Sonntag, 24. März 2013
Wozu Gutes tun?
(A) Hat jemand mal darüber nachgedacht, wie sinnlos es ist, sein Leben der Nächstenliebe zu widmen? Seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen und den Anderen helfen. Eigentlich löblich, nur wenn man weiterdenkt - ja, das böse Denken, das die Diktaturen und Sekten und Gutmenschen aller Zeiten verbieten wollten - , wird es interessant: man definiert sich selbst als gut, indem nan selbstlos handelt, also sind die Bösen die, die egoistisch handeln.
1. Nun wird man bei der Nächstenliebe die Guten bevorzugen wollen, also diejenigen, die selbst selbstlos handeln. Diese wiederum würden ebenso die Selbstlosen bevorzugen - Sekten und andere geschlossene Gemeinschaften entstehen und grenzen sich von den Bösen ab; da nun alle Selbstlosen eines bestimmten Gebietes in der Gemeinschaft drinnen sind, werden sich die Werte umkehren, und nicht mehr Selbstlosigkeit, sondern kollektiver Egoismus werden das Handeln bestimmen.
2. Die Nächstenliebe ist in kollektiven Hass umgeschlagen; es muss einen anderen Weg geben. Dieser Weg besteht darin, umso selbstloser einem Nächsten gegenüber zu handeln, je egoistischer dieser ist. In diesem Fall ist der Zweck aller Wohltaten ein Fass ohne Boden, ein Fass, von dem das Selbst des Selbstlosen selbst verschlungen wird, wenn er alles, was er geben konnte, gegeben hat.
3. Im Idealfall sollten alle Menschen gut sein, das muss das höchste Ziel des Nächstenliebenden sein, und wenn erst alle gut sind, sind alle selbstlos füreinander da. Jeder um des Anderen willen, und es gibt keine Selbstzwecke mehr. Wozu dann selbstlos handeln? Wenn jeder gut ist, braucht es die Guten nicht mehr. Aus einer Welt voller Altruisten wird im Handumdrehen eine Welt voller aufgeklärter Egoisten, ohne schlechtes Gewissen und jede Rücksicht.
(B) Damit selbstloses Handeln sich selbst nicht ad absurdum führt, muss es Selbstzwecke geben. Ein zufälliger Nächster kann kein guter Selbstzweck sein - ist er selbstlos, ist er kein Selbstzweck, und ist er egoistisch, kann sich selbstloses Handeln an ihm nicht vollbringen.
1. Ein bestimmter Nächster als exklusiver oder positiver Selbstzweck, als Ehepartner oder als Kind, eignet sich zunächst als guter Selbstzweck. Das Kind ist idealer Selbstzweck, da es selbst noch kein handelndes Subjekt ist - so ist es als Selbstweck nicht leer, sondern dazu bestimmt, durch die ihm gewidmeten selbstlosen Handlungen zum selbstbestimmten Subjekt zu werden. Das Kind wird sich als Selbstzweck durch eigene Selbstlosigkeit recht spät aufheben, der Ehepartner ist bereits handelndes Subjekt und handelt dem betrachteten Subjekt gegenüber gleichermaßen selbstlos. Hier bestimmt sich das selbstlos handelnde Subjekt zum ersten Mal selbst als Selbstzweck, wobei dieser Selbstbestimmung die Bestimmung durch den Anderen zugrunde liegt.
2. Ein negativer Selbstweck bestünde im Kampf gegen ein bestimmtes Übel, wobei das selbstlose Handeln hierbei nicht einem bestimmten Nächsten zugute käme, sondern der Menschheit. Eine Lebensaufgabe, die im Kampf gegen den Krebs, den Hunger, Landminen oder politische Verfolgung bestehet, ist ein konkreter Selbstzweck, gleichwohl nur die Menschheit als moralische Person, nicht ein bestimmter Mensch, das Objekt der Handlung ist. Ein negativer Selbstzweck negiert den Handelnden als Selbstzweck, sobald er sich als ein Solcher verhält, und er verhält sich als ein Selbstzweck, sobald er in eine exklusive Beziehung tritt und einen bestimmten Menschen als Selbstzweck bestimmt.
3. Ein abstrakter Selbstweck ist die Negation des negativen Selbstzwecks und verhält sich negativ nicht zu einem bestimmten Übel, sondern zu allen Übeln der Welt. Dieser Selbstzweck besteht darin, gut zu sein, oder gegen das Böse zu kämpfen. Beides ist abstrakt und daher zufällig bestimmt, und so ist es kein Wunder, dass in die Tat umgesetzte Utopien radikaler Kämpfer für das Gute und gegen das Böse selbst das Böse verwirklichen. Der vollendete Gutmensch ist ein Mensch, den alles angeht, der sich dadurch als gut bestimmt, dass die Welt oder die Anderen böse sind - freilich ist ein vollendeter Gutmensch von der Größe eines Robespierre etwas völlig anderes, als ein Freizeitgutmensch, der nie den Mut aufbrächte - außer Gewissensterror - Gewalt zu verüben.
(C) Das Gute führt sich selbst, als selbstlos bestimmt, ad absurdum. Die weltklugen Ausflüchte aus der dieser Ansicht des Guten geschuldeten Sinnlosigkeit jedweden Handelns (A3, B1,2) sind nicht von Dauer und laufen auf leere Selbstzwecke hinaus. Das Gute muss nicht auf ein Subjekt hin, sondern selbst als Subjekt bestimmt werden.
1. Die Positivität des eigenen Seins als Selbstzweck bestimmt, führt aufgeklärtes Eigeninteresse durch die Weltgeschichte hindurch in eine bürgerliche Gesellschaft wohlstehender Rechtsstaaten. Dass die konkrete Entwicklung von Staaten kontingenten Faktoren unterliegt und nur in der Idee den Fortschritt von totalitärer Wildheit zu libertärer Privatheit repräsentiert, ist unbestritten.
2. Die Negativität des eigenen Seins angesichts des Todes bestimmt die Biographie zum Selbstweck. Das konkrete einzelne Leben wird zum Kunstwerk und schreitet, wie jedes Kunstwerk, um seiner Einzigartigkeit willen fort. Da jeder nur ein einziges Leben hat, ist Beliebigkeit ausgeschlossen, und jeder bestrebt, das Beste aus seinem Leben zu machen, wobei die Höhe der Persönlichkeitsentwicklung, die quantitative Würde einer Person, das Beste als der Vernunft nach Bestes bestimmt.
3. Die Negativität des eigenen Seins wird durch das absolut Erhabene negiert; auf der Stufe der Vernunft beginnt der Mensch sich absolute Zwecke zu setzen, die über Hedonismus und abstrakte Moralität erhaben sind. Nur auf der Stufe der Vernunft bekommt die Religion ihre wahre Gestalt, während sie sich im blossen Verstand als fanatisch, denkhemmend und moralisch verhält. Die Vernunft ist als übermoralisch nicht unmoralisch, aber amoralisch, wobei ihre Zwecke in der Regel mit den Zwecken einer zivilisatorisch hochentwickelten Ethik zusammenfallen, allein kann die Letztere nicht begründen, warum moralisches Handeln erstrebenswert sein soll, während das vernünftige Subjekt um seiner Selbst willen übermoralisch - moralisch, aber auch darüber hinausgehend - handelt.