Mittwoch, 3. April 2013

Der asketische Schurke




Es ist belanglos, sich historisch zu streiten, ob Hitler mit seinen Megatötungen den zu erwartenden kommunistischen Megatötungen zuvorkommen wollte oder aus eigenem biographisch bedingten Hass Millionen von Menschen ermorden ließ, ob er letztlich agierte oder reagierte. Das Entscheidende bei der Bewertung, wie böse Hitler nun war, ist die Askese, in der er nicht nur Stalin ähnlich war. Der asketische Schurke trägt die demozidale Hauptlast der Weltgeschichte, tötet für Anderes als sich selbst, ob für höhere Zwecke oder aus zufälligen Motiven. Ihm gegenüber steht der unscheinbare unpolitische Verbrecher, dem das Böse, das er tut, unmittelbar Lust verschafft.

Im allgemeinen Bewusstsein wirkt die tragische Gestalt des millionenfach mordenden Asketen einen so langen und dunklen Schatten, dass der im eigentlichen Sinne Böse unsichtbar wird. Das Einzelverbrechen des Lustmörders oder Vergewaltigers wie eines jeden Privatterroristen wird bagatellisiert und fällt unter die allgemein geduldete Kriminalität - geduldet, weil sie dadurch, dass sie durch als Strafgesetzbücher bekannte Kataloge ausdrücklich in ihrem Sein legitimiert wird. Hingegen heißt es: Nie wieder Hitler! Nie wieder Stalin! Nie wieder Völkermord! - , während sich jemand genüsslich an einem Kind vergeht, und schlimmstenfalls mit einer Bezahlung für die gesellschaftlich in Kauf genommene Tat durch eine gesetzlich festgeschriebene Haftstrafe rechnen muss.

Zuweilen hört man nach abermaligem Amoklauf an einer Schule: Nie wieder Amoklauf! Jetzt muss sich alles ändern! Politik, sorge dafür, dass Amokläufe in Zukunft verhindert werden! - Wer hat je gehört: Nie wieder Lustmord! Nie wieder Vergewaltigung! Es darf nie wieder Kinderschänder unter den Menschen geben! Im Gegenteil, solche Forderungen erscheinen absurd. Es heißt lapidar, man könne es nicht verhindern, - aber Amokläufe und Terroranschläge doch ebensowenig! Dennoch wird die Forderung, Letzteres abzuschaffen, allen Ernstes an die Polizei und Politik gestellt.

Ist es das Böse, wovor wir uns fürchten? Ich fürchte, nein. Mit dem Bösen können wir gut leben. Warum erscheint uns der asketische Schurke als ausrottungswürdig, während der genießende Lustmörder eine humane Strafe und eine Resozialisierung verdient? Es ist der Rest des Guten im asketischen Schurken, der uns Angst macht. Er sprengt unser Weltbild, indem er nicht bloss vorhandene Gesetze bricht, sondern eigene Gesetze macht, indem er, um sein Böses zu tun, härter arbeitet und mehr Opfer bringt, als wir, um unser Gutes zu tun, indem er seine eigene Lust und die Forderungen der Gesellschaft an ihn ignoriert und frei nach seinem Willen handelt.