Montag, 18. Dezember 2017

Das Leben ist kein Ergebnisfussball





These: Wer in seinem Leben viel gelitten hat, hat eine hohe Sensibilität für das Leid anderer entwickelt, und wird ein gütiger und barmherziger Mensch. Antithese: Wer in seinem Leben nur Schlechtes erfahren hat, kann auch nichts anderes als ein schlechter Mensch werden. Beides kann nicht wahr sein, nicht wahr?

These: Wer sehr viel Glück hatte, wird ein glücklicher Mensch, und wird auch andere Menschen glücklich machen wollen. Antithese: Wer von Glück verwöhnt wurde, wird unsensibel und ignorant gegenüber dem Unglück der anderen; verwöhnte Menschen werden zu Monstern. Welche Aussage ist wahr? Gemeint ist nicht: was ist dein Standpunkt, ob du Optimist oder Pessimist bist, sondern was davon tatsächlich zutrifft. Die richtige Antwort ist: These und Antithese sind gleichermaßen falsch. Ob jemand ein guter oder ein schlechter Mensch wird, ist immer eine persönliche Willensentscheidung, und hängt nicht von den Umständen ab.

Doch die Umstände können so grausam sein, dass sie einen guten Menschen dazu treiben, zu töten, und du sollst ja nicht töten. Die Umstände können zu einem bösen Menschen so mild sein, dass er ein Leben lang fröhlich und friedlich lebt, ohne jemals seinen bösen Willen zu offenbaren. Der Wille ist kein bloßer Wunsch, sondern äußert sich in den Taten. Doch andererseits verraten die Taten allein noch nichts darüber, ob ein Wille gut oder böse ist.

Es ist durchaus möglich, dass einer, den alle nur als den Massenmörder oder Amokläufer von Musterstadt aus dem Fernsehen kennen, ein guter Mensch ist, und es ist genauso möglich, dass ein öffentlicher Heiliger in Wahrheit ein böser Mensch ist. Der Mensch wird nicht vor der Geburt dazu prädestiniert, gut oder böse zu sein, denn so wäre er Objekt und nicht Subjekt. Aber auch die Kontingenz der Außenwelt entscheidet nicht, was das transzendente Schicksal einer Seele ist, - und sei es durch die Taten, zu denen sie die Menschen durch Umstände treibt. Der freie Wille ist nicht nur frei zum Guten und zum Bösen, er ist auch frei von der äußeren Bestimmung durch Lebensverhältnisse und von dem durch Zufall und Kontingenz mitbestimmten Resultat seines Wirkens in der Welt, - und das ist immerhin frei genug, um ohne Misstrauen und Furcht an ein Leben nach dem Tod glauben zu können.