Samstag, 10. Februar 2018

Du sollst nicht





Die Sünde trennt uns von Gott. Die Sünde ist ein Graben, den wir selbst schaufeln, sobald wir auf die Welt kommen, - so hat beispielsweise ein kränkliches Kind, das in einer armen Familie geboren wird, mit dem ersten Atemzug gleich vor, Gottes Gebote zu übertreten. Wir sind schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist, denn Gott hat uns eine perfekte Welt gegeben, und dazu noch die exakte Gebrauchsanweisung. Das ist der Schwachsinn, den man glauben muss, um das Sündengerede der Pfaffen ernst nehmen zu können.

Warum lassen wir uns davon beeindrucken, wenn jemand, der in exotischer Kleidung daher kommt, aber kein Exot ist, uns sagt, Gott hätte für die Selbstmörder die schlimmste Höllenstrafe vorgesehen? Warum fürchten wir uns vor jenseitiger Strafe, selbst wenn wir längst nicht mehr an den Gott unserer Kindheit glauben? Die Evolution hat es so eingerichtet, dass das Schlechte die Erinnerung viel stärker prägt, als das Gute, das wir erleben. Sonst hätten wir nicht überlebt: unsere Vorfahren hätten den herangeschlichenen Tiger am nächsten Tag vergessen, und wären am übernächsten Tag von ihm zerfleischt worden.

Eine rein naturalistische Auflösung eines psychomoralischen Rätsels kann nicht befriedigen. Stellen wir die Frage anders: warum sollen wir uns vor der Hölle fürchten? Um die dunklen Triebe an der kurzen Leine zu halten. Wenn ein Kindesmissbraucher sagt, es sei doch nicht so schlimm gewesen, dann schildert er nur seine Erfahrung: er hat dem Kind tatsächlich nicht weh getan, es nicht bedroht, nicht verletzt, nur gestreichelt, und sich selbst von Kinderhänden streicheln lassen. Dass dieses höllische Streicheln eine kindliche Seele tötet, erschließt sich ihm nicht. Kurz: wir sollten, verdammt nochmal, sehr vorsichtig sein. Eine Seele lässt sich nicht reparieren. Was für den Erwachsenen ein kleines Vergnügen ist, kann für das Kind ein großer Schmerz sein, den es ein Leben lang in die Welt hinaus tragen wird.

Wer sich selbst beherrschen kann, braucht keine Gebote, Gesetze oder Verbote. Doch bis sich einer beherrschen kann, muss er eine lange Persönlichkeitsentwicklung leisten. Das gelingt nicht jedem, um es mal stark zu untertreiben. Was sind aber dem reifen menschlichen Wesen Gebote wie "Du sollst nicht stehlen"? Sie sind äußerliche Willkür, nichts weiter. Manchmal muss man stehlen, um Leben zu retten. Manchmal muss man töten, um Unschuldige zu beschützen.

Was Sünde ist, weiß nur Gott. Wir versuchen es: Sünde ist aus freien Stücken verlorene Unschuld. Eine klare begriffliche Definition. Was für ein Wille steckt dahinter, wenn die Unschuld freiwillig preisgegeben wird? Ein Wille, der bereits gesündigt hat. Wer also nicht bereits der Sünde verfallen ist, kann nicht sündigen. Die Definition sprengt sich, es entsteht ein unendlicher Regress, wie immer, wenn man einen Vernunftbegriff mit dem Verstand fassen will. Für den Verstand kann Sünde nur dasjenige sein, was ein gewisser Kant als eine Verkehrung der Maxime des Willens bestimmt: wenn der kategorische Imperativ nicht der höchste Gebieter des Willens einer menschlichen Person ist, sondern selbstsüchtige Interessen über sich gestellt bekommt. Alles, was wir über die Sünde durch die unserem Verstande gemäße Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft wissen können, hat derselbe Kant im gleichnamigen Buch aufgezeigt. Der Rest ist bloße Spekulation.