Mittwoch, 25. April 2018

Die bogengebogene Bedürfnispyramide





Warum macht die höchste Stufe der philosophischen Erkenntnis bedürfnislos, warum zieht sich Diogenes in ein Fass zurück? Warum wirkt der hehrste Denker des moralischen Individualismus, Kant, mit seinen Postulaten der praktischen Vernunft wie ein Versicherungsvertreter? Weshalb läuft der hedonistische Individualist ständig in die Falle, mehr allen anderen zu gleichen, je mehr er sich von ihnen unterscheiden will?

Maslows Bedürfnispyramide kann auch als Wilberscher Bogen gedacht werden: links die Prä-Stufen und rechts die Trans-Stufen. (1) Präexistenziell ist der Kampf ums Überleben und die Erfüllung fundamentaler Grundbedürfnisse. Transexistenziell ist die Suche nach der Weltformel und dem Sinn des Lebens. Im präexistenziellen Bereich läuft man Gefahr, nicht überleben zu können, im transexistenziellen Bereich, nicht mehr leben zu wollen. Der Hungertod des geplünderten mittelalterlichen Bauern und der Suizid des verzweifelten Denkers sind von gleicher existenzieller Intensität, nur stehen sie auf verschiedenen Stufen der gebogenen Pyramide.

(2) Der moralische Selbstwert und die Sicherheit des Einzelnen in der Gruppe sind zwei Seiten derselben Münze. Die äußere Daseinsberechtigung wird durch soziale Anpassung hergestellt und befriedigt Maslowsche Sicherheitsbedürfnisse, die innere Daseinsberechtigung wird durch den moralischen Selbstwert verbürgt. Der Außenseiter ist äußerlich nicht sicher, wer moralisch nicht mit sich im Reinen ist, ist unwirklich, und verpasst das Maslowsche Ziel der Selbstverwirklichung. (3) Der hedonistische Individualist ist Gemeinschafts- und geltungsbedürftig, der idealistische Individualist strebt nach Anerkennung. Auch hier ist die Prä-Stufe äußerer und die Trans-Stufe innerer Natur. Der Bogen biegt sich mitten in Kohlbergs konventioneller Ebene der Gewissensentwicklung: den Übergang markiert die Individualitätsreise von der sozialen Zugehörigkeit zur individuellen Freiheit.

Entwicklungspsychologisch gesehen ergibt sich das folgende Bild: (1) Der Säugling will die Titte, (2) das Kind will Sicherheit, (3) der Teenager will irgendwo dazugehören, (3) der junge Erwachsene schafft sich seine Identität und Zugehörigkeit selbst, (2) der Erwachsene verteidgt seine Integrität und lebt nach moralischen Werten, (1) der Greis fragt sich nach dem Sinn des Lebens angesichts des kommenden Todes.

Werden die Bedürfnisse erfüllt, schlummert der Säugling zufrieden vor sich hin, und wer seinen Durst nach dem harten Training gelöscht hat, erlebt ein bodenständiges Zufriedenheitsgefühl; der Erleuchtete wird bedürfnislos und transzendiert die Welt (1). Das nicht gemobbte Kind kann sich auf das Lernen konzentrieren, der ausgewanderte Russe gründet ein Unternehmen, weil es im angelsächsischen Land seiner Wahl Rechtssicherheit gibt; der große Moralphilosoph vertraut darauf, dass die Würdigkeit, glückselig zu sein, im Jenseits zur Glückseligkeit führen muss (2). Der identitätsuchende Teenager sucht sich individuelle Vorbilder im Showbusiness, und wird zum dreimillionsten Fan einer Rockband, während der junge Umweltaktivist durch seinen individuell gewählten Lebensstil in einem bestimmten Milieu aufgeht, und dessen Lebensweise unmerklich übernimmt; der Mönch, der der weltlichen Gemeinschaft den Rücken kehrt, findet sich in der klösterlichen Gemeinschaft mit deren Regeln wieder, und die höchste Spitze der Individualität erweist sich als der neue Anfang einer Gruppenzugehörigkeit (3).



Dienstag, 24. April 2018

Edler Rückzug





Die Pathologisierung des Suizids kann zu Amokläufen führen, denn wird dem Lebensmüden der edle Rückzug ohne psychologische Abwertung und soziale Erniedrigung verwehrt, wird er sich stattdessen an einzelnen Menschen oder an der Gesellschaft rächen. Das Leben ist ungerecht und kann grausam sein. Menschen können aber auch erkennen, dass andere ihnen ein großes Übel aus Schwäche, und nicht aus Bosheit angetan haben, was jedoch den angerichteten Schaden nicht wiedergutmacht. Ein Erwachsener, der vergeben hat, wird die geraubte Kindheit nicht zurückbekommen, und hat nicht die Möglichkeit, als 11-Jähriger weiterzuleben, um all die guten Erfahrungen nachzuholen, die ihm gestohlen wurden. Was soll er tun, sich rächen? Und dann? Und wenn er die Weisheit und Größe hat, die Sinnlosigkeit der Rache zu erkennen?

Man kann entweder den Suizid pathologisieren oder die Rache verdammen, aber wenn man beides tut, lässt man dem Geschädigten keinen Ausweg. Wo es keinen richtigen Weg gibt, gibt es auch keinen falschen. Wenn der Suizid schlecht ist, ist die Rache gut; ist die Rache schlecht, muss der stille Rückzug akzeptiert und respektiert werden. Nicht alle Wunden heilen, und die Behauptung einer Pflicht, ein kaputtes Leben bis zum würdelosen fremdbestimmten Ende weiterzuleben, verstößt gegen das Recht auf Leben, welches zuvörderst ein Selbstbestimmungsrecht ist. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn der Suizid als edler Rückzug respektiert würde, doch leider dominiert bislang die Meinung von Sadisten, die dem „Selbstmörder“ Feigheit und „Angst vor dem Leben“ vorwerfen. In der Suizidfrage richtet sich die öffentliche Meinung nach dem scheußlichen Geschwafel von Narzissten und Soziopathen.

Beschlösse meine bescheidene Wenigkeit, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, so könnte dieser Entschluss durch wohlgemeinte Ratschläge nicht umgekehrt werden, denn er wäre wohlüberlegt. Zwangsmaßnahmen zur Suizidprävention würde ich als Folter empfinden, und mit dem Recht auf Notwehr meinen selbstgewählten Tod genauso wie mein Leben im Falle eines Angriffs mit äußerster Gewalt verteidigen. Um verantwortungslose Gutmenschen davon abzuhalten, andere der Gefahr auszusetzen, durch meine rechtmäßige Notwehr verletzt oder getötet zu werden, müsste ich meinen Rückzug aus dem Leben heimlich planen, und wäre der Möglichkeit, mich von meinen Freunden angemessen zu verabschieden, beraubt. Wer gehen will, den kann man nicht aufhalten; der Wille bahnt sich seinen Weg. Man kann aber den Suizid enttabuisieren und den Umgang damit humaner gestalten, sodass nicht Beschämung und Hysterie bei diesem Thema den Ton angeben, sondern Empathie und Vernunft.   

Der Tod, auch der selbstgewählte, gehört zum Leben dazu. Wer das Leben bejaht, bejaht auch die Möglichkeit eines selbstverschuldet, fremdverschuldet oder am Schicksal scheiternden Lebens. Wer Mut zum Leben hat, hat auch den Mut, aus dem Scheitern Konsequenzen zu ziehen. Die Freiheit ist ein höherer Wert als das Leben selbst; die feige und passive Haltung bei der Tabuisierung des selbstbestimmten Lebensendes ist pathologisch, nur der rationale Umgang mit dem Thema Suizid ist gesund und lebensbejahend.


Montag, 16. April 2018

Endliche Werte





Brauchen wir Gott, um moralisch zu handeln? Mitnichten. Wir können ja so tun, als ob es einen höheren Sinn gäbe, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen, und wenn sich alle an das Drehbuch des großen Als-Ob-Theaters halten, sind alle glücklich. Aber was, wenn einer Pech hat, und es ihm so richtig dreckig geht? Er spielt nicht mehr mit, und hat, Licht der Vernunft wieder an, nicht einmal Unrecht. Und wenn einer anfängt nachzudenken, warum dies gut und jenes böse ist, und ob es nicht ganz anders sein könnte?

Es geht hier keineswegs darum, die Unmöglichkeit moralischer Werte ohne Gottesbezug aufzuzeigen, im Gegenteil. Wenn es nichts Höchstes, Heiliges gibt, können wir uns auf unser Gewissen zwar bei Sinnen, aber nicht mehr sinnvoll berufen. Gibt es noch Werte, wenn sie in keinem Bezug zum höchsten Wesen stehen? Natürlich. Wir wollen Lust empfinden und Unlust vermeiden. Wer einmal schwer krank war, dem werden diese hedonischen Werte nicht so banal vorkommen, wie einem Elterzweisöhnchen von einem Diskurswicht, der Folgendes nicht verstehen kann oder will: so wie die Kirche all die zivilisatorischen und moralischen Fortschritte, die ihr in schwerem Kampfe abgerungen wurden, am Ende auf ihre Fahnen schrieb, lässt der Atheismus die transzendenten Voraussetzungen der Unhinterfragbarkeit absoluter moralischer Prinzipien mitgehen, ohne dass der naive Laizismuslaie weiß, woher sie kommen.

Es gibt ein Machtproblem: der Staat, die zweitgrößte Machtstruktur nach den Banken, sperrt die kleinen Schurken ein und arbeitet mit den großen (siehe die größte Machtstruktur) zusammen. Es gibt nun kein allerhöchstes Wesen, welches das auf Erden fabrizierte Unrecht wieder geraderückt, mit anderen Worten: es wird nicht alles gut. Wer hier schlucken muss, wird den unheiligen Samen des Kirchenamtsmissbrauchers eher schlucken wollen, als mit dieser feiglingsfeindlichen Konsequenz der Gottlosigkeit zu leben. Das Gute ist nicht allmächtig, die Gerechtigkeit ist, wie übrigens auch das Recht, durch nichts Höheres als die Gunst der großen Schurken verbürgt. Male ich die Welt schwarz? Wer an einer Eigenverantwortungsallergie leidet, sieht vielmehr selbst Schwarz. Ich sage nur in - nein nicht rosa - Prosa, wie diese Welt ist, ohne sie nach absoluten moralischen Prinzipien für schlecht zu befinden, denn wir wollen ja ohne solcherlei Dichtung vom höchsten Wesen auskommen.

Es lässt sich so schön Atheist sein, wenn man weiß, dass die Anderen brav an einen Weihnachstmann im Himmel glauben, der mit seiner Allmacht dafür steht, dass am Ende alles gut wird, die Bösen bestraft und die Guten belohnt, - ohne die Möglichkeit eines Justizirrtums. Was, wenn keiner mehr an die schützende und für Recht sorgende Hand von Oben glaubt, sprich alle erwachsen geworden sind? Was tröstet Elter 1 und Elter 2 noch, wenn ein bestialischer Verbrecher, der ihr Kind gequält und ermordet hat, niemals seine gerechte Strafe bekommt, sondern die Tat bis zu seinem Lebensende in Gedanken immer und immer wieder genießen kann, um wie alle anderen guten oder bösen Menschen friedlich oder qualvoll - aber ohne das rechte Gericht danach - zu entschlafen? Die Rache wird den Geschädigten nie so viel Genuss und Freude bereiten, wie die Tat dem Täter bereitet hat. Was tun mit schweren und erniedrigend banalen Schicksalsschlägen? Welchen Sinn hat das Leben?

Gute Frage. Weiß man denn die Antwort, wenn man an ein höheres Wesen glaubt? Nein. Abstrakt ja, aber für sich konkret niemals, und darauf kommt es an. Abgesehen von Irren, die meinen, mit Gott von Angesicht zu Angesicht gesprochen und von ihm eine Lebensaufgabe bekommen zu haben, weiß kein transzendenzunbeschnittener Mensch, was er mit seinem Leben anfangen soll. Eine Religion, die so etwas vorschreibt, ist eine trügerische Ideologie, und hat mit Transzendenz nichts zu tun. Es ändert sich im WesentlICHen nICHts. Der Einzelne muss - ob mit oder ohne einen Transzendenzbezug - den Sinn seines Lebens, seine Prinzipien, seine Werte immer mit sich selbst ausmachen; man fragt ja auch nicht Gott, ob man an Gott glaubt, sondern sich selbst.

Dasein und Verlust der Transzendenz sind keine statischen Zustände: wer nur Eines kennt, und das Andere nie erfahren hat, hat nie gelebt. Wenn Gott will, dass ich mich von ihm entferne, dann gehe ich in die Gottesferne, sagt ein Apostel. Wenn ich der Welt das Licht bringen soll, muss ich von Gott fortgehen, weiß ein Engel. Wenn ich im Innersten meines Wesens, im tiefsten Grunde meines Ichs ohne ein Warum nicht weiß, was gut und was böse ist, was schön und was hässlich ist, wenn mir in meinem Herzen egal ist, was wahr und was falsch ist, wird es mir keiner jemals beibringen können - weder die eigene Lebenserfahrung noch ein höchstes Wesen.

Dienstag, 10. April 2018

Flaschenhals der Abstraktion





Gott - woran denkt man dabei? Nein, nicht Denken im Sinne von Denken - man sagt gewöhnlich Denken, meint aber Vorstellen. Gott - was stellt man sich darunter vor? Wohl kaum das allerrealste Wesen, das absolute Subjekt, die höchste Idee, das unbewegt Bewegende, den unerschaffenen Grund allen kreatürlichen Seins. Nein, unter Gott stellt man sich den Weihnachtsmann vor, einen barmherzigen Richer, unterbewusst den eigenen Vater, und wenn man Glück hat, sein eigenes idealisiertes Selbst.

Voller Vorurteile über die bösen Deutschen kommt ein Franzose, ein Engländer, ein Amerikaner um das Jahr 1970 in die Bundes- (nicht in die Demokratische) Republik und erfährt, dass die Deutschen ganz anders sind. Das, was du über einen bestimmten Menschen denkst, hat erst dann etwas mit diesem Menschen selbst zu tun, wenn du ihn kennenlernst, - oder er bleibt eine Projektion deiner Vorurteile und früherer Erfahrungen - selbstredend nicht der Erfahrungen von dieser einen Person. Wie Fallschirmspringen ist, erfährt man, wenn man Fallschirm springt. Und wie Gott ist, erfährt man, wenn man eine Erfahrung mit ihm macht, ihm begegnet.

Bloss nicht! Da eine Gotteserfahrung zwangsläufig durch etwas anderes als Gott selbst vermittelt ist - durch andere Menschen, durch bewusstseinsverändernde Drogen, durch die Art der Meditation, durch die Inbrunst des eigenen Glaubens, durch die fokussierte Einbildungskraft, ist sie niemals eine Erfahrung Gottes. Gott kann man nicht erleben wie einen Menschen oder einen Sonnenuntergang. Gott bleibt der Sinnenwelt transzendent, und an dieser Wahrheit ist die Seriösität jeder Kirche zu messen. Wer eine unmittelbare Begegnung mit Gott verspricht, der hat nicht selbst Gott erlebt, sondern sie nicht mehr alle.

Wer nicht bereit ist, von allem Sinnlichen zu abstrahieren, oder gar ein empirisches Kriterium der Wahrheit postuliert, sollte sich wahrheitsgemäß zum Atheismus bekennen. Eine Welt, in der der Geist, das Übersinnliche, nur als ein Epiphänomen neuraler Prozesse existiert, ist keine reale Welt, und darum hat das allerrealste Wesen in ihr nichts verloren: wenn das Übersinnliche eine Illusion ist, dann muss es ein übersinnliches Subjekt geben, das diese Illusion hat: ein Ich kann man nicht messen und nicht anfassen, aber wenn es falsche Vorstellungen, Illusionen haben kann, dann muss es auch existieren; wenn aber nur sinnlich Greifbares, Messbares, Materielles existieren kann, so existiert entweder die Welt selbst nicht, oder das Ich als Übersinnliches ist real.

Gott ist nicht einfach das Größte, Schönste oder Wohltuendste, was sich einer vorstellen kann. Für die Vorstellung ist Gott nichts, da Gott nicht als Gegenstand vorgestellt werden kann. Wer nicht begrifflich denken kann, ist zwingend Nihilist, denn wenn er sich unter Gott nichts vorstellen kann, muss er sich das Nichts als Gott vorstellen.

Die Vorstellung von Gott muss durch einen Flaschenhals der Abstraktion hindurch, will man Gott erkennen. Will man aber nicht das absolute Sein begreifen, das realste Wesen denken, sondern das Einlullendste, das tröstende, das führende und aufpassende, das babysittende Wesen, so stelle man sich selbst gleich als Schaf vor: Gott ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.

Samstag, 7. April 2018

Der verlorene Sohn





Wenn nichts mehr geht, dann geht der verlorene Sohn, er geht immer, geht, kommt wieder zurück, bereut, und zieht fort aufs Neue. Einmal ist keinmal, wenn es ums Probieren eines teuren Single Malts geht, man sollte einen Whisky immer zweimal probieren, bevor man ihn mit nach Hause nimmt. Einmal ist unendlichmal, wenn es um die verlorene Unschuld oder um den ausversehen atomar gesprengten Planeten geht. Einmal ist genau einmal, gilt für den verlorenen Sohn, - wenn es aber mehr als einmal wird, wird es sehr bedenklich.

Еs war ein schöner sonniger Sonntag, du erkanntest, dass dein ganzes Leben bisher völlig falsch lief, sinnlos war, nichts mit dir selbst zu tun hatte, und du selbst warst auch nicht du selbst, sondern mehr das Nichts zwischen zwei Pobacken. Du fandest an jenem Sonntag zu Gott, verlorener Sohn, und er freute sich biblisch darüber. Auch du hattest für den Rest des Tages gute Laune, und dann lief alles wie bisher. Einige Tage, Monate oder Jahre später erkanntest du, dass dein ganzes Leben bisher völlig falsch lief, sinnlos war, nichts mit dir selbst zu tun hatte... und so weiter, dreimal, viermal, zehnmal. Gott freute sich längst nicht mehr, sondern fühlte sich so, wie du dich an seiner Stelle fühlen würdest - vernichtet zwischen zwei Pobacken.

Nachdem man zu Gott gefunden hat, stellt man schnell fest, dass es übergenug Missionare gibt, eifrigere, freizeitgesegnetere als man selbst; und wem soll man nach über 1000 Jahren Christentum in Mitteleuropa die Frohe Botschaft noch verkünden? Wer von Christus noch nichts gehört hat, der hat absichtlich überhört, und wird sich weder von dir noch von diesen Irren dort bekehren lassen. Es gibt im globalen Informationszeitalter missionarisch wie inquisitorisch nichts zu tun. Wohltätigkeit, politisches und soziales Engagement - schön und gut, aber tut nichts zur Sache, vor Allem weil man feststellt, dass, egal in welche Richtung man sich engagiert, es viele GlaubensbrüderInnen geben wird, die sich aus genau demselben Glauben wie du für das genaue Gegenteil engagieren. Zur Sache, denkt man letztlich, tut, dass man in sich gehe und sein Leben ändere. Geändert. Aber nichts hat sich geändert, nur dein Leben, und es vergeht nach der Änderung nicht viel Zeit, bevor dein Leben dem unveränderten Nichts nachgibt, um sich selbst zu erhalten.

Der verlorene Sohn ist ein Stadionläufer, der immer im Kreis läuft, und erst durch einen Kreislaufkollaps zu laufen aufhört; die Sinnlosigkeit seines Lebenswandels ähnelt dem großen Sisyphos wie dem kleinen Hamster. Im Hamsterrad wird gelaufen, um die Tatsache der Gefangenschaft zu verdrängen, Sisyphos ist ein glücklicher Existentialist. Der verlorene Sohn ist ein hysterischer Sklave der Doktrin des Aktionismus, es Tun- und Ändernmüssens um des Tuns Willen. Hat sich seit seiner Wiederkehr nichts verändert, so verliert er sich im Gefühl, sich wieder verloren zu haben. Verändert sich etwas, wird das Anders nach und nach zum So, und der hysterische Kreislauf geht wieder los.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn geht ins Leere, wenn dieser bei seiner Heimkehr das Letztere vorfindet; er kommt nie wirklich zu Hause an. Das, was ihm von der populärnihilistischen Theologie als Heimkehr angedreht wird, ist der bloße Entschluss zur Heimkehr, der aber nicht realisiert werden kann, solange er für die Tat selbst gehalten wird. Wie kann der verlorene Sohn jemals zu Hause ankommen, wenn er an dieses Zuhause nicht wirklich glaubt, sondern die Geschichte vom verlorenen Sohn nur als Metapher zu verstehen gelernt hat? Es ist freilich nicht so, dass sobald man zum Christentum gefunden hat, der in all den Jahren zuvor aufgesogene Nihilismus durch eine jedem geläufige Betätigung des Nichts zwischen den Pobacken auf einmal entweicht, - er bleibt vielmehr weiterhin im Kopf und bestimmt unbewusst dessen Denkstrukturen, es sei denn, man beginnt mit der schwersten Arbeit, die es gibt, dem Denken des Denkens, dem Hinterfragen dessen, woran man wirklich glaubt, und auf welchem geistigen Fundament man seine Kirche gebaut hat, wenn sie immer wieder einstürzt.