Ihre Schwäche ist ihre größte Stärke. In der gegenwärtigen Ultradekadenz kommt sie nur noch als Karikatur, damsel in distress,
vor, eine sexualisierte Kindfrau, was auf die latente oder manchmal
sehr wohl bewusste und deshalb gern weiterprojizierte Pädophilie des
Zuschauers hindeutet.
Die romantische Liebe zur Jungfrau ist jedoch rein, frei von sexuellem Kontext. Diese Liebe verhält sich zur Geliebten idealistisch: sie ist nicht nur kein bloßes Objekt der Begierde, nicht nur auch Selbstzweck, sondern ausschließlich Selbstzweck. Für sie, nicht um sie, wird gekämpft. Ihr werden Siege gewidmet. Sie genießt gottgleiche Verehrung.
Den Archetyp der Jungfrau auf die Dahergelaufene von der Straße zu projizieren, ist eine Art von Liebe, die Otto Weininger "Mord" nannte. Er ging nun davon aus, dass es die Jungfrau grundsätzlich nicht gibt, und das Weib, ein nur sexuelles Wesen der Natur, wird für Weininger in der romantischen Liebe zum Spiegel des Mannes, der in der unschuldig Geliebten nicht die Frau, sondern sein eigenes ideales Ich liebt.
Da mir oft bezüglich meines Frauengeschmacks Getue vorgeworfen wurde, habe ich drei objektive Kriterien entdeckt, an denen ich tatsächlich meinen Ekel oder aber meine Traubenfuchsigkeit messen kann. Wenn ein ganzes männliches Kollektiv von einem "heißen Feger", einem "scharfen Bunny", einer "geilen Bitch" (wir sind unter Akademikern) oder einfach einer schönen Frau spricht, und ich mich ziere, dann stelle ich mir im Kopf diese drei Fragen: Würde ich mit dieser Frau kuscheln? Würde ich mit dieser Frau händchenhalten? Würde ich diese Frau küssen? Wenn die Antwort jeweils Nein lautet, ist der Ekel echt.
Als Kind und Jungendlicher war ich oft
verknallt und manchmal verliebt. Es war nie etwas Küssenswertes dabei,
eine von vielen hatte schöne Hände. Die meisten Mädchen konnte ich aus
der Ferne lieben, und falls es zur Nähe kam, dann nie über ein Kuscheln
hinaus, wie es auch mit Katzen und Hunden geläufig ist. Die Jungfrau,
sagt Weininger, gibt es nicht: diese Zartheit, Reinheit, Zierlichkeit,
Feinheit usw. scheint zumindest empirisch nicht zu existieren, wobei ich
sie, mit Evola, prinzipiell nicht von der Existenz ausschließen will.
Zumal es Legenden gibt. Hades, der
Gott der griechischen Totenwelt, raubt die göttliche Jungfrau
Persephone. Sie werden zum einzigen glücklichen Paar der antiken
Göttermythologie. Und da der Gott, der alle Toten gesehen hat, die in
seinem Reich eintrafen, damit auch unzählige Frauen gesehen hat, ist
davon auszugehen, dass er sich das schönste Mädchen ausgesucht hat.
Die Jungfrau ist unschuldig, schwach und gut
in harmonischer, ursprünglich-kindlicher Verbindung. Sie ist naiv:
nicht dumm, sondern geistig und seelisch offen, emotional
aufgeschlossen, ohne Ressentiments. Sie ist nicht "kaputt". Angeschts
der bloßen Möglichkeit des Bösen und des Übels ist sie ängstlich und
braucht einen Beschützer. Sie ist sinnlich verspielt, unschuldig-, nicht
naschhaft- oder verzweifelt-lesbisch. Sie kann nur in einem Cluster von
Jungfrauen existieren, welcher nicht der Harem, sondern der Himmel der
reinen Engel für seinen Beschützer ist. Das Ideal des Archetyps der
Jungfrau ist heavenliness.
Die unbeschreibliche Zartheit der Psyche, der Hände, der Stimme, des zierlichen Körpers der idealen Jungfrau macht sie in einer mediokren Welt zu dem am schwersten zu verwirklichenden weiblichen Archetyp. Nur wenige Frauen sind vom Archetyp Junfgrau, und das durchaus sehr ansatzweise. Aber den höheren Menschen, apollinischen Frauen und Männern insbesondere, kann die Jungfrau in einer Gestalt erscheinen, aber auch in nicht-körperlicher Form: in einem Gedicht, in einem Gefühl, in der Musik.