Jeder Christ - und eigentlich jeder Mensch, der sich nur halbwegs
tatsächlich, nicht bloß dem Anspruch nach, vom Tier unterscheidet -
weiß, dass es das Beste ist, sein Leben keusch und enthaltsam zu
verbringen. Dem Tier im Menschen entgegenkommend, deuten viele
Theologen Keuschheit als würdevolle Schamhaftigkeit im Umgang mit
der Sexualität, aber nicht als Enthaltsamkeit. Eine Verwässerung
ist keine Verbesserung: entweder ganz bei der Wahrheit bleiben, oder
eine andere Wahrheit suchen. Liberale, die Homo-, Hetero-, wie
Bisexualität für lebbar halten, und auch geschmackvoll genug sein
können, an Transsexualität und Sadomasochismus Gefallen zu finden,
sind mir durchaus sympathisch, unsere kleinkarierten Freunde von der
theologischen Fakultät nicht im Geringsten. Ich würde mir Theologen
wünschen, die in der Öffentlichkeit die Ansicht vertreten würden,
dass ein Gott, der den Menschen als sexuelles Wesen schuf, ihn/sie,
sieihn/ihnsie, sie beide, sie dreide, nicht bloß für ehelichen
Beischlaf zum Zweck biologischer Reproduktion, sondern eben auch für
BDSM erschuf.
Ich wünsche mir aber auch Geistliche, die ohne Zugeständnisse an
den Zeitgeist die streng christliche Position vertreten, dass nämlich
Enthaltsamkeit der beste aller irdischen Wege sei. Enthaltsamkeit für
alle? Kein Sex für niemanden? In 100 Jahren lebt kein Mensch mehr
auf der Welt! Wenn alle enthaltsam leben, stirbt die Menschheit doch
aus! Das mag stimmen, aber an Sex zum Wohle der Menschheit mag man
auch nicht wirklich glauben.
Nehmen wir alle. Betrachten wir sie. Beobachten wir, was Alle für
ein Tierchen ist. Alle können sich ja nicht irren. Wenn alle Jesus
als ihren Erlöser annehmen, kommen alle in den Himmel, und keiner
mehr in die Hölle. Dann wird Gott die Hölle umsonst gebaut haben.
Also müssen auch welche böse sein, sonst geht die Hölle kaputt.
Schwachsinn? Eindeutig, aber in sich genau so stimmig, wie das
Argument mit der aussterbenden Menschheit.
Man muss Prioritäten setzen. Wenn du - nach hoffentlich langem und
erfülltem Leben - stirbst, mein lieber Freund, wo sind dann alle?
Nimmst du sie mit ins Grab? Begleiten sie dich auf deinem Weg ins
Ungewisse, womöglich ins Nichts? Dass es "alle" gar nicht
gibt, wirst du spätestens an deinem Todestag erfahren. Wissen kannst
du es bereits heute, indem du darüber nachdenkst. Alle ist ein
Hirngespinst, ein Gedankenkonstrukt, du bist real. Alle ist abstrakt,
du konkret.
Das Höchste, Reinste, Beste ist nicht das, was allen am Besten
gefällt. Eine einzige Seele ist mehr wert als die gesamte
Menschheit, wenn diese als das seelenlose "alle" auftritt.
Eine Seele ist jedenfalls eine Seele mehr als null Seelen. Es ist
eigentlich so leicht, das Glück nicht zu verfehlen, denn bei der
Keuschheit weiß man bereits intuitiv, dass sie die beste Option ist.
Jedoch weiß man auch - nicht erst seit Dostojewskij - , dass gerade
weil es so leicht ist, glücklich zu sein, sich der Mensch so gern
ins Unglück stürzt. Der Himmel kommt ihm dann angeblich langweilig
vor - so langweilig, wie die Trauben dem Fuchs zu sauer sind.