Mittwoch, 10. Mai 2023

Die Jungfrau

 

 

 

 

Ihre Schwäche ist ihre größte Stärke. In der gegenwärtigen Ultradekadenz kommt sie nur noch als Karikatur, damsel in distress, vor, eine sexualisierte Kindfrau, was auf die latente oder manchmal sehr wohl bewusste und deshalb gern weiterprojizierte Pädophilie des Zuschauers hindeutet.

Die romantische Liebe zur Jungfrau ist jedoch rein, frei von sexuellem Kontext. Diese Liebe verhält sich zur Geliebten idealistisch: sie ist nicht nur kein bloßes Objekt der Begierde, nicht nur auch Selbstzweck, sondern ausschließlich Selbstzweck. Für sie, nicht um sie, wird gekämpft. Ihr werden Siege gewidmet. Sie genießt gottgleiche Verehrung.

Den Archetyp der Jungfrau auf die Dahergelaufene von der Straße zu projizieren, ist eine Art von Liebe, die Otto Weininger "Mord" nannte. Er ging nun davon aus, dass es die Jungfrau grundsätzlich nicht gibt, und das Weib, ein nur sexuelles Wesen der Natur, wird für Weininger in der romantischen Liebe zum Spiegel des Mannes, der in der unschuldig Geliebten nicht die Frau, sondern sein eigenes ideales Ich liebt.

Da mir oft bezüglich meines Frauengeschmacks Getue vorgeworfen wurde, habe ich drei objektive Kriterien entdeckt, an denen ich tatsächlich meinen Ekel oder aber meine Traubenfuchsigkeit messen kann. Wenn ein ganzes männliches Kollektiv von einem "heißen Feger", einem "scharfen Bunny", einer "geilen Bitch" (wir sind unter Akademikern) oder einfach einer schönen Frau spricht, und ich mich ziere, dann stelle ich mir im Kopf diese drei Fragen: Würde ich mit dieser Frau kuscheln? Würde ich mit dieser Frau händchenhalten? Würde ich diese Frau küssen? Wenn die Antwort jeweils Nein lautet, ist der Ekel echt.

Als Kind und Jungendlicher war ich oft verknallt und manchmal verliebt. Es war nie etwas Küssenswertes dabei, eine von vielen hatte schöne Hände. Die meisten Mädchen konnte ich aus der Ferne lieben, und falls es zur Nähe kam, dann nie über ein Kuscheln hinaus, wie es auch mit Katzen und Hunden geläufig ist. Die Jungfrau, sagt Weininger, gibt es nicht: diese Zartheit, Reinheit, Zierlichkeit, Feinheit usw. scheint zumindest empirisch nicht zu existieren, wobei ich sie, mit Evola, prinzipiell nicht von der Existenz ausschließen will.

Zumal es Legenden gibt. Hades, der Gott der griechischen Totenwelt, raubt die göttliche Jungfrau Persephone. Sie werden zum einzigen glücklichen Paar der antiken Göttermythologie. Und da der Gott, der alle Toten gesehen hat, die in seinem Reich eintrafen, damit auch unzählige Frauen gesehen hat, ist davon auszugehen, dass er sich das schönste Mädchen ausgesucht hat.

Die Jungfrau ist unschuldig, schwach und gut in harmonischer, ursprünglich-kindlicher Verbindung. Sie ist naiv: nicht dumm, sondern geistig und seelisch offen, emotional aufgeschlossen, ohne Ressentiments. Sie ist nicht "kaputt". Angeschts der bloßen Möglichkeit des Bösen und des Übels ist sie ängstlich und braucht einen Beschützer. Sie ist sinnlich verspielt, unschuldig-, nicht naschhaft- oder verzweifelt-lesbisch. Sie kann nur in einem Cluster von Jungfrauen existieren, welcher nicht der Harem, sondern der Himmel der reinen Engel für seinen Beschützer ist. Das Ideal des Archetyps der Jungfrau ist heavenliness.

Die unbeschreibliche Zartheit der Psyche, der Hände, der Stimme, des zierlichen Körpers der idealen Jungfrau macht sie in einer mediokren Welt zu dem am schwersten zu verwirklichenden weiblichen Archetyp. Nur wenige Frauen sind vom Archetyp Junfgrau, und das durchaus sehr ansatzweise. Aber den höheren Menschen, apollinischen Frauen und Männern insbesondere, kann die Jungfrau in einer Gestalt erscheinen, aber auch in nicht-körperlicher Form: in einem Gedicht, in einem Gefühl, in der Musik.

Dienstag, 28. März 2023

Artemis

 

 

 

 

Kants Alptraum! Warum soll meine Maxime allgemeines Gesetz werden können? Gibt es etwas creepieres? Und Aristoteles mit dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs: Systemphilosophen, gebt doch einfach zu, dass ihr Autisten seid, und mit der Unordnung in der Natur nicht zurechtkommt! Aber: die Natur kann nichts dafür.

Sie ist die Tochter einer lunaren Mutter. Die chthonische Mutter ist die radikalfeministische Kybele, der Männer in vorauseilendem Gehorsam als Kastraten dienen. Die tellurische Mutter ist die langweilige und etwas schwermütige Demeter, die beständige und zuverlässige Göttin der Landwirtschaft. Leto ist die lunare Mutter der Artemis.

Materie: Schwerstgeburten, Missgeburten, Monster. Das ist die Welt der Kybele. Jahreszeiten: Saat, Wachstum, Ernte. Damit auch sie etwas Drama hat, wurde Demeters Tochter Persephone entführt. Mit Hades ist sie übrigens glücklich; das einzige glückliche Paar der griechischen Göttermythologie. Begehrtwerden, Entführtwerden, Beschütztwerden: Leto ist ganz Frau, schwelgt in aphroditischer Weiblichkeit, ohne selbst das mühsame Geschäfte der Geschlechtsliebe besorgen zu müssen. Ihr Beitrag sind ihre solaren Kinder, das Licht der Welt.

Artemis ist Letos Tochter, ewig junge Göttin der Jagd und der Jungfräulichkeit. Sie steht für die unschuldige und unbekümmerte Natur. Sie ist dionysisch, lunar, nicht wie ihre solaren Geschwister, die die Vernunft, nicht die Natur verkörpern. Athene und Apollo sind die Götter der Kultur: Staatskunst, Wissenschaft, Kunst. Mit dem lunaren Ares kommt die Kriegskunst hinzu. Der ebenfalls lunare Hermes ist der Henry Kissinger des Olymps, er steht für die Kunst der Diplomatie. Doch mit dieser Welt der Menschen hat die freiheitsliebende, wahrhaft starke und unabhängige Frau Artemis nichts zu tun.

So arbiträr wie es nur geht, von Lust und Langeweile geleitet, SP/NF-Temperament (sinnlich/wahrnehmend, aber auch intuitiv/fühlend), selbstgenügsam, unprätentiös lesbisch, lesbische Jungfrau, umgeben von jungfräulichen Nymphen des Waldes, hat ihr Dasein keinen ihr selbst äußerlichen Sinn. Sich selbst gegenüber erfüllt Artemis den kategorischen Imperativ bestens: sie lässt sich nicht als Mittel für Zwecke anderer einspannen. Bei der berüchtigten Frivolität der altgriechischen Götterwelt besteht Artemis felsenfest auf ihrer Jungfräulichkeit und bestraft hammerhart Gefährtinnen, die diese verlieren.

Das Reich der Naturnotwendigkeit (Demeter, tellurisch) und der system(at)ischen Kulturschöpfung (diverse Götter, solar) neigen zur Eliminierung der Freiheit: entweder wird die Individualität von vorn herein untergeordnet oder sie ist nur da, um transzendiert zu werden, in Größerem aufzugehen. Doch ohne das Einzelne ist das Allgemeine, das Ganze, für niemanden da. Artemis ist die Gottheit des Besonderen, der Einzel(n)heit, die sich nicht unter Gesetze subsummieren lässt, nicht in Schubladen packen, nicht einordnen, und selbst ihre Einordnung in der anthropologischen Trias ist nur in der Relation zu anderen Aspekten der Trias sinnvoll.

Die verspielte lockende Jägerin macht verliebt und läuft weg, ist über- und unterirdisch (wurde auch mit der Hekate identifiziert), regellos und grausam streng. Keineswegs steht ihre Widersprüchlichkeit für ein Krankheitsbild wie Bipolarität oder Narzissmus; auf der autistisch-schizophrenen Männlich-Weiblich-Skala ist sie sicherlich dem schizophrenen Spektrum zuzuordnen, wobei sie sich souverän an dessen Rand aufhält, fast in der Mitte, sodass keine Gesetze, auch die der Weiblichkeit, für Artemis wirklich gelten.

Freitag, 24. März 2023

Die Unmutter

 

 

 


Der Sinn des Lebens ist solar.

Die Lust am Leben ist lunar.

Das gute fremdbestimmte Leben ist tellurisch.

Das schlechte fremdbestimmte Leben ist chthonisch.



"Frau, Leben, Freiheit!" ist der Wahlspruch der Kurden. In umgekehrter Reihenfolge wäre das ein solarer Spruch; weil die Freiheit darin vorkommt, und offensichtlich nicht als ultradekadente Freiheit-von (die letztlich auf eine Freiheit von der Freiheit hinausläuft) gemeint ist, ist der Spruch zumindest tellurisch. Weil das Leben in der Mitte steht, könnte er auch lunar gemeint sein. Wie auch immer: der kurdische Wahlspruch ist heiter und lebensbejahend. Darum ist er sympathisch. Im Gegensatz zum de facto Wahlspruch der chthonischen europäischen Ultradekadenz: "Frau!"

Die Frau als nur Frau, als selbstzeugende Mutter, als Hera der Hölle, die Monster zeugt. Die Frau als männerhassende Höllenschlampe, als narzisstische Mutter, die ihre missratenen Kinder in zugekackten Club-Toiletten zeugt, und das Kind umso mehr liebt, je missratener es wird. Die chthonische Kybele, die verwesende Weiblichkeit, das Gesicht strahlend vor Jugend und sexueller Attraktivität, der Hinterkopf halb aufgelöst im Schleim der Verwesung; der oral eingeführte Phallus würde bereits auf halbem Wege auf Kot und Gewürm stoßen; aus dem Magen stoßen Reste unverdauter Kinder, Frauen, Männer, alter Menschen auf, erbrochen und wieder aufgeleckt.

Die devouring mother, die erdrückende, auffressende Mutter (die Nähe von mother und smother im Englischen lässt tief blicken): das ist die alte Kybele, bei der es sich ausgefickt hat. Nun wird gefressen. Ja, die fickende Kybele ist der weibliche Libertin schlechthin, eine ultradekadente amoralische Figur. Aber dafür ist die fressende Kybele, die alte Mutter, antimoralisch: sie ist zwar durch und durch moralisch, aber mit umgekehrtem Vorzeichen. Das Böse ist für sie moralisch gut, das Gute böse. Leid soll sein, Lust nicht; leben macht schuldig, sterben ist nicht erlaubt; du gehörst wie ein Sklave ganz der Mutter, doch bist für alle deine Taten immer selbst verantwortlich (du tust, was sie dir sagt, und bezahlst dafür, als wäre es deine Schuld).

Die Unmutter will das Lebendige quälen, fressen, verdauen, wieder auskotzen, es für immer an sich fesseln. Ihre Welt ist die der sich um den Globus schlängelnden Nabelschnüre, an deren Enden alle Lebeswesen ihr sklavisches Dasein fristen. Sie ist die chthonische Gottheit der dunklen Hölle der Materie.

Mittwoch, 18. Januar 2023

Die Theogonie

 

 

 

 

Aus Chaos, dem Urzustand der Welt, ist nicht nur Gaia (Erde, weiblich) entstanden, sondern auch Eros (Liebe, männlich), Nyx (Nacht, weiblich), Erebos (Finsternis, männlich) und Tartaros (Unterwelt, männlich).

Gaia hätte den Vater ihrer Kinder nicht durch Parthenogenese zeugen müssen. Die Hypogamie mit dem chthonischen Tartaros ging sie nicht ein, aber auch nicht die Hypergamie mit dem lunaren (oder sogar solaren) Eros. Und was ist mit Erebos und Nyx, warum haben sie in der Götterwelt keine Rolle gespielt?

Ausgehend von diesem Fünfgestirn, könnte die Götterwelt auch aus einer Verbindung von Eros und Nyx entstanden sein. Da Erebos für den Äther steht, ist er die Hintergrundstrahlung nach dem Urknall des Chaos (und für die weitere Theogonie nur Statist). Tartaros steht für die Schwerkraft, er sinkt im selben Augenblick, in dem ein Oben und ein Unten entstehen, nach unten. Gaia ist die Erde, aus ihr kommt das Leben. Aber wie kommt es zur Zeugung des Lebens?

Warum nicht so: Eros und Nyx (Eros solar, Nyx lunar; oder beide lunar) zeugen Uranos, den Himmel. Uranos verbindet sich mit der Erde und zeugt Kronos, die Zeit. Auf der Erde (und nur hier) besiegt die Zeit die Ewigkeit, weil das Leben sterblich ist. Doch als im Leben der Geist entsteht (die olympischen Götter), wird die Zeit besiegt.  

 

Das Problem mit Uranos:

Uranos, der erste männliche Gott, wurde von Gaia, der ersten Göttin überhaupt, im Schlaf gezeugt: die erste Parthenogenese. Mit seiner Mutter hatte er Kinder, die alle Mißgeburten waren, weshalb er sie in der Unterwelt einsperrte (erste willentliche Dihairesis, nicht moralisch, sondern ästhetisch: die Inzuchten waren schlecht, nicht böse). Gaia rächte sich, indem sie sich mit dem gemeinsamen Sohn Kronos gegen den Sohn/Gatten verschwor, und diesen dem Vater durch Kastration die Herrschaft über die Welt entreißen ließ.


  • Uranos wurde von einer Frau ohne männliche Zeugung geboren.
  • Uranos fickte seine Mutter. 
  • Durch den Verlust der Genitalen verlor Uranos seine Macht.


Uranos ist eine mythische Mißgeburt, der ihre mesopotamischen/vorderasiatischen Wurzeln anzusehen sind. Er ist nicht wesensidentisch mit Tengri/Tien, dem nordasiatischen Himmelsgott.