Mittwoch, 21. Februar 2018
Schicksal und Negativität
Die antike Welt war eine heteronome: fremdbestimmt (von den Göttern) hatte jeder Mensch sein Schicksal äußerlich auferlegt bekommen. Das Äußere war die Positivität, das Individuum konnte sich dazu nur negierend verhalten: indem es gegen sein Schicksal kämpfte oder indem es sein Schicksal annahm und somit die Äußerlichkeit der Schicksalsbestimmungen negierte, und diese zu seinen eigenen machte. Diese zweite Art der Negation - Verinnerlichung durch Affirmation - enthielt bereits den Keim des neuzeitlichen Denkens.
In der Neuzeit wurde das Innere als das Positive aufgefasst: der gute Wille, das Gewissen, die Gesinnung im Widerstreit gegen eine seelenlose determinierte Weltmaschine. Der Tod der äußeren Welt (als einen göttlichen Zusammenhangs) war die Voraussetzung für das Leben der inneren. Dies führte zur Atomisierung der Individuen, und an die Stelle sittlicher Bestimmungen traten automatisierte gesellschaftliche Zusammenhänge. Und wer nicht faul war, erklärte Gott für tot.
Der Preis der Selbstbestimmung der Person scheint die Negation der Außenwelt zu sein: in erkenntnistheoretischer Hinsicht (Solipsismus), in praktisch-moralischer Rücksicht (rigorose Gesinnungsethik) und in praktisch-poietischer Absicht (Behandlung der Natur als einen leblosen Mechanismus). Der Preis der Integration in eine als positive Realität anerkannte Außenwelt scheint die Reduktion der eigenen Persönlichkeit auf eine bloße Funktion zu sein: das Ich als einfache Negation, als substanzlose zufällige Existenz.
Da das Ich als Bewusstsein des Selbstbewusstseins unhintergehbar ist, gibt es nur einen möglichen Anfang: vom Individuum her. Der Einzelne ist das allerrealste Wesen, das Individuum ist das Positive, die Außenwelt zunächst das Negative. Die Welt ist vom Ich her zu denken, kann aber keine bloße Projektion der Negativität sein (kein bloßes Nicht-Ich). Es gibt nur einen möglichen Anfang, aber viele Wege. Solange das Ziel unbestimmt bleibt (das Weltganze ist eine abstrakte Bestimmung und kein positives Ziel), kann der richtige Weg nicht gefunden werden.