwesen bist. Erst wenn du deine Mitmenschen Egoisten sein lassen kannst, bekommt dein moralisches Handeln ihnen gegenüber einen Sinn, denn sie sind Selbstzwecke, der Sinn ihres Seins ruht in ihnen selbst. Wer glaubt da zu sein, um Jesus nachzufolgen, würde auch Hitler nachfolgen. Er würde sich als Märtyrer verbrennen lassen oder als Selbstmordattentäter einen Bahnhof in die Luft jagen, - der Tod macht ihm nichts aus, weil in ihm nichts mehr zum Sterben da ist.

Dienstag, 12. Dezember 2017

Wert





Alle Menschen sind gleich. Aber nein doch! Jeder ist verschieden: äußerlich, charakterlich, und schmeckt anders, wie mir ein Vampir neulich versichterte. Aber alle Menschen sind gleich: gleich vor Gott. Weil alle sterblich sind? Ist der Tod also der hier gemeinte Gott? Wenn nicht, dann erstehen alle nach ihrem Tod so verschieden auf, wie sie schon zu Lebzeiten waren. Aber alle Menschen sind gleich, wusste schon Oma. Was meinte sie? Alle Menschen sind gleich viel wert.

Die Menschenwürde ist unveräußerlich. Jeder Mensch hat sie. Der Penner da, der Kaufmann dort, das Flittchen wie das Schneewittchen. Nur Gott, Jesus, Genosse Stalin ist mehr wert als wir alle, nämlich alles, und alle Menschen sind gleich viel wert, nämlich nichts.

Ein in sein Gegenteil verkehrter Nihilismus ist nicht das Christentum, für welches er gedankenloserweise gehalten wird. Anstatt gleicher Nichtigkeit von allem und allen die gleiche Nichtnichtigkeit zu postulieren ist desselben Geistes Kind.

Aber ganz am Anfang, vor unserer Entstehung - wie und wodurch auch immer - waren wir nicht alle dasselbe Nichts? Sind alle Schönheits- , Wert- und Charakterunterschiede zwischen uns nicht zufällig und nichtig, zumindest im Vergleich zu unserer Gleichheit angesichts des Nichts und des Absoluten? Wenn wir nicht gleich sind - warum schuf Gott uns so? Warum schuf er mich als jemanden, der weniger wert ist als der da oder die da?

Nichtigkeit und Zufall lässt alle Werte entstehen, die wir kennen. Wir wissen nicht, wovon wir reden, obschon wir wissen, was wir meinen, wenn wir die Ungeheuerlichkeit aussprechen, dass nicht jeder Mensch gleich viel Wert ist. Wir kennen den ungeschaffenen Teil von uns nicht, der uns unseren wahren Wert verleiht. Wir wissen nicht, ob jedes menschliche Wesen diesen göttlichen Funken in sich hat, und eine politisch korrekte gleichmacherische Behauptung, dies sei so, bringt uns nicht weiter.

Es fühlt sich für dich widerlich an, dass der Widerling dort nach absoluten, übermenschlichen Maßstäben mehr wert sein soll, ontologisch höher stehen soll, als du, aber zumindest dies kann man guten Gewissens mit allen Mängeln an empirischem Wissen behaupten: das Höhere kann gar nicht als ein Widerling erscheinen - ist er besser als du, so ist er auch reiner, und all deine Verachtung für ihn ist heimliche Bewunderung. Du hasst ihn vielleicht sogar, weil du ihm das, was ihn zu etwas Besserem macht, als du es bist, nicht nehmen kannst, selbst wenn du ihn tötest.

Die besseren, höheren Menschen sind nicht gottesfürchtiger, aufopferungsvoller und selbstloser, sie sind unabhängiger, in sich gekehrter und stiller, sie sind weiß wie Schnee, sie sind kalt wie Eis. Die Show, die uns Helden und Heilige präsentieren, ist für noch höhere Wesen eine schmutzige Peinlichkeit, ein moralischer Striptease, und eine Sünde: Höheres Niedrigerem zu unterwerfen, ist das Böse selbst. Wer diese letzten Worte versteht, braucht keine Worte, um Werte zu verstehen.

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Alle





Jeder Christ - und eigentlich jeder Mensch, der sich nur halbwegs tatsächlich, nicht bloß dem Anspruch nach, vom Tier unterscheidet - weiß, dass es das Beste ist, sein Leben keusch und enthaltsam zu verbringen. Dem Tier im Menschen entgegenkommend, deuten viele Theologen Keuschheit als würdevolle Schamhaftigkeit im Umgang mit der Sexualität, aber nicht als Enthaltsamkeit. Eine Verwässerung ist keine Verbesserung: entweder ganz bei der Wahrheit bleiben, oder eine andere Wahrheit suchen. Liberale, die Homo-, Hetero-, wie Bisexualität für lebbar halten, und auch geschmackvoll genug sein können, an Transsexualität und Sadomasochismus Gefallen zu finden, sind mir durchaus sympathisch, unsere kleinkarierten Freunde von der theologischen Fakultät nicht im Geringsten. Ich würde mir Theologen wünschen, die in der Öffentlichkeit die Ansicht vertreten würden, dass ein Gott, der den Menschen als sexuelles Wesen schuf, ihn/sie, sieihn/ihnsie, sie beide, sie dreide, nicht bloß für ehelichen Beischlaf zum Zweck biologischer Reproduktion, sondern eben auch für BDSM erschuf.

Ich wünsche mir aber auch Geistliche, die ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist die streng christliche Position vertreten, dass nämlich Enthaltsamkeit der beste aller irdischen Wege sei. Enthaltsamkeit für alle? Kein Sex für niemanden? In 100 Jahren lebt kein Mensch mehr auf der Welt! Wenn alle enthaltsam leben, stirbt die Menschheit doch aus! Das mag stimmen, aber an Sex zum Wohle der Menschheit mag man auch nicht wirklich glauben.

Nehmen wir alle. Betrachten wir sie. Beobachten wir, was Alle für ein Tierchen ist. Alle können sich ja nicht irren. Wenn alle Jesus als ihren Erlöser annehmen, kommen alle in den Himmel, und keiner mehr in die Hölle. Dann wird Gott die Hölle umsonst gebaut haben. Also müssen auch welche böse sein, sonst geht die Hölle kaputt. Schwachsinn? Eindeutig, aber in sich genau so stimmig, wie das Argument mit der aussterbenden Menschheit.

Man muss Prioritäten setzen. Wenn du - nach hoffentlich langem und erfülltem Leben - stirbst, mein lieber Freund, wo sind dann alle? Nimmst du sie mit ins Grab? Begleiten sie dich auf deinem Weg ins Ungewisse, womöglich ins Nichts? Dass es "alle" gar nicht gibt, wirst du spätestens an deinem Todestag erfahren. Wissen kannst du es bereits heute, indem du darüber nachdenkst. Alle ist ein Hirngespinst, ein Gedankenkonstrukt, du bist real. Alle ist abstrakt, du konkret.

Das Höchste, Reinste, Beste ist nicht das, was allen am Besten gefällt. Eine einzige Seele ist mehr wert als die gesamte Menschheit, wenn diese als das seelenlose "alle" auftritt. Eine Seele ist jedenfalls eine Seele mehr als null Seelen. Es ist eigentlich so leicht, das Glück nicht zu verfehlen, denn bei der Keuschheit weiß man bereits intuitiv, dass sie die beste Option ist. Jedoch weiß man auch - nicht erst seit Dostojewskij - , dass gerade weil es so leicht ist, glücklich zu sein, sich der Mensch so gern ins Unglück stürzt. Der Himmel kommt ihm dann angeblich langweilig vor - so langweilig, wie die Trauben dem Fuchs zu sauer sind.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Lebensheiligkeit





Zwischen Sexualität und Kinderzeugung besteht - wer vermag dies zu leugnen - ein natürlicher Zusammenhang. Gehen wir christlicherweise davon aus, dass das Leben heilig ist: was bedeutet dies für die Sexualität? Selbstredend, dass diese mit lebenszeugender Kraft ausgestattete Option nur in der Ehe und nur zum Zweck der Fortpflanzung zum Einsatz kommen darf. Mit Feuer spielt man  nicht, mit Sex erst recht nicht. Jeder Missbrauch der Fähigkeit, neues Leben zu zeugen, ist ein abscheuliches Verbrechen gegen die Menschheit und eine radikale Sünde.

Wenn das Christentum den Spaß am Sex verbietet, hat das Volk keinen Spaß mehr am Christentum. Es besteht ja kein Zwang im Glauben. Wird jedoch die Letztbegründung der Lebensheiligkeit - ein Gott, wie er in Judentum, Christentum und Islam vorgestellt wird - verworfen, so ist das Leben nicht mehr heilig. Was, wenn das Leben also nicht heilig ist, sondern nichts als das profane Fressen und Gefressenwerden? Dann ist nichts verboten, was rechtlich erlaubt ist, und im Grunde auch das rechtlich Verbotene erlaubt. Und natürlich jede Menge Sex, wann, wie und mit wem man will. Nun besteht aber immer noch ein Zusammenhang zwischen Sexualität und Fortpflanzung. Pflanzt man sich fort, mutet man einem wehrlosen Kind eine profane Welt des Fressens und Gefressenwerdens zu, zeugt es in ein von vorn herein sinnloses Leben. Jeder Mensch, der sich nicht nur dem Lippenbekenntnis nach vom Tier unterscheidet, würde bei dieser Sachlage auf die Fortpflanzung verzichten.

Es zeigen sich also zwei Optionen: 1) Sex ausschließlich zum Zweck der Fortpflanzung bei Annahme der Lebensheiligkeit und 2) Sex darf alles außer Fortpflanzung, wenn man die   Letztbegründung der Lebensheiligkeit verwirft. Andere Optionen wären möglich, aber nicht menschlich, sprich tierisch. Von einem Christen erwartet man die Empfehlung der Option 1, aber wie verlogen muss man sein, um mit offenen Augen und Ohren angesichts historischer und aktueller Ereignisse heile Welt spielen zu können?

Das Reich des Seelenheils ist eine Basisdemokratie, in der jeder für sich selbst entscheidet. Betrug - Pantheismus, Relativismus, Irrationalismus - ist zwecklos. Als leuchtendes Ideal lächelt über dem Horizont seit jeher die Option 0: kein Sex, keine Fortpflanzung. Die anderen zwei Optionen sind also bereits großzügige Zugeständnisse an die conditio humana, wie die Schwäche des Fleisches in der Existenzphilosophie genannt wird.

Mittwoch, 22. November 2017

Partystimmung





Warum haben viele auf einer Party eine seltsam niedergeschlagene Stimmung, welche nicht so seltsam wäre, wenn man sie auf einer Trauerfeier hätte? Trauerparties fühlen sich oft gerade wegen der gebotenen Fassade der Niedergeschlagenheit viel fröhlicher an als Feierparties. Die Fete an sich scheint ein auf tragische Weise komisches Phänomen zu sein.

Holen wir erstmal aus: wann spricht man von einem Doublebind? Wenn zum Beispiel Eltern einem Kind zwei sich widersprechende Gebote auferlegen: erfüllt das Kind das erste, verletzt es automatisch das zweite, und kann somit alles nur falsch machen. Tun Eltern dies unabsichtlich, sind sie schlechte Eltern; tun sie das absichtlich, sind sie böse Eltern. Nicht von schlechten Eltern ist jedoch das böse Doublebind-Paradigma, mit dem wir jetzt auf eine Party gehen.

Auf einer typschen Party findet man äußerst sexuell bedürftige junge Menschen, die sich auf dem hormonellen Höhepunkt ihrer biologischen Passivtätigkeit befinden. Alle sind geil, aber es sind nicht alle geil. Alle jungen Männer wollen was nur von den bestimmten zwei-drei jungen Frauen, und alle jungen Frauen sind nur auf dieselben zwei-drei junge Männer scharf. Alle anderen sind Statisten. Die weniger attraktiven Frauen haben dennoch grundsätzlich eine Chance, denn für eine einzige zu nichts verpflichtende Feuchttat sind sie für die meisten Männer attraktiv genug. Hinterher aber gelten Frauen, die sich darauf einlassen, als Schlampen, also lassen sich viele gar nicht drauf ein, und träumen weiter von einer festen Beziehung. Warum gehen sie nicht gleich nach Hause, ja warum gehen sie überhaupt hin? Dazustehen und neidisch auf die Titten der attraktiveren Geschlechtsgenossinen zu starren ist ja keine wirkliche Partystimmung.

Männer gehen hin, weil Frauen da sein werden. Bis auf zwei-drei Männer mit sozialem Top-Status haben alle anderen so gut wie gar keine Chance, beim anderen Geschlecht einen Erfolg zu erzielen.
Eine Party mit drei Alphamännchen und dreißig Weibchen wäre ja noch nicht ganz absurd, aber, wie ein Kollege über eine Diskothek einmal sagte: "Nur Schwänze!" - also ein Männeranteil von über 70%. Testosteron macht aktiver als Östrogen, weil es aktive aktionistische Aktivitäten aktiviert. Keiner hat eine echte Chance, aber alle gehen hin, weil Aktion und Aktionismus in der Biologie des Mannes liegt. Ein Hund sieht seinem Herrchen beim Essen zu. Der Hund kann nicht einfach nach dem Steak greifen, weil er dafür Stockhiebe bekommt, er kann aber auch nicht einfach weggehen, weil er scharf auf das Stück Fleisch ist. Der Hund bleibt einfach da und beginnt, sich am Ohr zu kratzen. Mit dieser einfachen Parabel lässt sich die Partystimmung des sexuell bedürftigen Menschen im Grunde erschöpfend beschreiben.

Manchmal beschreibt diese Parabel auch das Verhältnis eines Menschen zur Religion: einerseits will er in den Himmel kommen und der Hölle fernbleiben, sprich Lust empfinden und Übel vermeiden, - andererseits kann er nie wissen, ob das allmächtige Wesen, das diesbezüglich die Entscheidungsgewalt hat, und darum Gott genannt wird, wirklich existiert. Er kann sich nicht klar zum Atheismus bekennen, weil es Gott vielleicht doch geben könnte, und er kann sich nicht vollkommen in den Dienst Gottes stellen, weil alle Mühe, tugendhaft zu bleiben, und dafür auf jede Menge Lust zu verzichten, womöglich doch nicht lohnt, - wenn nach dem Tod nämlich einfach gar nichts kommt. Also sitzt er da und kratzt sich am Ohr, oder geht auf eine Party, was sowohl von der Art der Tätigkeit - hyperaktives, krampfhaftes und mühevolles Nichtstun - als auch vom Ergebnis her dasselbe ist.

Montag, 20. November 2017

Kleine Sünden





Gott vergibt große Sünden lieber als kleine, sagt Meister Eckhart. Augustinus muss es wissen - wahrscheinlich sind ihm alle seine Sünden noch zu Lebzeiten vergeben worden, da unter ihnen keine einzige kleine Sünde war. Was sind große Sünden? Die sieben Todsünden, natürlich. Aber zu abstrakt. Mord, Ehebruch, Verbrechen gegen sexuelle Selbstbestimmung, Versklavung, Folter, Umweltzerstörung, Herbeiführung künstlicher Hungersnöte - das sind, wird wohl jeder zustimmen, große Sünden.

Was sind kleine Sünden? Verbrechen gegen den eigenen BMI sind damit nicht gemeint. Nicht Schokolade oder ähnliches. Zu den kleinen Sündern gehört Lästern, Mobbing, Bossing, Beleidigung, methodisches Beleidigtsein, bürokratische oder busfahrerische Willkür. Sind doch Kleinigkeiten! Warum sind sie Gott zuwiderer als Betrug in der Liebe oder brutale Gewalt? Vielleicht ist Gott auch nur ein Mensch, denn für einen normalen Menschen sind große Sünden ebenfalls leichter zu vergeben als kleine.

Große Sünden passieren in der Regel aus großer Verzweiflung. Seltener ist es die pure - naturhafte (triebgesteuerte) oder willentliche (etwas tun, weil es so böse ist) - Bosheit, die einen Menschen zu großen Sünden ermutigt. Kleine Sünden passieren im Alltag, in dem ein Mensch unbehölligt sein kreatürliches Dasein fristet, wo ihm keiner mit dem Tode droht oder die Lebensgrundlage entzieht. Große Sünden haben in der Regel eine äußere Ursache, kleine Sünden eine innere.

Maximalen Schaden mit minimalem Aufwand anrichten um des Schadens willen - das ist pure Bosheit, die als bürokratische Willkür, Bösgläubigkeit in einer Talkshow, als Nichttat oder Kleinsttat ohne Risiko für den Täter und mit größtmöglichem Schaden für das Opfer auftritt. Wer eine kleine Sünde begeht, riskiert nichts, fürchtet um nichts, verteidigt sich nicht, sondern tut es aus purer Lust an der Bosheit, aus Schadenfreude. Geschützt durch Toleranzzwang und Gesetzeslücken machen kleine Sünden das menschliche Miteinander zur Hölle. Einen Menschen muss dies allein schon zutiefst anwidern, aber Gott hat noch andere Gründe, kleine Sünden mehr zu hassen als große.

Wer groß sündigt, weiß unmittelbar um die Schwere seiner Schuld. Eine große Sünde wird unter Qualen dem Gewissen abgerungen und bleibt immer im Bewusstsein. Eine kleine Sünde ist nach fünf Minuten vergessen, ein gesagtes oder nicht gesagtes Wort, eine geöffnete oder verschlossene Tür, eine falsche oder zurückgehaltene Information - was ist schon dabei? Dabei ist nichts weniger als der seelische Offenbarungseid, das Eingeständnis, nicht im Frieden leben zu wollen, Neid und Missgunst als permanenter Zustand, feiges Kriechertum und krankhafte Schadensucht.

Nicht dass etwas missverstanden wird: schlecht gelaunt sein, Unhöflichkeit, Sarkasmus, Nichtübereinstimmung mit der Meinung eines Gutmenschen zählen nicht zu diesen hässlichen kleinen Sünden, sie sind dem Soundnichtanderssein des menschlichen Miteinanders geschuldet. Wenn du jemanden z.B. einen Rassisten nennst, vergiss es, zwei oder ein oder ein halbes Vaterunser zu beten, belästige Gott nicht damit, - wenn du dies aber allein um der Provokation willen tust, weil du dir ausgerechnet hast, dass in der gegebenen Situation der Ausraster deines Kontrahenten sein Leben ruinieren würde, so kannst du dich schon mal auf Hitze, Trockenheit und Schwefel einstellen.

Freitag, 17. November 2017

Die feigen Verbrechen - Verzicht auf Notwehr und Verweigerung der Nothilfe





Jeder hat vom Hinhalten der anderen Wange etwas gehört, aber die wenigsten etwas verstanden. Beim Verneinen des Auge-um-Auge-Prinzips geht es um einen Racheverzicht, wenn man es sehr größzügig auslegen will, aber eigentlich nur darum, den Geist nicht dem Buchstaben unterzuordnen, sprich in jedem und jedem weiteren und nochmal anderen Fall nach seinem Gewissen zu entscheiden; es geht christlicherweise darum, Gerechtigkeit bewusst zu leben, denn maschinell gelebte Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Nächstenliebe ist des Menschen wie Gott ihn schuf unwürdig.

Wie verbrecherisch fahrlässig geht eigentlich der hinterhältige Hinhälter seiner Wange - und Zuhälter der Wange des zu beschützenden Schwächeren - mit dem Leben um, dass in der langen jüdisch-christlichen Tradition stets als heilig verstanden wurde? Was ist nachts an einem U-Bahnhof zu tun? Der Angreifer mag betrunken sein, eine schlechte Kindheit gehabt haben, einen der unglücklicheren Migrationshintergründe haben, oder einfach psychisch krank sein, - aber wieso muss ich mein Ich ihm opfern und mich an seine Stelle versetzen, an sein Leben, an seine Familie, an seine Zukunft denken? Was ist mit meinem Leben, mit meiner Familie, mit meiner Zukunft?

Ich habe großen Respekt vor Selbstmördern, die tot sind, und empfinde tiefe Verachtung für Selbstmörder, die noch leben. Die gescheiterten Selbstmordversucher sind nicht gemeint - gemeint sind die weltfremden Eskapisten, die geistlos über ihrem Leben, besser, ihrer Dahinvegetation schweben, die sich emotional von ihren Mitmenschen tragen, ihr Leben von sogenannten Umständen bestimmen und sich bereitwillig misshandeln lassen. Diese Charakterparasiten wähnen sich moralisch überlegen und charakterlich unverwundbar, dabei ist es nur das Nichts, das sie sind, das nicht verletzt werden kann. Sie leben nicht, sie werden gelebt; sie sterben nicht, sie sind schon immer tot gewesen.

Welchen Sinn hat es, ein gutes Leben zu führen, wenn man bereit ist, es einem Mörder vor die Füße zu werfen? Diese Opferhaltung ist ganz und gar nicht christlich, sie ist gottlos und nihilistisch. Wer sich nicht verteidigen kann, weil der Angreifer zu stark oder der Angreifer zu viele sind, ergreife die Flucht, werde listig, tu, was man tun kann, aber verfalle nur nicht in die Opferhaltung, denn diese zeigt dem Angreifer, dass man geschlagen werden will, und eben nicht die moralische Überlegenheit dieser falsch verstandenen Friedfertigkeit.

Wer als Erwachsener aus Feigheit keinen Mut zur Zivilcourage zeigt, ist ein erbärmliches Wesen, wer aber die Hilfeleistung aus der Kenntnis der Gesetzeslage oder aus rationaler Sorge um das eigene Leben unterlässt, handelt klug und pragmatisch, wenn auch kalt und gar brutal. Resultiert die Nichteinmischung in eine gefährliche Situation aus eigener gewissenhafter Abwägung, so ist sie zu respektieren, - und wer die Neutralität des Mitmenschen nicht respektieren will, breche zuerst die eigene.

Darf man einen Mörder töten? Man muss, wenn man den Mord ernst nimmt, und nicht als seelisch Toter über dem eigenen Leben, das selbstverschuldeterweise keines ist, Ehrenrunden schwebt. Darf man sich wehren? Natürlich. Streng genommen, hat man sogar die Pflicht dazu, sobald man auch nur den leisesten Zeigefinger in Richtung eines Selbstmörders hebt. Haltet die andere Wange hin - gebt zu, dass ihr Sünder seid, fehlerhaft, unaufrichtig, - werdet nicht hochmütig und wehrt Kritik nicht ab, bewahrt euch selbst vor moralischem Eigendünkel. Das ist es, was mit der anderen Wange gemeint ist. Verzicht auf Notwehr und Verweigerung der Nothilfe mit dem Feigenblatt der moralischen Skrupel zu rechtfertigen, ist nicht bloß beschämende Feigheit, sondern auch höchst perverse und in Anbetracht ihrer Konsequenzen sogar gemeingefährliche Feigheit.

Donnerstag, 16. November 2017

Mädchenerziehung und Massenmord





Man ekelt sich nicht nur vor der auf der Straße liegenden Hundescheiße, sondern - wenn nicht noch mehr - vor dem, der aus welchen Gründen auch immer sich auf der Straße hinkniet und sich die Hundescheiße in den Mund steckt. So scheiden Neid und Frust als Motivationen des Autors aus, das hier zu schreiben, denn es existiert nichts auf dieser Welt, worum der Autor einen anderen beneiden könnte, und Frust erzeugt höchstens die Tatsache, in dieser Zeit und auf dieser Welt geboren zu sein.

Liberalerweise legt man viel Wert darauf, dass die Frauen sich ihre Lebenspartner selbst aussuchen. In der Realität sieht die Damenwahl so aus, als würde man ein Kleinkind in einem Raum mit vielen großen roten Knöpfen aussetzen, auf denen steht: "Atombombe auf New York werfen" oder "In Brüssel Napalm regnen lassen" oder "Ebolavirus in Tokio aussetzen" usw. Die kleineren weißen und grauen Knöpfe bemerkt das Kind nicht, und die Konsequenzen der großen roten Knöpfe kann es nicht abschätzen, da es in der Regel nicht einmal lesen kann. Dadurch, dass die abscheulichsten Männer bevorzugt werden, tragen Frauen mit ihrer Partnerwahl den entscheidenen Teil zur Zerstörung dieser Welt bei, denn eine demoralisierte, moralisch indifferent gewordene Welt ist der ideale Nährboden für Charaktere wie Eichmann, Hitler oder sogenannte Amokläufer wie Breivik.

Viele werden sich angesprochen fühlen, wenige sind gemeint. Natürlich geht es um die schönen Frauen, sprich um jede 50-ste wenn nicht 100-ste Frau im Alter von 15 bis 30. Zu dieser Kategorie dürfen eher 8-jährige Mädchen als Hollywood-Sexbomben hinzugezählt werden, denn kein Mann  wird durch sexuelle Frustration gebrochen, es muss schon (enttäuschte) Liebe sein. Die klassische Mädchenerziehung war früher darauf angelegt, dass sich der Backfisch bei der Partnerwahl nicht vergreift; wenn die wohlerzogene junge Frau mit einer ehernen Selbstverständlichkeit lieber alte Jungfer bleibt, als dass sie männermäßig Hundescheiße frisst, hat die gute Erziehung ihr Werk vollbracht, - eine erfreuliche Nebensache, wenn die Dame nebenbei zwei-drei Sprachen gelernt hat und Klavier spielen kann.

Die wirklich verwahrlosten Kinder sind heute die bürgerlichen Mädchen. Wenn man sieht, welche weiblichen Promis deren Vorbilder sind, und für welche berühmten Männer sie schwärmen, muss man schwarz sehen. Den Jungs wird keine freiheitlich-demokratische Erziehung helfen (ob man ein Jahr Gymnasium streicht oder ein zusätzliches beifügt), angesichts solcher Mädchen nicht in den tiefsten Nihilismus zu verfallen, - und bei allen alibimäßigen Ausrufen wie "Nie wieder Auschwitz!" ziehen die Kinder und Enkel der Weltkriegsgeneration die Massenmörder von Morgen heran.

Verzweiflung ist angesichts solcher Befunde dennoch verfrüht. Noch gibt es die Möglichkeit, eine lesbische Elite auszubilden, die den Eltern ihre schönen Mädchen (das sind nur 1 bis 2%) wegnimmt, und in transhumanistischen Klöstern zu edlen Miezen erzieht. Diese könnten später die Schlüsselpositionen in Film und Fernsehen, Kunst und Kultur übernehmen, und wie Göttinnen über die Welt der Sterblichen schweben, ohne jemals den Boden zu berühren. Im Bewusstsein, dass die Schönheit nicht entweiht wird, wird erstmals ein tiefgreifender Weltfrieden möglich sein, denn die allererste Voraussetzung dafür ist der Wille zum Weltfrieden, der in einem Klima des Ekels, der Verachtung, der moralischen Indifferenz niemals entstehen könnte.

Montag, 13. November 2017

Was geschieht mit dem Bösen in der Hölle?





Nein, wer pubertiert und masturbiert, kommt sicherlich nicht dafür in die Hölle. Das moralisch-voyeuristische Interesse der Erwachsenen an der jugendlichen Sexualität - damit die Kindlein ja nicht sündigen - ist nur eine weitere Form des Kindesmissbrauchs. Mit ethischer Erziehung hat die Vergewaltigung des Gewissens nicht zu tun, auch nichts mit Religion, und noch weniger mit Aufklärung, - dass fahrlässige Schwangerschaft eine Sünde ist, macht das sexuelle Begehren und die Selbstbefriedigung noch nicht zu Kapitalverbrechen.

Woher weiß ich denn, dass man fürs Surfen im Internet mit offener Hose nicht in die Hölle kommt? Glauben ist, so Kant, ein subjektives Fürwahrhalten mit objektiv unzureichenden Gründen. Da Gott, das Absolute, unergründlich ist, kann ich nicht von ihm wissen, sondern nur an ihn glauben. Wissen kann ich nur, was Gott nicht ist: ein anthropomorpher Willkürherrscher, ein perverser Despot, ein grausamer Tyrann. Es gibt Religionen, die sich so einen Gott halten. Es sind allesamt Barbareien, die Kinder, welche in ihre Kulturkreise hinein geboren werden, psychisch (und nicht nur) misshandeln. Beim gegenwärtigen Stand der menschlichen Entwicklung gehören solche als Tradition getarnten Barbareien nicht toleriert, sondern kriminalisiert - weltweit, denn auch die abendländische Medizin heilt weltweit, und auch vor den Produkten westlicher Computertechnologie holt man sich weltweit einen runter.

Zur Hölle also mit den faschistoiden pädokriminellen Kulten, Religionen und Traditionen, - nun aber zur Hölle selbst. Kann man denn bei Trost behaupten, ein sadistischer Mörder, ein Kriegsverbrecher oder ein Menschenvernichtungsmanager etwa von Auschwitz verdiente die ewige Qual in der Hölle? Jedes Verbrechen, sei es noch so abscheulich, ist eine endliche Tat. Ist eine ewige Vergeltung nicht zu grausam, um gerecht zu sein? Gute Frage. Ist dann aber auch das ewige Himmelreich nicht zu viel des Guten? Keiner ist so gut, dass er auf ewig Glückseligkeit verdient hätte. Wieso klingt dies nun absurd, während der Einwand gegen die ewigen Höllenqualen so logisch ist?

Was wird vor, durch und von Gott gerichtet? Die endliche Tat? Diese soll, soweit es die zivilisatorische Entwicklung auf Erden erlaubt, zu Lebzeiten vergolten und gesühnt werden. Gott, der Unendliche, hat nichts mit der endlichen Tat zu tun; die endliche Tat geht ihn nichts an. Was Gott interessiert, ist der unendliche Wille.

Der sadistische Mörder tut seinem Opfer soviel an, wie physisch und phantasietechnisch möglich ist. Stellen wir uns vor, es wäre möglich, eine Höllenmaschine zu bauen, und Menschen damit ewig zu quälen - indem man etwa die erlebte Zeit ins Unendliche dehnen würde - , - wer will nur einen Cent darauf verwetten, dass eine solche Maschine nicht in kürzester Zeit zum Einsatz käme? Haben die Menschenvernichter von Auschwitz nicht mit dem Gedanken gelebt, sie würden die Vergasten direkt in die Hölle schicken? Wir sehen: beim endlichen Menschen scheitert es nur daran, dass sein menschliches Opfer sterblich ist, - sonst würde weder Gewissen noch Vernunft ihn dabei aufhalten, ewige Höllen für seine Mitmenschen zu errichten.

Die Hölle für das Böse ist verdient: nicht für die endliche Tat, sondern für den unendlichen Willen. Damit ist ausgeschlossen, dass für eine grausame Tat, der nichts als Verzweiflung zugrunde lag, die Tore der Hölle einem einmal aufgetan und für immer hinter einem geschlossen werden. Der böse Wille will aber kein erlittenes Böses rächen, sondern er will grundsätzlich das Böse tun, - nein, nicht immer, und auch nicht immer öfter, sondern nur sich alle Optionen offen halten, seinen Egoismus absolut setzen, und das Absolute relativieren.

Was geschieht mit dem Bösen in der Hölle? Wird er gegrillt, gepeitscht, wird ihm Sex vorenthalten, wird er gedemütigt, erniedrigt und beschämt? Nichts dergleichen. In der Hölle zieht nur alles Gute sich vom Bösen zurück, und lässt das Böse - und somit den Bösen, den bösen Willen, - mit sich selbst allein. Die Hölle ist der Ort, an dem das Böse ganz bei sich selbst ist. Alles Gute, alles Positive, alles, was negiert werden könnte, ist fort, das Böse kann nur noch sich selbst negieren. Somit ist auch der Widerspruch vom gequälten und quälenden Teufel gelöst: der Teufel kann nicht der Bademeister im Lavasee sein, und der zum Schwimmen Eingeladene zugleich, aber das muss er auch nicht, denn sein Wesen ist das Verbrennen, und da es in der Hölle nichts außer dem Bösen gibt, verbrennt das Verbrennen, negiert das Negieren sich selbst.

Ist die Hölle ewig? Ja, wenn der böse Wille ewig auf sich selbst beharrt. Er ist das Negierdende und das Negierte zugleich, und macht sich selbst somit die Hölle heiß. Gibt der Böse seinen Willen auf, so ist er nur noch das Negierte, aber nicht mehr das Negierende, - er wird vernichtet und erlöst. Wenn der transzendente Träger des Willens, die berüchtigte Seele, auch ontologisch seiend ist, erweist sich die Hölle im Nachhinein als das Purgatorium, und die gereinigte Seele lebt weiter und kann wieder in die positive Existenz treten.

Mittwoch, 8. November 2017

Egal ist nicht gleich





Nihilismus ist eine durchaus gesunde Lebenseinstellung. Nihilismus, zu dem man sich nicht bekennt (wie etwa im atheistisch-sozialistischen Gutmenschentum) ist eine Krankheit, aber nicht im medizinischen, sondern im diskurs(theor)ethischen Sinn: ihr seid ja krank!

Im Nihilismus gilt der Grundsatz, dass im Grunde alles egal ist. Viele (aufrichtige wie verlogene) Nihilisten verstehen dieses Prinzip falsch, nämlich als ein Dogma der absoluten Gleichheit aller Menschen, Dinge und Taten. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass aufrichtige Nihilisten weniger zu dieser totalen (und politisch totalitären) Gleichmacherei neigen, - allein schon deshalb, weil sie ihren Nihilismus nicht hinter einer aberwitzigen Maske der Marke "Weltverbesserer" verstecken, sondern sich offen dazu bekennen, dass das Leben als Ganzes sinnlos ist.

Nun ist unbestritten, dass es leckerere und eher fade schmeckende Früchte und Pralinen gibt, schönere und hässlichere Menschen, edle und verachtungswürdige Taten (die auch nach dem Wegfall der Moral ästhetisch das bleiben was sie sind), Siege und Niederlagen, Glück und Unglück. Der nihilistische Standpunkt ist nicht, dass ein Sieg und eine Niederlage dasselbe sind, sondern dass es letztlich egal ist, ob man gewinnt oder verliert. Der Nihilismus sagt nicht, dass ein Lügner und ein ehrlicher Mensch moralisch gleichwertig sind, sondern dass es am Ende egal ist, ob man ein guter oder ein schlechter Mensch ist.

Ob alles erlaubt ist, wenn es Gott (einen höheren, verbindlichen, absoluten Sinn des Weltganzen) nicht gibt, ist für den aufrichtigen Nihilisten eine unsinnige Frage, denn wo alles egal ist, ist nichts geboten, und darum kann weder etwas erlaubt noch etwas verboten sein. Die atheistisch-sozialistische Gutmenschenbewegung (ein faschistoider Humanismus) lässt keinen noch so privaten Lebensbereich von der Schikane der Gebote und Verbote aus. Nichts ist ihnen egal, aber alles ist ihnen gleich. Während der aufrichtige Nihilismus ("alles ist egal") also eine vertretbare und respektable Weltanschauung ist, ist der verlogene Nihilismus ("alles ist gleich") eine perfide Ideologie, und der Atheismus des verlogenen Nihilisten eine monotheistische (oder monohumanistische) dogmatische Religion ohne transzendenten Gott und mit nach Lust und Laune austauschbaren heiligen Schriften.

Montag, 6. November 2017

Suizid entspannt betrachtet





Man stelle sich Folgendes und noch Folgenderes vor: es ist menschlich eng und zwischenmenschlich schwül, die Stimmung ist gereizt, wie an Weihnachten, und die Familie ist kurz davor, am Hass, der sie all die Jahre zusammengehalten hat, zu zerbrechen. Da kommt auf einmal einer, egal wer, aus dem Badezimmer angerannt, und berichtet, dass einer, egal wer, tot in der Badewanne liegt, und neben ihm eine Rasierklinge. Endlich dürfen all die aufgestauten Gefühle raus, die, wenn sie ohne Anlass mitgeteilt worden wären, für großen Ärger gesorgt hätten; nun aber darf all die Wut aufeinander, all die Enttäuschung, Frust, Trauer, alles ans Licht, und keiner sagt jetzt, du sollst dich nicht so anstellen, im Gegenteil, man wird verstanden und getröstet, denn man hat soeben einen Angehörigen an den Suizid verloren.

Ach ja, der Suizid. Meist werden die Leute bei dem Thema sehr emotional: da meldet sich das limbische System, der tierische Teil des Hirns. Der menschliche Teil des Hirns wird ausgeschaltet, wo gerade bei diesem Thema Menschlichkeit doch angebracht wäre.

Mag sein, dass der Suizid ein Weglaufen vor Problemen ist, aber das wahre Problem so vieler Menschen ist, dass sie vor dem Suizid weglaufen. Sie tun einfach irgendwas, einfach um sich nicht umzubringen: einfache Menschen, die es sich zu einfach machen.

Nirgendwo sind Mut und Feigheit so nah beieinander wie im Suizid: zu feige, sich als z. B. homosexuell oder z. zweiten B. als Missbrauchsopfer zu outen, fasst man den Mut zum Freitod. Ja, Freitod, nicht Selbstmord: der Suizid ist ein Fest der Freiheit. Der Verzweifelte, dessen Selbstwertgefühl bodenlos versunken ist, hat im Moment des Entschlusses zum Suizid die Macht über Leben und Tod; der von Situationen, Beziehungen und Problemen Versklavte ist ein stolzer freier Mensch, der selbst entscheidet, all dem, was ihm das Leben zur Hölle macht, vorauseilenden Gehorsam zu leisten, und sich umzubringen.

Die wenigsten Menschen werden so edel sein, sich ohne äußeren Grund das Leben zu nehmen, - etwa aus der Einsicht, genug gelebt zu haben, und aus der Willenskraft, das eigene Leben wirklich frei und selbstbestimmt abzuschließen. Wer sich umbringen will, befindet sich in der Regel in einer subjektiv (und allzuoft auch objektiv) ausweglosen Situation, und es ist aufgrund der natürlichen Neigung aller Lebewesen, sich am Leben zu erhalten, sowie der angeborenen Frucht vor dem Tod und der Angst vor dem Sterbeprozess davon auszugehen, dass der angehende Selbstmörder alle alternativen zum Suizid erschöpft, bevor es sich entschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Die Befindlichkeiten Hinterbliebener nach einem Suizid lassen sich in den Vorwurf "Warum hast du uns das angetan?" zusammenfassen. Der egoistischen Ansicht von Eltern, Lebenspartnern, Kindern oder Freunden nach hat der sogenannte Selbstmörder nicht sein eigenes Recht auf Leben (welches ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod beinhaltet) wahrgenommen, sondern eine ihnen nahestehende Person ermordet: ihr Kind, ihren Lebenspartner, ihren Verwandten oder Freund. Dass solche Besitzansprüche auf einen Menschen dem Zeitalter des Sklaverei angehören und gegen das Recht auf Leben verstoßen, ist leicht einzusehen, aber von der nihilistischen Annahme der objektiven Nichtigkeit aller Rechte und der Relativität aller ethischen Urteile ausgehend, darf nur eine Kritik der Befindlichkeit der Hinterbliebenen geführt werden.

Der Sohn, der Lebenspartner, die Mutter eines an Suizid Gestorbenen ist untröstlich traurig, was ihm als Folge seiner Tat vorgeworfen wird. Wie traurig muss aber ein Mensch sein, der sich selbst das Leben nimmt? Jedenfalls viel trauriger als die Hinterbliebenen, deren Trauer sich im Weinen und Gedenken leicht erschöpft, - und täte es sie nicht, wäre ihr Leben so unerträglich geworden, dass sie ihm ins Grab gefolgt wären. Wer als Angehöriger eines sogenannten Selbstmörders diesem seine Gefühle zum Vorwurf macht, beleidigt die Gefühle des Unglücklichen, indem er ihm einen emotional nicht hinreichenden Grund für den Freitod vorwirft: wer es sich psychisch leisten kann, an seine Angehörigen zu denken, ist in der Tiefe seiner Trauer noch nicht so weit, sich umbringen zu können. Wenn sich jemand aber selbst getötet hat, so ist davon auszugehen, dass seine Verzweiflung tiefer war als die Trauer seiner Hinterbliebenen nach seinem Tod jemals sein könnte.

Samstag, 28. Oktober 2017

Das unmotivierte Böse





Große Schurken sind oft große tragische Figuren, aus denen auch große Helden hätten werden können. Selbstredend sind es immer eigene freiwillige Entscheidungen, die einen zum Bösewicht machen, denn wenn der Wille unfrei wäre, wenn menschliche Schicksale von den Launen des Zufalls abhängen würden, wären Wertungen wie "gut" und "böse" sinnlos. Sinnlos ist aber der Löwenanteil des Bösen in der Welt: nur im Film, in der Literatur, in einem auf sinnvoll getrimmten Weltbild sind es die Schurken, die das meiste Böse anrichten. Im wahren Leben entsteht das Böse im Regelfall aus Ignoranz und Dummheit.

Wir ertappen uns dabei, große Schurken zu mögen, weil sie eindeutig böse waren, weil sie zum Bösen, das sie taten, standen, und es nicht en passant, sondern aus Überzeugung taten. Wer es im Tun des Bösen persönlich meint, respektiert wenigstens den Mitmenschen als Person. Eichmann war sich keiner Schuld bewusst, weil er es nicht persönlich meinte, sondern nur den Befehlen gehorchte. Das radikale Böse, von dem Kant in der "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" spricht, erfordert ein klares Bewusstsein von Gut und Böse. Die von Arendt festgestellte Banalität des Bösen erfordert überhaupt kein Bewusstsein.

Die heimliche Verehrung der großen Tyrannen sowie der Kult um die psychopathischen Serienmörder lassen sich teilweise durch das klare Weltbild erklären, das sie durch ihre Taten befördern: hier der gute Mensch mit seinem guten Willen und seinen guten Werken, dort der Bösewicht, der Böses tut, weil er Böses will. Den Bösewicht kann man hassen, man kann seinen Tod wünschen, und dieser wäre nur gerecht. Wenn man jedoch nicht persönlich gemeint wurde, als einem Böses widerfuhr, wenn man für den rücksichtslosen oder bloß automatischen Täter kein Mensch, sondern eine bloße Ziffer war, - wem soll man vergeben, wenn man die Größe dazu hat?

Das feige, nicht so gemeinte, bloß ignorante Böse entmenschlicht und verdinglicht. In einer Gesellschaft, in der die Verdinglichung die Norm ist, und die Menschenwürde nur ein Lippenbekenntnis, fällt es allerdings überhaupt nicht auf. Wenn einen das unmotivierte Böse einfach so, ohne Grund trifft, kann man nicht anders, als zu fragen: warum? Doch ein Blick in die Menschheitsgeschichte genügt, um zu begreifen, wie sinnlos diese Frage ist. Die ganze Geschichte ist ein unmotiviertes Gemetzel.

Es gibt womöglich einen Trost: große Schurken kommen in die Hölle, ins Fegefeuer, wohin auch immer, wo die Läuterung stattfinden kann, denn die Seele lebt ewig. Die Guten kommen zunächst in ein hygienisches Purgatorium, und dann ins Paradies, denn die Seele lebt ewig. Die Ignoranten und Verlogenen, die ichlosen und automatischen Subjekte kommen nach ihrem Tod nirgendwohin, denn Seelenloses stirbt mit seiner Materie. Nichts wird zu Nichts.

Sonntag, 22. Oktober 2017

Leib und Seele





Der Körper ist das, was bei einem Tritt von Hinten in die Beine umfällt, sein Dasein ist sinnlich so evident, wie das Rot der Karte. Die Seele wiegt 21000000 Mikrogramm, ist sehr feinstofflich, und unsichtbar, nein? Dann nicht. Von mir aus ist sie überhaupt nicht stofflich, muss aber irgendwie in den Leib kommen. Descartes, der alte Mathematiker, vermutete das Loch, durch welches die Seele in den Leib kommt, in der Zwiebeldrüse im Hirn. Wenn nun diese Zwiebeldrüse selbst stofflich ist, dann muss wiederum eine Zwischendrüse zwischen der Zwiebeldrüse und dem rein Geistigen hin, damit sich die ausgedehnte Materie mit der denkenden verbinden kann. Wenn die Zwischendrüse zwischen der Zwiebeldrüse und dem Reich der Geister stofflich ist, muss eine weitere Zwischendrüse her, und so weiter ins Unendliche. Die Verbindung zwischen Körper und Geist kann nicht körperlich sein, - ist sie vielleicht geistig? Wenn ja, dann nicht wie viele, sondern wie wirkt sich etwas rein Geistiges ohne stoffliche Verbindung auf Körperliches aus? Gar nicht, das heißt, entweder sind Leib und Seele als Einheit, monistisch zu denken, oder man denkt sich das denkbar Undenkbarste herbei.

Der Leib ist evident: wir sehen ständig - oft unerfreulicherweise - Leiber anderer Leute. Auch der eigene Leib ist evident, wenn er jeden Tag neuen Hunger hat, sich an derselben Eckkante stößt, und an derselben Muskelfaser reißt. Die Seele ist eine Hypothese - von Außen gesehen. Von Innen gesehen, gibt es nichts Evidenteres, als die Seele, das Ich, die Perspektive der ersten Person: wir können nicht anders als ichhaft, als Seelen, existieren.

Welche Sicht ist die Wahrere? Alle Erkenntnisse über unsere Welt - und viele davon haben sich als so richtig erwiesen, dass wir die Welt nach unseren Bedürfnissen derart umgestaltet haben, dass wir an die Stelle der natürlichen die degenerative Auslese setzten - kommen von der Außenperspektive. Alles Interesse daran, überhaupt etwas erkennen zu wollen, kommt von Innen.

Äußerlich gesehen, braucht alles, was da ist, eine erste Ursache. Gott muss ein Schweizer gewesen sein: das Universum läuft präzise wie eine Uhr, und ist ein löchriger Käse. Evident ist aber nur, was tatsächlich da ist. Was mal war, ist Dichtung. Hören wir jedoch auf, uns die Welt als unter Naturgesetzen (und der Kausalität) stehend zu denken, ist jeder Unsinn möglich, warum dann auch nicht die absurdeste Schöpfungsgeschichte. Als rationale Naturalisten müssen wir uns die Welt als ausnahmslos unter Naturgesetzen stehend denken, und kommen so zwangsläufig zu Fragen, die an die Grenzen des theoretischen Erkennens stoßen.

Innerlich gesehen, ist die Unsterblichkeit der Seele evident. Wir können nicht anders handeln, als unter der Idee der Willensfreiheit (wenn sie auch stets nur implizit allen Entscheidungen zugrunde liegt), obwohl wir uns sehr wohl vorstellen können, dass alle außer uns selbst unfrei handeln, und der Mensch an sich keinen freien Willen hat. Wir können unser Leben nicht anders leben, als wären wir unsterblich (weil wir Personen sind: wir haben nicht nur ein Bewusstsein, sondern auch ein Selbstbewusstsein, sprich denken uns bei jeder unserer Erfahrungen selbst mit), obgleich wir durchaus in der Lage sind, theoretisch anzunehmen, dass der Tod des Körpers auch das Ende der Seele bedeutet.

Die beiden Perspektiven, Innen und Außen, sind nicht aufeinander reduzierbar: weder der Materialismus noch der subjektive Idealismus erfassen die ganze Wirklichkeit. Es kann natürlich nur eine Wirklichkeit geben, aber diese Einheit ist schonmal mehr als eine Zweiheit. 1 größer 2 gleich 3? Das ist Mystik, und das ist Vernunft. Wem die Vernunft zu hoch hängt, für den wird sie in der offenbarten Religion bildlich vorgestellt.  

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Langeweile





Ich sitze vor dem PC und trinke Tee. Mir ist langweilig. Ich quäle mich durch den Abend. Auf einmal ist es, als hätte jemand einen Zauberknopf gedrückt: ich sitze vor dem PC und trinke Tee. Ich bin glücklich. Was ist los? Und was war los? Warum wird eine für den äußeren Beobachter identische Situation mal als langweilig, mal als lebenslocker empfunden? Nein, locker ist hier keine Schraube, und mystisch ist daran zunächst noch nichts.

Wer sich langweilt, weiß nicht, was er gerade tun soll. Doch es gibt immer mehr zu tun, als man Lebenszeit hat. Das ist das Problem: man kann keine Prioritäten setzen. Nun gibt es Menschen, die das können. Ich kann das, doch ich langweile mich durch den Abend. Wieso? Ich könnte alles mögliche tun, aber das dringendste Bedürfnis, den sexuellen Harndrang, kann ich derzeit nicht befriedigen. Ich bin zu müde dafür, aber wegen der Geilheit zu unkonzentriert, um an etwas anderes zu denken. Doch ich kann den Schalter von einem Moment auf den nächsten umlegen: ich beschließe, dass ich jetzt einfach mal Tee trinke.

Wie schaltet man quälende Bedürfnisse, die man gerade nicht befriedigen (oder nicht befriedigend befriedigen) kann, aus? Nicht indem man sie verdrängt oder versucht, sich abzulenken. Indem man Wachsamkeit übt. Ich weiß, was mir fehlt. Und jetzt trinke ich Tee.

Wer meint, glücklich sei derjenige, der seine Bedürfnisse stets befriedigen kann, der irrt: Bedürfnisse regenerieren sich, werden immer mehr, immer anspruchsvoller. Machen wir uns nichts vor: wir sind alle drogensüchtig. Essen, Trinken, Sex, Vergnügen, Unterhaltung, Selbstmitteilung, Selbstdarstellung, Selbstverwirklichung: jeder ist süchtig danach, oder zumindest abhängig davon. Gäbe es eine Pille gegen den Hunger mit allen vom Körper benötigten Nährstoffen: kaum jemand würde sie nehmen. Gäbe es eine Pille, die den Sexualtrieb direkt im Gehirn stillen würde, keiner würde sie schlucken. Der menschliche Organismus ist in einem serotonergen Teufelskreis aus Sucht und Befriedigung gefangen.

Es geht aber gar nicht darum, alle Bedürfnisse für immer zu befriedigen. Das kann höchstens der Tod leisten. Es geht darum, im Jetzt wachsam zu sein, seinen Willen von allen möglichen Objekten der Lust zurückzuziehen, und Tee zu trinken.

Wer sich langweilt, gleicht Tantalos in der Unterwelt, oder aber Buridans Esel. Tantalos steht für den von quälenden Bedürfnissen heimgesuchten Menschen, der auf seine Objekte der Lust die ganze Zeit fixiert ist, sie aber niemals zum Greifen bekommt. Buridans Esel kann sich zwischen zwei gleichen Haufen Heu nicht entscheiden und verhungert. Die Langeweile ist kein entspannter Zustand des Nichtstuns, sondern ein verspannter, verkrampfter Zustand der Fixierung auf alles mögliche und nichts bestimmtes. Da hilft nur der Rückzug in sich selbst und eine Tasse Tee.

Dienstag, 17. Oktober 2017

Zölibat





Zur Forderung, unheilbar Kranken, deren Leben nur noch Qual ist, und die körperlich nicht in der Lage sind, sich das Leben zu nehmen, Sterbehilfe leisten zu müssen, kann man auf unterschiedliche Arten gelangen. Die menschenverachtenden Nationalsozialisten hätten diese Kranken für "unwertes Leben" erklärt, und darum Euthanasie gefordert. Jene, denen die Würde des Menschen wichtig ist, und kein bloßes Lippenbekenntnis, hätten auf Sterbehilfe plädiert, weil ein fremdbestimmtes Leben als lebende Leiche die Würde des Menschen verletzt.

Es kommt also nicht auf das Endergebnis einer Argumentation an, sondern darauf, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. Eine vernünftige Diskussion um den Zölibat für Geistliche lässt sich nicht führen, wenn das nicht passende Resultat zu einem Totschlagargument wird: man hört die Argumente der Gegenseite nicht mehr an, sondern verdammt sie, wenn das Ergebnis der Argumentation pro Zölibat ausfällt. Wenn einem das Ergebnis nicht gefällt, kann man beliebige äußere Gründe finden, warum die Argumentation ungültig sein muss; man kann also Unsinn reden, oder einer Argumentation immanent folgen, und deren innere Widersprüche, falls vorhanden, aufzeigen.

Was ist ein Geistlicher? Ein Geistlicher ist eine Person, die ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Man kann also davon ausgehen, dass ein Geistlicher an Gott glaubt. Nun ist die Unsterblichkeit der Seele untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden, ja selbst mit einer ganz auf Vernunft gegründeten moralischen Religion, wie sie Immanuel Kant in seiner Moralphilosophie entwickelt hat: damit die Würdigkeit, glücklich zu sein, mit der Strenge eines Naturgesetzes auch Glückseligkeit zur Folge hat, muss es eine Welt jenseits dieser geben, denn in dieser Welt ist alles Glück zufällig.

Ein Geistlicher ist nicht bloß ein gläubiger Christ, sondern die Religion, der Glaube, ist der Mittelpunkt seines Lebens, wie etwa die Familie für den natürlichen Menschen, oder der Beruf (die Karriere) für das bürgerliche Individuum. Geistliche leben in vielen Ländern vom Staat, d. h. vom Geld anderer Menschen. Ihre Aufgabe ist, ein Vorbild im Glauben zu sein, und ihre Qualifikation als Seelsorger kommt durch ihren Glauben zustande. Es kann keinen Gottesbeweis geben, aber es muss einen Glaubensbeweis geben, und dieser kann nur in der Lebensweise bestehen.

Wenn ein Mensch, der sein Leben dem Gottesdienst widmet, nicht bereit ist, auf das natürliche Gattungsleben (Familie, Sexualität) zu verzichten, muss davon ausgegangen werden, dass er nicht wirklich an Gott glaubt. So jemand eignet sich nicht als Geistlicher. Ein wirklich gläubiger Christ wird, selbst wenn er moralisch auf einer niedrigen Stufe steht, und somit ausschließlich um der größeren Freuden im Jenseits willen auf die Freuden im Diesseits verzichtet, niemals den Grundsatz vertreten, auf die Gefahr hin, dass es Gott doch nicht gibt, so viel wie möglich an Vergnügungen aus dieser Welt mitzunehmen. Wer aber so stark daran zweifelt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass er für seinen Glauben niemals auf irdische Freuden verzichten würde, von dem ist doch wenigstens zu erwarten, dass er kein Geistlicher wird.

Donnerstag, 28. September 2017

Das Recht





Vielen Menschen ist die Vorstellung zuwider, dass es eine höchste Gerechtigkeit gibt. Diese Menschen gehören nach der zutreffenden Einsicht des großen Grundlinienzeichners der Rechtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegel allesamt zum Pöbel - ob arm oder reich, ob unzivilisiert oder wohldressiert. Wer heute noch an das jüngste Gericht glaubt, wird für einen religiösen Fanatiker gehalten und nach seiner vermeintlichen Sektenzugehörigkeit gefragt. Dabei drückt der Glaube an die höchste Gerechtigkeit nur aus, dass die Welt als Ganzes rechtmäßig beschaffen sein soll. Für einen rechtschaffenen Menschen ziemt sich wahrlich keine andere Vorstellung, als dass es im Universum mit rechten Dingen zugeht.

Wer der göttlichen Gerechtigkeit misstraut, wurde anscheinend von Menschen ungerecht behandelt, und kennt das Recht nur als Ungerechtigkeit im rechtlichen Gewand. Es gibt nichts rechtswidigeres, als ungerechtes Recht, denn dieses führt die Idee des Rechts ad absurdum. Wer ungerechtes Recht spricht, parasitiert auf dem Rechtszustand, und zerstört ihn zugleich. Zum Pöbel gehört nach Hegels richtiger und gerechter Feststellung jeder, der sich außerhalb des Rechts setzt, - der arme Taschendieb genauso wie der reiche Steuerhinterzieher. Der Kriminelle handelt nun illegal und illegtitim, setzt sich somit außerhalb des Rechts, und wird von diesem zurecht verfolgt und bestraft. Der vom Prinzip her noch gefährlichere Verbrecher handelt illegitim, aber legal, benutzt das Recht, um Ungerechtigkeit geschehen zu lassen. Wer illegal, aber legitim handelt, ist ein Rebell.

Viele Menschen halten das bloße Dagegensein schon für Rebellion. Doch der Schlachtruf: "Legal, illegal, scheißegal!" zeichnet den Pöbel aus, während die Losung des wahren Rebellen "Illegal, aber legitim!" lautet. Der Rebell kämpft gegen die widerlichsten Schurken, nämlich gegen jene, die unter dem Schutz des Rechts Unrecht tun, die legal, aber illegtitim handeln. Der Rebell schützt den Geist des Gesetzes vor dem Missbrauch seines Buchstabens durch bösartige Menschen. Der Pöbel, zu dem die große mal schweigende mal laut schreiende Mehrheit gehört, ist nicht bösartig, sondern bloß tierisch.

Der Pöbel schert sich nicht darum, ob er moralisch richtig handelt, und damit den Geist des Gesetzes erfüllt. Der vom Recht geschützte bösartige Schurke weiß genau, dass er das moralisch Falsche tut, denn um vom Recht geschützt werden zu können, muss man zunächst wissen, welche unmoralische Handlung nicht illegal ist. Es ist ein wahrhaft versöhnlicher Gedanke, dass es nach dem Tod ein finales Gericht gibt, denn alles menschliche Recht ist unvollkommen, und lässt daher Ungerechtigkeit zu. Für einen vollkommenen Richter ist Illegitimes immer illegal, es gibt keine Schlupflöcher. Es gibt aber das große Loch der Ungewissheit, ob es diesen vollkommenen Richter tatsächlich gibt. Wenn nicht, so wird der rechtschaffene Mensch weiter das Richtige tun, und wenn nötig, als Rebell illegal aber legitim handeln, denn der Geist des Rechts ist derselbe Geist, von dem die Würde des Menschen ist.

Montag, 4. September 2017

Der Körperkult




Nein, Unsinn wie Misswahlen seien sexistisch und Fitnessstudios was für Machos aus der Unterschicht, werde ich hier nicht schreiben. Idiotien wie dass Schönheit angeblich subjektiv ist, sind selbst in der Attraktivitätsforschung, einer sehr jungen Wissenschaft, bereits widerlegt worden. Es gibt schönere und hässlichere Menschen, das ist Tatsache. Ebenso Tatsache ist, dass der Körper nichts über die Seele aussagt, - und doch umso mehr, je materialistischer man diese auffasst. Wer an nichts Geistiges im Menschen glaubt, kann ja letztlich nur Fleischbeschau betreiben.

Was ist an Fleischausstellungen wie den äußerst populären Misswahlen denn so verweflich? Wir spüren doch intuitiv, dass es nicht richtig ist, wenn sich Menschen halbnackt der Öffentlichkeit präsentieren, um zur Miss World oder zum Mister Universum gewählt zu werden. Nicht der Wettbewerb ist daran das Verwerfliche, denn auch im Berufsleben, in Spiel und Sport und bei der Partnerwahl spielt der Wettbewerb eine entscheidende Rolle, und scheint somit eine biologische und soziale Naturkonstante zu sein. Das Falsche an Misswahlen ist die Reduktion der Person auf ihren Körper, und die damit einhergehende Verehrung des Fleisches.

Wohlgemerkt: des Fleisches, nicht des Körpers. Eine Verehrung der Körperlichkeit ist mitnichten verwerflich, sie ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung aller Ästhetik und Sinnlichkeit. Wo ist der Unterschied? Goethe sagt über das Bewusstsein (Licht) der Formen der Sinnlichkeit (Raum und Zeit):

"Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn".

Alles, was existiert, muss körperlich erscheinen, und wird an dieser unvollkommenen Erscheinungsform zugrunde gehen. Und doch hofft Mephisto, dem Goethe diese Worte in den Mund legt, vergebens, dass das Licht mit den Körpern zugrunde geht, denn das ästhetische Bewusstsein weiß die Körper als bloße Erscheinung zu betrachten. Das unästhetische Bewusstsein der sogenannten Schönheitswettbewerbe weiß das nicht, und verehrt die Erscheinung als solche, das nackte oder leicht bekleidete Fleisch. So wird bereits bloße Gesundheit als Schönheit verehrt, während die wahre Schönheit nicht geschätzt wird. Das edlere Auge sieht bei solchen unwürdigen Veranstaltungen keine schönen Menschen, sondern Stuten und Hengste, all das erinnert arg an die antiken und nicht so antiken Sklavenmärkte. 

Möge das Fleisch also ehrlich verrecken und in Frieden ruhen. Was ist aber mit dem Körper? Der Körper ist ein Träger geistiger Erscheinungsformen, eine Projektionsfläche des Geistes. Die menschliche Körperlichkeit dirimiert sich in zwei Geschlechter, von denen eines zurecht das schöne Geschlecht genannt wird, da die Vertreter dieses Geschlechts theoretisch und (selten) praktisch schön sein können. Eine Miss World erreicht auf der Pyramide der Schönheit die unterste, vierte Stufe, das ist die Stufe der bloßen Gesundheit, des makellosen menschlichen Körpers. Schauspielerinnen zeigen uns, wenn auch nur in Filmen, nicht in der Realität, die dritte Stufe, die verführerische Schönheit, die, um einen Fachbegriff zu benutzen, "sexy" genannt werden könnte. Da ist mehr als das bloße Fleisch: da sind Blicke, da ist eine anspruchsvolle Mimik, da ist mehr als ein bloß makelloser tierischer Organismus. Da ist Persönlichkeit, Individualität, da ist mehr als die bloße äußere Erscheinung. An der Verführerin lockt nicht das bloß Äußere, sondern eine Innerlichkeit, die sich hinter der Erscheinung zu verbergen scheint. An einer menschlichen Stute, die leicht bekleidet im Raum steht, und ihr bloßes Fleisch zeigt, ist hingegen nichts verführerisch.

Die zweithöchste Stufe auf der Pyramide der Schönheit nennen wir ruhig mal "beautiful", - dazu gehören Mädchen und Miezen (Mieze ist verklärend, nicht abwertend gemeint), die zu schön für Sex sind, - deren Körperlichkeit können wir nur noch als derart vergeistigt wahrnehmen, dass wir uns in sie romantisch verlieben. Die höchste Stufe, schönheitswissenschaftlich korrekt "divine" genannt, ist eine göttliche Schönheit, reiner Geist in körperlicher Gestalt. Die richtige Intuition sagt uns, dass es gar pervers ist, solche Mädchen (und sie sind aufgrund ihrer Unschuld auch im Erwachsenenalter noch Mädchen) sexuell zu begehren. Wer ein Mädchen der zweithöchsten Stufe verehrt, verklärt noch die Körperlichkeit (die Erscheinung als Erscheinung, nicht als das wahre Wesen), verunendlicht das Endliche, schaut den Geist als Erscheinung. Wer ein Mädchen der höchsten Stufe verehrt, schaut den Geist als Geist, und die pure, nicht durch Fleisch verschmutzte Schönheit als das, was sie ihrem Wesen nach ist: das Symbol des Guten, die Erscheinung der Göttlichkeit in Raum und Zeit. 

Donnerstag, 10. August 2017

Das ichlose Glück




Ich möchte Sie zu einem Alptraum einladen. Sie werden in die Geschlossene eingewiesen. Warum, wissen Sie selbst nicht. Sie wissen jedoch ganz genau, wovor Sie sich fürchten: dass Sie am Ende, wenn Sie "geheilt" sind, ein apathischer und willenloser Idiot geworden sind. Und - was das Schlimmste daran ist - dabei auch noch glücklich. Wer würde da nicht die schwersten Depressionen, die unangenehmsten Symptome psychischer Erkrankungen lieber beibehalten wollen, wenn der Preis der Heilung die Preisgabe der eigenen Persönlichkeit wäre?

Als Kind habe ich in einem ähnlichen Alptraum gelebt. Die Erwachsenen malten mir eine kitschige heile Welt vor, eine Welt der Vollidioten, in der alle gleich waren, und jeder wunschlos glücklich. Eines Tages, sagten sie mir, wenn du auch erwachsen bist, wirst du heiraten, eine Familie gründen, nicht mehr spielen, sondern arbeiten, nicht mehr den kindlichen Unsinn im Kopf haben, sondern "vernünftig" sein. Und - was das Schlimmste für mich war - dabei auch noch glücklich. Ich hatte große Angst davor, dass ich nicht mehr ich sein würde, und dass irgendeine geisterhafte "Vernunft" sich meines Verstandes bemächtigen, mein Ich in einen Käfig sperren, und mich zu einem Roboter machen würde. Und dass die einzige noch denkbare Form des Ich-selbst-Seins, die Unzufriedenheit mit diesem Sklavendasein, auch noch wegfiele: ich wäre ja glücklich.

Als Jugendlicher konvertierte ich nach einer glanzvollen Phase des gesunden Nihilismus zum Christentum. Ich wuchs ja in der UdSSR auf, und der mir in der Kindheit eingetrichterte Heile-Welt-Kitsch war nicht christlich, sondern atheistisch-humanistisch, - doch nun wurde ich mit derselben als Himmel verklärten Hölle auf Erden konfrontiert. Wie einem Psychiatriepatienten und einem Kind wird auch einem Mitglied einer Religionsgemeinschaft das zu erstrebende "ewige" Leben als ein ichloses kollektives automatisches Dasein propagiert. Nur das Bewusstsein stört, nur das "böse" Ich steht dir im Weg, sagte man mir, - und wenn du dein Ich endlich dem "guten" Wir mit Freude und Dankbarkeit zu unterwerfen lernst, wirst du endlich glücklich sein. Das "böse" Ich gewann, es ließ sich nicht unterwerfen, es antwortete auf alle Einkerkerungsbemühungen mit der  einzigen noch denkbaren Form des Ich-selbst-Seins, der Unzufriedenheit, mit einer tiefen und nachhaltigen Depression. Also wurde ich dann konsequenterweise Buddhist, denn wenn schon die Vernichtung des Ich das wahre Glück sein sollte, dann wollte ich es richtig machen, und nicht nicht halb nicht ganz.

Nein, Glück ist nichts ohne die Persönlichkeit, die dabei glücklich ist. Viele träumen davon, z. B. Brad Pitt zu sein, und nein, nicht bloß davon, so reich und berühmt zu sein, sondern Brad Pitt, und nicht sie selbst zu sein. Dann hätten sie auch das Bewusstsein des durchaus passablen Schauspielers, aber nicht ihr eigenes. Sie wären nicht glücklich, sondern sie wären nicht. Nicht im Sinne von nicht existent. Ohne eigenes Ich gibt es kein Bewusstsein, und ohne Bewusstsein kein Glück. Das Ich als des Glückes Unterpfand bleibt beim Volke weitgehend unverstanden. Doch einer, der das Ich, die selbstbestimmte Persönlichkeit, diese notwendige aber nicht hinreichende Bedingung des Glücklichseins, bereits für das Glück selbst hält, gehört zu den narzisstischen Narren, aber mitnichten zum geistigen Adel.

Samstag, 5. August 2017

Die Verhausschweinung der Sexualität





Sexualität ist die weltimmanente Selbsttranszendenz alles Lebendigen. Nihilistisch (amoralisch) betrachtet, kann nur Sex der höchste Wert im Leben eines Menschen sein, denn alles Weltimmanente ist eitel, und Transzendenz (und damit die Grundlage der Moralität) wird vom Nihilismus verneint. Es geht im Leben ohne Welttranszendenz also nur um alle Lust, die tiefe Ewigkeit will, und diese ausschließlich im Moment des Orgasmus erreichen kann.

Die meisten Frauen, hört man, täuschen Orgasmen nur vor, hatten aber nie wirklich einen. Warum? Weil Beziehungssex langweilig ist. Ejakulation beim Mann ist nicht gleichbedeutend mit Orgasmus; Frauen wissen wenigstens, wann sie einen Orgasmus vortäuschen und wann sie wirklich einen haben, aber viele Männer können Orgasmus und Ejakulation nicht auseinanderhalten. Die zwanghafte Masturbation des Pornosüchtigen ist ein Symptom der Orgasmusunfähigkeit, - kein Wunder, wenn man dabei an einen Sex denkt, bei dem die Frau keinen Orgasmus bekommen kann.

Wenn ich Sex hätte, und die Frau(en) dabei keinen Orgasmus bekäme(n), wäre der ganze Zirkus für uns zwei/drei/vier/fünf sinnlos. Ich kann mich nur weltimmanent transzendieren, wenn die Frau bzw. die zwei/drei/vier Frauen in meinem Bett bereit sind, mit mir zu verschmelzen, sich aufzulösen, so dass auch ich mich in ihnen auflösen kann. Beziehungssex gibt das nicht her. Nichts ist erbärmlicher als die ästhetisch gesehen fälschlich für Sex gehaltene zwanghafte Masturbation eines Pärchens.

Verführungssex ist geil. Ich wehre mich, aber die Frau(en) ist (sind) so weiblich, dass sie (sie) mich eben einfach halt verführen. Wenn ich fühle, dass sie mich haben, wenn ich loslasse, - und dabei meinen Sexdämon auf sie loslasse, wenn sie kreischen und stöhnen, sich in mich krallen, und es doch kein Entkommen gibt, wenn jeder Körperteil lutschbar wird, wenn wir keine Personen mehr sind, sondern nur noch pures pulsierendes Leben, dann findet die weltimmanente Selbsttranszendenz leibhaftig und lebendig statt.

Wie jämmerlich es in unserer Kultur um die Sexualität steht, zeigen Begriffe wie "sexuelle Befriedigung". Sexualität duldet keine Mediokrität. Es gibt entweder die Auflösung der Grenzen oder depressivistisches Gewichse. Letzteres ist unerträglich; selbst Enthaltsamkeit ist geiler, weil der zurückgehaltene Trieb leidenschaftlich nach Wegen sucht, sich auszutoben oder zu sublimieren. Ein Leben gegen die Sexualität ist ein sexuell erfüllteres, als ein Leben mit sexuellen Halbheiten und Kompromissen, mit einer zensierten, verkrüppelten, verhausschweinten Sexualität.

Freitag, 7. Juli 2017

Transzendentale Eschatologie




Einleitung

"Ich verstehe unter einer transzendentalen Erörterung die Erklärung eines Begriffs, als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann". Immanuel Kant


Die Eschatologie - um nicht bloß eine Lehre von den letzten Dingen, sondern eine Wissenschaft vom Leben nach dem Tode zu sein - muss einer transzendentalen Revision unterzogen werden. Eine Eschatologie als Erfahrungswissenschaft ist nicht möglich, - gleichwohl wird ausnahmslos jedem menschlichen Wesen die transzendente Würde zuteil, die Erfahrung des Todes zu machen - man stelle sich die Schrecken eines ewigen irdischen Lebens, eines Lebens ohne den Tod, nur hinreichend vor - , doch zum nachfolgenden wissenschaftlichen Schritt, dem Vergleich und der Systematisierung der Erfahrungen kann man aufgrund der Eigentümlichkeit des Todes nicht gelangen. Ein Versuch, die Grenzen der systematisierbaren Todeserfahrungen zu umreißen, ist ungeachtet dessen zu leisten, doch letztlich muss das Unerfahrbare in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.

Die Eschatologie kann keine empirische Wissenschaft sein und muss den Geisteswissenschaften wie Mathematik und Theologie im Gefängnis der Logik Gesellschaft leisten. Der rationalistische Pessimismus, der allen Sätzen der Mathematik nur analytische Erkenntnisse zugesteht, wird jeder Geisteswissenschaft den unvermeidlichen Tautologievorwurf zu stellen wissen, allein ist die Tautologie mitnichten eine Sackgasse der Logik. Der Satz "Ich bin ich" ist tautologisch, Subjekt und Prädikat verweisen bloß aufeinander, es kommt keine neue Erkenntnis hinzu. Abgesehen von der sprengenden Kraft des "bin", welches dem bloßen Begriff der Selbstidentität das Sein zuerkennt und den Begriff somit aus dem Denken in das Sein entlässt, spricht der Satz "Ich bin ich" immer "Ich bin nicht ich" mit, und weist auf das Negative seines Inhalts hin. Durch die schöpferisch-zerstörerische Kraft, die in der Tautologie als Seinsbehauptung einerseits und Negation andererseits enthalten ist, sind Geisteswissenschaften als Wissenschaften möglich. Durch die dem menschlichen Geist immanenten Phänomene, welche keiner empirischen Überprüfung unterliegen - Hirnströme etwa geben die Qualität der Gedanken nicht preis - , bekommt die Eschatologie ihren eigentümlichen Inhalt.



§ 1

Der Tod ist als ein irreversibles Ende der psychophysischen Existenz bekannt; eine künstliche Wiederbelebung des Körpers einer toten Person stellt die geistige Identität derselben nicht wieder her. Ebensowenig existiert physisch ein vom Körper losgelöster Geist. Der eigene Tod kann niemals zum Gegenstand systematisierbarer empirischer Erfahrung werden; der fremde Tod gibt nur sein negatives Moment, die Beendigung der Existenz der den Tod erfolgreich absolvierender Person preis. Aus der empirischen Beobachtung eines sterbenden Menschen lassen sich keine Schlüsse auf ein Leben nach dem Tod ziehen. 
 
Der Tod ist dreigeteilt: erstens der empirisch erfahrbare Tod, das positive Sterben einer Person, zweitens der jenseitige, negative Tod, und drittens eine Grenze zwischen Beiden. Die genannte Grenze ist die Grenze empirischer Erfahrung; nur der positive, daseiende Tod, das erfahrbare Aufhören der physischen Existenz einer Person, kann mit den Mitteln der Naturwissenschaft erforscht werden. Der positive Tod kann durchaus eine Basis für Spekulationen darstellen, die im Folgenden dargelegt werden sollen.



§ 2

Positive Eschatologie


Die positive Eschatologie untersucht die Spekulationen hinsichtlich der phänomenalen Zustände eines menschlichen Bewusstseins nach dem physischen Tode. Die hier auszuführenden Spekulationen schließen vom Bekannten auf das Unbekannte und haben empirische Grundlagen. Erfahrene Zustände werden auf ihre Möglichkeit des Vorkommens jenseits der Todesschranke untersucht.

Das menschliche Gehirn zelebriert den erwarteten Tod auf seine eigentümliche Art, was angesichts der Positivität vorliegender Erfahrungen der empirischen Untersuchung nicht verschlossen bleibt. Eines der so gewonnenen Resultate ist das Phänomen des euphorischen Zustandes im Zusammenhang mit dem Schnelldurchlauf durch das abzuschließende Leben. Ein plötzlicher Tod kann nicht auf dieselbe Art untersucht werden; außerdem gibt es keinen reversiblen plötzlichen Tod, der Nahtoderfahrungen bereitstellen könnte. Ungeachtet dessen produziert das Gehirn eines plötzlich Sterbenden dennoch bestimmte phänomenale Zustände. Unterscheiden sich die Erfahrungen des Blitztodes von den Erfahrungen erwarteten Todes? - Eine empirisch unzulässige Frage, die einen nicht unbestimmten Vergleich des Bekannten mit dem Unbekannten zur Voraussetzung hat. Über die Qualität unbekannter Erfahrungen kann nichts gesagt werden, und so bleibt es der Spekulation überlassen, von der Qualität bekannter Erfahrungen darauf zu schließen.



§ 3


Als ein plötzlicher Tod kann nur ein Tod gelten, der mit dem plötzlichen Hirntod im Zusammenhang steht. Ein plötzlicher Todesfall, der im Fall seines Missglückens zu einer Nahtoderfahrung führt, kann nicht als plötzlicher Tod bzw. Fast-Tod der Untersuchung zugeführt werden. Das Erwartungsmoment ist nicht historisch aufzufassen; eine Erwartung kann ebenso plötzlich eintreten, selbst wenn der Sterbende nur den Bruchteil einer Sekunde zum Aufbau der Todeserwartung gewährt bekommt. 
 
Ein plötzlicher Tod schließt keineswegs planmäßiges Sterben aus; ein Freitod kann ebenso plötzlich wie erwartet sein. Kurz vor dem Kopfschuss hat die ihr Leben abschließende Person bekannterweise keine Todeserfahrungen, - sie weiß noch nicht genau, ob sie denn tatsächlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt abdrückt. Ein erwarteter Tod ist ein Tod, auf den sich das Bewusstsein einstellen kann, dessen Heraufkunft also bewusst erfahren und vom Gehirn dementsprechend vorbereitet werden kann. Ein plötzlicher Tod ist ein sofortiger Übergang von normaler Hirnaktivität zum Hirntod. Was in der betreffenden Zeit phänomenal erlebt wird, kann nur aus den als Nahtoderfahrungen bekannten Erfahrungen erwarteten Todes abgeleitet werden.



§ 4


Der Widerlichkeit halber dürfen keine Todesumstände verschwiegen werden, und so ist die Frage nach der Qualität der Todeserfahrungen vom auf dem Scheiterhaufen verbrennenen, im Fäkalien ertrinkenden oder von Ratten lebend gefressenen Hinrichtungsopfer unbedingt zu stellen. Kommt der erwartete Tod in einem Zustand der Angst, des Ekels, des Beengtseins, und wird er spekulativ fortgeschrieben, so brennt die Seele eines Verbrannten, altertümlichen Mythologien nicht unähnlich, in Ewigkeit fort. Der kalte nihilistische Materialismus wird auf einmal zum Gegenstand innigster Hoffnung, denn wenn der endgültige Hirntod die totale Auslöschung des Subjekts der Erfahrung zur Folge hat, erfreut sich der Hingerichtete nicht nur des Aufhörens seiner Pein, sondern gleichsam totalen Vergessens.

Um Horrorvorstellungen kommt man keineswegs herum, weshalb die beispielhafte Einführung in die asymptotische Theorie des Sterbens Not tat. Die asymptotische Theorie des Sterbens geht von einer phänomenalen Zeitverbiegung aus, also davon, dass der Sterbende die Zeit nicht linear, sondern an der Todesschranke als einer Asymptote verbogen, erfährt. Im phänomenalen Erleben wird der endgültige Tod womöglich gar nicht erfahren, vielmehr perenniert der Zustand des Sterbenden für diesen in alle Ewigkeit, was den objektiv nach einer bestimmten Zeit eintretenden und messbaren Hirntod nicht tangiert.



§ 5


Das Grauen macht den Wunsch zur Not. Hängt die phänomenale Qualität des erwarteten Todes von den Todesumständen ab, so wäre ein plötzlicher Tod, um der Höllenpein zu entrinnen, durchaus erstrebenswert. Der sein Leben Abschließende hätte eine Todesart zu wählen, die den sofortigen Hirntod zur Folge hätte, da ein Leben, welches den Tod wünscht, kein wünschenswertes Todeserleben bereit zu halten bereit wäre.

Die Schlaftheorie des Todes bremst die Euphorie des eschatologischen Pessimisten angesichts der scheinbaren Schmerzlosigkeit des plötzlichen Todes. Kann der Todeswillige mit dem plötzlichen Tod dem Einfluss äußerer Quellen des Unbehagens auf den Todesprozess entrinnen, so handelt es sich beim Schlaf um einen inneren Zustand, der - zieht man die asymptotische Theorie des Sterbens mit in Betracht - durch einen zeitlichen Kurzschluss nicht übersprungen werden kann. Ob die asymptotische Todesschranke eine Minute oder eine Millisekunde vom Anfang des Todesprozesses entfernt ist, die Zeit bis zur Asymptote wird sich ins Unendliche ausdehnen. So wird der den Freitod Wählende sein Unbehagen mit ins ewige Grab nehmen; sich selbst kann keiner entkommen - auch im Tode nicht. 
 
Spekulationen religiöser Natur oder minderer Grundsätzlichkeit gehören nicht hierher; nur auf einer empirischen Basis stehende Spekulationen sind von Bedeutung für die positive Eschatologie. Die Konturen der erlaubten Spekulationsbahnen sind umrissen; es ist vom empirisch erfahrbaren Bekannten auszugehen und daraus - ohne Beimischung moralischer oder religiöser Inhalte - auf das Unbekannte zu schließen. Letztlich überschreiten diese Spekulationen die Todesschranke keineswegs, sie schieben diese nur ins Unendliche fort.



§ 6

Negative Eschatologie


Über das Jenseits einer unpassierbaren Grenze lässt sich nur sagen, dass es unmöglich ist, etwas darüber zu wissen. Es verhält sich hiermit jedoch so wie mit dem Ding an sich, das Kant vorschnell als unerkennbar bestimmte, wobei er gedankenverloren das Naheliegendste aus den Gedanken verlor, nämlich das Wissen um das Sein dieses Unerkennbaren. Was als seiend postuliert werden kann, ist nicht so unbekannt, wie es zunächst erscheint; nur etwas, dessen Sein ein Bekanntes ist, kann als Unbekanntes erkannt werden.

Eine Grenze, deren Jenseits nicht als Jenseits bekannt ist, ist nicht als Grenze bewusst. Das Tier, das nicht um seine Sterblichkeit weiß, hat keine Vorstellung vom Jenseits. Der Mensch weiß mit seiner Sterblichkeit auch um das Jenseits des Todes. Die phänomenale Qualität des Jenseits ist das Hauptanliegen einer wissenschaftlichen Eschatologie. Empirisch ist ins Jenseits nicht vorzudringen, aber der transzendentale Weg bedarf keiner Erfahrung. Um diesen Weg zu ebnen, muss die reinigende Kraft der Negation den Irrtum und manch vermeintliches Wissen aus dem Weg räumen.



§ 7


Die Glaubenstradition jeder Kultur bietet reichlich vermeintliches Wissen über das Jenseits der Todesschranke. Für Mythen über das Jenseits ist wissenschaftliche Irrelevanz charakteristisch - sie sind weder zu beweisen noch zu widerlegen. Daher ist es nicht von Belang, wie die Städte im Himmerlreich aussehen oder wie welche klimatischen Bedingungen in der Hölle vorherrschen. Die Religion produziert zufällige oder archetypische Antworten auf die Fragen nach der phänomenalen Qualität der jenseitigen Erfahrungen. Der Zufall hat soviel Recht, wie seine Wahrscheinlichkeit mathematisch zulässt; keines der Mythen über das Jenseits ist Unsinn, - in der Lotterie gibt es trotz des Ratens und Wettens auf Unwahrscheinliches hin und wieder Gewinner. Die Einzelheit des individuellen Lebens und Sterbens, das Fehlen zusätzlicher Versuche zwingt zum Wissen; wer nur einen Versuch hat, will die richtige Lösung wissen, nicht bloß erraten.

Bestimmtes von Unbestimmtem zu wissen ist nicht möglich, wobei das Unbestimmte kein an sich, sondern ein für uns Nichttote Unbestimmtes ist. Wer bereits tot ist, steht etwas Bestimmtem gegenüber, ob dem Nichts, dem Himmelreich, der Hölle oder seiner Realität gewordenen Phantasiewelt.

Die Eschatologie als Wissenschaft muss sich zu positiven Aussagen über das Jenseits negativ verhalten; vermeintliches Wissen ist der Feind aller Wissenschaft, das Unwissen hingegen ist ihr Freund, und es ist der fruchtbare Boden des Agnostizismus, auf dem eine wissenschaftliche Eschatologie zu entwickeln ist.



§ 8


Es ist nicht dasselbe, etwas nicht zu wissen und zu wissen, dass etwas nicht auf eine bestimmte Art beschaffen ist. Aus dem Nichtwissen über das Jenseits des Todes lässt sich keine Widerlegung mythischer Vorstellungen des Totenreiches ableiten. Die Spekulationstiefe der negativen Eschatologie ist daher kaum geringer als die der positiven Eschatologie; das Anfangsmoment zum Festhalten fehlt hier allerdings, und den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt, womit das Erkenntnisinteresse sich von den Möglichkeiten selbst auf den praktischen Umgang mit denselben verschieben muss. 
 
Himmel für die Guten ist genausogut möglich wie Hölle für alle; Hölle für die Blonden und Nirwana für die Weißen ist keineswegs unwahrscheinlicher als Wiedergeburt für die Inder und Reich des Hades für Nichtgriechen. Da wir nicht wissen können, ob Moral nach dem Tode noch gilt, muss sie in der praktischen Eschatologie mit Lebenskunst zusammenfallen. 
 
Die praktische Eschatologie beleuchtet den gedanklichen Umgang mit möglichen Welten jenseits der Todesschranke und rückt dabei die Frage nach der hedonischen Qualität derselben in den Mittelpunkt.



§ 9

Praktische Eschatologie


Es gibt im Wesentlichen zwei hedonische Qualitäten: Lust und Unlust; umfassender, aber dadurch verschwommener: Glück und Unglück. Beide Begriffspaare werden benutzt, da das, was sie ausdrücken sollen, genau dazwischen liegt: Glück kann leicht als autistische Selbstzufriedenheit ungeachtet der widrigen Lebensbedingungen missverstanden werden, so dass sich jemand in der Hölle glücklich schätzen kann, wenn es nur fest genug daran denkt, sie eigentlich nicht verdient zu haben; Unglück trägt den Kometenschweif des bösen Schicksals mit sich herum. Lust und Unlust pfelegt man gewöhnlich auf die Befriedigung gröbster Bedürfnisse zu reduzieren; es geht aber um nichts Geringeres als die gesamte Fülle des glücklichen oder unglücklichen Seins.

Klügere Jenseitsideologien sind abstrakt, sie verheißen den Gläubigen ihrer Religion keine Weintrauben, um welche Vögel im Jahreszyklus kreisen, wie die Erde um die Sonne, keine runde oder symbolbehaftete Anzahl nimmerschwangerer immerschöner Jungfrauen, sondern einfach nur Glück. Je weniger über Unbekanntes inhaltlich, dessen phänomenale Qualitäten betreffend, gesagt wird, umso mehr wird davon ausgesagt. Die Umschreibungen und Ausschmückungen sind zufällig, Glück als phänomenaler Zustand das Wesentliche. Die Frage des Verdienens muss, will man wissenschaftlich bleiben, beiseite geschoben werden, denn letztlich - vorausgesetzt, jeder bekommt, was er verdient, oder, genausogut, alle bekommen dasselbe - ist nur von Interesse, wie das Glück oder das Unglück als ewiger Zustand zu denken ist.



§ 10


Bei der Vorstellung von Vollkommenheit ist der Gedanke der Perfektion nicht weit. Freilich wird der Bundesligaverein, der mit 102:0 Toren und 102 Punkten die Deutsche Fussballmeisterschaft erringt nicht der umjubelteste, sondern der langweiligste sein. Das Paradies der Perfektion ist zeitlich noch räumlich begrenzt, seine Bewohner haben unendlich viel Zeit, unendlich viele perfekte Welten zu entdecken - welche davon werden sie ihr Zuhause nennen? Es ist billig, zu behaupten, Perfektes müsse notwendig einander gleichen; in einem Heiratspaket von 72 perfekten Jungfrauen sind 72 gleich perfekte, aber dennoch verschiedene Jungfrauen enthalten. Der Mann der Paradiesfrau ist in der Tat die eierlegende Wollmilchsau, zu der der neue Mann unserer Zeit werden soll. Ein Ehepaar im Paradies hat so viele Kinder, wie das Herz nur wünscht, einzig der Stolz auf die eigenen Kinder kann nur schwerlich einem Vergleich mit den Kindern anderer Eltern entspringen, da doch alle perfekt sind.

Bosheiten wie Neid und Eifersucht entstehen in Welten mit Güterknappheit; in einer Welt, in der Schönheit sehr knapp, und dazu noch vergänglich ist, ist eigenes Glück nur als Unglück des Anderen zu denken, oder zumindest verhält sich Beides zueinander als notwendige Voraussetzung - wenn keiner verliert, kann keiner das Verlorene gewinnen; heiratet ein Jüngling die Prinzessin, gehen Tausend Jünglinge leer aus. Im Paradies ist nichts knapp - es gibt Prinzessinnen wie Sand am Meer, Genussmittel wie Meer über dem Sande, allein taugt nichts davon mehr als Statussymbol. Vortrefflich - wenn ich wieder einmal einen sündhaft teuren schottischen Whisky trinke, und dies nur meines Genusses wegen tue, ohne Zeugen, die es zum Vorführen des Habitus erforderte, so stehe mit einem Bein im Paradies.



§ 11


Es ist zynisch, zu behaupten, das Böse gehöre zum Leben wie der Pfeffer zum guten Mahl, freilich was ungepfeffert abscheulich schmeckt, ist ein scheußliches Gericht und wird durch Geschmacksverzerrung selbst nicht besser. Wer einen gepflegten Krieg erlebte, wessen Kind im Schoße eines Kindermörders qualvoll ums Leben kam, gewinnt eine gesündere Einstellung zu krankmachenden Gewürzen. Wer nichts - außer der Handlungen, in denen sich der Mensch vom Tier nicht unterscheidet - mit einer schönen Frau anfangen kann, weil ihn keiner ihretwegen beneidet, ist nicht glücklos, sondern vielmehr wertlos, oder, um die ungewöhnliche Formulierung ins gewohnte Licht zu rücken, diese Frau nicht Wert. 
 
Nicht darf dem Vergessen überlassen werden, dass der Neid und Missgunst pflegende Mensch quer durch alle vernünftigen Religionen wie in der Vernunftreligion auch nicht zum üblichen Kontingent der Himmelsfahrer gehört. Wiewohl dies kein wissenschaftliches Argument ist, weist es nochmals darauf hin, dass es krankhaft ist, sein Glück durch das Unglück Anderer und umgekehrt zu definieren; in der perfekten Welt des Paradieses werden alle von ihren Krankheiten geheilt sein, und somit auch vom Narzissmus, vom Neid, vom Hass, vom pathologischen Geltungsbedürfnis. Da klopft der Teufel mit der leeren Pfefferdose auf den Tisch und lacht: nicht nur das Leben im Paradies wird langweilig, auch die Lebenden dort werden Langweiler sein, und da hat der Teufel weiter nichts zu sagen, da er nur zu gut weiß, dass der Penisneidische nichts so sehr fürchtet, wie eine - wenn auch nur symbolische - Kastration.



§ 12


Wo der Teufel scheitert, reüssiert der Verstand. Der unheiligen Einfaltigkeit ist schnell erklärt, dass sie im Paradies von allen körperlichen und seelischen Gebrechen erlöst wird, und nicht mehr der Neid auf Andere, sondern eigener Genuss die Messlate für das Glück sein wird. Wenn das Glück des Einen die Gefühle des Anderen nicht verletzen kann, ist noch keineswegs Langeweile in Sicht, diese stellt sich aber unvermeidlich ein, wenn man es mit der Ewigkeit zu tun bekommt. In wen verliebt man sich im Paradies? Die Mädchen altern nicht, aber auch erfreulichere Veränderungen bleiben aus; das Mädchen, das dir heute lieb ist, wird in einer Million Jahren genau dasselbe sein, wenn du von deiner Reise zu Tausenden anderer paradiesischer Welten zurückkehrst. Der Moment, der Zauberer der Liebe, spielt in der Ewigkeit keine Rolle.

Das Altern bleibt aus, aber die Zeit vergeht - wobei das Vergehen der Zeit kein Vergehen der Dinge in der Zeit nach sich zieht - , und Liebende werden einander überdrüssig. Eine Million Lebenspartner überdrüssig geworden, erschlischt das Herz; Milliarden interessanter Welten bereist, ergreift den Verstand eine Apathie, die sich Jahrmilliarden um Jahrmilliarden hinziehen wird. Nur wenn man sogleich vergisst, was man erlebt, kann die Ewigkeit erfüllte Zeit sein. 
 
Das Reich des Vergessens ist auf der irdischen Welt durchaus bekannt - es ist das Alter des Kindes vor der Ausbildung seines autobiographischen Gedächtnisses, seiner persönlichen Identität. Keiner kann sich freilich daran erinnern, wie glücklich er damals war, da es ihn, streng genommen, noch nicht gab, - ewiges Glück ist nur um den Preis der persönlichen Identität zu erkaufen; das Ich bleibt also vom Glücke ausgeschlossen, es stirbt und tröstet sich damit, dass das ihm zugehörige Es sich in aller Ewigkeit unendlichen Glücks erfreuen wird.



§ 13


Das Glücksversprechen wird im Paradies, wie gesehen, nicht eingelöst. Wie sieht es mit der Höllenpein aus? Anders gefragt, was ist eigentlich Schmerz? Ist Leid unendlich dehnbar oder an bestimmte Konditionen des menschlichen Daseins geknüpft? Eine direkte Übertragung der Seinsbedingungen vom Diesseits ins Jenseits ist angesichts der veränderten Konditionen nicht möglich - mit der Ewigkeit kommt die Unsterblichkeit hinzu.

Das Unglück entfaltet seine leidvolle Wirkung angesichts der Sterblichkeit; am Sterben der Großeltern ist wesentlich, dass sie danach tot sein werden; ein durch einen Unfall oder ein Verbrechen verlorenes Kind wird nie wieder zurückkommen und durch kein anderes Kind zu ersetzen sein. All diese Tragödien werden, sobald sie sich in der Ewigkeit abspielen, zur Farce. Die Ewigkeit kennt keinen Verlustschmerz, da in ihr nichts verloren geht. Nur der blanke Schmerz bleibt also der Hölle, um ihre Bewohner leiden zu lassen. Nun findet der Schmerz nicht nur im Sinne der Hirnforschung im Kopf statt - es ist die bewusste Erwartung, die schmerzt. Wird intensiver Heilungsschmerz als nahezu angenehm erlebt, der Lustschmerz des Masochisten gar als Glück, so ist der Schmerz eines Todkranken oder Gefolterten eine unerträgliche Pein. Der Körper, das Objekt des Schmerzes, ist einmalig - ein abgetrennter Arm beispielsweise würde nicht nachwachsen, und es können dem Körper vielerlei andere irreversible Schäden zugefügt werden. Über allem Schmerz schwingt die Angst vor dem Tode mit, die eigentlich eine Angst vor dem Sterben ist, - wenn sich der Gepeinigte bereits im Sterben befindet, schiebt sich die Angst über das Sterben hinaus in den Tod selbst; ein lebenskluger Märtyrer weiß diesen Prozess aufzuhalten, verliert die Angst, und sein Schmerz lässt nach.

Das Scheußlichste, was der menschlichen Kreatur passieren kann, sind unzählige Wiedergeburten im Sinne der altindischen Reinkarnationslehre, wobei dieses Spiel, wie ein uns schon bekanntes, ebenfalls ohne Vergessen nicht auskommt. Das Leid, von dem man nichts weiß, ist nicht das Eigene. Wenn die unzähligen früheren Leben nicht einmal in der Tiefe der geschundenen Psyche verborgen sind, dann sind sie nirgendwo, und somit nicht.



§ 14


Das Bemühen der praktischen Eschatologie, die Ewigkeit als daseiend, also zeitlich zu fassen, erfreuete sich des Misslingens, und es ist keinesfalls ein zynischer Ausdruck - der Irrtum, als Irrtum erkannt, ist die notwenige Voraussetzung der Wahrheit, welche nur auf dem überwundenen Irrtum begründet werden kann, und nicht aus dem Nichts unmittelbar ins Bewusstsein springt. 
 
Die phänomenalen Qualitäten des Diesseits lassen sich auf das Jenseits nicht ohne ad absurdum gehende Veränderungen übertragen; die Annahme der Ewigkeit und Unendlichkeit des Jenseits, die vorerst vorausgesetzt wurde, resultiert zwangsläufig aus dem gedanklichen Fortgehen ins Unendliche, wobei Kants Antinomie sich ihrer Gültigkeit im Jenseits erfreut: stellt man sich das Leben nach dem Tode als endlich und begrenzt vor, so kommt nach dem Leben nach dem Tode wieder ein Leben nach dem Tode, und so fort ins Unendliche. Die Reinkarnationslehre schiebt die Todesschranke nur auf, wie es bereits in der positiven Eschatologie der Fall war. 
 
Das weitere Vorgehen wird kein Schließen vom Bekannten auf Unbekanntes sein, da die Spekulationen dieser Art nun im Wesentlichen erschöpft sind. Die Gesetze des Bekannten auf Unbekanntes anzuwenden, hat sich als eine methodische Irreführung erwiesen; als wesentlich offenbart sich nun das dem Bekannten und dem Unbekannten Gemeinsame - der menschliche Geist.

Die Eschatologie kann nicht über das Ich hinausgehen - das negative Moment der transzendentalen Eschatologie, im Buddhismus als Nirwana vorgestellt, verdient eine gesonderte Anmerkung, die später erfolgen wird - , denn ohne ein gleichbleibendes Subjekt ist keine Erfahrung bestimmter phänomenaler Qualitäten möglich. Das Subjekt ist diesseits und jenseits der Todesschranke dasselbe, weshalb seine eigentümliche Beschaffenheit die Bedingungen für transzendentale, erfahrunsglos gültige Erkenntnisse über das Jenseits hergibt.



§ 15

Der transzendentalen Eschatologie erster Teil


Die transzendentale, der Identität der Person zugrunde liegende Einheit des Selbstbewusstseins, die sich selbst Ich nennt, ist durch seine Freiheit und seine Geschichtlichkeit gekennzeichnet. Das Ich ist das Bleibende im Wechsel seiner Erfahrungen; denkt man die Ewigkeit unzeitlich, so findet der Wechsel nicht statt, und das Bleibende darin kann sich selbst nicht als Ich erkennen. Das Ich ist frei, weil es durch nichts als sich selbst verursacht und irreduzibel ist. Die Selbstverursachung widerspricht nicht im Geringsten dem Gedanken der Schöpfung durch einen überweltlichen Schöpfer, allein der Akt der Schöpfung ist nicht als ein dem Geschöpf fremder Akt zu denken; das Erschaffenwerden ist gleichsam als die erste autonome Handlung zu verstehen. Für die gegenwärtige Betrachtung reicht allerdings der Gedanke aus, dass das Ich durch nichts Gegenständliches außerhalb seiner Selbst verursacht wird, und sich selbst im spontanen Willensakt erschafft. So ist der Sprung vom Es zum Ich im Kindesalter nicht als ein Umschlagen der Quantität erlernter Fähigkeiten in eine neue Qualität, das Selbstbewusstsein, zu verstehen, sondern als eine Urzeugung, wie etwa die spontane Entstehung des Bewusstseins aus unbewusstem Leben.



§ 16


Denkt man dem Ich seine Geschichte weg, so bleibt ein Abstraktum übrig, ein Ich im Nichts des Bewusstseins. Kein medizinisch bekannter Fall eines Gedächtnisverlustes ist hier relevant, denn wäre dieser nur vollständig, so wäre die daran erkrankte Person der Welt völlig entrückt und hätte kein Selbstbewusstsein mehr. Anders das buddhistische Nirwana, das genau hier seinen logischen Ort hat. Die Erlösung vom Leid des Daseins, welches mit dem Selbstbewusstsein identisch ist, wird als das Eingehen des Ich ins Nichts vorgestellt. Das Nichts ist kein leerer Raum ohne Uhren, sondern die Negation allen Seins. So kann das Ich im Nirwana keine Erinnerungen an früheres Seiendes behalten, die ihm gegenständlich wären und sein Selbstbewusstsein aufrechterhielten. Alles Gegenständliche ist im Nirwana verschwunden, kein Objekt ist mehr vorhanden, und so erlischt das Subjekt. Freilich ließe sich dieses viel einfacher ohne abenteuerliche Moralvorstellungen und irrwitzige Mythen denken - wenn wir naturwissenschaftlich korrekt annehmen, dass wenn das Gehirn als Träger des Geistes nicht mehr funktioniert, das Ich dem Nichts gegenübersteht und zu existieren aufhört.



§ 17


Um nach dem Tode weiterzuleben, muss das Ich seine persönliche Identität, zu der seine Geschichtlichkeit gehört, beibehalten, wobei die Geschichtlichkeit ein transzendentaler Begriff ist und nicht die Bedeutung einer bestimmten Geschichte hat. Die zufällige Biographie ist nur eine Möglichkeit, die der Geschichtlichkeit entspringt, nicht die Geschichtlichkeit selbst. Gleichwohl gehört zur Geschichtlichkeit auch bestimmte Geschichte, so wie zum Wissen um Raum und Zeit als transzendentale Begriffe reiner Anschauungen, in denen Erfahrungen stattfinden können, konkrete Erfahrungen in Raum und Zeit gehören.

Das Ich muss nach dem Tod in der Lage sein, geschichtliche Erfahrungen zu machen, sprich seine Erfahrungen in einem kontinuierlichen Nacheinander zu ordnen wissen. Bleibt allerdings nur die Möglichkeit über, ohne dass eine konkrete Geschichte ins Jenseits hinübergerettet wird, so wird das Ich in einem abstrakt unbuddhistischen (die formale Identität bleibt dem Ich erhalten, allein konkret weiß das Ich nichts davon und ist deshalb ein anderes) wie völlig unchristlichen Sinne wiedergeboren, so dass es nämlich ein Anderes wird.



§ 18


Wie muss nun die Welt jenseits der Todesschranke beschaffen sein, um das autobiographische Gedächtnis eines Toten aufzunehmen? Die physikalische Beschaffenheit jener Welt ist nicht von Belang, denn der Tod hat die Vernichtung der physikalischen Datenbank, in der das autobiographische Gedächtnis gespeichert ist, zur Folge. Die jenseitige Welt muss also wesentlich geistiger Natur sein, was deren materieller Ausschmückung keineswegs im Wege steht. 
 
Das Ich darf ferner nicht von der einen in die andere Welt bloß kopiert werden, im Sinne einer Fotokopie oder Teleportation, sondern muss selbst den Weltwechsel vollziehen. Eine Übersetzung von einer bestimmten Qualität in eine andere ist ebenso unzulässig, denn nicht ein gleiches, sondern dasselbe Ich muss die Todesschranke passieren. Somit steht fest, dass auch die diesseitige Welt im Wesentlichen geistig beschaffen sein muss, dem Ich gemäß, so dass das Gehirn, und nicht das Ich, als ein Epiphänomen zu gelten hätte.

Das Ich, selbst jenseits von Raum und Zeit, kann ohne seine Geschichtlichkeit nicht sein, ebenso nicht ohne einen Gegenstand seines Willens außerhalb seiner Selbst. Nicht die physikalische Raumzeit, sondern Raum und Zeit als Bedingungen gegenständlicher Existenz, dürften sich auch im Jenseits ihres Fortbestehens erfreuen.



§ 19


Ein Leben nach dem Tod, sollte es dieses geben, muss ichgemäß beschaffen sein. Beliebigkeit ist durch die eigentümliche Beschaffenheit der zum Leben notwendigen Einheit des Selbstbewusstseins ausgeschlossen, jedoch ist mitnichten bewiesen oder wiederlegt, ob es ein Leben nach dem Tode gibt. Es ist nun zu klären, ob die Behauptung eines Lebens nach dem Tode eine Existenzbehauptung ist, wie die Aussage, es existierten weiße Einhörner, oder aber ein spekulativer Schluss, der auf apodiktischen Urteilen zu ruhen vermag.

Die Endlichkeit des Menschen hat ihren Ursprung in der Sterblichkeit des Körpers; der Geist altert nicht und hinterlässt beim Tode der Person keine Leiche. Es ist davon auszugehen, dass der Tod eine Trennung von Geist und Körper ist, denn dieser Umstand ist bekannt; eine Aussage über die Fortexistenz des Geistes nach dem Tod lässt sich nicht empirisch überprüfen. Das Ich ist ein Ding jenseits von Raum und Zeit; Raum und Zeit sind im Ich, und nicht das Ich darin. Bedenkt man die daraus entspringende Idealität von Raum und Zeit, deren expliziter Beweis mit Kants transzendentaler Ästhetik bereits vorliegt, so offenbart sich der Körper als eine Vorstellung des Geistes; der Tod wird als das Ende der körperlichen Existenz, die eine natürliche Basis für das Bewusstsein bildet, unwesentlich, wogegen das transzendentale Fortbestehen des individuellen Geistes vor das Problem der Unkenntnis nichtkörperlicher Daseinsformen gestellt wird.



§ 20

Der transzendentalen Eschatologie zweiter Teil


Unter der idealistischen Prämisse stößt der spekulative Schluss vom Fortbestehen der Seele nach dem Tod auf einen faktischen Widerspruch durch die gegenständliche Inkommensurabilität des Diesseits mit dem Jenseits. Es kann überhaupt nur eine Welt geben, und eine Verdopplung der Welt kann nur ein logisches Moment sein, welches sich in der Einheit beider Teilwelten als das, was als Welt begriffen wird, nämlich die Allheit des Seienden, auflöst, was bedeutet, dass der Tod nur Schein, und kein wahrhaftes Sein ist.

Die Todesschranke erfüllt, wie anfangs bemerkt, die logische Bestimmung einer Schranke, deren Sein das Hinausgegangensein darüber ausspricht. Dennoch kann über den Tod nicht hinausgegangen werden, solange der Hinausgehende selbst seiend ist. Wer über das Sein - die Wahrheit des Scheins - hinausgeht, muss das Sein für den Moment des Hinausgehens verlassen; für den Seienden ist der Schein Sein, und nicht ohne den Rücktritt vom Sein aufzulösen.



§ 21


Das Sein ist als Ding an sich, über welches nicht hinausgegangen werden kann, dem Ich gegenüber selbstständig und widerständig. Der Tod ist die höchste Spitze des endlichen Seins, er ist das Sein des Endlichen, wie das Sein des Endlichen ein Sein zum Tode ist. 
 
Das Ich verhält sich zum Tode nicht anders als zum Sein selbst, also beim Schein nehmend und negierend. Da der Tod die Vollendung des Seins des Endlichen ist, ist die Negation des Todes die vollendete Negation, hiermit das wahre Sein des Selbstbewusstseins. Dieser Gedanke wurde im Existentialimus ausgesprochen, welcher das Sein des Ich als Rebellion gegen den Tod auffasste. Diese ausdrücklich willentliche Einstellung zum Tode ist durch die Beschaffenheit des Ich selbst gewollt; der Wille, der sich gegen den Tod richtet, ist keine Willkür, sondern der wahre Wille des seiner Selbst bewussten Lebens.



§ 22


Die Perspektive ist nun eine andere geworden, als zu Beginn der Erörterung, der noch nicht transzendental war, sondern sich auf eine phänomenale Perspektive gründete. So wurde anfangs untersucht, wie der Tod und das Leben nach ihm zu denken sei, hier jedoch steht die Frage, was der Tod ist, im Mittelpunkt. Anders als gemeinhin angenommen, bietet der Idealismus keine Basis für überschwängliches Schweifen in transzendenten Beliebigkeiten, vielmehr erlaubt er kein Herumschweifen um die bestimmten Begriffe mehr, was an der strengeren Art, in der diese Erörterung seit dem Einbruch des Idealismus gehalten ist, deutlich wird. Der Nachteil der idealistischen Perspektive liegt in ihrer Inkommensurabilität mit der phänomenalen Betrachtungsweise; wir wissen nun, was der Tod an sich ist, können aber dieses Wissen nicht in ein lebensweltlich verwertbares Wissen übersetzen. Die Transzendentalwissenschaft von einem Gegenstand kann keine Auskünfte darüber geben, wie dieser Gegenstand als bloßes Objekt erfahren wird; der Begriff einer Sache sagt nichts darüber aus, wie diese riecht, schmeckt oder sich anfühlt.



§ 23


Nachdem der Tod mit klaren Begriffen erklärt wurde, ist es an der Zeit, der Angst vor dem Tode, dieser primären Motivation nahezu sämtlicher Handlungen im moralisch-praktischen sowie im lebenskünstlerischen Bereich, ins Gesicht zu sehen. Der Tod ist so beschaffen, dass er formal Bekanntes und inhaltlich Unbekanntes ist; der Mensch weiß, dass es den Tod gibt, weiß aber nicht, was der Tod ist. Der Mensch weiß den Tod auch als das Aufhören seines Selbstbewusstseins, weiß aber nicht, wie er sich das Aufhören seines Selbstbewusstseins vorzustellen hat. Der Tod ist das Unbekannte schlechthin, das bekannte, das offenbare Unbekannte, ein Unbekanntes, welches eine Grenze des möglichen Wissens darstellt, - über den Tod hinaus kann man nichts wissen. 
 
Die resignative Wirkung des grell leuchtenden Unbekannten strahlt auf das Leben; das Wissen vom Nichtwissen, am Tode erkannt, bildet die Grundlage der kritischen Reflexion auf das Leben selbst, bekannt als erkenntnistheoretischer Skeptizismus sowie als Kynismus in der Lebensphilosophie. Das Hauptverwüstungsgebiet dieses Leuchtens der Dunkelheit ist zweifelsohne der ethisch-moralische Bereich. Anstatt an der Grenze zum Unerkennbaren als einem Gipfel der Erkenntnis das Erreichen desselben zu feiern, läuft der Mensch, vom Unbekannten zurückgestoßen, von Angst getrieben, in den Schoß der Intersubjektivität zurück, und bringt die frohe Kunde von der erreichten Grenze des Wissens als schlechte Nachricht von der Sinnlosigkeit des Lebens dorthin. Im transzendentalen Nihilismus wird diese vorauseilende Selbstzerstörung explizit thematisiert.



§ 24


Die Angst vor dem Aufhören seiner Selbst ist dem Ich eigentümlich, sie ist gar als die Negation des Nicht-Ich die phänomenale Äußerung dessen, was das Ich an sich ist. Das Ich ist, in Erlebnissprache übersetzt, die Angst vor dem Tode. Es ist billig und denkfaul, hier auf die idealistisch gewonnenen Erkenntnisse über die Natur des Todes zu verweisen und an die Vernunft zu appellieren, man möge doch die Angst vor dem Tode fahren lassen. Die verdrängte Angst kommt sofort als Furcht zurück, sobald das Vergessen selbst vergessen wird. 
 
Man kann die Angst vor dem Tode nur überwinden, indem man stirbt. Es ist auch belanglos, ob beim Passieren des Todesschranke das Ich oder die Welt für einen zeitlosen Moment zu sein aufhört; ohne Objekt ist kein Subjekt, und ohne Subjekt ist kein Objekt. Der Moment des Todes ist zeitlos, da die Zeit selbst ein innerer Sinn des Subjekts ist, - die Zeit ist im Ich. Es ist widersinnig, zu fragen, wo denn die Seele im Moment des Todes sein wird, denn auch der Raum ist ein innerer Sinn des Subjekts, wobei der Raum wie die Zeit selbstredend Sinne für Äußeres sind, so wie der Tatstsinn ja nicht sich selbst, sondern alles ihm gemäße Gegenständliche außerhalb seiner Selbst ertastet.

Es ist amüsant, bereits in den Meditationen des Cartesius, dass das vermeintlich abstrakte Ich bei näherer Betrachtung mit einer Art Leiblichkeit umfangen wird, zu der bestimmte Sinne und Vermögen gehören, ohne welche das Ich als Solches nicht zu denken ist. Um Selbstbewusstsein zu sein, muss das Ich empfänglich, empfindlich, vorstellend und reflexiv sein; das Ich muss eine Art transzendentaler Sinnlichkeit als Voraussetzung jeder gegenständlichen Erfahrung mit sich führen, - der körperlose Geist ist nicht blind, sondern sehend, und er ist kein leeres Abstraktum, sondern bestimmtes Seiendes, sein eigentümlicher Leib ist die Seele.



§ 25


Die Seele ist als bestimmtes Seiendes Substanz, das Ich kein leeres Subjekt. Nichts anderes ist mit der Auferstehung der Leibes im Christentum impliziert, als das Weiterbestehen des bestimmten individuellen Selbstbewusstseins nach dem Tode. Die kontingente Art der Leiblichkeit, ihre Chemismen und Biologismen tun nichts zur Sache; zum Begriff der Leiblichkeit gehört nichts weiter, als transzendentale Sinnlichkeit, das Vermögen, kontingentes Seiendes außerhalb seiner Selbst als Gegenstand des Wahrnehmens - nicht des Denkens - gegeben zu bekommen. Zur Leiblichkeit gehört das den Gegenständen der Sinnlichkeit gemäße Beschaffensein des konkreten Selbst, des Körpers der Person. Nicht der physische Leib ist zur Auferstehung bestimmt, sondern der Leib als Leib, das Konkretum der Persönlichkeit. 
 
Persönlichkeit meint freilich nicht eine bestimmte Fülle intersubjektiver Eigenschaften einer Person, sondern deren höchste Konkretheit, die eng mit deren Leiblichkeit verbunden ist. Das selbstbestimmte Aussehen eines Menschen ist also nicht eine bloße Frage des Stils, sondern eine Frage von höchster Intimität, die das Verhältnis der Person zu sich selbst zum Inhalt hat. Hier ist nun die Grenze des Psychologischen erreicht, und an dieser Grenze muss die Vernunft stehen bleiben, - das Psychologische ist ein Spielplatz des noch nicht vernünftigen, bloß reflexiven Verstandes und soll, unfruchtbar für die Vernunft, diesem weiterhin überlassen werden. Vom Interesse ist stattdessen die Auferstehung des Leibes im christlichen Glauben und inwiefern das Christentum über den bloßen Glauben hinaus eine transzendentale Eschatologie vorbereitet.



§ 26

Der transzendentalen Eschatologie dritter Teil


Nicht zum Spaße ward oben die Rede vom Weiterbestehen des bestimmten individuellen Selbstbewusstseins nach dem Tode. Diese Formulierung offenbart, was sie verschleiert, - dadurch, dass sie einen bestimmten Umstand zu verschleiern im Stande ist, soll sie zur Offenlegung desselbigen dienstbar sein. Das Weiterbestehen einer Person nach dem physischen Tode unterschlägt die durch den Tod entstehende Diskontinuität im Sein der Person und stellt eine verdeckte Kontinuitätsbehauptung auf. Der Tod wird somit nur als eine Tür in eine andere Welt vorgestellt, und soll als Tod nicht wirklich sein. Dieselbe Vorstellung liegt den Mythen über die Seelenwanderung zugrunde, aber auch Gespenster sind dieser Vorstellung der Unwirklichkeit des Todes geschuldet. Ein gläubiger Christ, der solche Spekulationen für wahr hält, leugnet hiermit das Christentum, denn er will auferstehen, ohne zu sterben. Dem Christentum ist der Tod wesentlich; das Christentum ist der Glaube an die Auferstehung der Toten, und nicht an einen geheimen Schlüssel, der Türen zu anderen Welten öffnet.



§ 27


Die Auferstehung der Toten ist dem Christentum freilich nicht als exklusives Glaubensgut gegeben worden, vielmehr gibt es unzählige Religionen, die von der Auferstehung der Toten künden. Die Lebensgeschichte Jesu ist nicht einzigartig, - viele Mythen handeln von einem gestorbenen und wiederauferstandenen Gott. Nun aber ist Jesus nicht nur wahrhaft gestorben und auferstanden, sondern wahrhaft Mensch und wahrhaft Gott. Beides steht im christlichen Glauben in einem unmittelbaren Zusammenhang; wäre Jesus nur als ein Gott behauptet worden, so wäre seine Auferstehung nichts Besonderes, sie erinnerte vielmehr an die Jahreszeiten in gemäßigten Klimazonen. Stellt man sich Jesus als einen gewöhnlichen Menschen vor, so wird seine Auferstehung bestenfalls zum Mysterium, logisch betrachtet aber, zum Unsinn, zu einer abenteuerlichen, den Naturgesetzen widersprechenden Tatsachenbehauptung. 
 
Die Kirche hätte nicht auf Petrus, sondern auf dem ungläubigen Thomas gebaut werden müssen; nicht der feige aber treue Fanatiker, sondern der Zweifler, der nicht bloß glauben, sondern wissen will, der nicht auf den Glanz, sondern auf die Wunden seines Gottes schaut, dient der göttlichen Offenbarung. Nicht der am Lautesten lobgepriesene Gott ist der wahre Gott, sondern der, der an sich zweifeln lässt, die Vernunft nicht verbannt. Freilich stellt sich die Frage, wozu dann glauben, wenn man endlich weiß, jedoch ist Gewusstes und Geglaubtes keinesfalls identisch; so wie jedes auf sich logische Schlüsse gründende Wissen die Gültigkeit der Logik transzendental voraussetzt, muss der als Gott gewusste Gott sich erst durch seinen Willen als Gott offenbaren. Das Offenbarte mag die Vernunft als wahr erkennen, die Offenbarung selbst ist ein Akt des Willens, also der Freiheit, und nicht der Notwendigkeit.



§ 28


Es gibt also nichts, woraus die göttliche Offenbarung logisch folgen müsste. Der Gott der Christen ist nicht pantheistisch zu fassen, er ist nicht eins mit der Welt, sondern außerhalb der Welt. Die Ursache allen Seienden, der Schöpfer der Welt, ist nichtseiend, da er als seiend Geschöpf wäre; er ist selbst ungeschaffen und erschafft die Welt aus seinem freien Willen, aus dem Nichts. Der Deismus der Aufklärer ist durchaus kein höflicher Atheismus, wobei nicht der Anfang der Welt für den christlichen Glauben entscheidend ist, - eschatologisch kann er sogar vernachlässigt werden.

Gott erschöpft sich nicht in der Erschaffung der Welt, sondern er setzt sich selbst als der Endzweck der Welt, er wird Mensch. Die Menschwerdung Gottes ist das wahre Geheimnis des Christentums, ein Geheimnis, in welchem die Einzigartigkeit dieses Glaubens verborgen ist. Da Gott Mensch wurde, muss der Mensch Gott werden, aber nicht im technokratischen Sinne, sondern so, dass er durch das Nichtsein schreiten muss. Gott stirbt, um Mensch zu werden, und der Mensch muss durch das Nichtsein hindurchgehen, um Gott zu werden. Gott ist das Absolute; phänomenal wird dieses als höchste Glückseligkeit erlebt, als das Ewige Leben.



§ 29


Erst mit dem Kreuztod Jesu offenbart sich also der Sinn des Todes; über den Sinn des Lebens vermochten Denker aller Zeiten verschiedenste Gedanken anzustellen, der Tod aber brachte sie mit seiner Sinnlosigkeit zum Verzweifeln. Nun aber wird deutlich, dass der Mensch als Seiendes von Gott getrennt ist, und mit Gott nur eins werden kann, indem der das Nichtsein erfährt. Die Offenbarung vom Sinn des Todes und die Erlösung der Menschheit von der Todesangst war keine logische Notwendigkeit, sondern, wie die Erschaffung der Welt, ein freier Akt des göttlichen Willens. Gott verhält sich zum Menschen nicht unpersönlich, nicht als die Natur oder als das Gesetz, vielmehr als ein freies Subjekt, und die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht einzig in seiner Freiheit. Es ist sehr optimistisch, die menschliche Vernunft als der göttlichen gemäß zu begreifen, und die Logik als Denken wie Gott. Die Freiheit allerdings ist nur eine Einzige, und zwar die absolute Freiheit, welche darin besteht, autonome Ursache des eigenen Willens zu sein. Der gemeine Verstand wird eher die Logik zum Kriterium der Gottebenbildlichkeit erheben, was nicht ganz unberechtigt ist, da Gott doch der Logos ist, und am Anfang das Wort war, aber die Bedingtheit der Gültigkeit logischer Gesetze durch eine ihnen vorausgehende willentliche Setzung ihrer Gültigkeit wird allzu bereitwillig vergessen. 


  
§ 30


Gott und Mensch verhalten sich zueinander als absolut Freie. Die Freiheit im Nichts ist aber eine Freiheit zu nichts, und so muss es ein Reich der Notwendigkeit geben, damit sich die Freiheit entfalten kann. Die Naturgesetze werden durch die Wunder Jesu also keinesfalls außer Kraft gesetzt, und Jesus ist ausgesprochen geizig an Wundern, was nur bedeuten kann, dass sie die Freiheit als das Wesentliche, und die Notwendigekeit als das Unwesentliche aufzeigen sollen. Es lag einzig in der Freiheit des Gottmenschen, die Menschen diese Wunder sehen zu lassen, - sie waren weder zur Menschwerdung Gottes noch zur Erlösung der Menschen vor dem Tode notwendig. 
 
Das Moralische ist für alle Religionen nicht aus dem Grunde wichtig, der sie zum Opium des Volkes oder zum Herrschaftsmittel bestimmt, sondern allein aus dem Grund, dass der Mensch sich im moralischen Handeln nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zu Gott verhält, indem er absolut frei handelt. Die Umstände der moralischen Handlung sind nicht das Bestimmende, sondern die Materie, in der sich die Freiheit zu entfalten hat; gäbe es keine Bedürfnisse, keine Gelüste, keine psychologischen Dispositionen und keine äußere Gewalt, so verkäme die Freiheit zur Beliebigkeit, und der Wille erschöpfte sich im bloßen Wollen, ohne sich äußern zu können.



§ 31


Der Mensch ist, was er tut, und tut, was er ist. Das Tautologische hierin ist nur die Form, in der das Verhältnis eines Subjekts zu sich selbst erscheint. Dieses Verhältnis ist nicht bloß tautologisch, sondern reflexiv; der Mensch ist nicht bloß, sondern er wird, er wird daran was er tut zu dem was er ist, tut aber auch dadurch, was er geworden ist, das, was er tut. Das Böse kommt freilich durch die Zwecke, die der Mensch sich setzt, in seine Handlungen. Setzt er sich endliche Zwecke, ist ihm alles außer seiner Selbst nur Mittel zum Zweck, was erst dann aber die Höhe und Würde des Bösen erreicht, wenn der Mensch sich die endlichen Zwecke absolut setzt, - eine aufschlussreiche Formulierung, die erkennen lässt, dass der Mensch, in dem er sich seine endlichen Zwecke absolut setzt, zugleich sich selbst in diesen Zwecken zum Absoluten bestimmt.

Der Mensch, der seine endlichen Zwecke endlich setzt, ist der gewöhnliche Alltagsmensch, und steht in keinem moralischen Verhältnis zu niemandem. Niemand wird dadurch böse, dass er ein Glas Wein trinkt, wenn aber das Weintrinken ihm das Höchste ist, dann setzt er seine Freiheit in einen Objekt und erniedrigt sich dadurch zum Herrn der Fliegen. Gleichwohl zeugt die unbestechliche Selbsterniedrigung, die unerbittliche Verweigerung Gottes als Endzweck, das Beharren auf sich selbst, und die Demonstration dessen in der Setzung seiner Freiheit in alle vorstellbaren niedrigen Dinge, von einer Willensstärke, die dem gemeinen Alltagsmenschen beim besten Willen nicht zu unterstellen ist, - die Blindheit des Alltagsmenschen für das Absolute ist nicht seiner Bosheit, sondern vielmehr seiner Tierhaftigkeit geschuldet.



§ 32


Aus dem oben Gesagten wird nun deutlich, dass das Ewige Leben sowie die Verdammnis nicht erst all Vollzug göttlicher Rechtsprechung nach dem Tode beginnen, sondern selbstgewählt mitten im Leben anfangen. Es zeugt von einer erbärmlichen Phantasiebegabung, sich jene Menschen, denen das Ewige Leben zuteil wurde, als dauergrinsende Idioten vorzustellen, - es kann der grimmigste oder ärmste Mensch sein, der, obwohl er seelische und körperliche Not leidet, gleichwohl in seinem Herzen erlöst ist und sich des höchsten Glücks erfreut. 
 
Das wahre Leben fängt also nicht erst mit dem Tod an, sondern schon davor, - erst angesichts der Überwindung des Todes wird aber die Vollkommenheit erreicht; vor dem Tode ist der Mensch ein Sterblicher, nach dem Tode ein Unsterblicher, - ein Satz, der die froheste Botschaft und die höchste Spitze des Zynismus gleichermaßen enthält.



§ 33


Die Eschatologie ist nicht beliebigerweise eine theologische Disziplin, sie ist aber auch der Punkt, an dem sich die Theologie und die Anthropologie berühren. Die Wissenschaft vom Tode verbindet die Wissenschaft von Gott mit der Wissenschaft vom Menschen, weil ihre Gegenstände sich gleichermaßen zueinander verhalten. Erst angesichts des Todes steht der Mensch dem Absoluten, Gott gegenüber. Ein Leben ohne Tod wäre ein gottloses Leben. 
 
Als ein abstrakt Absolutes ist Gott dem Menschen genauso feindlich wie der Tod, darum war das historisch erste religiöse Verhältnis des Menschen die Gottesfurcht. Fürchte nur mich, war das göttliche Gesetz des abrahamitischen Bundes, und dieser Gott war ein gegenüber allen möglichen Quellen der Furcht eifersüchtiger Gott. Siehe, ich bin tot, sagt der Mensch gewordene Gott des neuen und ewigen Bundes, also sollst auch du dich vor dem Tod nicht fürchten. Das Christentum erweist sich als die den transzendentalen Voraussetzungen der menschlichen Seinskondition einzig gemäße Religion, die aber ihrem eigenen Anspruch nach nicht verwaltet, sondern gelebt werden will. Der Mensch gewordene Gott kündet nicht von einer weltlichen Macht der Kirche, sondern von der Zerstörung des Tempels. Gott stirbt den peinlichsten Tod, um den Menschen von seiner Pein zu erlösen; er zeigt sich als das ins Endliche eingebrochene Unendliche, er ist die absolute Gewissheit und kein Objekt vom Glücksspiel etwa eines Pascal. Die transzendentale Eschatologie verhält sich nun zur Religion wie die Naturwissenschaft zur Technologie. Die Wahrheit des Christentums ist transzendental möglich; ob sie für den einzelnen Menschen wirklich wird, entscheidet allein dessen freier Wille. 
 
Die Wahrheit des Christentums ist die Wahrheit vom Tod Gottes, die der Nihilismus allerdings nur als Halbwahrheit an sich nimmt, indem er den Tod nur halb nimmt, nämlich als bloße Rückführung des Seienden ins Nichts, nicht wissend, dass aus diesem scheinbaren Nichts, welches in Wahrheit Gott ist, das Seiende bereits entstanden ist und genauso wiederentstehen kann. Gott ist tot, und darum hat auch der Mensch den Tod nicht zu fürchten.



§ 34

Transzendentaler Nihilismus


Religion ist das Verhältnis des Menschen zum Tode, die Verweigerung dieses Verhältnisses ist der Nihilismus. Der Nihilismus hält das Nichts des Todes fest, ohne das Leben zum Tode loszulassen. Infolge dessen bestimmt sich das nihilistische Verhältnis zum Tode als eine exponentiell wachsende Furcht, zur Sterblichkeit als quälende Ungeduld, zum Leben als Nostalgie. Der Nihilismus betrachtet das Leben von der Zukunft her, er sieht alles angesichts dessen zukünftigen Nichts. Der Satz, dass Gott tot ist, bedeutet im Nihilismus nicht, dass Gott den Tod besiegt hat, sondern dass der Tod Gott besiegt hat, also das Nichts den Willen, die Substanz das Subjekt. Folglich kennt der Nihilismus auch keine Freiheit, da doch alles vom Tod zum Tode bestimmt ist.



§ 35


Im Bewusstsein dessen, dass der Tod als absolutes Ende allen Seins in der Zukunft unvermeidlich eintreten wird, wird die Tatsache, dass er in der Gegenwart auf sich warten lässt, zum Todesurteil. Unbewusst handelt der Nihilist frei, indem er sein Schicksal in die Hand nimmt und agiert, wobei er sein Agieren als ein Reagieren erlebt. Bevor er vom Tode zerstört wird, zerstört er sich selbst, und diese vorauseilende Selbstzerstörung wird in einer nihilistischen Kultur zum pseudoreligiösen Ritual. 
 
Es ist nicht das Zufällige, dessen Zerstörung durch den Tod als ungeheuerlich erlebt wird, sondern das Innigste, - das, was geliebt wird, nicht das, was besessen wird. So erleben wir eine ungewöhnliche Zärtlichkeit gegenüber dem Eigentum, wohingegen der Leib, die Seele und die Würde des Menschen einer kulturell gewünschten Zerstörung anheim fallen. So stellt sich im Spielfilm "Dreizehn" aus dem Jahr 2003 die Emanzipation - die Befreiung von der Herrschaft des elterlichen Willens zum eigenen Willen - eines Kindes wahrheitsgemäß als eine selbstzerstörerische Bewegung dar. Kaum taucht der eigene freie Wille auf, schon wird das Leben mit ihm unerträglich, und der Wille wendet sich gegen das Leben. Es könnten freilich andere Formen der Befreiung des Willens gewählt werden, als die Form des Bösen, des Setzens endlicher Zwecke über die eigene Würde, zumal es keinesfalls das Gute ist, sondern ein zufälliger Wille, von dem die Befreiung sich zu vollziehen hat, allein wird der eigene freie Wille schlagartig zu diesem unerträglichen Guten, dieser Unendlichkeit, der die Negation schließlich gilt.



§ 36


Die transzendentale Voraussetzung für den Nihilismus liegt in der Verweigerung der Unendlichkeit dem eigenen Verstande, der Verabsolutierung des Verstandes und seiner Setzung anstelle der Vernunft, zu der man den Verstand nicht aufsteigen lässt. Eine bärendienstliche Vorarbeit hierzu leistet Kants Transzendentalphilosophie, die, um die Mannigfaltigkeit der Dinge - verdeckt mit dem Feigenblatt des Dings an sich - nicht dem auflösenden Widerspruch auszusetzen, den Tod aus der Natur in den menschlichen Geist verbannt. 
 
Um den totalitär gewordenen Nihilismus unserer Kultur zu überwinden, muss man seine transzendentalen Voraussetzungen verstehen. Nicht zufällig befördert diese Kultur Atheismus und Götzendienst und will den Geist des Christentums gleichsam ausrotten. Die christlichen Kirchen sind ein Teil dieser nihilistischen Kultur, und darum handelt es sich beim Kulturkrieg der öffentlichen Meinung gegen die Kirche um einen Scheinkrieg, denn sobald die Kirche sich bereit erklärt, alles eigentümlich Christliche fahren zu lassen, wird sie, oder vielmehr all das Redundante und Zufällige, das Unchristliche bis Antichristliche an ihr, wieder zu einer sinnstiftenden Institution dieser Gesellschaft werden.



Beschluss der transzendentalen Eschatologie


Die Eschatologie erwies sich in ihrer transzendentalen Erörterung als keine einzelwissenschaftliche, sondern eine der Wissenschaft vom Absoluten zugehörige, also philosophische Disziplin. So wie die Funktionsweise der Atombombe ohne ein adäquates Studium der Physik nicht zu verstehen ist - gleichwohl ist das geschäftige Wie dem Dummkopf leicht erklärt, für das kindliche Warum bedarf es der Kenntnis der Grundlagen - , ist die Eschatologie ohne ihre philosophischen Voraussetzungen nicht zu begreifen. Es ist eine Gnade Gottes, dass es keiner philosophischen Bildung bedarf, seiner Offenbarung teilhaftig zu werden; da eine Handlung aus freiem Willen nicht dem Gesetz der Notwendigkeit unterliegt, kann sie unmittelbar - ohne hinreichendes Studium dieser Gesetze - verstanden werden. Ebenso findet die Liebe nicht erst mit der langen und harten Fortentwicklung des endlichen Verstandes zur unendlichen Vernunft Eingang ins menschliche Leben, sondern ist in diesem unmittelbar vorhanden, und dem Nihilismus ist allein schon aus der Intuition, die besagt, dass er sich als die Negation der Liebe verhält, der Selbstliebe halber abzuschwören.