Das
Tausendjährige Reich des Herrn begann in der Krise des 3. Jahrhunderts.
Gott, figurativ gesprochen, sandte die Cyprianische Pest, und konnte es
dicker nicht auftragen: es war wahrscheinlich Marburg, jedenfalls ein
Filovirus. Aus der Krise des 3. Jahrhunderts erstand kein spätantikes
Imperium Romanum, sondern ein christlich-mittelalterliches „oströmisches“
Reich. Das späte 3. und das ganze 4. Jahrhundert hindurch steigt das
Christentum aus seiner marginalen Existenz zur Dominanz auf. In Indien
derweil scheitert der Buddhismus: da alle fremden Eroberer der letzten
Jahrunderte Buddhisten waren, wird Buddhismus mit Fremdherrschaft
assoziiert und abgestoßen. Das klassische hinduistische Gupta-Reich
begründet ein goldenes Zeitalter Indiens, vergleichbar mit dem goldenen
christlichen Frühmittelalter von Konstantin bis Justinian.
Der Gott der Christen schenkt also nicht nur Europa, sondern der ganzen
indoarischen Rasse eine geile Zeit. Doch dann zürnt er wieder: 541 ist
es ihre Majestät Yersinia Pestis höchstpersönlich, die aufräumt. Der
oströmische Katechon übernimmt sich, das dritte goldene Reich des
magischen Zeitalters, das persische Sassanidenreich (wiederum zur
eigenen klassischen Religion zurückgekehrt: dem Zoroastrismus),
scheitert ebenfalls. Das Machtvakuum füllt der neugegründete Islam, der
von Iberien bis zum Indus die Herrschaft übernimmt. Zeitgleich steigt
das mächtige Tang-Reich in China auf: das sind die wahren Big Players
des Mittelalters, nicht die ersten Drei. Ein Gott, unbeständig wie das
Wetter, und letztlich hat die unbesiegbare Sonne doch nur die Gebete
erhört; die Menschen waren noch nie vorsichtig damit, wofür sie beteten.
Die 200-jährige biologische Dominanz des Pestbakteriums endet zeitgleich
mit dem Omijjaden-Kalifat und der eigentlichen Tang-Dynastie, die nach
der An-Lushan-Rebellion nie wieder zu alter Größe zurückfindet. Ab jetzt
laden die Tang-Kaiser Uiguren ein, um chinainterne Aufstände zu
unterdrücken, nebenbei plündern die Gäste die chinesischen Großstädte.
Schließlich zerstören die Kirgisen das Uigurenreich, gründen aber kein
eigenes. Ach ja, und der dritte Big Player neben den Tang und den
Omijjaden? Natürlich die Göktürken. Um 750 hört man auch von denen
nichts mehr. Die dritte Phase des Mittelalters beginnt. Die Geheime
Geschichte der Mongolen lässt die Khalkha-Mongolen, das Volk
Temudschins, von der mythischen Figur Bodoncar abstammen: die große
Krise des 10. Jahrhunderts hat in der Welt der Nomaden sogar die
Erinnerungen an die früheren Reiche getilgt. Xiongnu? Göktürken? Nie
gehört. Aber die Oghusen machen sich schon auf den Weg und in einem der
sprichwörtlichsten Niemandsländer der Welt, dem Territorium zwischen dem
Kaspischen Meer und dem Aralsee Zwischenstation.
Die Merowinger als eurasisches Spielzeuggroßreich der ersten Phase
werden von dem etwas weniger niedlichen Karolingerreich abgelöst, die
dritte Phase gehört nicht den Kapetingern, sondern dem großen Basileus von Konstantinopel und dem kleinen Otto dem Großen
von Sachsen. In der vierten Phase entsteht erst die westeuropäische
Zivilisation des Mittelalters: die großartigen Kathedralen in Frankreich
und Flandern, das Angevinische Reich, die Tigerstaaten des iberischen
Christianismus. Die treibende Kraft der vierten Phase in Europa sind die
Normannen: als England im Westen und Kiewer Rus im Osten nehmen sie
Europa in die Zange. Die militärische Schwäche und kulturelle Glanzzeit
Chinas während der Song-Dynastie fällt in ebendiese Zeit. Auch
wirtschaftlich ist das wehrlose China ein Gigant. Indien zerfällt in in
der Regel drei über den Subkontinent herrschende mittelgroße Reiche, bis
die Ghuriden die Dekadenzzeit des Hinduismus beenden und die islamische
Fremdherrschaft in Indien etablieren. Die islamische Welt selbst
zerfällt sukzessive ab dem frühen 8. Jahrhundert, der Islam als
wichtigste Religion des magischen Zeitalters gewinnt indessen die
Oghusen und andere Turkvölker, die der Welt des Islam zwar nicht die
Einheit, aber die militärische Dominanz zurückbringen. Die Kreuzzüge
scheitern. Chinas wirtschaftlich-kulturelle Arroganz scheitert. Die
Eroberung Nordchinas durch die Jurchen erweist sich als Blauphase für
den Untergang Chinas.
Das christliche Mittelalter ist welthistorisch ein östlich dominiertes
Zeitalter, das mit den großen drei Kaisern Aurelian, Diokletian und
Konstantin beginnt und mit dem Untergang der globalen mittelalterlichen
Welt im 13. Jahrhundert endet. Die Pest des 14. Jahrhunderts räumt nur
noch auf, die Zerstörung ist zu diesem Zeitpunkt schon geschehen. Da es
eine Zeit der Schwäche für Europa ist, da im Westen kein Großreich das
große Römerreich beerbt, wird die antike Tradition nicht zerstört,
sondern als dem magischen Zeitalter überlegen weitergeführt. Daran kann
der Humanismus des 14. Jahrhunderts anknüpfen. Das 1000-jährige Reich
des christlichen Mittelalters war also ein Urlaub Europas von der
Geschichte. Gut erholt kommt es schließlich zurück und erobert die
Welt.
Das Mittelalter
Phase 1: Magische Goldene Zeit
Mitte des 3. Jh. bis Mitte des 6. Jh.
Großreiche: Oströmisches Reich, Sassanidenreich, Gupta-Reich
Religiöse Dominanz: Christentum, Zoroastrismus, Hinduismus
Phase 2: Das sogenannte Frühmittelater
Mitte des 6. Jh. bis Mitte des 8. Jh.
Großreiche: Omijjaden-Kalifat, Tang-China, Göktürken-Großkhanat
Religiöse Dominanz: Islam, Buddhismus
Phase 3: Die Krise des Mittelalters
Mitte des 8. Jh. bis Mitte/Ende des 11. Jh.
Großreiche: keine; vielleicht Ostrom unter der Makedonischen Dynastie
Religiöse Dominanz: keine, stattdessen interne Kämpfe
Phase 4: Hochmittelalter
1066 oder 1071 oder 1095 bis Mitte des 13. Jh.
Großreiche: keine; viele mittelgroße Reiche wie in Phase 3
Religiöse Dominanz: keine, dafür Religionskriege (Kreuzzüge)