Dienstag, 12. Dezember 2017
Wert
Alle Menschen sind gleich. Aber nein doch! Jeder ist verschieden: äußerlich, charakterlich, und schmeckt anders, wie mir ein Vampir neulich versichterte. Aber alle Menschen sind gleich: gleich vor Gott. Weil alle sterblich sind? Ist der Tod also der hier gemeinte Gott? Wenn nicht, dann erstehen alle nach ihrem Tod so verschieden auf, wie sie schon zu Lebzeiten waren. Aber alle Menschen sind gleich, wusste schon Oma. Was meinte sie? Alle Menschen sind gleich viel wert.
Die Menschenwürde ist unveräußerlich. Jeder Mensch hat sie. Der Penner da, der Kaufmann dort, das Flittchen wie das Schneewittchen. Nur Gott, Jesus, Genosse Stalin ist mehr wert als wir alle, nämlich alles, und alle Menschen sind gleich viel wert, nämlich nichts.
Ein in sein Gegenteil verkehrter Nihilismus ist nicht das Christentum, für welches er gedankenloserweise gehalten wird. Anstatt gleicher Nichtigkeit von allem und allen die gleiche Nichtnichtigkeit zu postulieren ist desselben Geistes Kind.
Aber ganz am Anfang, vor unserer Entstehung - wie und wodurch auch immer - waren wir nicht alle dasselbe Nichts? Sind alle Schönheits- , Wert- und Charakterunterschiede zwischen uns nicht zufällig und nichtig, zumindest im Vergleich zu unserer Gleichheit angesichts des Nichts und des Absoluten? Wenn wir nicht gleich sind - warum schuf Gott uns so? Warum schuf er mich als jemanden, der weniger wert ist als der da oder die da?
Nichtigkeit und Zufall lässt alle Werte entstehen, die wir kennen. Wir wissen nicht, wovon wir reden, obschon wir wissen, was wir meinen, wenn wir die Ungeheuerlichkeit aussprechen, dass nicht jeder Mensch gleich viel Wert ist. Wir kennen den ungeschaffenen Teil von uns nicht, der uns unseren wahren Wert verleiht. Wir wissen nicht, ob jedes menschliche Wesen diesen göttlichen Funken in sich hat, und eine politisch korrekte gleichmacherische Behauptung, dies sei so, bringt uns nicht weiter.
Es fühlt sich für dich widerlich an, dass der Widerling dort nach absoluten, übermenschlichen Maßstäben mehr wert sein soll, ontologisch höher stehen soll, als du, aber zumindest dies kann man guten Gewissens mit allen Mängeln an empirischem Wissen behaupten: das Höhere kann gar nicht als ein Widerling erscheinen - ist er besser als du, so ist er auch reiner, und all deine Verachtung für ihn ist heimliche Bewunderung. Du hasst ihn vielleicht sogar, weil du ihm das, was ihn zu etwas Besserem macht, als du es bist, nicht nehmen kannst, selbst wenn du ihn tötest.
Die besseren, höheren Menschen sind nicht gottesfürchtiger, aufopferungsvoller und selbstloser, sie sind unabhängiger, in sich gekehrter und stiller, sie sind weiß wie Schnee, sie sind kalt wie Eis. Die Show, die uns Helden und Heilige präsentieren, ist für noch höhere Wesen eine schmutzige Peinlichkeit, ein moralischer Striptease, und eine Sünde: Höheres Niedrigerem zu unterwerfen, ist das Böse selbst. Wer diese letzten Worte versteht, braucht keine Worte, um Werte zu verstehen.