Sonntag, 11. März 2018

Versinken





Wer meditiert, versinkt, denn er versenkt sich in die Versenkung, und wer sich in die Versenkung versenkt, versinkt. Meditation ist Weltflucht, aber die Wüste, der Wald, die Pagode sind immer noch Welt, - also verglebliche Flucht noch dazu. Keinem Naturgesetz kann man entfliehen, keinem Schicksal, nur in bescheidenem Maße sich selbst. Dieses Selbst aber ist nur die Maske, die das Ich vor der Welt trägt, - Ich bleibt es selbst, solange es existiert. Die Ich-Auflösung zu Lebzeiten ist eine Illusion. Wer meditiert, ist weder dem Nichts noch dem All näher als der, der tanzt, läuft oder fischt.

Wer beim Tanzen tanzt, beim Laufen läuft und beim Fischen fischt, meditiert. Er versinkt ins Tanzen, Laufen, Fischen. Wer beim Tanzen balzt, beim Laufen grübelt, beim Fischen telefoniert, versinkt nicht, sondern schwimmt oben auf den Wellen des Alltags. In der Wahrnehmung des Alltagsbewusstseins zieht die Schwerkraft hoch statt runter - die ganze Welt erscheint verkehrt. In der Einerleiheit des oberflächlichen Nichtfischnichtfleisch ist der Alltagsmensch versunken, und in die Versunkenheit hinein kann man nicht mehr sinken, also spricht er vom Versinken, wenn er das Auftauchen meint.

Aus der diffusen Verlorenheit an die Zukunft taucht der Versinkende in das bewusste Jetzt auf. Während der Alltagsmensch vor der Vergangenheit wegläuft und der Zukunft nachrennt, lebt der meditierende Mensch im Jetzt, ohne es festzhalten. Er taucht auf aus der unterschiedslosen Einöde des allgemeinen abstrakten Jetzt ins konkrete erlebte Jetzt, er wacht auf aus dem ewigen Schlummer in den Tag des Bewusstseins, des bewussten Seins.

Ich-sein ist der Wachzustand, Man-sein ist die Versunkenheit. In den Evangelien trifft man durchweg auf einen Christus, der nicht die Alltagsfrömmigkeit gutheißt, sondern auffordert, alles stehen und liegen zu lassen, und ihm jetzt nachzufolgen. Wer nicht jetzt für das Jetzt bereit ist, wird kein Jetzt erleben. Wer noch etwas vor hat, wird dem Jetzt nachrennen müssen. Das Leben ist keine Bilanzrechnung, das Leben ist jetzt; jeder bekommt, was er jetzt verdient, weshalb alle Arbeiter am Weinberg gleich entlohnt werden. Nicht wie lange du lebst, sondern dass du jetzt lebst, macht die Fülle des Lebens aus. Es ist zu einfach, um es verstehen zu können, - was man verstandesmäßig hierbei zu verstehen imstande ist, ist eine Banalität, die keine Erkenntnis beinhaltet. Es gibt auch nichts zu verstehen - das Leben ist kein Verstehen, es ist ein Leben.