Dienstag, 17. Oktober 2017
Zölibat
Zur Forderung, unheilbar Kranken, deren Leben nur noch Qual ist, und die körperlich nicht in der Lage sind, sich das Leben zu nehmen, Sterbehilfe leisten zu müssen, kann man auf unterschiedliche Arten gelangen. Die menschenverachtenden Nationalsozialisten hätten diese Kranken für "unwertes Leben" erklärt, und darum Euthanasie gefordert. Jene, denen die Würde des Menschen wichtig ist, und kein bloßes Lippenbekenntnis, hätten auf Sterbehilfe plädiert, weil ein fremdbestimmtes Leben als lebende Leiche die Würde des Menschen verletzt.
Es kommt also nicht auf das Endergebnis einer Argumentation an, sondern darauf, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. Eine vernünftige Diskussion um den Zölibat für Geistliche lässt sich nicht führen, wenn das nicht passende Resultat zu einem Totschlagargument wird: man hört die Argumente der Gegenseite nicht mehr an, sondern verdammt sie, wenn das Ergebnis der Argumentation pro Zölibat ausfällt. Wenn einem das Ergebnis nicht gefällt, kann man beliebige äußere Gründe finden, warum die Argumentation ungültig sein muss; man kann also Unsinn reden, oder einer Argumentation immanent folgen, und deren innere Widersprüche, falls vorhanden, aufzeigen.
Was ist ein Geistlicher? Ein Geistlicher ist eine Person, die ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Man kann also davon ausgehen, dass ein Geistlicher an Gott glaubt. Nun ist die Unsterblichkeit der Seele untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden, ja selbst mit einer ganz auf Vernunft gegründeten moralischen Religion, wie sie Immanuel Kant in seiner Moralphilosophie entwickelt hat: damit die Würdigkeit, glücklich zu sein, mit der Strenge eines Naturgesetzes auch Glückseligkeit zur Folge hat, muss es eine Welt jenseits dieser geben, denn in dieser Welt ist alles Glück zufällig.
Ein Geistlicher ist nicht bloß ein gläubiger Christ, sondern die Religion, der Glaube, ist der Mittelpunkt seines Lebens, wie etwa die Familie für den natürlichen Menschen, oder der Beruf (die Karriere) für das bürgerliche Individuum. Geistliche leben in vielen Ländern vom Staat, d. h. vom Geld anderer Menschen. Ihre Aufgabe ist, ein Vorbild im Glauben zu sein, und ihre Qualifikation als Seelsorger kommt durch ihren Glauben zustande. Es kann keinen Gottesbeweis geben, aber es muss einen Glaubensbeweis geben, und dieser kann nur in der Lebensweise bestehen.
Wenn ein Mensch, der sein Leben dem Gottesdienst widmet, nicht bereit ist, auf das natürliche Gattungsleben (Familie, Sexualität) zu verzichten, muss davon ausgegangen werden, dass er nicht wirklich an Gott glaubt. So jemand eignet sich nicht als Geistlicher. Ein wirklich gläubiger Christ wird, selbst wenn er moralisch auf einer niedrigen Stufe steht, und somit ausschließlich um der größeren Freuden im Jenseits willen auf die Freuden im Diesseits verzichtet, niemals den Grundsatz vertreten, auf die Gefahr hin, dass es Gott doch nicht gibt, so viel wie möglich an Vergnügungen aus dieser Welt mitzunehmen. Wer aber so stark daran zweifelt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass er für seinen Glauben niemals auf irdische Freuden verzichten würde, von dem ist doch wenigstens zu erwarten, dass er kein Geistlicher wird.