Freitag, 2. Februar 2018
Leiblichkeit und Transzendenz
Wie siehst du eigentlich wirklich aus? Dein Körper ist ein Zufallsprodukt, das viel mit dem Genpool deiner Eltern zu tun hat, aber nichts mit dir. Wie siehst du also wirklich aus? Wenn du ein Nichts-als bist, nichts als dein Körper, nichts als all die Umstände, die dein Dasein und Sosein determinieren, dann hat diese Frage für dich keinen Sinn. Aber sie hat objektiv einen Sinn. Nehmen wir einen Menschen, der durch äußere Umstände einige Körperteile verloren hat, aber immer noch lebt, und folglich eine Person ist, die eine persönliche Ich-Perspektive auf sich selbst hat. Vor dem Unfall war diese Person ein Mensch, und sah wie ein Mensch aus, - wer ist diese Person aber nun, wo sie keine Beine mehr hat und wo ihr ein Arm und ein Ohrläppchen fehlt? Ein neuartiges einarmiges Wesen ohne Beine? Mitnichten. Sie trägt Prothesen, weil sie "eigentlich" so aussieht, wie sie vor ihrem Unfall aussah.
Wir alle hatten einen Unfall: den genetischen Unfall unserer Eltern, als sie uns zeugten. Der Zufall und die Gene bestimmten über unser Aussehen. Wir sehen so oder so aus nicht weil wir uns so entschieden haben, sondern weil dies durch äußere Umstände für (oder gegen) uns so entschieden wurde. Nun gibt es schöne und nicht so schöne Menschen. Entspricht das Aussehen immer dem Charakter? Nein, es ist vielmehr immer zufällig, und steht in keinem Zusammenhang mit der Persönlichkeit eines Menschen. Wir sind nicht dazu verdammt, uns mit unserem Aussehen zu identifizieren, vielmehr können wir davon abstrahieren. Dabei bekommen wir zweierlei: einserseits das Wunschaussehen, auf welches wir keinen gerechten Anspruch haben können, und andererseits das Aussehen, das unserem Charakter wirklich entspräche. Es ist leider abzusehen, dass die zukünftigen Biotechnologien die erste, willkürliche Möglichkeit realisieren werden, - die zweite, gerechte Option müssen wir wohl, wie alle berechtigten Hoffnungen, die nur berechtigt sind und sonst nichts, ins Jenseits verlagern.
Oder gibt es eine Aussicht auf Schönheitsethik? Die zivilisierte Menschheit verrechtlicht zunehmend alle möglichen Verhältnisse, die Menschen werden dadurch aber nicht moralischer. Schade. Jedenfalls will ich, wenn ich in den Spiegel sehe, nicht das Produkt zufällig an mich weitergegebener Gene sehen, sondern ein Gesicht, das zu mir passt. Ich fühle mich nicht aus äußeren Gründen (etwa sozialer Perfektionierungsdruck usw.) unwohl in meinem Körper, - ich will vielmehr, dass mein Körper meine Seele zum Ausdruck bringt, doch nicht etwa damit andere sehen können, wie gut ich "eigentlich" aussehe. Nein, nur für mich. Nicht um - wie so viele Menschen anderen Geschlechts - den attraktiven Körper exhibitionistisch als Objekt der Begierde in der Öffentlichkeit zu präsentieren, um dann die selbst provozierten Blicke als Belästigung zu beklagen. Nein, ich bräuchte eigentlich zwei Körper: einen funktionalen, schlicht und unauffällig, männlich aussehenden, und den "eigentlichen", nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Körper, einen ewigjungen, androgynen, und von einer solchen Makellosigkeit in allen denkbaren Feinheiten, die für nur wenige wirklich vorstellbar ist.