Donnerstag, 14. Dezember 2017
Gut
Handle so, dass das Prinzip deines Handelns ein allgemeines Gesetz sein könnte, fühlt man sich an Kant erinnert. Mit der Form der Gesetzmäßigkeit in seinem Handeln unterstreicht der Mensch seine Zugehörigkeit zum Reich der Vernunft: als bloßes Tier würde er allein affektiv handeln. Schon dadurch, dass der Mensch in der Lage ist, den logischen Sinngehalt des kategorischen Imperativs zu verstehen, ist er daran gebunden. Selbstredend handelt es sich hierbei um ein Ideal, und nicht um die Vorstellung, der Mensch könne und solle nur vernünftig handeln und seine Leiblichkeit und Naturhaftigkeit (die nichts als Heteronomie sprich Fremdbestimmtheit des eigenen Wesens ist: als Vernunftwesen gebe ich mir selbst meine Prinzipien, als Kreatur bin ich von einer meinem Wesen fremden Macht an eine objektive Realität wie Stoffwechsel, Fortpflanzungstrieb und Todesfurcht gebunden) verleugnen.
Nun hat der moderne Mensch wahrlich kein Problem damit, dass er seine Kreatürlichkeit verleugnete und unterdrückte: er verhätschelt diese bis ins Ungesunde auf Kosten der Vernunft. Was er unterdrückt, ist der Zweck des ganzen Bühnenspiels, das unsagbar Böse, das Ich. Ein Scherz? Oder wie soll dies in einer Welt des Egoismus verstanden werden? Nein, wir leben in keiner Welt des Egoismus, wir leben in einer Welt der präegoischen Selbstsucht. Beispiele gern. Einen nicht nur peinlichen, sondern oft krankmachenden Tanz auf der Karriereleiter nennen wir Beruf, aus dem Wort Berufung abgeleitet. Eine medienwirksame Realisierung der nicht hinterfragten Ideale anderer nennen wir Selbstverwirklichung. Einen selbstzerstörerischen Lebensstil nennen wir egoistisch.
Die Gründe, weshalb das Weitere sich kaum Hoffnungen machen kann, verstanden zu werden, sind genannt. Ein psychisch verkrüppelter Mensch, durch den Glanz unbegrenzter Möglichkeiten tierischer Bedürfnisbefriedigung von seiner wahren Selbstverwirklichung, der Verwirklichung seiner Selbst abgehalten, wird sich um sein Ich nicht kümmern. Wer sein Ego isst, ist kein Egoist. Was wäre aber eine menschliche Selbstverwirklichung? Wohl wieder etwas Moralisches, denn wo soll sich sonst der Gegensatz zum Tierischen finden lassen?
Tertium datur. Handle so, - beginnt Kant den kategorischen Imperativ. Nicht: handle um. Du lebst nicht dafür, um dem Gesetz und den Propheten gerecht zu werden; du bist nicht auf der Welt, um moralische Gebote zu erfüllen. Es ist andersrum. Du bist da. Andere sind auch da. Um einen zwischen Vernunftwesen möglichen Frieden gewährleisten zu können, handelt ihr ethisch, und zwar nach der Form der Gesetzmäßigkeit. Empathie ist nicht genug: dein Handeln muss berechenbar sein, um dich als Vernunftwesen erkennen und dir vertrauen zu können. Doch es gibt genug Menschen, die glauben, im moralischen Handeln allein würde sich der Sinn des Lebens erschöpfen: sie sind auf der Welt, um moralisch zu handeln, um gut (als Mittel zum Zweck) zu sein.
Wenn es keine Selbstzwecke gibt, kann es auch keine guten Handlungen geben, denn für wen wären sie gut? Es sind die moralischen Prinzipienreiter, die aus der Welt eine Ethikmaschine machen, ein frommes aber sinnloses Theaterstück. Erst wenn du als Selbstzweck gut bist (Egoist), kannst du Objekt moralischen Handelns sein. Subjekt moralischen Handelns bist du bereits, indem du Vernunftwesen bist. Erst wenn du deine Mitmenschen Egoisten sein lassen kannst, bekommt dein moralisches Handeln ihnen gegenüber einen Sinn, denn sie sind Selbstzwecke, der Sinn ihres Seins ruht in ihnen selbst. Wer glaubt da zu sein, um Jesus nachzufolgen, würde auch Hitler nachfolgen. Er würde sich als Märtyrer verbrennen lassen oder als Selbstmordattentäter einen Bahnhof in die Luft jagen, - der Tod macht ihm nichts aus, weil in ihm nichts mehr zum Sterben da ist.