Samstag, 7. April 2018
Der verlorene Sohn
Wenn nichts mehr geht, dann geht der verlorene Sohn, er geht immer, geht, kommt wieder zurück, bereut, und zieht fort aufs Neue. Einmal ist keinmal, wenn es ums Probieren eines teuren Single Malts geht, man sollte einen Whisky immer zweimal probieren, bevor man ihn mit nach Hause nimmt. Einmal ist unendlichmal, wenn es um die verlorene Unschuld oder um den ausversehen atomar gesprengten Planeten geht. Einmal ist genau einmal, gilt für den verlorenen Sohn, - wenn es aber mehr als einmal wird, wird es sehr bedenklich.
Еs war ein schöner sonniger Sonntag, du erkanntest, dass dein ganzes Leben bisher völlig falsch lief, sinnlos war, nichts mit dir selbst zu tun hatte, und du selbst warst auch nicht du selbst, sondern mehr das Nichts zwischen zwei Pobacken. Du fandest an jenem Sonntag zu Gott, verlorener Sohn, und er freute sich biblisch darüber. Auch du hattest für den Rest des Tages gute Laune, und dann lief alles wie bisher. Einige Tage, Monate oder Jahre später erkanntest du, dass dein ganzes Leben bisher völlig falsch lief, sinnlos war, nichts mit dir selbst zu tun hatte... und so weiter, dreimal, viermal, zehnmal. Gott freute sich längst nicht mehr, sondern fühlte sich so, wie du dich an seiner Stelle fühlen würdest - vernichtet zwischen zwei Pobacken.
Nachdem man zu Gott gefunden hat, stellt man schnell fest, dass es übergenug Missionare gibt, eifrigere, freizeitgesegnetere als man selbst; und wem soll man nach über 1000 Jahren Christentum in Mitteleuropa die Frohe Botschaft noch verkünden? Wer von Christus noch nichts gehört hat, der hat absichtlich überhört, und wird sich weder von dir noch von diesen Irren dort bekehren lassen. Es gibt im globalen Informationszeitalter missionarisch wie inquisitorisch nichts zu tun. Wohltätigkeit, politisches und soziales Engagement - schön und gut, aber tut nichts zur Sache, vor Allem weil man feststellt, dass, egal in welche Richtung man sich engagiert, es viele GlaubensbrüderInnen geben wird, die sich aus genau demselben Glauben wie du für das genaue Gegenteil engagieren. Zur Sache, denkt man letztlich, tut, dass man in sich gehe und sein Leben ändere. Geändert. Aber nichts hat sich geändert, nur dein Leben, und es vergeht nach der Änderung nicht viel Zeit, bevor dein Leben dem unveränderten Nichts nachgibt, um sich selbst zu erhalten.
Der verlorene Sohn ist ein Stadionläufer, der immer im Kreis läuft, und erst durch einen Kreislaufkollaps zu laufen aufhört; die Sinnlosigkeit seines Lebenswandels ähnelt dem großen Sisyphos wie dem kleinen Hamster. Im Hamsterrad wird gelaufen, um die Tatsache der Gefangenschaft zu verdrängen, Sisyphos ist ein glücklicher Existentialist. Der verlorene Sohn ist ein hysterischer Sklave der Doktrin des Aktionismus, es Tun- und Ändernmüssens um des Tuns Willen. Hat sich seit seiner Wiederkehr nichts verändert, so verliert er sich im Gefühl, sich wieder verloren zu haben. Verändert sich etwas, wird das Anders nach und nach zum So, und der hysterische Kreislauf geht wieder los.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn geht ins Leere, wenn dieser bei seiner Heimkehr das Letztere vorfindet; er kommt nie wirklich zu Hause an. Das, was ihm von der populärnihilistischen Theologie als Heimkehr angedreht wird, ist der bloße Entschluss zur Heimkehr, der aber nicht realisiert werden kann, solange er für die Tat selbst gehalten wird. Wie kann der verlorene Sohn jemals zu Hause ankommen, wenn er an dieses Zuhause nicht wirklich glaubt, sondern die Geschichte vom verlorenen Sohn nur als Metapher zu verstehen gelernt hat? Es ist freilich nicht so, dass sobald man zum Christentum gefunden hat, der in all den Jahren zuvor aufgesogene Nihilismus durch eine jedem geläufige Betätigung des Nichts zwischen den Pobacken auf einmal entweicht, - er bleibt vielmehr weiterhin im Kopf und bestimmt unbewusst dessen Denkstrukturen, es sei denn, man beginnt mit der schwersten Arbeit, die es gibt, dem Denken des Denkens, dem Hinterfragen dessen, woran man wirklich glaubt, und auf welchem geistigen Fundament man seine Kirche gebaut hat, wenn sie immer wieder einstürzt.