Einleitung
"Ich
verstehe unter einer transzendentalen Erörterung die Erklärung
eines Begriffs, als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer
synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann".
Immanuel Kant
Die
Eschatologie - um nicht bloß eine Lehre von den letzten Dingen,
sondern eine Wissenschaft vom Leben nach dem Tode zu sein - muss
einer transzendentalen Revision unterzogen werden. Eine Eschatologie
als Erfahrungswissenschaft ist nicht möglich, - gleichwohl wird
ausnahmslos jedem menschlichen Wesen die transzendente Würde zuteil,
die Erfahrung des Todes zu machen - man stelle sich die Schrecken
eines ewigen irdischen Lebens, eines Lebens ohne den Tod, nur
hinreichend vor - , doch zum nachfolgenden wissenschaftlichen
Schritt, dem Vergleich und der Systematisierung der Erfahrungen kann
man aufgrund der Eigentümlichkeit des Todes nicht gelangen. Ein
Versuch, die Grenzen der systematisierbaren Todeserfahrungen zu
umreißen, ist ungeachtet dessen zu leisten, doch letztlich muss das
Unerfahrbare in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.
Die
Eschatologie kann keine empirische Wissenschaft sein und muss den
Geisteswissenschaften wie Mathematik und Theologie im Gefängnis der
Logik Gesellschaft leisten. Der rationalistische Pessimismus, der
allen Sätzen der Mathematik nur analytische Erkenntnisse zugesteht,
wird jeder Geisteswissenschaft den unvermeidlichen Tautologievorwurf
zu stellen wissen, allein ist die Tautologie mitnichten eine
Sackgasse der Logik. Der Satz "Ich bin ich" ist
tautologisch, Subjekt und Prädikat verweisen bloß aufeinander, es
kommt keine neue Erkenntnis hinzu. Abgesehen von der sprengenden
Kraft des "bin", welches dem bloßen Begriff der
Selbstidentität das Sein zuerkennt und den Begriff somit aus dem
Denken in das Sein entlässt, spricht der Satz "Ich bin ich"
immer "Ich bin nicht ich" mit, und weist auf das Negative
seines Inhalts hin. Durch die schöpferisch-zerstörerische Kraft,
die in der Tautologie als Seinsbehauptung einerseits und Negation
andererseits enthalten ist, sind Geisteswissenschaften als
Wissenschaften möglich. Durch die dem menschlichen Geist immanenten
Phänomene, welche keiner empirischen Überprüfung unterliegen -
Hirnströme etwa geben die Qualität der Gedanken nicht preis - ,
bekommt die Eschatologie ihren eigentümlichen Inhalt.
§ 1
Der Tod ist als
ein irreversibles Ende der psychophysischen Existenz bekannt; eine
künstliche Wiederbelebung des Körpers einer toten Person stellt die
geistige Identität derselben nicht wieder her. Ebensowenig existiert
physisch ein vom Körper losgelöster Geist. Der eigene Tod kann
niemals zum Gegenstand systematisierbarer empirischer Erfahrung
werden; der fremde Tod gibt nur sein negatives Moment, die Beendigung
der Existenz der den Tod erfolgreich absolvierender Person preis. Aus
der empirischen Beobachtung eines sterbenden Menschen lassen sich
keine Schlüsse auf ein Leben nach dem Tod ziehen.
Der Tod ist
dreigeteilt: erstens der empirisch erfahrbare Tod, das positive
Sterben einer Person, zweitens der jenseitige, negative Tod, und
drittens eine Grenze zwischen Beiden. Die genannte Grenze ist die
Grenze empirischer Erfahrung; nur der positive, daseiende Tod, das
erfahrbare Aufhören der physischen Existenz einer Person, kann mit
den Mitteln der Naturwissenschaft erforscht werden. Der positive Tod
kann durchaus eine Basis für Spekulationen darstellen, die im
Folgenden dargelegt werden sollen.
§ 2
Positive
Eschatologie
Die positive
Eschatologie untersucht die Spekulationen hinsichtlich der
phänomenalen Zustände eines menschlichen Bewusstseins nach dem
physischen Tode. Die hier auszuführenden Spekulationen schließen
vom Bekannten auf das Unbekannte und haben empirische Grundlagen.
Erfahrene Zustände werden auf ihre Möglichkeit des Vorkommens
jenseits der Todesschranke untersucht.
Das menschliche
Gehirn zelebriert den erwarteten Tod auf seine eigentümliche Art,
was angesichts der Positivität vorliegender Erfahrungen der
empirischen Untersuchung nicht verschlossen bleibt. Eines der so
gewonnenen Resultate ist das Phänomen des euphorischen Zustandes im
Zusammenhang mit dem Schnelldurchlauf durch das abzuschließende
Leben. Ein plötzlicher Tod kann nicht auf dieselbe Art untersucht
werden; außerdem gibt es keinen reversiblen plötzlichen Tod, der
Nahtoderfahrungen bereitstellen könnte. Ungeachtet dessen produziert
das Gehirn eines plötzlich Sterbenden dennoch bestimmte phänomenale
Zustände. Unterscheiden sich die Erfahrungen des Blitztodes von den
Erfahrungen erwarteten Todes? - Eine empirisch unzulässige Frage,
die einen nicht unbestimmten Vergleich des Bekannten mit dem
Unbekannten zur Voraussetzung hat. Über die Qualität unbekannter
Erfahrungen kann nichts gesagt werden, und so bleibt es der
Spekulation überlassen, von der Qualität bekannter Erfahrungen
darauf zu schließen.
§ 3
Als ein
plötzlicher Tod kann nur ein Tod gelten, der mit dem plötzlichen
Hirntod im Zusammenhang steht. Ein plötzlicher Todesfall, der im
Fall seines Missglückens zu einer Nahtoderfahrung führt, kann nicht
als plötzlicher Tod bzw. Fast-Tod der Untersuchung zugeführt
werden. Das Erwartungsmoment ist nicht historisch aufzufassen; eine
Erwartung kann ebenso plötzlich eintreten, selbst wenn der Sterbende
nur den Bruchteil einer Sekunde zum Aufbau der Todeserwartung gewährt
bekommt.
Ein plötzlicher
Tod schließt keineswegs planmäßiges Sterben aus; ein Freitod kann
ebenso plötzlich wie erwartet sein. Kurz vor dem Kopfschuss hat die
ihr Leben abschließende Person bekannterweise keine
Todeserfahrungen, - sie weiß noch nicht genau, ob sie denn
tatsächlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt abdrückt. Ein erwarteter
Tod ist ein Tod, auf den sich das Bewusstsein einstellen kann, dessen
Heraufkunft also bewusst erfahren und vom Gehirn dementsprechend
vorbereitet werden kann. Ein plötzlicher Tod ist ein sofortiger
Übergang von normaler Hirnaktivität zum Hirntod. Was in der
betreffenden Zeit phänomenal erlebt wird, kann nur aus den als
Nahtoderfahrungen bekannten Erfahrungen erwarteten Todes abgeleitet
werden.
§ 4
Der
Widerlichkeit halber dürfen keine Todesumstände verschwiegen
werden, und so ist die Frage nach der Qualität der Todeserfahrungen
vom auf dem Scheiterhaufen verbrennenen, im Fäkalien ertrinkenden
oder von Ratten lebend gefressenen Hinrichtungsopfer unbedingt zu
stellen. Kommt der erwartete Tod in einem Zustand der Angst, des
Ekels, des Beengtseins, und wird er spekulativ fortgeschrieben, so
brennt die Seele eines Verbrannten, altertümlichen Mythologien nicht
unähnlich, in Ewigkeit fort. Der kalte nihilistische Materialismus
wird auf einmal zum Gegenstand innigster Hoffnung, denn wenn der
endgültige Hirntod die totale Auslöschung des Subjekts der
Erfahrung zur Folge hat, erfreut sich der Hingerichtete nicht nur des
Aufhörens seiner Pein, sondern gleichsam totalen Vergessens.
Um
Horrorvorstellungen kommt man keineswegs herum, weshalb die
beispielhafte Einführung in die asymptotische Theorie des Sterbens
Not tat. Die asymptotische Theorie des Sterbens geht von einer
phänomenalen Zeitverbiegung aus, also davon, dass der Sterbende die
Zeit nicht linear, sondern an der Todesschranke als einer Asymptote
verbogen, erfährt. Im phänomenalen Erleben wird der endgültige Tod
womöglich gar nicht erfahren, vielmehr perenniert der Zustand des
Sterbenden für diesen in alle Ewigkeit, was den objektiv nach einer
bestimmten Zeit eintretenden und messbaren Hirntod nicht tangiert.
§ 5
Das Grauen
macht den Wunsch zur Not. Hängt die phänomenale Qualität des
erwarteten Todes von den Todesumständen ab, so wäre ein plötzlicher
Tod, um der Höllenpein zu entrinnen, durchaus erstrebenswert. Der
sein Leben Abschließende hätte eine Todesart zu wählen, die den
sofortigen Hirntod zur Folge hätte, da ein Leben, welches den Tod
wünscht, kein wünschenswertes Todeserleben bereit zu halten bereit
wäre.
Die
Schlaftheorie des Todes bremst die Euphorie des eschatologischen
Pessimisten angesichts der scheinbaren Schmerzlosigkeit des
plötzlichen Todes. Kann der Todeswillige mit dem plötzlichen Tod
dem Einfluss äußerer Quellen des Unbehagens auf den Todesprozess
entrinnen, so handelt es sich beim Schlaf um einen inneren Zustand,
der - zieht man die asymptotische Theorie des Sterbens mit in
Betracht - durch einen zeitlichen Kurzschluss nicht übersprungen
werden kann. Ob die asymptotische Todesschranke eine Minute oder eine
Millisekunde vom Anfang des Todesprozesses entfernt ist, die Zeit bis
zur Asymptote wird sich ins Unendliche ausdehnen. So wird der den
Freitod Wählende sein Unbehagen mit ins ewige Grab nehmen; sich
selbst kann keiner entkommen - auch im Tode nicht.
Spekulationen
religiöser Natur oder minderer Grundsätzlichkeit gehören nicht
hierher; nur auf einer empirischen Basis stehende Spekulationen sind
von Bedeutung für die positive Eschatologie. Die Konturen der
erlaubten Spekulationsbahnen sind umrissen; es ist vom empirisch
erfahrbaren Bekannten auszugehen und daraus - ohne Beimischung
moralischer oder religiöser Inhalte - auf das Unbekannte zu
schließen. Letztlich überschreiten diese Spekulationen die
Todesschranke keineswegs, sie schieben diese nur ins Unendliche fort.
§ 6
Negative
Eschatologie
Über das
Jenseits einer unpassierbaren Grenze lässt sich nur sagen, dass es
unmöglich ist, etwas darüber zu wissen. Es verhält sich hiermit
jedoch so wie mit dem Ding an sich, das Kant vorschnell als
unerkennbar bestimmte, wobei er gedankenverloren das Naheliegendste
aus den Gedanken verlor, nämlich das Wissen um das Sein dieses
Unerkennbaren. Was als seiend postuliert werden kann, ist nicht so
unbekannt, wie es zunächst erscheint; nur etwas, dessen Sein ein
Bekanntes ist, kann als Unbekanntes erkannt werden.
Eine Grenze,
deren Jenseits nicht als Jenseits bekannt ist, ist nicht als Grenze
bewusst. Das Tier, das nicht um seine Sterblichkeit weiß, hat keine
Vorstellung vom Jenseits. Der Mensch weiß mit seiner Sterblichkeit
auch um das Jenseits des Todes. Die phänomenale Qualität des
Jenseits ist das Hauptanliegen einer wissenschaftlichen Eschatologie.
Empirisch ist ins Jenseits nicht vorzudringen, aber der
transzendentale Weg bedarf keiner Erfahrung. Um diesen Weg zu ebnen,
muss die reinigende Kraft der Negation den Irrtum und manch
vermeintliches Wissen aus dem Weg räumen.
§ 7
Die
Glaubenstradition jeder Kultur bietet reichlich vermeintliches Wissen
über das Jenseits der Todesschranke. Für Mythen über das Jenseits
ist wissenschaftliche Irrelevanz charakteristisch - sie sind weder zu
beweisen noch zu widerlegen. Daher ist es nicht von Belang, wie die
Städte im Himmerlreich aussehen oder wie welche klimatischen
Bedingungen in der Hölle vorherrschen. Die Religion produziert
zufällige oder archetypische Antworten auf die Fragen nach der
phänomenalen Qualität der jenseitigen Erfahrungen. Der Zufall hat
soviel Recht, wie seine Wahrscheinlichkeit mathematisch zulässt;
keines der Mythen über das Jenseits ist Unsinn, - in der Lotterie
gibt es trotz des Ratens und Wettens auf Unwahrscheinliches hin und
wieder Gewinner. Die Einzelheit des individuellen Lebens und
Sterbens, das Fehlen zusätzlicher Versuche zwingt zum Wissen; wer
nur einen Versuch hat, will die richtige Lösung wissen, nicht bloß
erraten.
Bestimmtes von
Unbestimmtem zu wissen ist nicht möglich, wobei das Unbestimmte kein
an sich, sondern ein für uns Nichttote Unbestimmtes ist. Wer bereits
tot ist, steht etwas Bestimmtem gegenüber, ob dem Nichts, dem
Himmelreich, der Hölle oder seiner Realität gewordenen
Phantasiewelt.
Die
Eschatologie als Wissenschaft muss sich zu positiven Aussagen über
das Jenseits negativ verhalten; vermeintliches Wissen ist der Feind
aller Wissenschaft, das Unwissen hingegen ist ihr Freund, und es ist
der fruchtbare Boden des Agnostizismus, auf dem eine
wissenschaftliche Eschatologie zu entwickeln ist.
§ 8
Es ist nicht
dasselbe, etwas nicht zu wissen und zu wissen, dass etwas nicht auf
eine bestimmte Art beschaffen ist. Aus dem Nichtwissen über das
Jenseits des Todes lässt sich keine Widerlegung mythischer
Vorstellungen des Totenreiches ableiten. Die Spekulationstiefe der
negativen Eschatologie ist daher kaum geringer als die der positiven
Eschatologie; das Anfangsmoment zum Festhalten fehlt hier allerdings,
und den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt, womit das
Erkenntnisinteresse sich von den Möglichkeiten selbst auf den
praktischen Umgang mit denselben verschieben muss.
Himmel für die
Guten ist genausogut möglich wie Hölle für alle; Hölle für die
Blonden und Nirwana für die Weißen ist keineswegs
unwahrscheinlicher als Wiedergeburt für die Inder und Reich des
Hades für Nichtgriechen. Da wir nicht wissen können, ob Moral nach
dem Tode noch gilt, muss sie in der praktischen Eschatologie mit
Lebenskunst zusammenfallen.
Die praktische
Eschatologie beleuchtet den gedanklichen Umgang mit möglichen Welten
jenseits der Todesschranke und rückt dabei die Frage nach der
hedonischen Qualität derselben in den Mittelpunkt.
§ 9
Praktische
Eschatologie
Es gibt im
Wesentlichen zwei hedonische Qualitäten: Lust und Unlust;
umfassender, aber dadurch verschwommener: Glück und Unglück. Beide
Begriffspaare werden benutzt, da das, was sie ausdrücken sollen,
genau dazwischen liegt: Glück kann leicht als autistische
Selbstzufriedenheit ungeachtet der widrigen Lebensbedingungen
missverstanden werden, so dass sich jemand in der Hölle glücklich
schätzen kann, wenn es nur fest genug daran denkt, sie eigentlich
nicht verdient zu haben; Unglück trägt den Kometenschweif des bösen
Schicksals mit sich herum. Lust und Unlust pfelegt man gewöhnlich
auf die Befriedigung gröbster Bedürfnisse zu reduzieren; es geht
aber um nichts Geringeres als die gesamte Fülle des glücklichen
oder unglücklichen Seins.
Klügere
Jenseitsideologien sind abstrakt, sie verheißen den Gläubigen ihrer
Religion keine Weintrauben, um welche Vögel im Jahreszyklus kreisen,
wie die Erde um die Sonne, keine runde oder symbolbehaftete Anzahl
nimmerschwangerer immerschöner Jungfrauen, sondern einfach nur
Glück. Je weniger über Unbekanntes inhaltlich, dessen phänomenale
Qualitäten betreffend, gesagt wird, umso mehr wird davon ausgesagt.
Die Umschreibungen und Ausschmückungen sind zufällig, Glück als
phänomenaler Zustand das Wesentliche. Die Frage des Verdienens muss,
will man wissenschaftlich bleiben, beiseite geschoben werden, denn
letztlich - vorausgesetzt, jeder bekommt, was er verdient, oder,
genausogut, alle bekommen dasselbe - ist nur von Interesse, wie das
Glück oder das Unglück als ewiger Zustand zu denken ist.
§ 10
Bei der
Vorstellung von Vollkommenheit ist der Gedanke der Perfektion nicht
weit. Freilich wird der Bundesligaverein, der mit 102:0 Toren und 102
Punkten die Deutsche Fussballmeisterschaft erringt nicht der
umjubelteste, sondern der langweiligste sein. Das Paradies der
Perfektion ist zeitlich noch räumlich begrenzt, seine Bewohner haben
unendlich viel Zeit, unendlich viele perfekte Welten zu entdecken -
welche davon werden sie ihr Zuhause nennen? Es ist billig, zu
behaupten, Perfektes müsse notwendig einander gleichen; in einem
Heiratspaket von 72 perfekten Jungfrauen sind 72 gleich perfekte,
aber dennoch verschiedene Jungfrauen enthalten. Der Mann der
Paradiesfrau ist in der Tat die eierlegende Wollmilchsau, zu der der
neue Mann unserer Zeit werden soll. Ein Ehepaar im Paradies hat so
viele Kinder, wie das Herz nur wünscht, einzig der Stolz auf die
eigenen Kinder kann nur schwerlich einem Vergleich mit den Kindern
anderer Eltern entspringen, da doch alle perfekt sind.
Bosheiten wie
Neid und Eifersucht entstehen in Welten mit Güterknappheit; in einer
Welt, in der Schönheit sehr knapp, und dazu noch vergänglich ist,
ist eigenes Glück nur als Unglück des Anderen zu denken, oder
zumindest verhält sich Beides zueinander als notwendige
Voraussetzung - wenn keiner verliert, kann keiner das Verlorene
gewinnen; heiratet ein Jüngling die Prinzessin, gehen Tausend
Jünglinge leer aus. Im Paradies ist nichts knapp - es gibt
Prinzessinnen wie Sand am Meer, Genussmittel wie Meer über dem
Sande, allein taugt nichts davon mehr als Statussymbol. Vortrefflich
- wenn ich wieder einmal einen sündhaft teuren schottischen Whisky
trinke, und dies nur meines Genusses wegen tue, ohne Zeugen, die es
zum Vorführen des Habitus erforderte, so stehe mit einem Bein im
Paradies.
§ 11
Es ist zynisch,
zu behaupten, das Böse gehöre zum Leben wie der Pfeffer zum guten
Mahl, freilich was ungepfeffert abscheulich schmeckt, ist ein
scheußliches Gericht und wird durch Geschmacksverzerrung selbst
nicht besser. Wer einen gepflegten Krieg erlebte, wessen Kind im
Schoße eines Kindermörders qualvoll ums Leben kam, gewinnt eine
gesündere Einstellung zu krankmachenden Gewürzen. Wer nichts -
außer der Handlungen, in denen sich der Mensch vom Tier nicht
unterscheidet - mit einer schönen Frau anfangen kann, weil ihn
keiner ihretwegen beneidet, ist nicht glücklos, sondern vielmehr
wertlos, oder, um die ungewöhnliche Formulierung ins gewohnte Licht
zu rücken, diese Frau nicht Wert.
Nicht darf dem
Vergessen überlassen werden, dass der Neid und Missgunst pflegende
Mensch quer durch alle vernünftigen Religionen wie in der
Vernunftreligion auch nicht zum üblichen Kontingent der
Himmelsfahrer gehört. Wiewohl dies kein wissenschaftliches Argument
ist, weist es nochmals darauf hin, dass es krankhaft ist, sein Glück
durch das Unglück Anderer und umgekehrt zu definieren; in der
perfekten Welt des Paradieses werden alle von ihren Krankheiten
geheilt sein, und somit auch vom Narzissmus, vom Neid, vom Hass, vom
pathologischen Geltungsbedürfnis. Da klopft der Teufel mit der
leeren Pfefferdose auf den Tisch und lacht: nicht nur das Leben im
Paradies wird langweilig, auch die Lebenden dort werden Langweiler
sein, und da hat der Teufel weiter nichts zu sagen, da er nur zu gut
weiß, dass der Penisneidische nichts so sehr fürchtet, wie eine -
wenn auch nur symbolische - Kastration.
§ 12
Wo der Teufel
scheitert, reüssiert der Verstand. Der unheiligen Einfaltigkeit ist
schnell erklärt, dass sie im Paradies von allen körperlichen und
seelischen Gebrechen erlöst wird, und nicht mehr der Neid auf
Andere, sondern eigener Genuss die Messlate für das Glück sein
wird. Wenn das Glück des Einen die Gefühle des Anderen nicht
verletzen kann, ist noch keineswegs Langeweile in Sicht, diese stellt
sich aber unvermeidlich ein, wenn man es mit der Ewigkeit zu tun
bekommt. In wen verliebt man sich im Paradies? Die Mädchen altern
nicht, aber auch erfreulichere Veränderungen bleiben aus; das
Mädchen, das dir heute lieb ist, wird in einer Million Jahren genau
dasselbe sein, wenn du von deiner Reise zu Tausenden anderer
paradiesischer Welten zurückkehrst. Der Moment, der Zauberer der
Liebe, spielt in der Ewigkeit keine Rolle.
Das Altern
bleibt aus, aber die Zeit vergeht - wobei das Vergehen der Zeit kein
Vergehen der Dinge in der Zeit nach sich zieht - , und Liebende
werden einander überdrüssig. Eine Million Lebenspartner überdrüssig
geworden, erschlischt das Herz; Milliarden interessanter Welten
bereist, ergreift den Verstand eine Apathie, die sich Jahrmilliarden
um Jahrmilliarden hinziehen wird. Nur wenn man sogleich vergisst, was
man erlebt, kann die Ewigkeit erfüllte Zeit sein.
Das Reich des
Vergessens ist auf der irdischen Welt durchaus bekannt - es ist das
Alter des Kindes vor der Ausbildung seines autobiographischen
Gedächtnisses, seiner persönlichen Identität. Keiner kann sich
freilich daran erinnern, wie glücklich er damals war, da es ihn,
streng genommen, noch nicht gab, - ewiges Glück ist nur um den Preis
der persönlichen Identität zu erkaufen; das Ich bleibt also vom
Glücke ausgeschlossen, es stirbt und tröstet sich damit, dass das
ihm zugehörige Es sich in aller Ewigkeit unendlichen Glücks
erfreuen wird.
§ 13
Das
Glücksversprechen wird im Paradies, wie gesehen, nicht eingelöst.
Wie sieht es mit der Höllenpein aus? Anders gefragt, was ist
eigentlich Schmerz? Ist Leid unendlich dehnbar oder an bestimmte
Konditionen des menschlichen Daseins geknüpft? Eine direkte
Übertragung der Seinsbedingungen vom Diesseits ins Jenseits ist
angesichts der veränderten Konditionen nicht möglich - mit der
Ewigkeit kommt die Unsterblichkeit hinzu.
Das Unglück
entfaltet seine leidvolle Wirkung angesichts der Sterblichkeit; am
Sterben der Großeltern ist wesentlich, dass sie danach tot sein
werden; ein durch einen Unfall oder ein Verbrechen verlorenes Kind
wird nie wieder zurückkommen und durch kein anderes Kind zu ersetzen
sein. All diese Tragödien werden, sobald sie sich in der Ewigkeit
abspielen, zur Farce. Die Ewigkeit kennt keinen Verlustschmerz, da in
ihr nichts verloren geht. Nur der blanke Schmerz bleibt also der
Hölle, um ihre Bewohner leiden zu lassen. Nun findet der Schmerz
nicht nur im Sinne der Hirnforschung im Kopf statt - es ist die
bewusste Erwartung, die schmerzt. Wird intensiver Heilungsschmerz als
nahezu angenehm erlebt, der Lustschmerz des Masochisten gar als
Glück, so ist der Schmerz eines Todkranken oder Gefolterten eine
unerträgliche Pein. Der Körper, das Objekt des Schmerzes, ist
einmalig - ein abgetrennter Arm beispielsweise würde nicht
nachwachsen, und es können dem Körper vielerlei andere irreversible
Schäden zugefügt werden. Über allem Schmerz schwingt die Angst vor
dem Tode mit, die eigentlich eine Angst vor dem Sterben ist, - wenn
sich der Gepeinigte bereits im Sterben befindet, schiebt sich die
Angst über das Sterben hinaus in den Tod selbst; ein lebenskluger
Märtyrer weiß diesen Prozess aufzuhalten, verliert die Angst, und
sein Schmerz lässt nach.
Das
Scheußlichste, was der menschlichen Kreatur passieren kann, sind
unzählige Wiedergeburten im Sinne der altindischen
Reinkarnationslehre, wobei dieses Spiel, wie ein uns schon bekanntes,
ebenfalls ohne Vergessen nicht auskommt. Das Leid, von dem man nichts
weiß, ist nicht das Eigene. Wenn die unzähligen früheren Leben
nicht einmal in der Tiefe der geschundenen Psyche verborgen sind,
dann sind sie nirgendwo, und somit nicht.
§ 14
Das Bemühen
der praktischen Eschatologie, die Ewigkeit als daseiend, also
zeitlich zu fassen, erfreuete sich des Misslingens, und es ist
keinesfalls ein zynischer Ausdruck - der Irrtum, als Irrtum erkannt,
ist die notwenige Voraussetzung der Wahrheit, welche nur auf dem
überwundenen Irrtum begründet werden kann, und nicht aus dem Nichts
unmittelbar ins Bewusstsein springt.
Die
phänomenalen Qualitäten des Diesseits lassen sich auf das Jenseits
nicht ohne ad absurdum gehende Veränderungen übertragen; die
Annahme der Ewigkeit und Unendlichkeit des Jenseits, die vorerst
vorausgesetzt wurde, resultiert zwangsläufig aus dem gedanklichen
Fortgehen ins Unendliche, wobei Kants Antinomie sich ihrer Gültigkeit
im Jenseits erfreut: stellt man sich das Leben nach dem Tode als
endlich und begrenzt vor, so kommt nach dem Leben nach dem Tode
wieder ein Leben nach dem Tode, und so fort ins Unendliche. Die
Reinkarnationslehre schiebt die Todesschranke nur auf, wie es bereits
in der positiven Eschatologie der Fall war.
Das weitere
Vorgehen wird kein Schließen vom Bekannten auf Unbekanntes sein, da
die Spekulationen dieser Art nun im Wesentlichen erschöpft sind. Die
Gesetze des Bekannten auf Unbekanntes anzuwenden, hat sich als eine
methodische Irreführung erwiesen; als wesentlich offenbart sich nun
das dem Bekannten und dem Unbekannten Gemeinsame - der menschliche
Geist.
Die
Eschatologie kann nicht über das Ich hinausgehen - das negative
Moment der transzendentalen Eschatologie, im Buddhismus als Nirwana
vorgestellt, verdient eine gesonderte Anmerkung, die später erfolgen
wird - , denn ohne ein gleichbleibendes Subjekt ist keine Erfahrung
bestimmter phänomenaler Qualitäten möglich. Das Subjekt ist
diesseits und jenseits der Todesschranke dasselbe, weshalb seine
eigentümliche Beschaffenheit die Bedingungen für transzendentale,
erfahrunsglos gültige Erkenntnisse über das Jenseits hergibt.
§ 15
Der
transzendentalen Eschatologie erster Teil
Die
transzendentale, der Identität der Person zugrunde liegende Einheit
des Selbstbewusstseins, die sich selbst Ich nennt, ist durch seine
Freiheit und seine Geschichtlichkeit gekennzeichnet. Das Ich ist das
Bleibende im Wechsel seiner Erfahrungen; denkt man die Ewigkeit
unzeitlich, so findet der Wechsel nicht statt, und das Bleibende
darin kann sich selbst nicht als Ich erkennen. Das Ich ist frei, weil
es durch nichts als sich selbst verursacht und irreduzibel ist. Die
Selbstverursachung widerspricht nicht im Geringsten dem Gedanken der
Schöpfung durch einen überweltlichen Schöpfer, allein der Akt der
Schöpfung ist nicht als ein dem Geschöpf fremder Akt zu denken; das
Erschaffenwerden ist gleichsam als die erste autonome Handlung zu
verstehen. Für die gegenwärtige Betrachtung reicht allerdings der
Gedanke aus, dass das Ich durch nichts Gegenständliches außerhalb
seiner Selbst verursacht wird, und sich selbst im spontanen
Willensakt erschafft. So ist der Sprung vom Es zum Ich im Kindesalter
nicht als ein Umschlagen der Quantität erlernter Fähigkeiten in
eine neue Qualität, das Selbstbewusstsein, zu verstehen, sondern als
eine Urzeugung, wie etwa die spontane Entstehung des Bewusstseins aus
unbewusstem Leben.
§ 16
Denkt man dem
Ich seine Geschichte weg, so bleibt ein Abstraktum übrig, ein Ich im
Nichts des Bewusstseins. Kein medizinisch bekannter Fall eines
Gedächtnisverlustes ist hier relevant, denn wäre dieser nur
vollständig, so wäre die daran erkrankte Person der Welt völlig
entrückt und hätte kein Selbstbewusstsein mehr. Anders das
buddhistische Nirwana, das genau hier seinen logischen Ort hat. Die
Erlösung vom Leid des Daseins, welches mit dem Selbstbewusstsein
identisch ist, wird als das Eingehen des Ich ins Nichts vorgestellt.
Das Nichts ist kein leerer Raum ohne Uhren, sondern die Negation
allen Seins. So kann das Ich im Nirwana keine Erinnerungen an
früheres Seiendes behalten, die ihm gegenständlich wären und sein
Selbstbewusstsein aufrechterhielten. Alles Gegenständliche ist im
Nirwana verschwunden, kein Objekt ist mehr vorhanden, und so erlischt
das Subjekt. Freilich ließe sich dieses viel einfacher ohne
abenteuerliche Moralvorstellungen und irrwitzige Mythen denken - wenn
wir naturwissenschaftlich korrekt annehmen, dass wenn das Gehirn als
Träger des Geistes nicht mehr funktioniert, das Ich dem Nichts
gegenübersteht und zu existieren aufhört.
§ 17
Um nach dem
Tode weiterzuleben, muss das Ich seine persönliche Identität, zu
der seine Geschichtlichkeit gehört, beibehalten, wobei die
Geschichtlichkeit ein transzendentaler Begriff ist und nicht die
Bedeutung einer bestimmten Geschichte hat. Die zufällige Biographie
ist nur eine Möglichkeit, die der Geschichtlichkeit entspringt,
nicht die Geschichtlichkeit selbst. Gleichwohl gehört zur
Geschichtlichkeit auch bestimmte Geschichte, so wie zum Wissen um
Raum und Zeit als transzendentale Begriffe reiner Anschauungen, in
denen Erfahrungen stattfinden können, konkrete Erfahrungen in Raum
und Zeit gehören.
Das Ich muss
nach dem Tod in der Lage sein, geschichtliche Erfahrungen zu machen,
sprich seine Erfahrungen in einem kontinuierlichen Nacheinander zu
ordnen wissen. Bleibt allerdings nur die Möglichkeit über, ohne
dass eine konkrete Geschichte ins Jenseits hinübergerettet wird, so
wird das Ich in einem abstrakt unbuddhistischen (die formale
Identität bleibt dem Ich erhalten, allein konkret weiß das Ich
nichts davon und ist deshalb ein anderes) wie völlig unchristlichen
Sinne wiedergeboren, so dass es nämlich ein Anderes wird.
§ 18
Wie muss nun
die Welt jenseits der Todesschranke beschaffen sein, um das
autobiographische Gedächtnis eines Toten aufzunehmen? Die
physikalische Beschaffenheit jener Welt ist nicht von Belang, denn
der Tod hat die Vernichtung der physikalischen Datenbank, in der das
autobiographische Gedächtnis gespeichert ist, zur Folge. Die
jenseitige Welt muss also wesentlich geistiger Natur sein, was deren
materieller Ausschmückung keineswegs im Wege steht.
Das Ich darf
ferner nicht von der einen in die andere Welt bloß kopiert werden,
im Sinne einer Fotokopie oder Teleportation, sondern muss selbst den
Weltwechsel vollziehen. Eine Übersetzung von einer bestimmten
Qualität in eine andere ist ebenso unzulässig, denn nicht ein
gleiches, sondern dasselbe Ich muss die Todesschranke passieren.
Somit steht fest, dass auch die diesseitige Welt im Wesentlichen
geistig beschaffen sein muss, dem Ich gemäß, so dass das Gehirn,
und nicht das Ich, als ein Epiphänomen zu gelten hätte.
Das Ich, selbst
jenseits von Raum und Zeit, kann ohne seine Geschichtlichkeit nicht
sein, ebenso nicht ohne einen Gegenstand seines Willens außerhalb
seiner Selbst. Nicht die physikalische Raumzeit, sondern Raum und
Zeit als Bedingungen gegenständlicher Existenz, dürften sich auch
im Jenseits ihres Fortbestehens erfreuen.
§ 19
Ein Leben nach
dem Tod, sollte es dieses geben, muss ichgemäß beschaffen sein.
Beliebigkeit ist durch die eigentümliche Beschaffenheit der zum
Leben notwendigen Einheit des Selbstbewusstseins ausgeschlossen,
jedoch ist mitnichten bewiesen oder wiederlegt, ob es ein Leben nach
dem Tode gibt. Es ist nun zu klären, ob die Behauptung eines Lebens
nach dem Tode eine Existenzbehauptung ist, wie die Aussage, es
existierten weiße Einhörner, oder aber ein spekulativer Schluss,
der auf apodiktischen Urteilen zu ruhen vermag.
Die Endlichkeit
des Menschen hat ihren Ursprung in der Sterblichkeit des Körpers;
der Geist altert nicht und hinterlässt beim Tode der Person keine
Leiche. Es ist davon auszugehen, dass der Tod eine Trennung von Geist
und Körper ist, denn dieser Umstand ist bekannt; eine Aussage über
die Fortexistenz des Geistes nach dem Tod lässt sich nicht empirisch
überprüfen. Das Ich ist ein Ding jenseits von Raum und Zeit; Raum
und Zeit sind im Ich, und nicht das Ich darin. Bedenkt man die daraus
entspringende Idealität von Raum und Zeit, deren expliziter Beweis
mit Kants transzendentaler Ästhetik bereits vorliegt, so offenbart
sich der Körper als eine Vorstellung des Geistes; der Tod wird als
das Ende der körperlichen Existenz, die eine natürliche Basis für
das Bewusstsein bildet, unwesentlich, wogegen das transzendentale
Fortbestehen des individuellen Geistes vor das Problem der Unkenntnis
nichtkörperlicher Daseinsformen gestellt wird.
§ 20
Der
transzendentalen Eschatologie zweiter Teil
Unter der
idealistischen Prämisse stößt der spekulative Schluss vom
Fortbestehen der Seele nach dem Tod auf einen faktischen Widerspruch
durch die gegenständliche Inkommensurabilität des Diesseits mit dem
Jenseits. Es kann überhaupt nur eine Welt geben, und eine
Verdopplung der Welt kann nur ein logisches Moment sein, welches sich
in der Einheit beider Teilwelten als das, was als Welt begriffen
wird, nämlich die Allheit des Seienden, auflöst, was bedeutet, dass
der Tod nur Schein, und kein wahrhaftes Sein ist.
Die
Todesschranke erfüllt, wie anfangs bemerkt, die logische Bestimmung
einer Schranke, deren Sein das Hinausgegangensein darüber
ausspricht. Dennoch kann über den Tod nicht hinausgegangen werden,
solange der Hinausgehende selbst seiend ist. Wer über das Sein - die
Wahrheit des Scheins - hinausgeht, muss das Sein für den Moment des
Hinausgehens verlassen; für den Seienden ist der Schein Sein, und
nicht ohne den Rücktritt vom Sein aufzulösen.
§ 21
Das Sein ist
als Ding an sich, über welches nicht hinausgegangen werden kann, dem
Ich gegenüber selbstständig und widerständig. Der Tod ist die
höchste Spitze des endlichen Seins, er ist das Sein des Endlichen,
wie das Sein des Endlichen ein Sein zum Tode ist.
Das Ich verhält
sich zum Tode nicht anders als zum Sein selbst, also beim Schein
nehmend und negierend. Da der Tod die Vollendung des Seins des
Endlichen ist, ist die Negation des Todes die vollendete Negation,
hiermit das wahre Sein des Selbstbewusstseins. Dieser Gedanke wurde
im Existentialimus ausgesprochen, welcher das Sein des Ich als
Rebellion gegen den Tod auffasste. Diese ausdrücklich willentliche
Einstellung zum Tode ist durch die Beschaffenheit des Ich selbst
gewollt; der Wille, der sich gegen den Tod richtet, ist keine
Willkür, sondern der wahre Wille des seiner Selbst bewussten Lebens.
§ 22
Die Perspektive
ist nun eine andere geworden, als zu Beginn der Erörterung, der noch
nicht transzendental war, sondern sich auf eine phänomenale
Perspektive gründete. So wurde anfangs untersucht, wie der Tod und
das Leben nach ihm zu denken sei, hier jedoch steht die Frage, was
der Tod ist, im Mittelpunkt. Anders als gemeinhin angenommen, bietet
der Idealismus keine Basis für überschwängliches Schweifen in
transzendenten Beliebigkeiten, vielmehr erlaubt er kein
Herumschweifen um die bestimmten Begriffe mehr, was an der strengeren
Art, in der diese Erörterung seit dem Einbruch des Idealismus
gehalten ist, deutlich wird. Der Nachteil der idealistischen
Perspektive liegt in ihrer Inkommensurabilität mit der phänomenalen
Betrachtungsweise; wir wissen nun, was der Tod an sich ist, können
aber dieses Wissen nicht in ein lebensweltlich verwertbares Wissen
übersetzen. Die Transzendentalwissenschaft von einem Gegenstand kann
keine Auskünfte darüber geben, wie dieser Gegenstand als bloßes
Objekt erfahren wird; der Begriff einer Sache sagt nichts darüber
aus, wie diese riecht, schmeckt oder sich anfühlt.
§ 23
Nachdem der Tod
mit klaren Begriffen erklärt wurde, ist es an der Zeit, der Angst
vor dem Tode, dieser primären Motivation nahezu sämtlicher
Handlungen im moralisch-praktischen sowie im lebenskünstlerischen
Bereich, ins Gesicht zu sehen. Der Tod ist so beschaffen, dass er
formal Bekanntes und inhaltlich Unbekanntes ist; der Mensch weiß,
dass es den Tod gibt, weiß aber nicht, was der Tod ist. Der Mensch
weiß den Tod auch als das Aufhören seines Selbstbewusstseins, weiß
aber nicht, wie er sich das Aufhören seines Selbstbewusstseins
vorzustellen hat. Der Tod ist das Unbekannte schlechthin, das
bekannte, das offenbare Unbekannte, ein Unbekanntes, welches eine
Grenze des möglichen Wissens darstellt, - über den Tod hinaus kann
man nichts wissen.
Die resignative
Wirkung des grell leuchtenden Unbekannten strahlt auf das Leben; das
Wissen vom Nichtwissen, am Tode erkannt, bildet die Grundlage der
kritischen Reflexion auf das Leben selbst, bekannt als
erkenntnistheoretischer Skeptizismus sowie als Kynismus in der
Lebensphilosophie. Das Hauptverwüstungsgebiet dieses Leuchtens der
Dunkelheit ist zweifelsohne der ethisch-moralische Bereich. Anstatt
an der Grenze zum Unerkennbaren als einem Gipfel der Erkenntnis das
Erreichen desselben zu feiern, läuft der Mensch, vom Unbekannten
zurückgestoßen, von Angst getrieben, in den Schoß der
Intersubjektivität zurück, und bringt die frohe Kunde von der
erreichten Grenze des Wissens als schlechte Nachricht von der
Sinnlosigkeit des Lebens dorthin. Im transzendentalen Nihilismus wird
diese vorauseilende Selbstzerstörung explizit thematisiert.
§ 24
Die Angst vor
dem Aufhören seiner Selbst ist dem Ich eigentümlich, sie ist gar
als die Negation des Nicht-Ich die phänomenale Äußerung dessen,
was das Ich an sich ist. Das Ich ist, in Erlebnissprache übersetzt,
die Angst vor dem Tode. Es ist billig und denkfaul, hier auf die
idealistisch gewonnenen Erkenntnisse über die Natur des Todes zu
verweisen und an die Vernunft zu appellieren, man möge doch die
Angst vor dem Tode fahren lassen. Die verdrängte Angst kommt sofort
als Furcht zurück, sobald das Vergessen selbst vergessen wird.
Man kann die
Angst vor dem Tode nur überwinden, indem man stirbt. Es ist auch
belanglos, ob beim Passieren des Todesschranke das Ich oder die Welt
für einen zeitlosen Moment zu sein aufhört; ohne Objekt ist kein
Subjekt, und ohne Subjekt ist kein Objekt. Der Moment des Todes ist
zeitlos, da die Zeit selbst ein innerer Sinn des Subjekts ist, - die
Zeit ist im Ich. Es ist widersinnig, zu fragen, wo denn die Seele im
Moment des Todes sein wird, denn auch der Raum ist ein innerer Sinn
des Subjekts, wobei der Raum wie die Zeit selbstredend Sinne für
Äußeres sind, so wie der Tatstsinn ja nicht sich selbst, sondern
alles ihm gemäße Gegenständliche außerhalb seiner Selbst
ertastet.
Es ist amüsant,
bereits in den Meditationen des Cartesius, dass das vermeintlich
abstrakte Ich bei näherer Betrachtung mit einer Art Leiblichkeit
umfangen wird, zu der bestimmte Sinne und Vermögen gehören, ohne
welche das Ich als Solches nicht zu denken ist. Um Selbstbewusstsein
zu sein, muss das Ich empfänglich, empfindlich, vorstellend und
reflexiv sein; das Ich muss eine Art transzendentaler Sinnlichkeit
als Voraussetzung jeder gegenständlichen Erfahrung mit sich führen,
- der körperlose Geist ist nicht blind, sondern sehend, und er ist
kein leeres Abstraktum, sondern bestimmtes Seiendes, sein
eigentümlicher Leib ist die Seele.
§ 25
Die Seele ist
als bestimmtes Seiendes Substanz, das Ich kein leeres Subjekt. Nichts
anderes ist mit der Auferstehung der Leibes im Christentum
impliziert, als das Weiterbestehen des bestimmten individuellen
Selbstbewusstseins nach dem Tode. Die kontingente Art der
Leiblichkeit, ihre Chemismen und Biologismen tun nichts zur Sache;
zum Begriff der Leiblichkeit gehört nichts weiter, als
transzendentale Sinnlichkeit, das Vermögen, kontingentes Seiendes
außerhalb seiner Selbst als Gegenstand des Wahrnehmens - nicht des
Denkens - gegeben zu bekommen. Zur Leiblichkeit gehört das den
Gegenständen der Sinnlichkeit gemäße Beschaffensein des konkreten
Selbst, des Körpers der Person. Nicht der physische Leib ist zur
Auferstehung bestimmt, sondern der Leib als Leib, das Konkretum der
Persönlichkeit.
Persönlichkeit
meint freilich nicht eine bestimmte Fülle intersubjektiver
Eigenschaften einer Person, sondern deren höchste Konkretheit, die
eng mit deren Leiblichkeit verbunden ist. Das selbstbestimmte
Aussehen eines Menschen ist also nicht eine bloße Frage des Stils,
sondern eine Frage von höchster Intimität, die das Verhältnis der
Person zu sich selbst zum Inhalt hat. Hier ist nun die Grenze des
Psychologischen erreicht, und an dieser Grenze muss die Vernunft
stehen bleiben, - das Psychologische ist ein Spielplatz des noch
nicht vernünftigen, bloß reflexiven Verstandes und soll,
unfruchtbar für die Vernunft, diesem weiterhin überlassen werden.
Vom Interesse ist stattdessen die Auferstehung des Leibes im
christlichen Glauben und inwiefern das Christentum über den bloßen
Glauben hinaus eine transzendentale Eschatologie vorbereitet.
§ 26
Der
transzendentalen Eschatologie dritter Teil
Nicht zum Spaße
ward oben die Rede vom Weiterbestehen des bestimmten individuellen
Selbstbewusstseins nach dem Tode. Diese Formulierung offenbart, was
sie verschleiert, - dadurch, dass sie einen bestimmten Umstand zu
verschleiern im Stande ist, soll sie zur Offenlegung desselbigen
dienstbar sein. Das Weiterbestehen einer Person nach dem physischen
Tode unterschlägt die durch den Tod entstehende Diskontinuität im
Sein der Person und stellt eine verdeckte Kontinuitätsbehauptung
auf. Der Tod wird somit nur als eine Tür in eine andere Welt
vorgestellt, und soll als Tod nicht wirklich sein. Dieselbe
Vorstellung liegt den Mythen über die Seelenwanderung zugrunde, aber
auch Gespenster sind dieser Vorstellung der Unwirklichkeit des Todes
geschuldet. Ein gläubiger Christ, der solche Spekulationen für wahr
hält, leugnet hiermit das Christentum, denn er will auferstehen,
ohne zu sterben. Dem Christentum ist der Tod wesentlich; das
Christentum ist der Glaube an die Auferstehung der Toten, und nicht
an einen geheimen Schlüssel, der Türen zu anderen Welten öffnet.
§ 27
Die
Auferstehung der Toten ist dem Christentum freilich nicht als
exklusives Glaubensgut gegeben worden, vielmehr gibt es unzählige
Religionen, die von der Auferstehung der Toten künden. Die
Lebensgeschichte Jesu ist nicht einzigartig, - viele Mythen handeln
von einem gestorbenen und wiederauferstandenen Gott. Nun aber ist
Jesus nicht nur wahrhaft gestorben und auferstanden, sondern wahrhaft
Mensch und wahrhaft Gott. Beides steht im christlichen Glauben in
einem unmittelbaren Zusammenhang; wäre Jesus nur als ein Gott
behauptet worden, so wäre seine Auferstehung nichts Besonderes, sie
erinnerte vielmehr an die Jahreszeiten in gemäßigten Klimazonen.
Stellt man sich Jesus als einen gewöhnlichen Menschen vor, so wird
seine Auferstehung bestenfalls zum Mysterium, logisch betrachtet
aber, zum Unsinn, zu einer abenteuerlichen, den Naturgesetzen
widersprechenden Tatsachenbehauptung.
Die Kirche
hätte nicht auf Petrus, sondern auf dem ungläubigen Thomas gebaut
werden müssen; nicht der feige aber treue Fanatiker, sondern der
Zweifler, der nicht bloß glauben, sondern wissen will, der nicht auf
den Glanz, sondern auf die Wunden seines Gottes schaut, dient der
göttlichen Offenbarung. Nicht der am Lautesten lobgepriesene Gott
ist der wahre Gott, sondern der, der an sich zweifeln lässt, die
Vernunft nicht verbannt. Freilich stellt sich die Frage, wozu dann
glauben, wenn man endlich weiß, jedoch ist Gewusstes und Geglaubtes
keinesfalls identisch; so wie jedes auf sich logische Schlüsse
gründende Wissen die Gültigkeit der Logik transzendental
voraussetzt, muss der als Gott gewusste Gott sich erst durch seinen
Willen als Gott offenbaren. Das Offenbarte mag die Vernunft als wahr
erkennen, die Offenbarung selbst ist ein Akt des Willens, also der
Freiheit, und nicht der Notwendigkeit.
§ 28
Es gibt also
nichts, woraus die göttliche Offenbarung logisch folgen müsste. Der
Gott der Christen ist nicht pantheistisch zu fassen, er ist nicht
eins mit der Welt, sondern außerhalb der Welt. Die Ursache allen
Seienden, der Schöpfer der Welt, ist nichtseiend, da er als seiend
Geschöpf wäre; er ist selbst ungeschaffen und erschafft die Welt
aus seinem freien Willen, aus dem Nichts. Der Deismus der Aufklärer
ist durchaus kein höflicher Atheismus, wobei nicht der Anfang der
Welt für den christlichen Glauben entscheidend ist, - eschatologisch
kann er sogar vernachlässigt werden.
Gott erschöpft
sich nicht in der Erschaffung der Welt, sondern er setzt sich selbst
als der Endzweck der Welt, er wird Mensch. Die Menschwerdung Gottes
ist das wahre Geheimnis des Christentums, ein Geheimnis, in welchem
die Einzigartigkeit dieses Glaubens verborgen ist. Da Gott Mensch
wurde, muss der Mensch Gott werden, aber nicht im technokratischen
Sinne, sondern so, dass er durch das Nichtsein schreiten muss. Gott
stirbt, um Mensch zu werden, und der Mensch muss durch das Nichtsein
hindurchgehen, um Gott zu werden. Gott ist das Absolute; phänomenal
wird dieses als höchste Glückseligkeit erlebt, als das Ewige Leben.
§ 29
Erst mit dem
Kreuztod Jesu offenbart sich also der Sinn des Todes; über den Sinn
des Lebens vermochten Denker aller Zeiten verschiedenste Gedanken
anzustellen, der Tod aber brachte sie mit seiner Sinnlosigkeit zum
Verzweifeln. Nun aber wird deutlich, dass der Mensch als Seiendes von
Gott getrennt ist, und mit Gott nur eins werden kann, indem der das
Nichtsein erfährt. Die Offenbarung vom Sinn des Todes und die
Erlösung der Menschheit von der Todesangst war keine logische
Notwendigkeit, sondern, wie die Erschaffung der Welt, ein freier Akt
des göttlichen Willens. Gott verhält sich zum Menschen nicht
unpersönlich, nicht als die Natur oder als das Gesetz, vielmehr als
ein freies Subjekt, und die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht
einzig in seiner Freiheit. Es ist sehr optimistisch, die menschliche
Vernunft als der göttlichen gemäß zu begreifen, und die Logik als
Denken wie Gott. Die Freiheit allerdings ist nur eine Einzige, und
zwar die absolute Freiheit, welche darin besteht, autonome Ursache
des eigenen Willens zu sein. Der gemeine Verstand wird eher die Logik
zum Kriterium der Gottebenbildlichkeit erheben, was nicht ganz
unberechtigt ist, da Gott doch der Logos ist, und am Anfang das Wort
war, aber die Bedingtheit der Gültigkeit logischer Gesetze durch
eine ihnen vorausgehende willentliche Setzung ihrer Gültigkeit wird
allzu bereitwillig vergessen.
§ 30
Gott und Mensch
verhalten sich zueinander als absolut Freie. Die Freiheit im Nichts
ist aber eine Freiheit zu nichts, und so muss es ein Reich der
Notwendigkeit geben, damit sich die Freiheit entfalten kann. Die
Naturgesetze werden durch die Wunder Jesu also keinesfalls außer
Kraft gesetzt, und Jesus ist ausgesprochen geizig an Wundern, was nur
bedeuten kann, dass sie die Freiheit als das Wesentliche, und die
Notwendigekeit als das Unwesentliche aufzeigen sollen. Es lag einzig
in der Freiheit des Gottmenschen, die Menschen diese Wunder sehen zu
lassen, - sie waren weder zur Menschwerdung Gottes noch zur Erlösung
der Menschen vor dem Tode notwendig.
Das Moralische
ist für alle Religionen nicht aus dem Grunde wichtig, der sie zum
Opium des Volkes oder zum Herrschaftsmittel bestimmt, sondern allein
aus dem Grund, dass der Mensch sich im moralischen Handeln nicht nur
zu anderen Menschen, sondern auch zu Gott verhält, indem er absolut
frei handelt. Die Umstände der moralischen Handlung sind nicht das
Bestimmende, sondern die Materie, in der sich die Freiheit zu
entfalten hat; gäbe es keine Bedürfnisse, keine Gelüste, keine
psychologischen Dispositionen und keine äußere Gewalt, so verkäme
die Freiheit zur Beliebigkeit, und der Wille erschöpfte sich im
bloßen Wollen, ohne sich äußern zu können.
§ 31
Der Mensch ist,
was er tut, und tut, was er ist. Das Tautologische hierin ist nur die
Form, in der das Verhältnis eines Subjekts zu sich selbst erscheint.
Dieses Verhältnis ist nicht bloß tautologisch, sondern reflexiv;
der Mensch ist nicht bloß, sondern er wird, er wird daran was er tut
zu dem was er ist, tut aber auch dadurch, was er geworden ist, das,
was er tut. Das Böse kommt freilich durch die Zwecke, die der Mensch
sich setzt, in seine Handlungen. Setzt er sich endliche Zwecke, ist
ihm alles außer seiner Selbst nur Mittel zum Zweck, was erst dann
aber die Höhe und Würde des Bösen erreicht, wenn der Mensch sich
die endlichen Zwecke absolut setzt, - eine aufschlussreiche
Formulierung, die erkennen lässt, dass der Mensch, in dem er sich
seine endlichen Zwecke absolut setzt, zugleich sich selbst in diesen
Zwecken zum Absoluten bestimmt.
Der Mensch, der
seine endlichen Zwecke endlich setzt, ist der gewöhnliche
Alltagsmensch, und steht in keinem moralischen Verhältnis zu
niemandem. Niemand wird dadurch böse, dass er ein Glas Wein trinkt,
wenn aber das Weintrinken ihm das Höchste ist, dann setzt er seine
Freiheit in einen Objekt und erniedrigt sich dadurch zum Herrn der
Fliegen. Gleichwohl zeugt die unbestechliche Selbsterniedrigung, die
unerbittliche Verweigerung Gottes als Endzweck, das Beharren auf sich
selbst, und die Demonstration dessen in der Setzung seiner Freiheit
in alle vorstellbaren niedrigen Dinge, von einer Willensstärke, die
dem gemeinen Alltagsmenschen beim besten Willen nicht zu unterstellen
ist, - die Blindheit des Alltagsmenschen für das Absolute ist nicht
seiner Bosheit, sondern vielmehr seiner Tierhaftigkeit geschuldet.
§ 32
Aus dem oben
Gesagten wird nun deutlich, dass das Ewige Leben sowie die Verdammnis
nicht erst all Vollzug göttlicher Rechtsprechung nach dem Tode
beginnen, sondern selbstgewählt mitten im Leben anfangen. Es zeugt
von einer erbärmlichen Phantasiebegabung, sich jene Menschen, denen
das Ewige Leben zuteil wurde, als dauergrinsende Idioten
vorzustellen, - es kann der grimmigste oder ärmste Mensch sein, der,
obwohl er seelische und körperliche Not leidet, gleichwohl in seinem
Herzen erlöst ist und sich des höchsten Glücks erfreut.
Das wahre Leben
fängt also nicht erst mit dem Tod an, sondern schon davor, - erst
angesichts der Überwindung des Todes wird aber die Vollkommenheit
erreicht; vor dem Tode ist der Mensch ein Sterblicher, nach dem Tode
ein Unsterblicher, - ein Satz, der die froheste Botschaft und die
höchste Spitze des Zynismus gleichermaßen enthält.
§ 33
Die
Eschatologie ist nicht beliebigerweise eine theologische Disziplin,
sie ist aber auch der Punkt, an dem sich die Theologie und die
Anthropologie berühren. Die Wissenschaft vom Tode verbindet die
Wissenschaft von Gott mit der Wissenschaft vom Menschen, weil ihre
Gegenstände sich gleichermaßen zueinander verhalten. Erst
angesichts des Todes steht der Mensch dem Absoluten, Gott gegenüber.
Ein Leben ohne Tod wäre ein gottloses Leben.
Als ein
abstrakt Absolutes ist Gott dem Menschen genauso feindlich wie der
Tod, darum war das historisch erste religiöse Verhältnis des
Menschen die Gottesfurcht. Fürchte nur mich, war das göttliche
Gesetz des abrahamitischen Bundes, und dieser Gott war ein gegenüber
allen möglichen Quellen der Furcht eifersüchtiger Gott. Siehe, ich
bin tot, sagt der Mensch gewordene Gott des neuen und ewigen Bundes,
also sollst auch du dich vor dem Tod nicht fürchten. Das Christentum
erweist sich als die den transzendentalen Voraussetzungen der
menschlichen Seinskondition einzig gemäße Religion, die aber ihrem
eigenen Anspruch nach nicht verwaltet, sondern gelebt werden will.
Der Mensch gewordene Gott kündet nicht von einer weltlichen Macht
der Kirche, sondern von der Zerstörung des Tempels. Gott stirbt den
peinlichsten Tod, um den Menschen von seiner Pein zu erlösen; er
zeigt sich als das ins Endliche eingebrochene Unendliche, er ist die
absolute Gewissheit und kein Objekt vom Glücksspiel etwa eines
Pascal. Die transzendentale Eschatologie verhält sich nun zur
Religion wie die Naturwissenschaft zur Technologie. Die Wahrheit des
Christentums ist transzendental möglich; ob sie für den einzelnen
Menschen wirklich wird, entscheidet allein dessen freier Wille.
Die Wahrheit
des Christentums ist die Wahrheit vom Tod Gottes, die der Nihilismus
allerdings nur als Halbwahrheit an sich nimmt, indem er den Tod nur
halb nimmt, nämlich als bloße Rückführung des Seienden ins
Nichts, nicht wissend, dass aus diesem scheinbaren Nichts, welches in
Wahrheit Gott ist, das Seiende bereits entstanden ist und genauso
wiederentstehen kann. Gott ist tot, und darum hat auch der Mensch den
Tod nicht zu fürchten.
§ 34
Transzendentaler
Nihilismus
Religion ist
das Verhältnis des Menschen zum Tode, die Verweigerung dieses
Verhältnisses ist der Nihilismus. Der Nihilismus hält das Nichts
des Todes fest, ohne das Leben zum Tode loszulassen. Infolge dessen
bestimmt sich das nihilistische Verhältnis zum Tode als eine
exponentiell wachsende Furcht, zur Sterblichkeit als quälende
Ungeduld, zum Leben als Nostalgie. Der Nihilismus betrachtet das
Leben von der Zukunft her, er sieht alles angesichts dessen
zukünftigen Nichts. Der Satz, dass Gott tot ist, bedeutet im
Nihilismus nicht, dass Gott den Tod besiegt hat, sondern dass der Tod
Gott besiegt hat, also das Nichts den Willen, die Substanz das
Subjekt. Folglich kennt der Nihilismus auch keine Freiheit, da doch
alles vom Tod zum Tode bestimmt ist.
§ 35
Im Bewusstsein
dessen, dass der Tod als absolutes Ende allen Seins in der Zukunft
unvermeidlich eintreten wird, wird die Tatsache, dass er in der
Gegenwart auf sich warten lässt, zum Todesurteil. Unbewusst handelt
der Nihilist frei, indem er sein Schicksal in die Hand nimmt und
agiert, wobei er sein Agieren als ein Reagieren erlebt. Bevor er vom
Tode zerstört wird, zerstört er sich selbst, und diese
vorauseilende Selbstzerstörung wird in einer nihilistischen Kultur
zum pseudoreligiösen Ritual.
Es ist nicht
das Zufällige, dessen Zerstörung durch den Tod als ungeheuerlich
erlebt wird, sondern das Innigste, - das, was geliebt wird, nicht
das, was besessen wird. So erleben wir eine ungewöhnliche
Zärtlichkeit gegenüber dem Eigentum, wohingegen der Leib, die Seele
und die Würde des Menschen einer kulturell gewünschten Zerstörung
anheim fallen. So stellt sich im Spielfilm "Dreizehn" aus
dem Jahr 2003 die Emanzipation - die Befreiung von der Herrschaft des
elterlichen Willens zum eigenen Willen - eines Kindes wahrheitsgemäß
als eine selbstzerstörerische Bewegung dar. Kaum taucht der eigene
freie Wille auf, schon wird das Leben mit ihm unerträglich, und der
Wille wendet sich gegen das Leben. Es könnten freilich andere Formen
der Befreiung des Willens gewählt werden, als die Form des Bösen,
des Setzens endlicher Zwecke über die eigene Würde, zumal es
keinesfalls das Gute ist, sondern ein zufälliger Wille, von dem die
Befreiung sich zu vollziehen hat, allein wird der eigene freie Wille
schlagartig zu diesem unerträglichen Guten, dieser Unendlichkeit,
der die Negation schließlich gilt.
§ 36
Die
transzendentale Voraussetzung für den Nihilismus liegt in der
Verweigerung der Unendlichkeit dem eigenen Verstande, der
Verabsolutierung des Verstandes und seiner Setzung anstelle der
Vernunft, zu der man den Verstand nicht aufsteigen lässt. Eine
bärendienstliche Vorarbeit hierzu leistet Kants
Transzendentalphilosophie, die, um die Mannigfaltigkeit der Dinge -
verdeckt mit dem Feigenblatt des Dings an sich - nicht dem
auflösenden Widerspruch auszusetzen, den Tod aus der Natur in den
menschlichen Geist verbannt.
Um den
totalitär gewordenen Nihilismus unserer Kultur zu überwinden, muss
man seine transzendentalen Voraussetzungen verstehen. Nicht zufällig
befördert diese Kultur Atheismus und Götzendienst und will den
Geist des Christentums gleichsam ausrotten. Die christlichen Kirchen
sind ein Teil dieser nihilistischen Kultur, und darum handelt es sich
beim Kulturkrieg der öffentlichen Meinung gegen die Kirche um einen
Scheinkrieg, denn sobald die Kirche sich bereit erklärt, alles
eigentümlich Christliche fahren zu lassen, wird sie, oder vielmehr
all das Redundante und Zufällige, das Unchristliche bis
Antichristliche an ihr, wieder zu einer sinnstiftenden Institution
dieser Gesellschaft werden.
Beschluss
der transzendentalen Eschatologie
Die
Eschatologie erwies sich in ihrer transzendentalen Erörterung als
keine einzelwissenschaftliche, sondern eine der Wissenschaft vom
Absoluten zugehörige, also philosophische Disziplin. So wie die
Funktionsweise der Atombombe ohne ein adäquates Studium der Physik
nicht zu verstehen ist - gleichwohl ist das geschäftige Wie dem
Dummkopf leicht erklärt, für das kindliche Warum bedarf es der
Kenntnis der Grundlagen - , ist die Eschatologie ohne ihre
philosophischen Voraussetzungen nicht zu begreifen. Es ist eine Gnade
Gottes, dass es keiner philosophischen Bildung bedarf, seiner
Offenbarung teilhaftig zu werden; da eine Handlung aus freiem Willen
nicht dem Gesetz der Notwendigkeit unterliegt, kann sie unmittelbar -
ohne hinreichendes Studium dieser Gesetze - verstanden werden. Ebenso
findet die Liebe nicht erst mit der langen und harten Fortentwicklung
des endlichen Verstandes zur unendlichen Vernunft Eingang ins
menschliche Leben, sondern ist in diesem unmittelbar vorhanden, und
dem Nihilismus ist allein schon aus der Intuition, die besagt, dass
er sich als die Negation der Liebe verhält, der Selbstliebe halber
abzuschwören.