Samstag, 3. März 2018
Die Heteronomiefalle
Eines schönen Sommertages auf dem Territorium des sibirischen Trapps und im autogeologischen Kindesalter wachte ich früh und voller Freude auf, um im Garten Himbeeren zu plücken, was die Aufgabe dieses Tages war, und durchaus viele Stunden Geduldsarbeit erforderte. Kaum hatte ich mit der Arbeit begonnen, wurde ich angeschimpft und gezwungen, wieder schlafen zu gehen. Nach einer Stunde quälender Langeweile schlief ich endlich ein, wurde zwei Stunden später geweckt, und zum Himbeerenpflücken geschickt. Die Arbeit, die ich drei Stunden früher noch voller Freude begonnen hatte, wurde zur Qual, und ich verbrachte einen lustlosen Sommertag im Garten. Was ich damals nur intuitiv verstand, konnte ich erst nach vielen Jahren begrifflich ausdrücken: Heteronomie ertötet jede erdenkliche Lust und vereitelt alle Freude und Eigeninitiative.
Die Schulzeit war eine Wiederholung dieses paradigmatischen grausamen Schauspiels: durch Zwang und Bevormundung wurde mir die Lust am Lernen ausgetrieben. Ich saß jahrelang - meist geistig weggetreten - sechs Stunden pro Arbeitstag mit lustlosen Robotern zusammen, die sich erst nach der Schule in normale Menschen zurückverwandelten. Es gibt nicht nur den Seelenmord, es gibt auch den Geistesmord. Die philosophisch korrekte Bezeichnung dafür ist Heteronomie.
Wenn der Wille, dessen Wesen die Freiheit selbst ist, in einen Zwang aus Fremdbestimmung gerät, hat er drei Möglichkeiten: sich wehren, sterben oder eine eigene Realität konstruieren. Die erste Möglichkeit wird aufs Hinterhältigste verbaut: man lernt schon als Kind, Heteronomie sei alternativlos. Die zweite Möglichkeit ist der Regelfall: der fremdbestimmte Mensch lebt als geistig Toter, - das erspart viel Mühe und verträgt sich bestens mit den biologischen Grundtrieben, weshalb diese Möglichkeit von fast allen Menschen gewählt wird. Die dritte Möglichkeit ist historisch gesehen die Voraussetzung allen höheren menschlichen Denkens, denn indem der in Ketten gelegte Wille eine geistige Gegenwelt aufbaut, wird ihm die zunächst abstrakte Willensfreiheit innerlich und konkret.
Zur Autonomie des Willens gehört notwendig die Selbstzweckbestimmung der Person. Nur wenn ich mir Selbstzweck bin, ist mein Wille frei; nur wenn ich meiner Freiheit bewusst bin, kann ich mir Selbstzweck sein. Wer sich selbst zum bloßen Mittel macht, entwertet damit jeden höheren Zweck, dem er sich opfert: ohne die Selbstzweckbestimmung der Person wird jedes hehre Ziel abstrakt und beliebig. Ein Wille, der nicht frei sein darf, kann kein guter Wille sein. Wer dies bedenkt, und dennoch einen höheren Zweck als den Selbstzweck in sich selbst anstrebt, sollte auch bedenken, dass wenn die Selbstzweckbestimmung zum bloßen Mittel wird, sich das Reich der Zwecke augenblicklich in ein Reich der Mittel verwandelt, und alle hohen Ziele ihre Würde als moralische Ideale verlieren, - denn wenn alles Mittel ist, ist alles zwecklos.