Dienstag, 27. März 2018
Was brennt da in der Hölle?
Ist der Atheismus ein Humanismus? Ein sechsjähriges Kind mit einer reichen Phantasie fragt seine Mutter, was es mit Himmel und Hölle auf sich habe. Die Mutter antwortet, es sei sinnlos, darüber zu sprechen, denn "wir" kommen eh alle in die Hölle, da "wir" Atheisten sind. Bevor noch das Kind sich ein eigenes Urteil über Gott und die Welt hat bilden können, wird es einem atheistischen "Wir" zugerechnet und kommt in die Hölle. Später richtet sich die Wut des heranwachsenden Kindes gegen das grausame und inhumane Christentum, - das leichtfertige und hochgiftige Wort des spöttischen Atheismus hat gewirkt.
Die Psychologie der atheistischen Erziehung unterschreitet die begriffliche Höhe unseres Gegenstandes; es sei nur angemerkt, dass eine negativistische Erziehung, die keine positiven Werte vorgibt und vorlebt, sondern sich allein gegen etwas positioniert, sich selbst, und nicht das Christentum oder das Heidentum ad absurdum führt. Man muss nicht zwangsläufig an einen Gott glauben oder einer Konfession angehören, um sich die Frage nach den klimatischen Bedingungen des Lebens nach dem Tode zu stellen. Stell dir doch vor, du würdest nicht existieren. Wenn du es dir vorstellen kannst, dann stellst du es dir falsch vor - du trittst aus dir heraus und betrachtest deine Nichtexistenz als eine äußere Tatsache, wobei du selbst in der Vorstellung deiner Nichtexistenz weiterhin existierst - als Geist ohne Körper.
Es fällt leichter, sich ein Leben nach dem Tode vorzustellen, als sich vorzustellen, man hörte nach dem Tod auf zu existieren. Das Leben ist immer ein Bestimmtes, und die einfachste Bestimmung eines Lebens, über dessen Dasein hinaus nichts gesagt werden kann, ist die Bestimmung dieses Lebens als ein Glückliches oder ein Unglückliches. Der Frage, was dort im Himmel blüht, werden wir irgendwann bei besserem Wetter nachgehen. Heute, nach einem achtwöchigen Bauchfettfest der indiskreten nackten und unschöne Nacktheiten beleuchtenden Sonne, ist die Frage nach der Hitze der Hölle nicht im übertragenen Sinne aus der Luft gegriffen, sondern wörtlich.
"Es ist eine Frage, was in der Hölle brenne? Die Meister sagen gewöhnlich: Das tut der Eigenwille. Aber ich sage wahrlich: das Nichts brennt in der Hölle", sagt Meister Eckhart. Der Eigenwille, das Beharren auf dem eigenen Selbst selbst nachdem der Mensch ins allgemeine göttliche Wesen versetzt wurde, wird als die Hölle empfunden, sagt Schelling, der vorerst letzte christliche Mystiker. Meister Eckhart, in vielerlei Hinsicht sein Lehrer, ist offenbar anderer Ansicht: "Weil Gott und alle die, die im Angesicht Gottes sind, in der rechten Seligkeit etwas in sich haben, was die nicht haben, die von Gott getrennt sind, dieses Nichts allein peinigt die Seelen mehr, die in der Hölle sind, als Eigenwille oder irgend ein Feuer. Ich sage wahrlich: so viel Nichts dir anhaftet, so sehr bist du unvollkommen".
Was ist dieses Nichts? Das Nichts an sich selbst ist die Negation von Sein - nicht vom bestimmten Seienden, dessen Gegenteil das Nichtsein ist. Ist es dieses Nichts, das reinste und tiefste Nichts, das in der Hölle brennt? Ein Gleichnis von Meister Eckhart:
"Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das tut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich. Denn hätte meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und leisten kann, so hätte sie völlige Feuernatur. Wenn einer dann alles Feuer, das je brannte, nähme und auf meine Hand schüttete, so könnte es mich nicht schmerzen".
Das Nichts, um welches es sich hier handelt, ist also ein Nichtsein, welches dadurch entsteht, dass jedes bestimmte Seiende alles andere Seiende durch sein Selbstsein von sich ausschließt - ich bin ich und nichts Anderes. Seiendes ist weniger als Sein. Zum Sein verhält sich jedes Seiende als ein Nichts. Das absolute Sein, welches nichts außerhalb seiner hat, ist Gott, alles Seiende, das von Gott und somit von jedem anderen Seienden getrennt ist, ist Nichts.
Alles ist eitel, alles ist nichtig. Alles, was nicht imstande ist, seine Eitelkeit aufzugeben, und auf seiner Nichtigkeit beharrt, brennt in der Hölle. Die Eitelkeit ist aber nichts Anderes als der Eigenwille, woraus ersichtlich wird, dass Meister Eckhart nur seiner Eitelkeit zuliebe behauptet, etwas anderes zu sagen, als die christlichen Denker vor und nach ihm. Für uns Hitzegeplagte reicht fürs Erste der Gedanke, dass die Hölle ihrem Wesen nach keine willkürlich ersonnene Moralkeule sein kann; dass sie dazu missbraucht werden kann, ist genauso banal wie zutreffend.