Freitag, 30. März 2018

Glauben bedeutet Zweifeln





Wer glaubt, wird selig - oder ist es bereits? Jedenfalls sind alle Schafe selig. Wer nicht denkt, muss alles glauben. Was ist mit einem denkenden Menschen, der nicht an Beliebiges glauben will, dem die christlichen Dogmen unglaubwürdig und widersprüchlich vorkommen? Ist der Verstand ein Verführer und darum aus dem Christentum zu verbannen? Ein sehr gläubiger Christ sagte einmal, man sollte sich als Christ niemals mit Psychologie und Philosophie beschäftigen, dann könne man nämlich nicht mehr an Gott glauben. Im Mittelalter dachten die Theologen, der Verstand bewirke genau das Gegenteil, er würde den Menschen nicht von Gott abbringen, sondern ihn in seinem Glauben festigen.

Wer einmal gedacht hat, dem fällt das Nichtdenken schwer. Das Denken aber - soweit es kein bloß assoziatives Reflektieren ist - begnügt sich nicht mit plausiblen Argumenten, es will letztlich wissen. Wer denkt, weiß von etwas Bestimmtem, dass er es entweder weiß oder nicht weiß. Wenn ich weiß, dass es Gott gibt, brauche ich nicht daran zu glauben. Wenn ich weiß, dass es Gott nicht geben kann, ist es widersinnig, zu glauben. Wenn ich weiß, dass ich nicht wissen kann, ob es Gott gibt, kann ich erst im eigentlichen Sinne glauben.

Was war die Verfehlung des ungläubigen Thomas? Es heißt:

"Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" (Johannes 20,29, Luther 1984).

Thomas wollte das, woran er glauben sollte, wissen. Wer aber etwas weiß, braucht nicht mehr daran zu glauben. Was wäre denn passiert, wenn Jesus ihm den Beweis seiner Göttlichkeit verweigert hätte? Nun, dann hätte Thomas es nicht gewusst, oder aber das Gegenteil als wahr gewusst - je nach Weltanschauung und Temperament.

Was ist am Wissen so unerotisch? Warum fordert Jesus den Glauben, anstatt von Anfang an einen unwiderlegbaren Beweis vorzulegen? Es liegt an der Beziehung des Wissenden zum Gegenstand seines Wissens: es ist keine lebendige, befruchtende, dynamische Beziehung, sondern eine bewegungslose, tote, abgeschlossene.

Das Wissen unterscheidet also Wissen und Nichtwissen, tertium non datur. Beides - Wissen wie Nichtwissen - gehört aber zum Wissen: das Nichtwissen ist ein Gewusstes, somit ein (negatives) Wissen. Wer glaubt, weiß nicht, ob es wahr ist (nicht dass es wahr oder unwahr oder unwissbar ist) - er zweifelt. Der Zweifel gehört zum Glauben wie das Nichtwissen zum Wissen. Der Zweifel ist das Fruchtbare am Glauben, das Lebendige, ein Forum, in dem sich Mensch und Gott im Dialog befinden.

Der ungläubige Thomas ist nicht aufgrund seines Zweifelns gerügt worden, sondern weil er einen Beweis gefordert hatte - er wollte Gott zum Gegenstand seines Wissens machen. Gott, der Geist ist, steht aber nicht gern in der Gegend herum. Gott will, dass wir glauben, und somit will er, dass wir zweifeln, denn nur so können wir in einen lebendigen Dialog zu ihm treten. Im Wissen wie im Nichtwissen ist der Mensch nicht frei - sein Wissen, das tote Faktum, bestimmt sein Denken und sein Leben. Im Glauben und im Zweifeln ist der Mensch so frei, dass er Gott erkennen kann - nicht als Tatsache, sondern als Person.

Selig, die glauben und zweifeln. Und auch die, die nur zweifeln.

Mittwoch, 28. März 2018

Wiedersehen nach dem Tod





Jeder verliert irgendwann die Großeltern, dann die Eltern, schon früh den Hund oder die Katze an den Sensenmann - in einer Gesellschaft, in der Hunde und Katzen für liebenswürdiger als Kinder erachtet werden (Kinder sind für die Demographie da, Hunde und Katzen für Liebe und Fürsorge), sollte dieses Präludium nicht zynisch verstanden werden.

Über meinen ersten großen Verlust, den Tod unserer Katze, hat mich der trostlose Alltag in der als Verbannung erlebten südsibirischen Steppe hinweggetröstet, aber gewöhnlich möchte man einen Trost erfahren, der nicht in noch Schlimmerem besteht, als es der Verlust schon ist. Es sorgt außerdem mehr für Verbitterung denn für den Seelenfrieden des am Leben Hinterbliebenen, wenn man ihm einredet, dass alles noch schlimmer hätte kommen können, als es ohnehin schon ist.

Der erste tröstende Gedanke, der mir einfällt, ist - kein Wunder - hochspekulativ. Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung organischen Lebens im Universum ist ungefähr so hoch, wie der wöchentliche Hauptgewinn im Lotto ein ganzes Leben lang, gut, vielleicht etwas höher. Dass dieses Leben auch noch seiner Selbst bewusst wird, über sich selbst nachdenkt und über seine Toten trauert, ist gefühlt unmöglich. Dennoch ist es passiert.

Wenn wir schon einmal aus dem Nichts entstanden sind, warum nicht wieder? Das eigentliche Wunder des Lebens besteht nicht im Unwahrscheinlichen, sondern im Unmöglichen - in der sogenannten Emergenz neuer Seinsqualitäten, die aus vorherigem Sein nicht abzuleiten sind. Das Bewusstsein enstand spontan, aber ebenso das Leben, und schließlich auch das Sein. Die Entstehung aus dem Nichts ist Tatsache, also ist das Nichts womöglich nicht so schrecklich und endgültig, wie es uns vorkommt.

Falls das Nichts nach dem Tod jedoch endgültig ist, und kein Toter, in welcher Form auch immer, jemals wiederkommt, wenn wir unsere Toten nie wieder sehen werden, selbst nach unserem eigenen Tod nicht, wenn also weder wir noch die die wir lieben nach dem Tode sein werden, dann wird auch die Trauer und der Verlust nicht mehr sein. Im Nichts werde ich meiner Katze viel näher sein, als ich ihr im Sein jemals sein konnte. Aber auch die Menschen werden nicht zu kurz kommen, ja selbst das Mädchen, in das ich heimlich verliebt war, wird, sobald wir beide tot sind, in Ewigkeit mit mir vereint sein. Selbst wenn es mir nicht wirklich angenehm wäre. Übrigens wird auch Feindesliebe nach einem nihilistenfreundlichen Tod ein Kinderspiel.

Wir sehen, nichts ist einfacher als das Nichts. Nichts vereint und nichts tröstet mehr, als der Trost der absoluten unterschiedslosen Vernichtung. Nachts auf dem Friedhof sind alle Toten gleich. Da ist es doch ein Ärgernis, dass wir laut der christlichen Offenbarung alle wiederauferstehen werden, sogar leiblich. Es wird weiter Streit und Eifersucht und Beziehungsprobleme geben, wir und unsere Liebsten werden uns bzw. sich weiter verändern bis wir sie bzw. sie uns nicht mehr so wirklich lieben. Wo Leben ist, ist Veränderung. Wo Leben ist, ist die Liebe vergänglich. Wer ein ganz Harter ist, wer gern mit der Zigarette im Mundwinkel auf dem Bordstein sitzt und weiß, dass er wieder einmal alles verbockt hat, für wessen Ohren der Satz: "Mann, wir sitzen tief in der Scheiße!" klassische Musik ist, der lasse seine Sucht nach der nihilistischen Schlaftablette heilen und lebe weiter, auch nach dem Tod. Möge jeder von uns das senilsensible Alter erreichen, in dem bereits der Duft frischer Apfelsinen eine Lebensfreude auslöst, die sich mit dem Satz "Nirwana - nein, danke!" ziemlich gut ausdrücken lässt.

Dienstag, 27. März 2018

Was brennt da in der Hölle?





Ist der Atheismus ein Humanismus? Ein sechsjähriges Kind mit einer reichen Phantasie fragt seine Mutter, was es mit Himmel und Hölle auf sich habe. Die Mutter antwortet, es sei sinnlos, darüber zu sprechen, denn "wir" kommen eh alle in die Hölle, da "wir" Atheisten sind. Bevor noch das Kind sich ein eigenes Urteil über Gott und die Welt hat bilden können, wird es einem atheistischen "Wir" zugerechnet und kommt in die Hölle. Später richtet sich die Wut des heranwachsenden Kindes gegen das grausame und inhumane Christentum, - das leichtfertige und hochgiftige Wort des spöttischen Atheismus hat gewirkt.

Die Psychologie der atheistischen Erziehung unterschreitet die begriffliche Höhe unseres Gegenstandes; es sei nur angemerkt, dass eine negativistische Erziehung, die keine positiven Werte vorgibt und vorlebt, sondern sich allein gegen etwas positioniert, sich selbst, und nicht das Christentum oder das Heidentum ad absurdum führt. Man muss nicht zwangsläufig an einen Gott glauben oder einer Konfession angehören, um sich die Frage nach den klimatischen Bedingungen des Lebens nach dem Tode zu stellen. Stell dir doch vor, du würdest nicht existieren. Wenn du es dir vorstellen kannst, dann stellst du es dir falsch vor - du trittst aus dir heraus und betrachtest deine Nichtexistenz als eine äußere Tatsache, wobei du selbst in der Vorstellung deiner Nichtexistenz weiterhin existierst - als Geist ohne Körper.

Es fällt leichter, sich ein Leben nach dem Tode vorzustellen, als sich vorzustellen, man hörte nach dem Tod auf zu existieren. Das Leben ist immer ein Bestimmtes, und die einfachste Bestimmung eines Lebens, über dessen Dasein hinaus nichts gesagt werden kann, ist die Bestimmung dieses Lebens als ein Glückliches oder ein Unglückliches. Der Frage, was dort im Himmel blüht, werden wir irgendwann bei besserem Wetter nachgehen. Heute, nach einem achtwöchigen Bauchfettfest der indiskreten nackten und unschöne Nacktheiten beleuchtenden Sonne, ist die Frage nach der Hitze der Hölle nicht im übertragenen Sinne aus der Luft gegriffen, sondern wörtlich.

"Es ist eine Frage, was in der Hölle brenne? Die Meister sagen gewöhnlich: Das tut der Eigenwille. Aber ich sage wahrlich: das Nichts brennt in der Hölle", sagt Meister Eckhart. Der Eigenwille, das Beharren auf dem eigenen Selbst selbst nachdem der Mensch ins allgemeine göttliche Wesen versetzt wurde, wird als die Hölle empfunden, sagt Schelling, der vorerst letzte christliche Mystiker. Meister Eckhart, in vielerlei Hinsicht sein Lehrer, ist offenbar anderer Ansicht: "Weil Gott und alle die, die im Angesicht Gottes sind, in der rechten Seligkeit etwas in sich haben, was die nicht haben, die von Gott getrennt sind, dieses Nichts allein peinigt die Seelen mehr, die in der Hölle sind, als Eigenwille oder irgend ein Feuer. Ich sage wahrlich: so viel Nichts dir anhaftet, so sehr bist du unvollkommen".

Was ist dieses Nichts? Das Nichts an sich selbst ist die Negation von Sein - nicht vom bestimmten Seienden, dessen Gegenteil das Nichtsein ist. Ist es dieses Nichts, das reinste und tiefste Nichts, das in der Hölle brennt? Ein Gleichnis von Meister Eckhart:

"Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das tut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich. Denn hätte meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und leisten kann, so hätte sie völlige Feuernatur. Wenn einer dann alles Feuer, das je brannte, nähme und auf meine Hand schüttete, so könnte es mich nicht schmerzen".

Das Nichts, um welches es sich hier handelt, ist also ein Nichtsein, welches dadurch entsteht, dass jedes bestimmte Seiende alles andere Seiende durch sein Selbstsein von sich ausschließt - ich bin ich und nichts Anderes. Seiendes ist weniger als Sein. Zum Sein verhält sich jedes Seiende als ein Nichts. Das absolute Sein, welches nichts außerhalb seiner hat, ist Gott, alles Seiende, das von Gott und somit von jedem anderen Seienden getrennt ist, ist Nichts.

Alles ist eitel, alles ist nichtig. Alles, was nicht imstande ist, seine Eitelkeit aufzugeben, und auf seiner Nichtigkeit beharrt, brennt in der Hölle. Die Eitelkeit ist aber nichts Anderes als der Eigenwille, woraus ersichtlich wird, dass Meister Eckhart nur seiner Eitelkeit zuliebe behauptet, etwas anderes zu sagen, als die christlichen Denker vor und nach ihm. Für uns Hitzegeplagte reicht fürs Erste der Gedanke, dass die Hölle ihrem Wesen nach keine willkürlich ersonnene Moralkeule sein kann; dass sie dazu missbraucht werden kann, ist genauso banal wie zutreffend.



Sonntag, 11. März 2018

Versinken





Wer meditiert, versinkt, denn er versenkt sich in die Versenkung, und wer sich in die Versenkung versenkt, versinkt. Meditation ist Weltflucht, aber die Wüste, der Wald, die Pagode sind immer noch Welt, - also verglebliche Flucht noch dazu. Keinem Naturgesetz kann man entfliehen, keinem Schicksal, nur in bescheidenem Maße sich selbst. Dieses Selbst aber ist nur die Maske, die das Ich vor der Welt trägt, - Ich bleibt es selbst, solange es existiert. Die Ich-Auflösung zu Lebzeiten ist eine Illusion. Wer meditiert, ist weder dem Nichts noch dem All näher als der, der tanzt, läuft oder fischt.

Wer beim Tanzen tanzt, beim Laufen läuft und beim Fischen fischt, meditiert. Er versinkt ins Tanzen, Laufen, Fischen. Wer beim Tanzen balzt, beim Laufen grübelt, beim Fischen telefoniert, versinkt nicht, sondern schwimmt oben auf den Wellen des Alltags. In der Wahrnehmung des Alltagsbewusstseins zieht die Schwerkraft hoch statt runter - die ganze Welt erscheint verkehrt. In der Einerleiheit des oberflächlichen Nichtfischnichtfleisch ist der Alltagsmensch versunken, und in die Versunkenheit hinein kann man nicht mehr sinken, also spricht er vom Versinken, wenn er das Auftauchen meint.

Aus der diffusen Verlorenheit an die Zukunft taucht der Versinkende in das bewusste Jetzt auf. Während der Alltagsmensch vor der Vergangenheit wegläuft und der Zukunft nachrennt, lebt der meditierende Mensch im Jetzt, ohne es festzhalten. Er taucht auf aus der unterschiedslosen Einöde des allgemeinen abstrakten Jetzt ins konkrete erlebte Jetzt, er wacht auf aus dem ewigen Schlummer in den Tag des Bewusstseins, des bewussten Seins.

Ich-sein ist der Wachzustand, Man-sein ist die Versunkenheit. In den Evangelien trifft man durchweg auf einen Christus, der nicht die Alltagsfrömmigkeit gutheißt, sondern auffordert, alles stehen und liegen zu lassen, und ihm jetzt nachzufolgen. Wer nicht jetzt für das Jetzt bereit ist, wird kein Jetzt erleben. Wer noch etwas vor hat, wird dem Jetzt nachrennen müssen. Das Leben ist keine Bilanzrechnung, das Leben ist jetzt; jeder bekommt, was er jetzt verdient, weshalb alle Arbeiter am Weinberg gleich entlohnt werden. Nicht wie lange du lebst, sondern dass du jetzt lebst, macht die Fülle des Lebens aus. Es ist zu einfach, um es verstehen zu können, - was man verstandesmäßig hierbei zu verstehen imstande ist, ist eine Banalität, die keine Erkenntnis beinhaltet. Es gibt auch nichts zu verstehen - das Leben ist kein Verstehen, es ist ein Leben.

Samstag, 3. März 2018

Die Heteronomiefalle





Eines schönen Sommertages auf dem Territorium des sibirischen Trapps und im autogeologischen Kindesalter wachte ich früh und voller Freude auf, um im Garten Himbeeren zu plücken, was die Aufgabe dieses Tages war, und durchaus viele Stunden Geduldsarbeit erforderte. Kaum hatte ich mit der Arbeit begonnen, wurde ich angeschimpft und gezwungen, wieder schlafen zu gehen. Nach einer Stunde quälender Langeweile schlief ich endlich ein, wurde zwei Stunden später geweckt, und zum Himbeerenpflücken geschickt. Die Arbeit, die ich drei Stunden früher noch voller Freude begonnen hatte, wurde zur Qual, und ich verbrachte einen lustlosen Sommertag im Garten. Was ich damals nur intuitiv verstand, konnte ich erst nach vielen Jahren begrifflich ausdrücken: Heteronomie ertötet jede erdenkliche Lust und vereitelt alle Freude und Eigeninitiative.

Die Schulzeit war eine Wiederholung dieses paradigmatischen grausamen Schauspiels: durch Zwang und Bevormundung wurde mir die Lust am Lernen ausgetrieben. Ich saß jahrelang - meist geistig weggetreten - sechs Stunden pro Arbeitstag mit lustlosen Robotern zusammen, die sich erst nach der Schule in normale Menschen zurückverwandelten. Es gibt nicht nur den Seelenmord, es gibt auch den Geistesmord. Die philosophisch korrekte Bezeichnung dafür ist Heteronomie.

Wenn der Wille, dessen Wesen die Freiheit selbst ist, in einen Zwang aus Fremdbestimmung gerät, hat er drei Möglichkeiten: sich wehren, sterben oder eine eigene Realität konstruieren. Die erste Möglichkeit wird aufs Hinterhältigste verbaut: man lernt schon als Kind, Heteronomie sei alternativlos. Die zweite Möglichkeit ist der Regelfall: der fremdbestimmte Mensch lebt als geistig Toter, - das erspart viel Mühe und verträgt sich bestens mit den biologischen Grundtrieben, weshalb diese Möglichkeit von fast allen Menschen gewählt wird. Die dritte Möglichkeit ist historisch gesehen die Voraussetzung allen höheren menschlichen Denkens, denn indem der in Ketten gelegte Wille eine geistige Gegenwelt aufbaut, wird ihm die zunächst abstrakte Willensfreiheit innerlich und konkret.

Zur Autonomie des Willens gehört notwendig die Selbstzweckbestimmung der Person. Nur wenn ich mir Selbstzweck bin, ist mein Wille frei; nur wenn ich meiner Freiheit bewusst bin, kann ich mir Selbstzweck sein. Wer sich selbst zum bloßen Mittel macht, entwertet damit jeden höheren Zweck, dem er sich opfert: ohne die Selbstzweckbestimmung der Person wird jedes hehre Ziel abstrakt und beliebig. Ein Wille, der nicht frei sein darf, kann kein guter Wille sein. Wer dies bedenkt, und dennoch einen höheren Zweck als den Selbstzweck in sich selbst anstrebt, sollte auch bedenken, dass wenn die Selbstzweckbestimmung zum bloßen Mittel wird, sich das Reich der Zwecke augenblicklich in ein Reich der Mittel verwandelt, und alle hohen Ziele ihre Würde als moralische Ideale verlieren, - denn wenn alles Mittel ist, ist alles zwecklos.