Montag, 15. April 2013
Schweigt!
Lasst uns endlich aufhören, miteinander zu reden!
Das beste wäre, wenn auf diese Überschrift kein Text folgte, denn wer nicht mit eigenem Beispiel vorangeht, redet nur, anstatt das Gesagte vorzuleben. Worte sind immer überflüssig, Taten verstehen sich von selbst. Die Sprache wurde erfunden, um Wissen in erst verbaler dann schriftlicher Form weiterzugeben, - sie ist aber zu einem zwischenmenschlichen Kommunikationsinstrument verkommen, und schafft eine gefährliche Illusion von gleichen Wellenlängen und möglichen Freundschaften, von mitteilbaren Gefühlen und sinnvollen Zusammenhängen, wo keine sind. Die Sprache lügt immer, wenn sie verspricht, Einsamkeit sei überwindbar.
Die Sprache scheitert, wenn es darum geht, Persönliches mitzuteilen, denn es lässt sich nichts sinnvoll sagen, was das Gesagte nicht auf triviale Allgemeinheiten herunterbrechen würde. Das Scheitern der Sprache im Individuellen ist die Kehrseite des Erfolgs der Sprache als Mittel zu allgemeinen Erkenntnissen. Sprache ist da, um all das mitzuteilen, was von allgemeiner Bedeutung ist: Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kunst unterliegen objektiven, allgemeinen Gesetzen. Als Logik und Mathematik dient Sprache der Wissenschaft, als Handelssprache wird sie von der Wirtschaft benutzt, als Befehlssprache in Politik und Kriegskunst, als lyrische Stimme zeigt sie schließlich die allen gemeinsame menschliche Natur.
Sprache ist immer Monolog, niemals Dialog; ein alltagsüblicher Dialog besteht aus einem schnellen Wechsel von Monologen, und ist umso weniger lästig, umso mehr die Monologe bloße Zerologe sind: man sagt etwas, aber man spricht nicht miteinander, etwa wie an der Supermarktkasse. Die Sprache hat ihre wahre Bestimmung erreicht, wenn niemand spricht: ein Zerolog, ein automatisches Aufsagen von Sätzen, ist die Erlösung vom Fluch der Kommunikation. So wie die korrekte Antwort auf ein Dankeschön ein Bittesehr ist, ist ein Wiegehtesdir mit einem wie aus der Pistole geschossenen Gut zu beantworten. Wer dieses einfache Gesetz nicht beherrscht, faselt nur, wie klug, neu und interessant seine Rede auch sein mag.
Wer Schamgefühl besitzt, fühlt sich nach jedem persönlichen Gespräch unwohl. Wer die Kunst beherrscht, persönliche Gespräche automatisch zu führen, wird die Gesellschaft von Menschen nicht als belastend empfinden. Es ist egal, ob hohles Geschwätz oder gehaltvolle Rede: sobald Sprache zwischenmenschlich wird, wird das Gesagte selbst zum Mittel herabgesetzt, und das Gespräch wird zum Zweck. Wer also anderen Menschen etwa die Idee der Freiheit und Menschenwürde mitteilen will, muss es in einem schriftlichen oder verbalen Monolog tun, - mit einer öffentlichen Rede oder in einem Buch.
Es ist ein großer Fehler, zu meinen, man müsste nur die passende Gesellschaft suchen, - und wenn man endlich Menschen findet, die einen verstehen, dann kann man, so irrt man, endlich Gespräche führen, die man hinterher nicht bereut. Die Unmöglichkeit, als der, der man ist, verstanden zu werden, resultiert daher, dass die Sprache, die man benutzt, um als dieser Einzelne, der man ist, verstanden zu werden, ihrem Wesen nach dazu da ist, um das Allgemeine verständlich zu machen, - der Einzelne geht in der Sprache stets unter.
Durch die Sprache werden Freundschaften oder Liebschaften nicht begründet, sondern auseinandergerissen; nach dem ersten längeren Gespräch fallen Freunde oder Geliebte in ihre ursprüngliche Einsamkeit zurück. Sprache verbindet nicht, sie stößt Menschen voneinander ab, so dass sie nach einer durch das Gespräch bewirkten Illusion der Nähe einander noch ferner sind, als sie es als Unbekannte jemals sein könnten. Wer einem sympathisch ist, dem sehe man wortlos in die Augen, berühre seine Hand, führe ihn auf einem Weg und zeige ihm, was einen bewegt, lebe ihm vor, was einem als gut und richtig vorschwebt. Doch wer zu dem Anderen spricht, stößt ihn von sich ab: die Sprache ist nur insofern eine zwischenmenschliche Angelegenheit, als dass sie eine Kluft zwischen Menschen aufreißt, und mit jedem Gespräch, mit dem man versucht, diese Kluft zu überwinden, sie nur immer weiter vertieft.
Sonntag, 7. April 2013
Fichtes Nihilismusproblem
Das Nihilismusproblem in Fichtes "Bestimmung des Menschen"
Der Mensch existiert auf einer bestimmten Welt zu einer bestimmten Zeit, und fragt sich selbst nach seiner Bestimmung, oder, allgemeiner, nach dem Sinn seines Lebens. Um seine Bestimmung zu erkennen, bedarf es eines hinreichenden Wissens über die Welt, in der sich der Mensch befindet. Im ersten Buch der "Bestimmung des Menschen" fängt Fichte mit dem Zweifel an, und stößt schnell auf ein Determinismusproblem: Freiheit und Determinismus sind theoretisch unvereinbar. Dies ist ein apodiktisches Urteil, und stößt daher schon ein erstes Nihilismusproblem an: wenn alles in der Welt determiniert ist, dann bin ich es - als ein Teil des Weltganzen - notwendigerweise auch, und kann somit nicht frei sein. Alle Freiheit, die ich intuitiv empfinde oder moralisch fordere, ist in theoretischer Hinsicht nur Illusion, was jede Moralität ad absurdum führt.
Fichte stellt fest: "Ich selbst mit allem, was ich mein nenne, bin ein Glied in dieser Kette der strengen Naturnothwendigkeit" (S. 179). Zugleich kann er nicht leugnen, eine Person zu sein: "Ich aber, das, was ich mein Ich, meine Person nenne, bin nicht die menschenbildende Naturkraft selbst, sondern nur eine ihrer Aeusserungen: und nur dieser Aeusserung bin ich mir, als meines Selbst, bewusst, nicht jener Kraft, auf welche ich nur durch die Nothwendigkeit mich selbst zu erklären schliesse" (S. 183). Mit einem spinozistischen Freiheitsbegriff, nach dem Freiheit nur die ungehinderte Entfaltung der inneren Notwendigkeit ist, will Fichte Determinismus und Freiheit in einem System zusammenbringen: "Gieb einem Baume Bewusstseyn, und lass ihn ungehindert wachsen, sehe Zweige verbreiten, die seiner Gattung eigenthümlichen Blätter, Knospen, Blüthen, Früchte hervorbringen. Er wird sich wahrhaftig nicht dadurch beschränkt finden, dass er nun gerade ein Baum ist, und gerade von dieser Gattung, und gerade dieser Einzelne in dieser Gattung; er wird sich frei finden, weil er in allen jenen Aeusserungen nichts thut, als was seine Natur fordert; er wird nichts anderes thun wollen, weil er nur wollen kann, was diese fordert" (S. 184). Gegen ein solches System wendet sich aber die Stimme der Moral, die ein unbedingtes Sollen fordert, welches allein aus dem moralischen Gesetz, und nicht wegen einer Naturnotwendigkeit gelten soll. Was theoretisch durchaus vereinbar ist (in einem spinozistischen System sind Determinismus und Freiheit nicht einander widersprechend, sondern komplementär), kann praktisch nicht gelten, da es Moralität als solche vernichtet. Nun gilt es also, den theoretisch unumstößlich erscheinenden Determinismus nicht mehr mit moralischer Freiheit vereinbar zu machen, sondern transzendental zu hinterfragen.
Im zweiten Buch, "Wissen", das in Form eines Dialogs die Erkenntnis der ontologischen Einsamkeit des Ich entwickelt, wird der Determinismus um den Preis der Annihilation der Außenwelt überwunden: nunmehr ist alles die freie Hervorbringung des Ich. Ich denke nur mein Denken, und nehme nur meine Wahrnehmung wahr, - die Dinge außer mir sind nur meine Vorstellung, und die rationlaen Gesetzmäßigkeiten finde ich in der Außenwelt - die nicht an sich existiert - nicht vor, sondern verursache sie selbst durch mein Ich-Sein, welches nur die abstrakte Bestimmung des Subjekts, das sich selbst Objekt ist, bedeutet. Ich bin ich, und mache mich selbst zum Objekt; zum Zweck der Anschauung bringe ich das Außereinander im Raum sowie das Nacheinander in der Zeit hervor, wobei ich Raum und Zeit als Voraussetzungen für die Anschauung wiederum selbst erschaffe. Die Naturgesetze spiegeln nur die Gesetzmäßigkeiten wider, die für mich selbst als für ein Ich notwendig gelten. Fichte fasst zunächst zusammen: "1) Ich bin schlechthin, weil Ich Ich bin, meiner selbst mir bewusst, und zwar theils als eines praktischen Wesens, theils als einer Intelligenz. Das erste Bewusstseyn ist Empfindung, das zweite die Anschauung, der unbegrenzte Raum. 2) Unbegrenztes kann ich nicht fassen, denn ich bin endlich. Ich begrenze daher durch Denken einen gewissen Raum im allgemeinen Raume, und setze den ersten zum letzten in ein gewisses Verhältniss. 3) Der Maassstab dieses begrenzten Raumes ist das Maass meiner eigenen Empfindung; nach einem Satze, den man sich etwa denken und so ausdrücken könnte: was mich in dem und dem Maasse afficirt, ist im Raume in dem und dem Verhältnisse zu dem übrigen mich Afficirenden zu setzen. Die Eigenschaft des Dinges stammt aus der Empfindung meines eigenen Zustandes; der Raum, den es erfüllt, aus der Anschauung. Durch Denken wird beides verknüpft, die erstere auf den letzteren übertragen. Es ist allerdings so, wie wir oben sagten: dadurch, dass es in den Raum gesetzt wird, wird mir Eigenschaft des Dinges, was eigentlich nur mein Zustand ist; aber es wird in dem Raum gesetzt nicht durch Anschauen, sondern durch Denken, durch messendes und ordnendes Denken. Ein Erdenken, Erschaffen durch Denken, liegt jedoch in diesem Acte nicht, sondern lediglich ein Bestimmen des durch Empfindung und Anschauung, unabhängig vom Denken, Gegebenen" (S. 234f). Doch auch das Gegebene erweist sich als Illusion, die dadurch entsteht, dass das transzendentale Ich und das Ich des unmittelbaren Bewusstseins intuitiv für dasselbe gehalten werden; sobald aber das unmittelbare Bewusstsein als das zum Objekt der Anschauung und des Denkens gehörende Subjekt erkannt wird, und Subjekt und Objekt als einander gegenseitig Bedingendes, und nicht eins als Ursache des anderen, müssen sowohl das Gegebene als auch das unmittelbare Bewusstsein als zwei Seiten derselben Schöpfung des Ichs - an sich aber nicht seiend - eingesehen werden: "Es giebt überall kein Dauerndes, weder ausser mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiss überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. – Ich selbst weiss überhaupt nicht, und bin nicht" (S. 245). Das "ich denke" erweist sich, wie bei Kant, als ein empirischer Satz, hier aber mit einer solipsistischen Konsequenz: "Das Anschauen ist der Traum; das Denken, – die Quelle alles Seyns und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seyns, meiner Kraft, meiner Zwecke, – ist der Traum von jenem Traume" (S. 245). Es gibt nichts außer mir, und alles ist nur meine eigene Schöpfung, dessen ich mir aber nicht bewusst werde, da ich selbst, solange ich ein Bewusstsein von etwas (das nicht mein eigenes Ich ist) habe, Teil dieser Schöpfung bin.
Das dritte Buch, "Glaube", beginnt mit dem aus dem Gesagten folgenden Nihilismusproblem: "Ich verlange etwas ausser der blossen Vorstellung Liegendes, das da ist, und war, und seyn wird, wenn auch die Vorstellung nicht wäre; und welchem die Vorstellung lediglich zusieht, ohne es hervorzubringen, oder daran das Geringste zu ändern. Eine blosse Vorstellung sehe ich für ein trügendes Bild an; meine Vorstellungen sollen etwas bedeuten, und wenn meinem gesammten Wissen nichts ausser dem Wissen entspricht, so finde ich mich um mein ganzes Leben betrogen. – Es ist überall nichts ausser meiner Vorstellung..." (S. 248). Ich kann mich zu mir selbst nicht moralisch verhalten, wenn ich für mich selbst nichts als das Bewusstsein des Ich=Ich bin, - ich brauche mich selbst zumindest als Erscheinung, und hierzu eine von mir unabhängige Außenwelt, die der Erscheinung meiner Selbst eine von mir selbst nicht hervorgebrachte, reale Substanz zugrunde legt. Wenn ich nur das leere Selbstbewusstsein bin, das für mein unmittelbares Bewusstsein einen Traum von Existenz erschafft, dann ist mein Leben sinn- und mein Handeln wertlos. Es muss - dies ist moralisch gefordert - ein höheres Wesen geben, welches meiner Existenz Realität verleiht.
Das praktische Weltverhältnis des Ich beschreibt Fichte mit den Worten: "Von jenem Bedürfnisse des Handelns gebt das Bewusstseyn der wirklichen Welt aus, nicht umgekehrt vom Bewusstseyn der Welt das Bedürfniss des Handelns; dieses ist das erste, nicht jenes, jenes ist das abgeleitete. Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind; die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft. Die Handelsgesetze für vernünftige Wesen sind unmittelbar gewiss: ihre Welt ist gewiss nur dadurch, dass jene gewiss sind. Wir können den ersteren nicht absagen, ohne dass uns die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken; wir erheben uns aus diesem Nichts, und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch unsere Moralität" (S. 263). Die Moralität soll das Nihilismusproblem lösen, indem ein Primat des Praktischen in einer solch extremen Weise angenommen wird, dass die Resultate des theoretischen Erkennens geleugnet werden müssen.
Ich kann an meinem Wissen festhalten, und dem Nihilismus anheim fallen, oder aber handeln, und die Wirklichkeit der Welt, in der ich handle, auf einen Glauben hin annehmen. Meine Bestimmung als Mensch ist es, zu handeln, nicht zu wissen, so Fichte. Das Wissen behält er dem unendlichen, absoluten Geist vor. Eine theoretische Kritik des praktischen Handelns muss unterbleiben, damit das Nihilismusproblem nicht aufbricht, und das menschliche Leben sinnlos macht: "Ich ässe nur und tränke, damit ich wiederum hungern und dürsten, und essen und trinken könnte, solange, bis das unter meinen Füssen eröffnete Grab mich verschlänge, und ich selbst als Speise dem Boden entkeimte? Ich zeugte Wesen meines Gleichen, damit auch sie essen und trinken, und sterben, und Wesen ihres Gleichen hinterlassen könnten, die dasselbe thun werden, was ich schon that? Wozu dieser unablässig in sich selbst zurückkehrende Cirkel, dieses immer von neuem auf dieselbe Weise wieder angehende Spiel, in welchem alles wird, um zu vergehen, und vergeht, um nur wieder werden zu können, wie es schon war; dieses Ungeheuer, unaufhörlich sich selbst verschlingend, damit es sich wiederum gebären könne, sich gebärend, damit es sich wiederum verschlingen könne? Nimmermehr kann dies die Bestimmung seyn meines Seyns, und alles Seyns. Es muss etwas geben, das da ist, weil es geworden ist; und nun bleibt, und nimmer wieder werden kann, nachdem es einmal geworden ist; und dieses Bleibende muss im Wechsel des Vergänglichen sich erzeugen, und in ihm fortdauern, und unversehrt fortgetragen werden auf den Wogen der Zeit" (S. 266).
Fichte fordert also 1) ein absolutes Wesen, welches die Realität der Außenwelt garantiert, 2) etwas Bleibendes in der Welt, das durch das moralische Handeln bewirkt werden kann, und nicht wieder vergeht. Hier taucht wieder einmal ein Nihilismusproblem auf: der Mensch soll zwar das Gute tun, und die Menschheit soll nach dem höchsten sittlichen Zustand der Welt streben, aber 1) sobald dieser erreicht ist, sind die Zwecke moralischen Handelns erschöpft, und 2) der höchste sittliche Zustand der Welt lässt sich nicht allein durch den guten Willen erreichen, sondern ebensogut, wenn nicht noch sicherer, im Zusammenspiel selbstsüchtiger Interessen.
Wenn ein absolutes Wesen das Gelingen unserer moralischen Bemühungen garantiert, dann müssen diese Bemühungen irgendwann zu einem Abschluss gelangen, wodurch das moralische Handeln danach einen Sinn verliert. Wenn das moralische Handeln auf einen bestimmten sittlichen Zustand der Welt ausgerichtet ist, und nicht als bloßer Selbstzweck ausgeführt wird, dann spielt es keine Rolle, ob der sittliche Zustand der Welt durch moralisches Handeln oder durch ein Zusammenspiel von einander bekämpfenden Egoismen zustande kommt. Um das Nihilismusproblem endgültig zu lösen, muss Fiche also die absolute Geltung des moralischen Gesetzes postulieren, d. h. das moralische Handeln von endlichen Zwecken unabhängig machen, und auf einen unendlichen Zweck ausrichten. Aus der theoretischen Transzendentalphilosophie wird somit eine praktische Transzendenzphilosophie, die das Jenseits als die wahre Bestimmung des Menschen offenbart.
Zitiert aus: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846.
Samstag, 6. April 2013
Individualindividualismus
1. Der Fehler des Egoismus liegt darin, dass er sich als unmoralisch versteht, als böse; das Bösesein soll den Egoisten von der moralhörigen Masse der Altruisten abheben. Der Egoist entscheidet sich aus Eitelkeit für das Böse und macht somit Antiwerbung für den Egoismus - der Altruist will sich wiederum aus Eitelkeit von der Eitelkeit des Egoisten abheben und fühlt sich in seinem Antiegoismus bestätigt. Wer sich als böse weiß, kennt das Gute, und wird sich letztlich bekehren und in den Schoss des heiligen Altruismus zurückfallen. Ein als unmoralisch verstandener Egoismus ist Koketterie, nicht mehr.
2. Der Altruismus lebt vom Vertrauen; die Geborgenheitsillusion in der Masse lässt die Individuen ihre Individualität bis auf die Unteilbarkeit und Einzelheit ablegen; ein Massenindividualismus ist ein abstrakter Individualismus, ein Gemeinschaftsegoismus. Egoismus und Altruismus treffen sich in der Illusion der Geborgenheit wieder; Konkurrenz und Zusammenarbeit sind zwei Pole derselben
Egokugel. Das Individuum bezieht sich im Alruismus positiv und im Egoismus negativ auf die eigene Abstraktheit, welche nirgends transzendiert wird.
3. Wird das Individuum konkretes Ich, was es schon immer glaubt zu sein, besser sein zu können - wobei das Können niemals realisiert wird, denn der Versuch wäre eine Verzicht auf das Vertrauen - , so erfährt es, dass es die Anderen nicht gibt, oder nur als leere Abstraktion. Der Egoismus wird als Notwendigkeit erkannt, nicht als Option missverstanden; der Individualegoist erfährt sich auf seine konkrete Individualität, die Einsamkeit seiner Einzelheit, zurückgeworfen. Der Unterschied zwischen Egoismus und Altruismus, im Abstrakten noch spielerisch auseinandergehalten, verschwindet im Konkreten völlig. Die Täuschung fällt auf den Getäuschten zurück; die Anderen erweisen sich als eine Vorstellung des Ichs, die dazu dient, eine Illusion der Transzendenz zu erzeugen.
4. Der Individualegoist ist ein Solipsist, er erfährt die Welt als seine Vorstellung, wobei der Unterschied zwischen Kontingenz und Willkür zunächst nicht hervortritt. Das Ich bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Allmacht und Ohnmacht; die Wahrheit beider Zustände ist die Realität anderer Ich. Der Solipsist hat keinen moralischen Bezugsrahmen, seine Moral unterliegt seiner Willkür. Die Kontingenz der äußeren - als vorgestellt vorgestellten - Realität erfährt er ebenso als Willkür; der Kampf der Willküren bestimmt über erfahrene Allmacht und Ohnmacht. Erst die Transzendenz des Wechselspiels von Allmacht und Ohnmacht macht den Solipsisten zum autonomen Ich, den Individualegoisten zum Individualindividualisten.
5. Der Individualindividualist erfährt die Kontingenz der äußeren Realität nicht mehr als Spiegel seiner Willkür; die anderen Individuen treten konkret hervor in ihrer Einzelheit und Kontingenz. Alle gibt es nicht mehr, es gibt nur noch Einzelne. Der sich auf alle beziehende Egoismus erweist sich als ein Weniger an Selbstsein und Selbstverantwortung, da er, anstatt auf eigenen Füßen zu stehen, von der moralischen Substanz vorgestellter Allheit zehrt. Der Altruismus bezieht sich positiv auf die vorgestellte Allheit und ist von ihr so abhängig wie der Egoismus; der Egoismus und der Altruismus spiegeln einander, sind in ihrer Subsanz dasselbe.
6. Der Individualindividualismus nimmt jeden Anderen in seiner Konkretheit wahr, nicht als einen Teil einer abstrakten Allheit. Was der Individualindividualist einem bestimmten Anderen tut, das tut er nicht der Welt. Was ihm ein Anderer antut, tut ihm nicht die Welt an. Der Individualindividualist ist jenseits des Gut-Böse-Abstraktums, er lebt und erlebt konkret; er schuldet der Welt nichts und die Welt schuldet ihm nichts. Der Individualindividualismus ist die Spitze der Erkenntnis, dass niemand niemandem nichts schuldig ist und sein kann; er erkennt Schuld als ein abstraktes Verhältnis von Konkreten und jede Schuld als bereits im Prozess der Verschuldens bezahlt. Nur im Abstrakten kann Schuld als ungesühnt erfahren werden, die Schmerzverweigerung, die Wahrheitsverweigerung des sich unter der Schürze der Allheit versteckenden Nichtindividualisten - ob exhibitionstischer Gutmensch oder Schaf im Wolfspelz - hat nur solange Bestand wie sein Dasein als bloss abstraktes Ego, bis er in die Konkretheit seines Ich schreitet oder von der Realität zwangskonkretisiert wird.
Mittwoch, 3. April 2013
Der asketische Schurke
Es ist belanglos, sich historisch zu streiten, ob Hitler mit seinen Megatötungen den zu erwartenden kommunistischen Megatötungen zuvorkommen wollte oder aus eigenem biographisch bedingten Hass Millionen von Menschen ermorden ließ, ob er letztlich agierte oder reagierte. Das Entscheidende bei der Bewertung, wie böse Hitler nun war, ist die Askese, in der er nicht nur Stalin ähnlich war. Der asketische Schurke trägt die demozidale Hauptlast der Weltgeschichte, tötet für Anderes als sich selbst, ob für höhere Zwecke oder aus zufälligen Motiven. Ihm gegenüber steht der unscheinbare unpolitische Verbrecher, dem das Böse, das er tut, unmittelbar Lust verschafft.
Im allgemeinen Bewusstsein wirkt die tragische Gestalt des millionenfach mordenden Asketen einen so langen und dunklen Schatten, dass der im eigentlichen Sinne Böse unsichtbar wird. Das Einzelverbrechen des Lustmörders oder Vergewaltigers wie eines jeden Privatterroristen wird bagatellisiert und fällt unter die allgemein geduldete Kriminalität - geduldet, weil sie dadurch, dass sie durch als Strafgesetzbücher bekannte Kataloge ausdrücklich in ihrem Sein legitimiert wird. Hingegen heißt es: Nie wieder Hitler! Nie wieder Stalin! Nie wieder Völkermord! - , während sich jemand genüsslich an einem Kind vergeht, und schlimmstenfalls mit einer Bezahlung für die gesellschaftlich in Kauf genommene Tat durch eine gesetzlich festgeschriebene Haftstrafe rechnen muss.
Zuweilen hört man nach abermaligem Amoklauf an einer Schule: Nie wieder Amoklauf! Jetzt muss sich alles ändern! Politik, sorge dafür, dass Amokläufe in Zukunft verhindert werden! - Wer hat je gehört: Nie wieder Lustmord! Nie wieder Vergewaltigung! Es darf nie wieder Kinderschänder unter den Menschen geben! Im Gegenteil, solche Forderungen erscheinen absurd. Es heißt lapidar, man könne es nicht verhindern, - aber Amokläufe und Terroranschläge doch ebensowenig! Dennoch wird die Forderung, Letzteres abzuschaffen, allen Ernstes an die Polizei und Politik gestellt.
Ist es das Böse, wovor wir uns fürchten? Ich fürchte, nein. Mit dem Bösen können wir gut leben. Warum erscheint uns der asketische Schurke als ausrottungswürdig, während der genießende Lustmörder eine humane Strafe und eine Resozialisierung verdient? Es ist der Rest des Guten im asketischen Schurken, der uns Angst macht. Er sprengt unser Weltbild, indem er nicht bloss vorhandene Gesetze bricht, sondern eigene Gesetze macht, indem er, um sein Böses zu tun, härter arbeitet und mehr Opfer bringt, als wir, um unser Gutes zu tun, indem er seine eigene Lust und die Forderungen der Gesellschaft an ihn ignoriert und frei nach seinem Willen handelt.
Montag, 1. April 2013
Organische Liebe
Der romantischen Liebe wird gewöhnlich die sogenannte erotische Liebe (die Sexualität) entgegengesetzt. Dies zeugt von großer Unbildung, denn die Sexualität ist gar keine Liebe, sondern eine Begierde. Die Liebe besteht darin, sein eigenes Wesen in einem Anderen zu haben, es darin zu setzen, - so projiziert der Romantiker sein Ich-Ideal auf die geliebte Person, die außer Unschuld und Reinheit keine Leistungen erbringen muss, um die romantische Liebe erwecken zu können. Die Begierde will verzehren; der Begehrende setzt nicht sein Wesen, sondern seine Nichtigkeit, Vergänglichkeit in die begehrte Person. Liebe will ihr Objekt erhalten, Begierde will ihr Objekt aufzehren.
Es gibt durchaus eine Form der Liebe, der der romantischen Liebe entgegengesetzt werden kann: die organische Liebe. Diese setzt voraus, dass die liebende Person kein Ich hat (ein empirisches sehr wohl, aber kein transzendentales Ich), und darum ihr Ich in der geliebten Person genießen will. Der organisch Liebende ist ichlos: nicht das Ich-Ideal wird in die geliebte Person projiziert, sondern ein fremdes Ich zum eigenen Ich gemacht. Ist die romantische Liebe proportional zum Grad ihrer Intensität um Abstand zum Liebesobjekt bemüht, da zu viel Nähe die Romantik zerstören würde, so kann einem organisch Liebenden die geliebte Person nicht nahe genug sein.
Wer romantisch liebt, erlebt ein erhabenes Liebesleid, das lyrisch und dramaturgisch produktiv sein kann. Der Liebeskummer einer organisch liebenden Person ist ein einziger Jammer, und dessen Zursprachebringen geht selten über Selbstmitleid hinaus. Der organisch Liebende liebt die geliebte Person, weil er sie braucht. Ein so banales Verhältnis ist auch die Liebe eines Kindes zu seinen Eltern: es braucht diese so sehr, dass es sie organisch liebt, sprich das Ich seines Vaters oder seiner Mutter sich zueigen macht, und sich selbst darin genießt. Selbst bei Kindesmisshandlung hört die organische Liebe des Kindes nicht auf, denn es hat kein höheres Ich, welches die Misshandlung seinem Vater oder seiner Mutter moralisch zurechnen könnte; aufgrund entwicklungsbedingter Unfähigkeit, moralisch zu urteilen, übernimmt ein misshandeltes Kind die Perspektive des Täters, und spaltet die Misshandlung von der Person des Vaters oder der Mutter ab.
Der faktische Selbstaufopferungsgrad eines organisch Liebenden kann sehr hoch sein: er kann sein ganzes Leben der geliebten Person widmen. Dennoch ist seine Liebe noch weniger selbstlos, als die des selbstbezüglich liebenden Romantikers, denn, anders als der Romantiker, hat der organisch Liebende der geliebten Person nichts zu geben, was ihr einen besonderen Wert verleihen könnte. Wer kein (transzendentales) Ich hat, kann kein Ich-Ideal auf eine andere Person projizieren. Kein Mensch jedoch kann ohne ein höheres Ich leben, denn dieser ist der Sitz des Willens, ohne welchen es ein bloßes Durcheinander von sich widerstreitenden Wünschen und Begierden gibt, die das Leben zu einem aberwitzigen Tollwutanfall in Zeitlupe verzerren.
Ein Mensch ohne transzendentales Ich ist immer von anderen Menschen abhängig, - er braucht jemanden, der ihn führt, und der seinem Leben einen grundlegenden (nicht einen transzendierenden wie beim Romantiker) Sinn verleiht. Der Verlust der geliebten Person durch einen organisch Liebenden ist ein großer, aber kein tiefer Schmerz. Da jedoch kein transzendentales Ich existiert, das dem Gejammer des empirischen Ichs, welches sein höheres Ich mit der geliebten Person verloren hat, Einhalt gebieten könnte, ist es gar undenkbar, das Liebesleid zu sublimieren, - und wenn hieraus etwa Lyrik entsteht, dann ist sie nicht bloß künstlerisch minderwertig, sondern derart peinlich, dass der vom organischen Liebeskummer nach einiger Zeit Genesene, falls er überhaupt Schamgefühl besitzt, das in der Stunde der Verzweiflung Geschriebene zu vernichten, und am liebsten gar aus dem Gedächtnis zu löschen trachtet.
Romantische Liebe ist stolz und distanziert, organische Liebe ist ehrlos und anhänglich. Der romantisch Liebende bringt sich aus erhabener Verzweiflung um, der organisch Liebende tötet den Anderen, der ihn verlässt oder verschmäht, oder nimmt diesen bei einem erweiterten Selbstmord mit. Menschen, die organisch lieben, erscheinen dem Alltagsverstand als gütige selbstlose Wesen, die "zu sehr lieben", und ein ungerecht hartes Schicksal erleiden. Dabei sind es Menschen, die bloß sehr bedürftig sind, sprich einen anderen Menschen so sehr brauchen, dass sie ihn als Besitz beanspruchen. Romantische Liebe ist nicht besitzergreifnd, im Gegenteil: der romantisch Liebende widmet, schenkt sein Leben der geliebten Person, und zieht das Geschenk in erhabener Verzweiflung zurück (oft in den Tod), wenn dieses nicht erwünscht wird.
Die organische Liebe ist die erste, primitivste, natürlichste Stufe der Liebe. Um der romantischen Liebe fähig zu sein, bedarf es einer moralisch qualifizierten Persönlichkeit seitens des Individuums, und eines großen kulturellen und zivilisatorischen Fortschritts seitens der Gesellschaft, - in primitiven Gesellschaften ist romantische Liebe undenkbar. Was die romantische und die organische Liebe verbindet, ist ihre begriffliche Qualität als Liebe, das Setzen des eigenen Wesens im Anderen, - und dass beide in gar keinem Verhältnis zur Sexualität stehen, welche, wie etwa der Zyklus von Essen und Verdauung, auf der primitiveren Stufe der Begierden steht, und durchaus depressiv machenden Triebstau auslösen kann, aber niemals Liebeskummer.
Donnerstag, 28. März 2013
Die goldene und die natürliche Regel
Wer christlich, abendländisch, oder zumindest menschlich sozialisiert wurde, für den haben Denkweisen wie "Was du nicht willst, dass man dir tu..." und Erwartungshaltungen, dass das Gegenüber einem respektvoll begegnet, und auf Güte mit Güte reagiert, eine gewisse Selbstverständlichkeit. Diese ist jedoch sehr trügerisch, sobald der Ort des Geschehens ein anderer ist, als die von allen beäugte Bühne des öffentlichen Lebens. In der Öffentlichkeit handelt auch der widerlichste Schurke vorbildlich, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, den er ja dringend braucht, um überhaupt beispielsweise lügen und betrügen zu können.
Der Großteil aller Handlungen spielt sich jedoch nicht im öffentlichen Raum ab. Im Privaten gelten auch andere Gesetze, die amoralischen Gesetze der tierisch-menschlichen Natur. Gutgläubige Menschen neigen dazu, das moralische Menschenbild zu universalisieren, und auch ins Private zu übertragen, wo aber allein die physische, psychische oder situationsbedingte Macht gilt, insofern das Gegenüber nicht selbst eine moralische Persönlichkeit ist, die auch dann das Gute will, wenn ihr keiner dabei zusieht.
Die amoralischen Gesetze der menschlichen Natur sind banal: wer gibt, dem wird genommen; wer nachgibt, wird geschlagen; wer vertraut, wird betrogen; wer Gnade walten lässt, wird Härte spüren müssen. Der zivilisierte Mensch verhält sich spiegelbildlich zu seinem Gegenüber (wie du mir, so ich dir), der tierische Mensch verhält sich komplementär, indem er jede Gelegenheit zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt. Dem tierischen Menschen ist es egal, ob der Andere aus Güte oder aus Schwäche davon absieht, ein Übel mit einem Übel zu vergelten. Er sieht nur, dass sein Gegenüber nicht zurückschlägt, und schlägt deshalb noch einmal zu.
Wer in Begriffen wie Gewissen, Schuld, Recht und Gerechtigkeit denkt, ist Idealist. Wer außer der Macht nichts gelten lässt, ist Realist, und wahrscheinlich ein guter Menschenkenner. Für einen moralischen Menschen gibt es nur einen Trost, dass er nämlich unabhängig davon, was er vom Anderen zu erwarten hätte, aus eigener Würde und aus dieser folgenden Selbstverpflichtung immer moralisch handeln würde.
Der amoralische Mensch ist erbärmlich trostlos, da er nie über das Gegebene hinaus ist, niemals sich selbst genügt, und keinen Grund hat, nur die geringste Selbstachtung aufrechtzuerhalten. Der moralische Mensch kann den hohen Wert seiner Person selbst im erniedrigendsten Zustand bewahren, der amoralische Mensch ist nie über den hedonistischen Wert seines Zustands hinaus.
Das Leiden eines moralischen Menschen erzwingt über das natürliche Mitgefühl hinaus noch Achtung, weil er standhaft bleibt, und keine Besserung seines Zustands durch verwerfliche Handlungen erkauft. Das Elend eines amoralischen Menschen erregt nur Ekel, der selbst das natürliche Mitleid zunichte macht, wenn die Erfahrung einen früh genug gelehrt hat, dass dieser die rettende Hand sogleich abreißen und seinem Retter die gute Tat bei der ersten Gelegenheit mit einer bösen vergelten würde.
Mittwoch, 27. März 2013
Elterliche Macht und Kinderseelenmord
Die politische Macht reduziere den Menschen auf das nackte biologische Leben, den Körper, stellt Giorgio Agamben in seinem Buch "Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben" fest. Der homo sacer sei der der Willkür der Macht unterworfene Mensch: heilig, weil nicht opferbar, und verflucht, weil ihn zu töten kein Mord sei. Nun gibt es nicht nur die politische Macht: die ursprüngliche Erfahrung der Macht macht der Mensch als Kind unter der Macht seiner Eltern durch. Im Paradigma des homo sacer soll die Macht der Eltern über das Kind beleuchtet werden.
Die Eltern können jederzeit nach Belieben dem Kind Schmerzen und Leid zufügen. Die gesellschaftliche Intransparenz der Familie und die entwicklungsbiologische Wehrlosigkeit des Kindes ermöglichen dies. Die Macht der Eltern ist eine Potenz, die jederzeit zum (Gewalt-)Akt übergehen kann, doch nicht übergehen muss. Die Macht ist das Vermögen, zu zwingen, und Gewalt auszuüben.
Die Macht kann souverän und als Vollmacht bestehen: als Letztere betrachtet, geht die Machtausübung der Eltern im Namen der Sittlichkeit so weit, wie es nötig ist, um das Kind zu erziehen, d. h. um es aus der Knechtschaft der Triebe in die menschliche Selbstbestimmtheit zu befreien. Die souveräne Macht der Eltern versteht sich als Macht ohne Verantwortung, und benutzt das Kind als Mittel für eigene Zwecke der Eltern (etwa geliebt zu werden, stolz sein zu dürfen usw).
Was passiert, wenn die Macht der Eltern über das Kind als souveräne Macht verstanden wird, und nicht als von einer höheren moralischen Instanz übertragene Vollmacht? Grundsätzlich erweist sich ein wehrloses Objekt, das nach Belieben als Mittel zum Zweck benutzt werden kann, als unbegrenzt verfügbar. Die souveräne Macht der Eltern kann das Kind nicht als eigenständige Person respektieren, da dieses für die souveräne Macht ein verfügbares Objekt ist, was bedeutet, dass keine Handlung gegenüber dem Kind illegitim sein kann.
Bevor das Kind ein Sexualobjekt werden kann, muss es ein Objekt werden. Ist das Kind ein verfügbares Objekt der elterlichen souveränen Macht, ist ein sexueller Missbrauch eine legitime Handlung wie jede andere, wobei sich ein Objekt streng genommen in einem Bereich außerhalb von Recht und Moral befindet, und darum Kategorien wie moralisch/unmoralisch oder legitim/illegitim nicht mehr greifen. Das Kind ist nun entmenschlicht, aber es ist auch keine Sache. Bevor das unsagbare Verbrechen geschieht, befindet sich das Kind bereits in einem unsagbaren Zustand, der nicht kommunizierbar ist.
Ein 6-jähriges Mädchen erlebt zum ersten Mal einen sexuellen Missbrauch durch den Vater. Das Kind weiß, dass das, was es erlebt hat, nicht normal ist, d h. es empfindet das Verbrechen subjektiv korrekterweise als ein Verbrechen. Da es sich aber unter souveräner elterlicher Macht befindet, kann es diese Erfahrung nicht kommunizieren. Jeder Versuch des Mädchens, diese Erfahrung der Mutter mitzuteilen, wird durch die von der systematisch wegsehenden Mutter in der Unkommunizierbarkeit erstickt. Das Kind empfindet sich nun als etwas, was nicht sein darf, - es kippt um (die authentische Erfahrung war, dass der Missbrauch nicht sein durfte). Das Kind verinnerlicht seine außerrechtliche und außermoralische Situation als weder-Mensch-noch-Sache, und entwickelt mit der Zeit eine Apathie gegenüber dem eigenen Schicksal (was auch als Seelenmord bezeichnet wird).
Der sexuelle Kindesmissbrauch in der Familie wird also durch ein bestimmtes Paradigma der Macht vorbereitet, bevor er verübt werden kann. Durch die kurz skizzierte Entwickung wird deutlich, weshalb sich der Missbrauch bis zu einem Alter vollziehen kann, an dem von dem schon erwachsenen Kind eigentlich gefordert werden müsste, sich endlich zu wehren. Die Psyche des Kindes überschreitet die Schwelle des Normalmenschlichen, und wird in einen Zustand versetzt, in dem sie weder lebt noch tot ist. Viele Opfer behalten den Missbrauch bis zum Tod für sich, einige trauen sich erst nach Jahrzehnten, darüber zu sprechen. So wirkt sich die souveräne Macht der Eltern auf Kinder aus, und hier - bei der Zerschlagung souveräner elterlicher Macht - muss die Missbrauchsprävention ansetzen.
Sonntag, 24. März 2013
Wozu Gutes tun?
(A) Hat jemand mal darüber nachgedacht, wie sinnlos es ist, sein Leben der Nächstenliebe zu widmen? Seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen und den Anderen helfen. Eigentlich löblich, nur wenn man weiterdenkt - ja, das böse Denken, das die Diktaturen und Sekten und Gutmenschen aller Zeiten verbieten wollten - , wird es interessant: man definiert sich selbst als gut, indem nan selbstlos handelt, also sind die Bösen die, die egoistisch handeln.
1. Nun wird man bei der Nächstenliebe die Guten bevorzugen wollen, also diejenigen, die selbst selbstlos handeln. Diese wiederum würden ebenso die Selbstlosen bevorzugen - Sekten und andere geschlossene Gemeinschaften entstehen und grenzen sich von den Bösen ab; da nun alle Selbstlosen eines bestimmten Gebietes in der Gemeinschaft drinnen sind, werden sich die Werte umkehren, und nicht mehr Selbstlosigkeit, sondern kollektiver Egoismus werden das Handeln bestimmen.
2. Die Nächstenliebe ist in kollektiven Hass umgeschlagen; es muss einen anderen Weg geben. Dieser Weg besteht darin, umso selbstloser einem Nächsten gegenüber zu handeln, je egoistischer dieser ist. In diesem Fall ist der Zweck aller Wohltaten ein Fass ohne Boden, ein Fass, von dem das Selbst des Selbstlosen selbst verschlungen wird, wenn er alles, was er geben konnte, gegeben hat.
3. Im Idealfall sollten alle Menschen gut sein, das muss das höchste Ziel des Nächstenliebenden sein, und wenn erst alle gut sind, sind alle selbstlos füreinander da. Jeder um des Anderen willen, und es gibt keine Selbstzwecke mehr. Wozu dann selbstlos handeln? Wenn jeder gut ist, braucht es die Guten nicht mehr. Aus einer Welt voller Altruisten wird im Handumdrehen eine Welt voller aufgeklärter Egoisten, ohne schlechtes Gewissen und jede Rücksicht.
(B) Damit selbstloses Handeln sich selbst nicht ad absurdum führt, muss es Selbstzwecke geben. Ein zufälliger Nächster kann kein guter Selbstzweck sein - ist er selbstlos, ist er kein Selbstzweck, und ist er egoistisch, kann sich selbstloses Handeln an ihm nicht vollbringen.
1. Ein bestimmter Nächster als exklusiver oder positiver Selbstzweck, als Ehepartner oder als Kind, eignet sich zunächst als guter Selbstzweck. Das Kind ist idealer Selbstzweck, da es selbst noch kein handelndes Subjekt ist - so ist es als Selbstweck nicht leer, sondern dazu bestimmt, durch die ihm gewidmeten selbstlosen Handlungen zum selbstbestimmten Subjekt zu werden. Das Kind wird sich als Selbstzweck durch eigene Selbstlosigkeit recht spät aufheben, der Ehepartner ist bereits handelndes Subjekt und handelt dem betrachteten Subjekt gegenüber gleichermaßen selbstlos. Hier bestimmt sich das selbstlos handelnde Subjekt zum ersten Mal selbst als Selbstzweck, wobei dieser Selbstbestimmung die Bestimmung durch den Anderen zugrunde liegt.
2. Ein negativer Selbstweck bestünde im Kampf gegen ein bestimmtes Übel, wobei das selbstlose Handeln hierbei nicht einem bestimmten Nächsten zugute käme, sondern der Menschheit. Eine Lebensaufgabe, die im Kampf gegen den Krebs, den Hunger, Landminen oder politische Verfolgung bestehet, ist ein konkreter Selbstzweck, gleichwohl nur die Menschheit als moralische Person, nicht ein bestimmter Mensch, das Objekt der Handlung ist. Ein negativer Selbstzweck negiert den Handelnden als Selbstzweck, sobald er sich als ein Solcher verhält, und er verhält sich als ein Selbstzweck, sobald er in eine exklusive Beziehung tritt und einen bestimmten Menschen als Selbstzweck bestimmt.
3. Ein abstrakter Selbstweck ist die Negation des negativen Selbstzwecks und verhält sich negativ nicht zu einem bestimmten Übel, sondern zu allen Übeln der Welt. Dieser Selbstzweck besteht darin, gut zu sein, oder gegen das Böse zu kämpfen. Beides ist abstrakt und daher zufällig bestimmt, und so ist es kein Wunder, dass in die Tat umgesetzte Utopien radikaler Kämpfer für das Gute und gegen das Böse selbst das Böse verwirklichen. Der vollendete Gutmensch ist ein Mensch, den alles angeht, der sich dadurch als gut bestimmt, dass die Welt oder die Anderen böse sind - freilich ist ein vollendeter Gutmensch von der Größe eines Robespierre etwas völlig anderes, als ein Freizeitgutmensch, der nie den Mut aufbrächte - außer Gewissensterror - Gewalt zu verüben.
(C) Das Gute führt sich selbst, als selbstlos bestimmt, ad absurdum. Die weltklugen Ausflüchte aus der dieser Ansicht des Guten geschuldeten Sinnlosigkeit jedweden Handelns (A3, B1,2) sind nicht von Dauer und laufen auf leere Selbstzwecke hinaus. Das Gute muss nicht auf ein Subjekt hin, sondern selbst als Subjekt bestimmt werden.
1. Die Positivität des eigenen Seins als Selbstzweck bestimmt, führt aufgeklärtes Eigeninteresse durch die Weltgeschichte hindurch in eine bürgerliche Gesellschaft wohlstehender Rechtsstaaten. Dass die konkrete Entwicklung von Staaten kontingenten Faktoren unterliegt und nur in der Idee den Fortschritt von totalitärer Wildheit zu libertärer Privatheit repräsentiert, ist unbestritten.
2. Die Negativität des eigenen Seins angesichts des Todes bestimmt die Biographie zum Selbstweck. Das konkrete einzelne Leben wird zum Kunstwerk und schreitet, wie jedes Kunstwerk, um seiner Einzigartigkeit willen fort. Da jeder nur ein einziges Leben hat, ist Beliebigkeit ausgeschlossen, und jeder bestrebt, das Beste aus seinem Leben zu machen, wobei die Höhe der Persönlichkeitsentwicklung, die quantitative Würde einer Person, das Beste als der Vernunft nach Bestes bestimmt.
3. Die Negativität des eigenen Seins wird durch das absolut Erhabene negiert; auf der Stufe der Vernunft beginnt der Mensch sich absolute Zwecke zu setzen, die über Hedonismus und abstrakte Moralität erhaben sind. Nur auf der Stufe der Vernunft bekommt die Religion ihre wahre Gestalt, während sie sich im blossen Verstand als fanatisch, denkhemmend und moralisch verhält. Die Vernunft ist als übermoralisch nicht unmoralisch, aber amoralisch, wobei ihre Zwecke in der Regel mit den Zwecken einer zivilisatorisch hochentwickelten Ethik zusammenfallen, allein kann die Letztere nicht begründen, warum moralisches Handeln erstrebenswert sein soll, während das vernünftige Subjekt um seiner Selbst willen übermoralisch - moralisch, aber auch darüber hinausgehend - handelt.
Samstag, 23. März 2013
Glückophile einsperren!
Es ist unstrittig, dass der Wunsch, einen Lamborghini zu besitzen, legitim ist. Deshalb ist aber noch lange nicht legal, einem Lamborghinibesitzer aufzulauern, ihn zu töten, und seinen Wagen zu nehmen. Es ist wünschenswert, reich zu sein, und das Leben mit allen Sinnen zu genießen. Der Wunsch gebietet jedoch keineswegs, Tausende Menschen in Elend zu stürzen, damit es einem Einzigen gut geht.
Kein Wunsch, keine Neigung ist illegitim. Wünsche sind niemals unmoralisch, vielmehr amoralisch. Moralisch relevant ist allein der Wille, der, anders als der Wunsch, dem Alltagsverstand als etwas Abstraktes erscheint, weshalb der Letztere Wille sagt, wenn er Wunsch meint. Ich wünsche mir eine Welt mit einer Bevölkerung von höchstens 100 Millionen, in der 95% der Erdoberfläche Naturparks sind. Ich will aber mitnichten 6,5 Milliarden Menschen umbringen.
Bei Luxuswagenliebhabern führt der Wunsch nicht zwangsläufig zum Willen, einen Lamborghini unrechtmäßig zu erwerben. Ein demiurgischer Ästhetiker, der eine schönere, sauberere, menschenleerere Welt wünscht, ist kein Gigamörder. Nur den lieben Jungs und Mädchen, die immer schon wussten, warum ein attraktives Gesicht auf dem Foto durch verkindlichende Bildbearbeitung noch attraktiver wird, warum schon das Anschauen eines Kindes das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert, warum Babys respektive deren Mütter mit deren Müttern respektive deren Babys je nach dem Grad der Ausprägung des Kindchenschemas im Gesicht anders umgehen, wird eine Willensdetermination durch den Wunsch unterstellt. Kindlichere Kinder werden geliebt, weniger kindliche versorgt. Hübsche Erwachsene sieht ein Baby gern, männliche oder unzartere Gesichter ungern. Schon ein Neugeborenes ist also ein Triebtäter. Und so falsch ist das nicht: der Luxuswagen und die wohltemperierte Welt sind nicht unmittelbar das, was glücklich macht, sie sind nur Bedingungen für mögliches Glück. Der junge und schöne Mensch ist aber das Maß aller Dinge. Wer würde diese - ästhetisch gesehen - Dreckswelt gegen eine perfekte Welt eintauschen, wenn diese ausschließlich mit älteren Menschen, die sich gut gehalten haben, bewohnt wäre? Keine Not, kein Elend, keine Krankheiten, keine Kriege, jedem eine Luxusvilla am Strand - und keine Menschen unter 20. Nein, dann lieber ein Straßenköterdasein in der Nähe der Spielplätze.
Der äußerste Akt des Egoismus ist, ein Wunschkind zu machen. Es ist völlig legitim, sich ein Kind zu wünschen; erst wenn ein Kind in suboptimale Verhältnisse gezeugt wird, weil es den Erzeuger glücklich machen muss, wird der Akt teuflisch. Um Pädophilie in ihrem Wesen zu verstehen, muss man sie weiter fassen, und darf sie keineswegs auf einige hormongestörte Spinner beschränken. Die Grenze zwischen Zärtlichkeit und Sex ist umso fließender, je schöner das Kind. Die Lust, ein niedliches süßes Kleines zu beschützen, zu verwöhnen, zu beherrschen, ist ganz und gar sinnlich, und des Menschen höchstes Glück. Alle sind schuldig, glücklich sein zu wollen. Was Menschen zu Gewalttätern macht - zu sadistischen oder heimlichlüsternen Eltern, zu Pflückern fremder Blumen, zu helfersyndromselbsttherapeutischen Profiteuren von Kinderleid, ist allein ihr freier Wille. Jeder wünscht sich ein süßes Kind als sein elterliches Eigentum, jeder will ein niedliches Mädchen, das von einem Genießer der Macht über diese zarten Wesen in Gestalt eines Lehrers eine Fünf bekam, in den Arm nehmen und trösten. So muss man alle ohne Ausnahme einsperren, sobald man den von einer Determinierung durch den Wunsch freien Willen anzweifelt.
Freitag, 22. März 2013
Gleichgerechtigkeit
Die Grundannahme, dass jeder Mensch im ethischen Sinne gleich viel Wert ist, ist unbestritten und äußert sich in den Begriffen von Menschenwürde und Menschenrechten, der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gleichwertigkeit aller Wählerstimmen in der Demokratie. Von der Grundannahme der Gleichheit aller Menschen, die für den gemeinen Menschenverstand also keineswegs abwegig ist, soll hier ausgegangen werden, um die Konsequenzen des Gleichheitspostulats für das Streben nach Gerechtigkeit zu untersuchen.
Gerechtigkeit wird von Aristoteles durch eine Negativdefinition so erklärt, dass ungerecht sei, wenn Gleichen Ungleiches und Ungleichen Gleiches zukomme. Dieser Gerechtigkeitsbegriff ist besonders gleichheitsrelevant und allgemein genug, um das, was gerecht ist, ohne kasuistische Haarspalterei einsehen zu können. Da alle Menschen im ethischen Sinne gleich sind, ist es also ungerecht, wenn verschiedenen Menschen Ungleiches zukommt. Das gilt für Güter und Machtpositionen genauso wie für Glück und Gesundheit. Die gerechteste Gesellschaftsform wäre demnach die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus, in der alle Menschen gleich reich und gleich mächtig im politischen Sinne sind. Wie weit die Gleichheit ins Privatleben reichen würde, ist in Morus´ Utopia hinreichend geschildert, und es ist klar, dass jede Konkretisierung der Konsequenzen der totalen Gleichheit nur utopisch sein kann, weshalb es weder klug noch sachdienlich ist, bei dieser Frage konkret zu werden. Ob ein Güter- und Ehepartnertausch alle zehn Jahre oder die Auflösung der Familie, - die Machbarkeit der Idee der totalen Gleichheit ist solange zweitrangig, bevor hinreichend erörtert wurde, ob diese Idee als Idee überhaupt haltbar ist. Jeder hat - und das ist mittlerweile durch die Fortschritte in der Medizin nicht mehr unmöglich - das Recht auf gleiche Gesundheit und gleiche Dopamin- und Serotoninspiegel. Jedem steht gleich gutes Essen bei gleich gutem Appetit sowie gleich guter Geschlechtsverkehr bei gleich hoher Lust zu. Niemandem darf es schlechter gehen, als einem Anderen. Niemand darf weniger interessante Erfahrungen machen, als die Anderen, weshalb jeder auf die Genussfähigkeit seiner Sinne zu untersuchen, in dieser den Anderen anzugleichen und zur Bisexualität zu erziehen ist. Hier muss man nicht noch konkreter werden, um zu zeigen, dass es nicht möglich ist, verschiedenen Menschen gleich reiches, glückliches und interessantes Leben zu garantieren. Die Möglichkeit, alle Gehirne an Elektroden anzuschließen, und jedem sein persönliches virtuelles Paradies zu schenken, scheitert an mangelnder Intelligenz der Maschinen, - es wäre höchst ungerecht, die Unglücklichen, derer es bedurfte, um die Glücksmaschinen zu steuern, zu monotoner Tätigkeit zu verdammen, während die Anderen ihre schönsten Phantasien ausleben dürfen. Eine Menschheit von identischen Klonen zu erschaffen, schüfe nur die Illusion der absoluten Gerechtigkeit, denn Schicksale, Zufälle, Einfälle und freie Gedanken sind unkontrollierbar (sobald einem der Klone ein lustiger Witz einfällt oder ihn aus dem Nichts ein extra-glückliches Gefühl überkommt, ist es mit der Gerechtigkeit dahin), und allein dadurch, dass zwei Körper nicht zugleich denselben Raum einnehmen können, ist totale Gleichheit theoretisch nicht möglich.
Wenn ein konsequentes Weiterdenken einer Idee in der Moralphilosophie zum Wahnsinn führt, dann ist entweder die Moralphilosophie Wahnsinn, oder es gibt keine Moralphilosophie. Ein assoziatives Räsonnieren über Ethik, ein Mikadospiel mit ad-hoc-Argumenten ist philosophisch unhaltbar, und kann keine höhere theoretische Begründung für politische oder persönliche Maximen und Ideale liefern. Da sich die Idee der totalen Gleichheit als theoretisch widersinnig erwiesen hat, sei versucht, der Gleichheit mit zwei einseitigen Überlegungen beizukommen:
1. Das Prinzip des Minimums besteht darin, dass jedem ein bestimmtes Minimum an allem, was er zum Leben braucht, gewährleistet wird: ein Grundeinkommen, eine Grundgesundheit (woraus unmissverständlich erhellt, dass schwer kranke Embryos, deren Gesundheit zu keinem Zeitpunkt im künftigen Leben das sinnvolle Minimum erreichen kann, um der Gerechtigkeit willen abzutreiben sind), ein Grundglück. Künstler und Alkoholiker, bei denen die Depression zu ihrer persönlichen Identität gehört, müssen den Planeten verlassen, um die glückliche Minimalgesellschaft nicht zu irritieren. Eine Altersobergrenze für alle Menschen ist festzulegen - eine Grenze, die den Übergang vom Noch-Glücklichsein zum Überschuss von alters- und krankheitsbedingten unglücklichen Erlebnissen beschreibt. Außerdem wäre es ungerecht, alle Menschen nicht gleich lange leben zu lassen. Der totalitäre Terror ist somit auch bei diesem einseitigen Prinzip nicht zu vermeiden.
Abgeschwächt könnte das Prinzip des Minimums auch eine Ausgleichsmaxime beinhalten, die für Extraglück in einem Lebensbereich sorgt, wenn das Minimum in einem anderen Lebensbereich aus harten Gründen nicht zu gewährleisten ist. Jedoch erlaubt das Minimalprinzip keine Begrenzung des Glücks nach oben: der eine bekommt als Ausgleich für seine miserable Gesundheit ein großes Extra an Einkommen, der andere ist kerngesund und verdient noch mehr Geld, als der Kranke geschenkt bekommt.
2. Das Prinzip des Maximums begrenzt das Maximalglück, um zu gewährleisten, dass niemand über eine Grenze hinaus, jenseits welcher der Neid physische Schmerzen und Krebs verursacht, glücklicher als der Andere werden kann. Was tun mit selbstgenügsamen Asketen, deren Glückserleben durch Wegnahme von Gütern und Machtpositionen nicht zu beschneiden sind? Abgeschwächt könnte das Prinzip des Maximums eine Entbehrungsklausel in sich aufnehmen, die dafür sorgen würde, dass die unverwüstlich Glücklichen durch konkrete physische Eingriffe in ihrem Glück beschränkt werden könnten. Menschen, die ihr ganzes überschäumendes Glück aus dem Klavier- oder Fussballspielen schöpfen, könnten zum Ausgleich eine Hand oder einen Fuss der Gemeinschaft opfern. Die barbarischen Konsequenzen der konkreten Anwendung des Maximalprinzips sind kein hinreichendes Argument dagegen, denn hierbei handelt es sich um eine ästhetisch-moralische Bewertung, und nicht um dem Prinzip immanente Widersprüche (wenn ein Prinzip aufgestellt ist, welches besagt, dass man heute Menschen opfern soll, damit es morgen der gesamten Menschheit besser geht, dann haben Stalin und Pol Pot zum wohle der Menschheit gehandelt). Das Prinzip scheitert daran, dass, damit niemand über eine für den Neid nicht mehr annehmbare Schranke hinaus glücklich werden kann, in letzter Konsequenz eine Hölle auf Erden erreichtet werden muss, - oder das Glücksversteckspiel würde seltsame Blüten treiben, wie ironisches Unglücklichsein, Vortäuschen von Leid usf.
Ist Gleichheit gerecht? Ja, aber nur im Tode. Leben bedeutet Ungleichheit, und wer Ungleichheit ausmerzt, schafft neue Ungleichheit, oder aber eine Gleichheit des Elends. Soll die Moral also zur Hölle fahren, damit sich jeder Mensch frei entfalten kann? Es gibt drei Antworten, die aus der Hegelschen Unterscheidung von abstraktem Recht, Moralität und Sittlichkeit herrühren:
a) Auf das abstrakte Recht bezogen, garantierte die Idee der Gleichheit Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Die Menschen würden unter einem Gesetz des Dschungels leben, welches aber immerhin verbürgt wäre, und somit kein Gesetz des Dschungels wäre, welches Gesetzlosigkeit meint.
b) Moralische Gleichheit setzte zur Moralität fähige Individuen voraus und wäre nicht ohne die Ungerechtigkeit, zur Moralität Unfähige in den gleichen moralischen Status zu erheben, zu gewährleisten. Jeder wäre Rechtspostivist (das abstrakte Recht muss als Basis der Moralität gelten, da erst durch dieses ein Bewusstsein von Recht und Unrecht entstehen kann, welches dann - und hierin besteht das Wesen der Moralität - verinnerlicht wird) und handelte nach seinem Gewissen, und wer kein Gewissen hätte, wäre im Vorteil.
c) Ein sittliches Gemeinwesen würde nur den Willen Vernünftiger repräsentieren und für die anderen ein fremdes Monstrum, eine Maschine sein (nichts anderes sagt Hegel im Systementwurf von 1797 zur von außen aufgezwungenen Sitt- und Staatlichkeit, wohingegen er 1821 in der Rechtsphilosophie das sittliche Gemeinwesen aus der Sicht eines Vernünftigen betrachtet).
Eine gerechte Gleichheit, in der niemand gleicher ist als ein anderer, ist nur die Gleichheit vor Gott. Je konkreter die Gleichheit aufgefasst wird, umso mehr Ungleichheit gibt es auf glückseligkeitsferne Art zu beseitigen; je umfassender Gleichheit durchgesetzt wird, umso schreiender wird die Restungleichheit hervorbrechen. Jenseits vom abstrakten Recht ist der Satz: Ungerecht ist, wenn Gleichen Ungleiches und Ungleichen Gleiches zukommt, unsinnig, da sich die Gleichheit zunehmend auflöst, aber selbst im abstrakten Recht ist dieser Satz ein dankbares Opfer der Sophisterei. Die einzig ewige und unverrückbare Gerechtigkeit der Gleichheit besteht darin, dass erstens alle Menschen vor ihrem Herrn (vor Gott bzw. vor dem Tode) gleich sind, und zweitens in der Tatsache, dass es zwei völlig identische Menschen niemals geben kann, und somit alle in dieser prinzipiellen Ungleichheit absolut gleich sind. Jede kleinkariertere Auslegung der Gleichheit bedeutete nicht ein Mehr, sondern stets ein Weniger an Gerechtigkeit.
Dienstag, 19. März 2013
Hierarchographie des Bewusstseins
Was treibt den Wilden zur fortwährenden Raserei? Ist es nicht seltsam, dass das magische Bewusstsein, wo es sich doch der Allmacht seiner Zauberei bewusst ist, hoffnungslos stoffgebunden ist, am Stofflichen verhaftet? Warum sind Anhänger von mythischen Religionen und Ideologien paranoid? Wer verfolgt sie? Wieso braucht ein rationaler Geist seine große Erzählung? Warum sind existentiell besorgte Pessimisten die besten rationalen Denker? Aus welchem Grund müssen Heilige immer leiden? Weshalb sind Weise stets so gütig? Zu welchem Ende äußert sich Vollkommenheit als unendliche Weisheit?
Die Antwort dazu gibt ein bewusstseinshierarchographisches Gesetz, das folgend lautet: das Alltagsbewusstsein ist auf jeder Stufe des identitätsstiftenden Bewusstseins genau eine Stufe unter dem Letzteren.
Das archaische Bewusstsein (1) hat eine Stufe unter sich das Unbewusste (nicht im psychologischen Sinne, sondern etwas, was überhaupt kein Bewusstsein mehr ist). Deshalb ist eine Ich-Identität auf dieser Bewusstseinsstufe stets getrieben, von Instinkten und Bedürfnissen gepeitscht, völlig den Launen der äußeren und inneren Natur ausgeliefert. Diese Bewusstseinsstufe kennt Zeit noch Gedächtnis.
Das magische Bewusstsein (2) steht auf dem archaischen Boden, weshalb ihm der Raum unfassbar ist, und die Zeit stets entrinnt. Es kann die Zeit weder messen noch in Vergangenheit und Zukunft einteilen. Es lebt im ständigen Jetzt, und alles geschieht für es wie durch Zauberhand.
Das mythische Bewusstsein (3) hat das Magische zu seiner Basis. Es kann die Zeit messen und einteilen, aber nicht als Gesetz des Verstandes festhalten, weshalb es ständig auf der Flucht vor Dämonen ist, die ihm mit Realitätsverlust, mit Vernichtung seiner Wirklichkeit drohen.
Das rationale Bewusstsein (4) erfasst die Realität als gesetzmäßig verfasst, kennt aber den Grund nicht, weshalb die Welt da draußen logischen Gesetzen gehorcht. Es muss die Gültigkeit logischer Gesetze und damit ebenso seines eigenen Verstandes durch eine große Erzählung versichern. Auf dieser Bewusstseinsstufe ist gegen Religion und Ideologie kein Kraut gewachsen, da diese selbst das heilsame Kraut sind.
Das existentielle Bewusstsein (5) weiß um seine Sterblichkeit nicht bloß als um eine Tatsache, sondern fasst sie, mit der Ratio als Basis, als logisch unentrinnbar auf. Der Glaube, von seiner Sterblichkeit durch einen sinnstiftenden Mythos erlöst zu werden, ist auf dieser Stufe wirkungslos. Das existentielle Bewusstsein sucht sein Heil deshalb in logischen Systemgebäuden, die es eigens errichtet.
Das heilige Bewusstsein (6), eine spekulativ angenommene Bewusstseinsstufe, die das existentielle Bewusstsein als Alltagsbasis hat, ist das permanente Bewusstsein des Leidens und der Sterblichkeit allen Lebens. Obwohl es an vorderster Front dazu durchgedrungen ist, dass alles gut ist, ist ihm unmittelbar nichts gut, vielmehr ein einziges Elend.
Das weise Bewusstsein (7) ist ein gütiger Ruhepol, der die Unmittelbarkeit des Alles-ist-gut zu seiner Basis hat. Nichts kann dieses Bewusstsein erschüttern; seine stoische Ruhe ist nicht heroisch, nicht ein Widerstand gegen das Böse, sondern die absolute Zuversicht in den letztendlichen Sieg des Guten.
Das vollkommene Bewusstsein (8) ist eine allumfassende Leere, die als Fülle des Konkreten die Ganzheit der Welt vor sich hat, und somit unendliche Weisheit ist.
Es bleibt anzumerken, dass die mit ungeraden Zahlen versehenen Bewusstseinsstufen negative, und die mit geraden Zahlen affirmative Stufen sind. Die negativen Bewusstseinsstufen bauen auf, da sie auf positiven Stufen aufbauen; die affirmativen Bewusstseinsstufen treiben rastlos die Geschichte voran, da sie auf negativem Boden stehen. Mythische Religion tritt auf der dritten Stufe auf, aber vertreibt dort nur die Anbeter der Naturgottheiten aus den Tempeln; erst auf der vierten Stufe erbaut sie sich ein Weltreich. Dies scheint dem soeben Gesagten zu widersprechen, es sei denn, man fasst bloße Herrschaftsusurpation richtigerweise als ein negatives Moment auf, wohingegen kulturelle und wissenschaftliche Leistungen bei bleibender Gesellschaftsordnung das positive Moment darstellen. So lebt das rationale Bewusstsein vor sich hin, führt von Zeit zu Zeit Kriege, beruhigt sich wieder, und hinterlässt nichts als Nachkommen. Das existentielle Bewusstsein treibt Kultur und Forschung voran, da es die Ratio nicht bloß als Ideal im Kopf hat, sondern sie als Handwerk beherrscht.
Sonntag, 17. März 2013
Magersucht und Arbeit
Glücksgefühle von Magersüchtigen kann ich gut nachvollziehen, da ich zuweilen sehr faul bin, und manchmal ganze Serien am Stück schaue, ohne dabei zu essen, denn das Zubereiten der Speisen, oft aber auch schon das Kauen, ist in jenen Tagen eine zu große Anstrengung. Wie reagiert der Körper auf Hunger? Bei starker Belastung bricht er zusammen, aber bei Zimmeraktivität genießt er das Gefühl, und es wird immer schöner. Zwei Tage nichts gegessen - nun will der Körper, besser, das Hirn, gar nichts mehr aufnehmen, und wenn, dann nur eine Kleinigkeit, weil das Verdauen ihm zu anstrengend geworden ist. Es ist ein emotionales Hochgefühl, ein sehr leichtes, angenehm leeres Gefühl. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine schleichende Nahtoderfahrung: der Organismus schüttet Dopamin aus, wie er es immer tut, wenn er sich dem geliebten Tode nahe fühlt. Die Magersüchtigen sind die anstrengungslosen Grenzgänger, die minimalistischen Extremsportler. Wäre ich nicht als Mann geboren, wäre ich wahrscheinlich heute einer von ihnen.
Jeder, der ein Minimum an Selbstachtung hat, strebt danach, seinen Körper zu optimieren. In meinem Fall müsste die Optimierung mit Krafttraining beginnen; ist der Körper erst so gesund und stark wie möglich, kann die zweite, kosmetische Phase folgen, in welcher er nun so jung und androgyn wie möglich aussehen soll. Ein Mädchen kann die erste Phase bedenkenlos auslassen, denn Schwachheit und Zerbrechlichkeit machen es noch weiblicher, sprich noch schöner. Nur Haut und Knochen, und Muskeln exakt so viele, wie es braucht, damit der Körper geschmeidig, und nicht ausgehungert aussieht. Dünne Ärmchen bis zu den Schultern sind zweifelsohne attraktiver als Bäuerinnenarme, und lange Beine, die bis zum Hintern hoch schlank bleiben, sind natürlich ein Hingucker. Das menschliche Schönheitsideal schafft für Mädchen und Frauen die besten Anreize zur Magersucht.
Warum werden Mädchen magersüchtig? Ist es eine Krankheit? Wenn, dann eine psychische, keine psychosomatische Erkrankung. Gewiss ist Magersucht eine Suchtkrankheit, da das Dauerhungern aus welchem Grund auch immer durch das Gehirn mit seligmachenden Botenstoffen belohnt wird. Doch so ein widernatürliches Glücksgefühl entdeckt man nicht aus eigenem Antrieb, wie etwa die sexuelle Begierde oder die Abenteuerlust. Wie alle rein psychischen Krankheiten, ist die Magersucht hauptsächlich eine Reaktion der Seele auf eine entartete Lebenswelt. Besonders lebendige und sensible Seelen erkranken an einer kranken Umwelt; früh abgetötete oder einfach dumpfe Seelen kommen in jeder Umgebung zurecht. Die Magersucht ist eine Sucht, weil sie glücklich macht (die Depression wird ebenfalls von einer trostlosen Lebenswelt befördert, ist aber keine Sucht); sie ist eine durchaus ansteckende Krankheit, weil sie die Selbstachtung, die in einer den Menschen zum bloßen Mittel instrumentalisierenden Gesellschaft verloren geht, zum Inhalt hat.
Die Selbstachtung des Mannes wird duch seine vielfältigen Funktionen gesteuert, die ihm von der Gesellschaft zugewiesen werden: egal, was ich tue, ich muss gut darin sein, gar eigentlich der Beste, - erst dann bin ich in meiner Existenz voll legitimiert. Da der Mann das Mittel schlechthin ist, das Werkzeug des Werkzeugs, die tätige Vermittlung zwischen Mittel und Zweck, geht er ganz im Werkzeug auf, und schöpft seine Selbstachtung aus seiner Arbeit. Somit ist der Mann zugleich der Beherrscher seiner Lebenswelt, indem er sie beherrscht, ihr Herr und Meister wird. Aus seiner Dinglichkeit, die sich zweckgerichtet tätig zu den Dingen verhält, schöpft der Mann seine Integrität, die durch Verdinglichung selbst nicht angreifbar ist, es sei denn, sie geschieht durch einen fremden Willen. Das sogenannte Patriarchat ist eine Macht des Hegelschen Knechts über die Dinge, die zur Macht über die Gesellschaft wird, sobald sich die Dinge die Gesellschaft unterwerfen, sprich zu einer Gesellschaft der Arbeit und des Werkzeugs machen, zu einem Reich der Poiesis.
Die ursprünglich immerschwangere Frau ist der Herr im Hegelschen Sinn, dem die Macht über die Welt entgleitet, je stärker die Rolle der Arbeit und des Werkzeugs zunimmt. Als Naturwesen ist die Frau zunächst weniger der Muße und Kontemplation zugeneigt, als der Selbstbefriedigung durch ihre eigene Leiblichkeit. Verbannt der Mann seine sexuelle Erregbarkeit ins Genital, um seiner aus das Funktionieren fixierten Lebensweise gerecht zu werden, so fließt die Erregbarkeit der Frau über ihren ganzen Körper aus. Von der Arbeit Befreite können selbstverständlich ihre Zeit zum Denken nutzen, doch dies ist ein für das Naturwesen ungewöhnlicher Ausnahmefall, - der von der Arbeit befreite Mann ist schließlich naturgemäß eher dem Rausch und der Faulheit zugeneigt, als einer kontemplativen Muße. So hat die Frau, weil sie der Herr über das menschliche Leben, und somit über den Mann ist, ihre primäre Betätigung darin, sich schön zu machen, und ihre Schönheit zu erhalten. Diente dies früher dem natürlichen Zweck der sexuellen Attraktivität zur Weitergabe des Lebens, so wird dieser natürliche Endzweck heute fast gänzlich abgeschnitten, und es sind immer seltener schöne Frauen, die schwanger werden.
Wenn die Frau kein Leben mehr erzeugt, ist sie als Beherrscherin des Mannes obsolet. Darum muss sie ihre sinkende Fertilität durch immer extremere Schönheit ausgleichen, - oft eine Schönheit über das Gesunde hinaus. Hiermit sind wir zur Magersucht zurückgekehrt. Die objektiven Ursachen der Magersucht-Epidemie sind erhellt, es bleiben aber noch die subjektiven Motive. Der Mann gehört der Frau, aber die Welt gehört (aus oben angeführten Überlegungen) dem Mann. Es ist eine Welt der Dinge und der Verdinglichung, in die die Frau hinein geboren wird. Ist die Frau als solche die fast transzendente Herrscherin über die Welt, so ist jede Frau als Einzelne immer vor der Wahl zwischen Emanzipation (Vermännlichung) und Prostitution (Verkauf ihres Körpers für sämtliche durch Arbeit erzeugten Dinge, die dem Mann gehören, weil er sie, indem er an ihnen arbeitet, beherrscht). Die Gesellschaft zwingt das Mädchen, Hure zu werden, und das sensible Mädchen reagiert mit einem Aufschub der Erfüllung dieser Forderung: es weigert sich, sich zu verkaufen, weil es ja an sich noch arbeitet, weil seine Schönheit noch nicht optimal ist. So ist Magersucht in diesem Zusammenhang als eine ins Unendliche gehende Schönheitsoptimierung zu verstehen.
Mit der Überwindung der Arbeitsgesellschaft durch die Arbeit selbst (nur noch ein Bruchteil aller Beschäftigten arbeitet heute, um die zum Leben, aber auch für den Spaß gebrauchten Dinge herzustellen) werden die natürlichen Geschlechterrollen aufgelöst, was sich zunächst in der Orientierungslosigkeit der nachwachsenden Generationen niederschlägt, die dieser wiederum durch einen Geschlechterfundamentalismus einerseits (da Frauen und Männer sich in der Gesellschaft objektiv einander immer mehr angleichen, werden die Unterschiede subjektiv wieder aufgebaut), sowie einen Vereinheitlichungsdrang andererseits beizukommen versucht. Heute kennt der Bürokrat nicht zwei, sondern drei Geschlechter: Formulare, in denen sich jede/r als geschlechtslos ausweisen kann, sind die logische Konsequenz einer Entwicklung, die objektiv seit mindestens 100 Jahren läuft. Die verunsicherten Frauen hungern und schmücken sich zu Tode, die verwirrten Männer arbeiten zu Tode, und betreiben immer exzessiveren Raubbau an Mensch und Natur. Anstatt dass die neuen Möglichkeit der Freiheit als einer Freiheit nicht von oder durch Arbeit, sondern zur selbstbestimmten Arbeit anzunehmen, schaffen die Überwinder der Arbeitsgesellschaft eine totale Herrschaft der sinnlosen Arbeit über den Menschen. Als wäre dies nicht ohnehin schon traurig genug, werden die vom Männlichseinmüssen befreiten Männer nun selbst magersüchtig, - der lange Weg von den Dingen zu sich selbst ist für den arbeitenden Menschen ein Weg von der durch die Erwerbsarbeit vermittelten (Verschleiß, Ausbrennen, Berufskrankheiten) zur unmittelbaren Selbstzerstörung.
Freitag, 15. März 2013
6 Moralische Typen
Anhand von drei Bestimmungen: Müssen (M), Sollen (S), und Wünschen (W) soll hier versucht werden, moralische Persönlichkeitstypen zu entwerfen. Die Abkürzungen geben die Rangfolge der jeweiligen Bestimmungen bei moralisch relevantem Handeln an.
MWS. Der tierische Mensch: er tut, was er muss, wozu ihn die Nothdurft zwingt. Da unter das Müssen nicht bloß die äußere und innere Natur, sondern auch der soziale und kulturelle Zwang fallen, handelt es sich hier um einen Typ, der sein Gewissen und Rechtsempfinden, aber ebenso seine Persönlichkeit dem Konformitätsdruck unterwirft. Ein Kind zu vergewaltigen, solange es keiner mitbekommt, wäre für ihn keine bedenkliche Tat, ein großes Verbrechen aber keinen Job oder keinen Sex zu haben.
MSW. Der Sklave: er hat sich zum Sklaven machen lassen, weil seine Natur von ihm das Überleben forderte. Er eignete sich den äußeren Zwang unterstützende Gebote der Sittlichkeit an, verinnerlichte den sozialen Zwang. Die größte Sünde ist für ihn das Selbstdenken, das Hinterfragen, der Ungehorsam. Seine Wünsche ordnet er der Sittlichkeit unter, aber die Sittlichkeit benutzt er nur als Mittel zum Überleben, zur Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse.
WMS. Der dreckige Schurke: ihm gilt sein eigener Wille (im Sinne von Wunsch) absolut, und Moral gilt ihm absolut nichts. Sein Leben verbringt er zwischen W (an sich selbst eine leere Bestimmung) und M, sprich mit der eigensinnigen Befriedigung der Bedürfnisse. Er ist rücksichslos und ohne Gewissen, ein Hedonist aus dem Lehrbuch.
WSM. Der asketische Schurke: er ist ein Meister über seine Triebe, und nicht seine Bedürfnisse treiben ihn zur Bosheit, sondern sein selbstbestimmter Wille, der dem Wunsch dient. Wo er kann, ist er sittlich, und umso mehr, wo es ihm nützt. Von Außen betrachtet, ist er ein Kant, und wenn er es nicht schafft, ein Hitler zu werden, sprich seine geheimen Machtgelüste zu realisieren, wird er jedem als ein kultivierter pflichtbewusster Mensch im Gedächtnis bleiben.
SMW. Der Fromme: um dem Sollen die Oberherrschaft über seinen Willen zu gewährleisten, hat er den Wunsch ans Ende der Hierarchie verbannt. Er isst und trinkt, pflegt seinen Körper und achtet auf seine Gesundheit, weil und insofern er muss, aber versagt sich jeden Genuss und jede Ausschweifung. Er ist ein Asket, ein Meister der Selbstverachtung, der seine moralische Güte dadurch zustande bringen will, dass er sich selbst quält.
SWM. Der Freie: er hat das moralische Gesetz (Kants KI und daraus Folgendes) als seine Freiheit erkannt, und handelt moralisch aus freien Stücken. Zwang und Selbstverachtung sind ihm fremd. Er ist ein lebensfroher Mensch, ein Genießer, der seine Bedürfnisse lustvoll befriedigt, solange er ihrer Befriedigung nicht das moralische Gesetz opfern muss. Er ist kein Stück Vieh, das Gesetze von Außen wie Zäune braucht, denn er steckt durch eigenen Willen die Grenzen des moralisch Erlaubten ab, - darum ist er skeptisch gegenüber jeder Gesetzgebung und jedem Gewaltmonopol. Er ist von sozialem Druck wie von der Nothdurft seiner geschlechtlichen Natur unabhängig, und widersteht jeder Macht außer der eigenen Vernunft. Erst dieser moralische Typ ist wahrhaft Mensch.
Donnerstag, 14. März 2013
Das Problem der Wunder in der Vernunftreligion
"Die Moral, sofern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten" (1), stellt Kant das Primat der Moral in der Vernunftreligion fest, und entwickelt die Idee Gottes als eine aus dem Moralgesetz als ein Ideal resultierende: "Moral also führt unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll"(2).
Vernunftreligion, sprich dem Vernunftwesen Mensch gemäße Religion, ist notwendigerweise die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft, denn jeder Glaube über die Vernunft hinaus würde zur Beliebigkeit verleiten und den idealischen Bezug zum moralischen Gesetz verlieren. Um dies zu verdeutlichen, sei daran erinnert, woran sich das moralische Gesetz, um überhaupt ein Gesetz, und nicht bloß ein willkürliches Statut zu sein, orientieren muss: "Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum ALLGEMEINEN NATURGESETZE werden sollte"(3).
Die Moral erhält ihre Form der Gesetzmäßigkeit aus dem nach allgemeinen Gesetzen bestimmten Dasein der Dinge, welches Kant die Natur nennt; die Natur ist nicht das bloß Mechanische oder Biologische, wie es dem Alltagsverstand dünkt, sondern die Form der Gesetzmäßigkeit selbst, das objektive Ganze. Ein naturalistischer Fehlschluss unterläuft Kant also mitnichten, wenn er das moralische Gesetz aus diesem Begriff der Natur ableitet: alles, was ein Gesetz sein will, muss die Form der Gesetzmäßigkeit annehmen, d.h. allgemein und ohne Ausnahme gelten. Ein Willkürgesetz kann durch einen Herrscher aufgerichtet und wieder aufgehoben werden, ein Naturgesetz gilt ewig und ohne Einschränkungen. Ein naturalistischer Fehlschluss wäre die Maxime, so zu handeln, wie die unvernünftigen Naturwesen handeln, also alles für moralisch erlaubt zu halten, was den Naturgesetzen nicht widerspricht. Ein Vernunftwesen übernimmt für seine moralische Verfassung die Form der Gesetzmäßigkeit von der Natur, und nicht besondere Gesetze der Natur, wie etwa der Sozialdarwinist. Die Herkunft des moralischen Gesetzes aus der Gesetzmäßigkeit der Natur ist also kein Resultat eines Fehlschlusses, sondern die Basis jeder vernunftgemäßen Moral, woraus folgt, dass religiöse Glaubensinhalte den Naturgesetzen nicht widersprechen dürfen, da dies die gesetzmäßige Beschaffenheit der Moral in Frage stellen, und somit der Religion ihre vernünftige Grundlage entreißen würde.
Der ungläubige Thomas der Vernunftreligion ist nicht der Mensch, der sich weigert, an Wunder zu glauben, sondern derjenige, der der Wunder bedarf, um an Gott zu glauben. Indem ein Mensch nach Wundern verlangt, um an Gott glauben zu können, verlangt er nach einer Aufhebung der logischen Grundlage des Moralgesetzes, welche in der Übereinstimmung des Letzteren mit der Gesetzmäßigkeit der Natur besteht, - er will einen Gottesbeweis, der darin besteht, dass Gott, wenn es ihn gibt, in der Lage sein müsste, die Gesetze der Natur zu brechen, sprich Wunder zu wirken. Es sei daran erinnert, dass gerade die gesetzmäßig beschaffene Moral die Grundlage für Religion bildet: "Es kann also der Moral nicht gleichgültig sein, ob sie sich den Begriff von einem Endzweck aller Dinge (wozu zusammen zu stimmen zwar die Zahl ihrer Pflichten nicht vermehrt, aber doch ihnen einen besondern Beziehungspunkt der Vereinigung aller Zwecke verschafft) mache, oder nicht; weil dadurch allein der Verbindung der Zweckmäßigkeit aus Freiheit mit der Zweckmäßigkeit der Natur, deren wir gar nicht entbehren können, objektiv praktische Realität verschafft werden kann"(4).
Der Wunderglaube verwandelt die Natur von einem nach allgemeinen Gesetzen bestimmten Dasein der Dinge in ein Chaos, und lässt das moralische Gesetz als bloß logisch, aber nunmehr ohne den Zusammenhang mit dem Weltganzen erscheinen. Eine Verbindung der Zweckmäßigkeit aus Freiheit mit der Zweckmäßigkeit der Natur wird obsolet, sobald der Natur ihre gesetzmäßige Beschaffenheit genommen wird. Ein mit Wundern, sprich Verletzungen der Naturgesetze, verträgliches Moralgesetz führt nicht mehr zum Ideal eines höchsten Wesens, sondern bestenfalls zu einem heroischen Nihilismus, viel wahrscheinlicher jedoch zu einem Realitätsverlust und einem Solipsismus der Vernunft angesichts der Nichtübereinstimmung der gesetzmäßigen Beschaffenheit ihres Denkens und der vom Chaos regierten äußeren Realität.
Der Wunderglaube bzw. die auf Wunder gegründete Bereitschaft zu glauben, ist nicht nur unvernünftig, sondern ebenso unmoralisch - hier führt nicht die Moral zur Religion, sondern die Religion zur Moral: beweist Gott durch Wunder seine Allmacht, so ist man bereit, an ihn zu glauben, und sich seinen Gesetzen zu unterwerfen. Nun zeichnet sich die Moralität durch ihre innere Autonomie aus, d.h. dadurch, dass der moralische Mensch durch sein Gewissen sich selbst ein Richter sein kann, da er immerfort die Übereinstimmung seiner Maximen mit dem moralischen Gesetz überprüfen kann. In einer Moral des Wunderglaubens fällt die Autonomie des moralischen Subjekts, und mit ihr das Gewissen weg, da es kein ewiges Moralgesetz mehr gibt, sondern alle moralischen Gebote und Verbote von einem Willkürherrscher aufgerichtet und aufgehoben werden können. In einer solchen Religion ist der Wille des Menschen heteronom, und sein moralisches Handeln allein nach besonderen Zwecken bestimmt: alles, was ein fremdbestimmter Wille tut, tut er, um einer äußeren Macht zu gehorchen, und dadurch zu seinem persönlichen Vorteil zu kommen.
Wer nicht ausschließt, dass in der Vergangenheit Wunder geschehen sein könnten, muss auch logischerweise behaupten, dass Wunder heute noch möglich sind; da es sich bei den Wundern nicht um ein historisches, sondern um ein prinzipielles Problem der Vernunftreligion handelt, sind Wunder entweder allzeit für möglich zu betrachten, oder aber auch in der Vergangenheit zu verneinen. Auf der den Gesetzen der Chemie spottenden Verwandlung von Wasser in Wein ist eine Tyrannei, aber keine Kirche zu gründen. Dass die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft keine Wunder zulassen kann, heißt mitnichten, auch Gott habe sich den Vernunftgesetzen zu unterwerfen. Gott muss vielmehr als ein übervernünftiges Wesen gedacht werden, wenn er mehr als bloße Natur (das dem nach allgemeinen Gesetzen bestimmte Dasein der Dinge) sein soll. Ein gottloser Pantheismus der Vernunft ist ein ebenso unzulässiges Überschreiten der Grenzen der Vernunft, wie ein Wunderglaube, - während der Letztere von einer Demütigung der Vernunft durch einen übervernünftigen Willen befeuert wird, behauptet der Erstere eine Absolutheit der Vernunft, die die Grenzen ihrer eigenen Selbsterkenntnis sprengt.
(1) Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Hamburg, 2003. S. 3.
(2) Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Hamburg, 2003. S. 7.
(3) Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Stuttgart, 2005.
(4) Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Hamburg, 2003. S. 3.
Montag, 11. März 2013
Die Trias des Wahren, Schönen und Guten
I.
1. Das Wahre ist das erste, denn das Bewusstsein geht auf die Mannigfaltigkeit der gegenständlichen Welt zuerst als Erkennendes ein: Erkenntnis ist die Voraussetzung für Begierde, denn ohne unterschiedene Objekte hat die Begierde keinen Gegenstand.
2. Das Schöne folgt als Objekt der Begierde der Erkenntnis, und symbolisiert in seiner vollkommenen Form das Gute, die vernünftige Positivität des Weltganzen.
3. Das Gute ist als seiende und seinsollende Einheit des Weltganzen gleichsam die Voraussetzung für das Wahre, welches das Seiende erkennt. Als bloß Seinsollendes ist das Gute noch unwahr, bewahrheitet sich aber in der Einheit von Subjekt und Objekt, die sich in der Form des sittlichen Gesetzes zeigt, und mit ihr auf das Wahre als das Gesetzmäßige verweist. In dem durchschrittenen Kreis hat sich das Wahre als vernünftig erwiesen, und die Wahrheit somit als erkennabr.
II.
1. Das Wahre wird gefasst als Unmittelbarkeit (1), Übereinstimmung (2) zwischen Subjekt und Objekt, und Selbstbewusstsein (3) der ontologischen Einheit von Subjekt und Objekt.
1.1. Das unmittelbar Wahre ist das subjektive Hier und Jetzt. "Lebe jetzt!" ist das Imperativ dieser Stufe.
1.2. Das Ideal der Stufe der Übereinstimmung ist die Anpassung oder Lebensklugheit: das Subjekt verhält sich gegenüber dem Subjekt zu seinem Vorteil, als durch das objektiv Gegebene Bestimmtes und im praktischen Lebensvollzug auf seine Gegenstände opportunistisch Wirkendes.
1.3. Das Selbstbewusstsein gibt sich das einzig wahre Gesetz, in dem Sein und Sollens eins sind. Auf dieser Stufe ist das Subjekt sich selbst Objekt , und in sich selbst geschlossen und vollendet. Der Imperativ hat die Form des absoluten Gesetzes (Kants kategorischer Imperativ).
2. Das Schöne ist als Unmittelbares (1) angenehm, als dem Subjekt Entgegengesetztes (2) Gegenstand der Begierde, und in der geistigen Unendlichkeit des Selbstbewusstseins (3) Gegenstand interesselosen Wohlgefallens.
2.1. "Lebe jetzt!" gewinnt durch den Hedonismus seinen konkreten Gehalt.
2.2. Leid der unerfüllten Begierde und dessen Aufhebung sind die Extreme, in die sich das Subjekt hier verliert.
2.3. Als Selbstzweck wird das Schöne Kunst: die Begierde hat sich als nichtig erwiesen, und die Schönheit als subjektive Konstruktion, wodurch die festen Standpunkte beider Seiten aufgelöst sind.
3. Das Gute ist unmittelbar (1) das bloß Positive, Dasein; in der Entgegensetzung (2) ist das Gute subjektives Gewissen, und in der Einheit des Selbstbewusstseins (3) ist das Gute die Vernunft (reflektiertes Selbstbewusstsein), die als Wille vom vollendet unendlichen Subjekt in die unvollendet unendliche Mannigfaltigkeit hinausgeht.
3.1. Das Gute hat im gedankenlosen Fühlen die Bestimmung des Wohlergehens: gut ist, wenn es mir gut geht, wobei ich dazu notwendig existieren muss.
3.2. Im Gewissen hat das Gute einen konkreten Gehalt, der die Form von dogmatischen Geboten einnimmt, welche nicht notwendig unter ein gemeinsames Ideal fallen. Das Gewissen repräsentiert die Entgegensetzung vom transzendentalen Ich (Ich-Ideal) und empirischen Ich (sinnliche Person).
3.3. In der Vernunft ist ein einheitliches Ideal gefordert, da das Selbstbewusstsein, in dem sich das transzendentale und das empirische Ich vereinigen, eine Einheit ist. Das Ideal muss widerspruchsfrei und alleingültig sein, wobei Letzteres Beliebigkeit ausschließt, denn es ist ein Ideal gefordert, das nicht durch ein anderes Ideal ersetzbar ist, somit das einzig wahre Ideal.
III.
1. Für das menschliche Subjekt ist das Wahre Wissenschaft, das Schöne Ästhetik, und das Gute Moral. Das Subjekt beginnt als vom Gegenstand Bestimmtes, Unselbstständiges (Kind), und ergreift seine Freiheit zuvorderst im Ästhetischen. Dem schönen Lebenswandel folgt durch die Enttäuschung eine Entweiung in Wunsch und Wirklichkeit, die sich in den Gegensatz von Sollen und Sein verdoppelt, womit das Subjekt moralisch wird. Als moralisches Subjekt gelangt es an das einzige universelle Gesetz der Moral, doch zunächst nur in der Vorstellung, und nicht im Begriff: das Subjekt wird religiös.
2. Das religiöse Subjekt ist unselbstständig, und geht im Bösen, dem mephistophelisch Schönen, in die Freiheit hinaus. Im Bösen fühlt es seine Entweihung als Selbstannihilation, denn das Böse vernichtet als das Gute Negierendes den Grund seiner eigenen Existenz. Der böse Mensch erkennt sich als nichtig, und wird Nihilist, seine Religion wird das Nichts.
3. Der Nihilist ist in die Gleichgültigkeit versunken, und wird aus dieser durch das Faktum der Sinnlichkeit, dass das Schöne unabhängig vom Standpunkt des Subjekts immer Wohlgefallen auslöst, und das Hässliche den Ekel, gerissen. Das Schöne als ein Absolutum weist auf das absolute Gute, das nunmehr begrifflich gefasste moralische Gesetz. Dieses ist wiederum durch seine gesetzmäßige Beschaffenheit an die Einheit des Weltganzen gebunden; die neue Religiösität des Subjekts ist auf dieser Stufe die Vernunftreligion, die Versöhnung mit dem Weltganzen in sich selbst.
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