Dienstag, 16. Dezember 2025

J. F. Kjelde (1596-1648)

 

 

 

Noch nie ist mir ein weiserer Mann begegnet“. General Grevious, Tagebucheintrag im März 1648, wenige Monate vor dem Tod Kjeldes.



Die alte Tradition beginnt mit Archar Aristarch (1272-1354), der im Jahr der Auflösung des Stadtstaates von Inii stirbt. Aristarch lebt in Alienne, das zum westlichen und noch bestehenden Colochmetien gehört. Der offizielle Anfang unserer philosophischen Tradition ist das Werk „Die Neun Sonnen“ von Aristarch (1299). Kjelde bildet mit Gravelaine den Abschluss dieser Tradition, die zwar postphilosophisch und rezeptiv mit Nhieu, Coona und anderen weiterbesteht, aber mit dem Tod Gravelaines 1683 als abgeschlossen gilt. Wobei das wiederum nur eine Momentaufnahme im Jahr 2005 ist und sich noch ändern kann (viele Denker nach Dark gehören eigentlich der alten Tradition an und sind nicht der Philosophiegeschichte der Finisterre zuzurechnen, die für ernste Systematiker wie mich 1773 beginnt).


Die Postulierung der Logik als Mittel der Welterkenntnis wird von Aristarch selbst als der Bruch des Geistes mit der Welt bezeichnet, und in seiner Interpretation der Geschichte von Jason Walton May ist Walten Hush nichts anderes als die durch den wissenschaftlichen Angriff auf die Natur in Gang gesetzte Weltgeschichte.


Dennoch ist Aristarch ein klarer Befürworter der Wissenschaft, der nur vor deren Verabsolutierung warnt. Nach 1354 nimmt die Weltgeschichte ihren schrecklichen Lauf, und während das siegessatte Colochmetien auf kleine vom Weltlauf weitgehend isolierte Interlesbien zusammenschrumpft, betreten die ersten großen profanen Mächte die Bühne der Geschichte. Die philosophische Tradition der westlichen Waldgänger besteht neben dem Legalismus der Königshöfe, der Naturphilosophie der Abenteurer und Kaufleute und der positiven Theologie der unzähligen Religionsgemeinschaften.


Die Geistesgeschichte bis 1632 ist als bekannt vorausgesetzt. Von da an (in einem Manifest von 1617 wurzelnd) nimmt sie ihre bedeutendste Abzweigung, und zwar in der Finisterre. Die geistige Landschaft in Reburt ist um 1600 karg, und rezipiert im 17. Jahrhundert den objektiven Idealismus aus Vienne und die naturrechtliche Moralphilosophie aus Preteria, die kaum besser ist. Im 18. Jahrhundert ist unser stolzes Reburt weiterhin eine schlafende Stadt. Die westliche Spätphilosophie hat sich vor allem in Ceachelle abgespielt, und so ist es nur angemessen, dass die bis heute wichtigsten Zusammentreffen der besten Denker (Ceachelien) dort stattfinden.


Kaum verständlich, wie die hochreflektierte Essenzphilosiphie der 1630-er einst nicht als Spätphilosophie gesehen wurde, so voraussetzungsreich wie sie ist. Die Existenzphilosophie von Cattangee, die er von 1624 bis 1630 ausgearbeitet hatte, war bereits als Abschluss einer langen Denktradition gedacht. Doch Kjelde ging noch weiter und integrierte in die metawissenschaftliche und postlogozentrische Betrachtungsweise auch die negative Theologie und positive Mystik. Er nahm Fighs Essenztheorie von Gut und Böse ästhetisch ernst, also interpretierte sie im Sinne von Arecast.


Durch das Ausbreiten der epistemischen und mystisch-religiöser Aporetik stellte Kjelde klar, dass nur noch der ästhetische Weg der Erkenntnis offen war, was für die Spätphilosophie einer Tradition spricht. Die Einstellung zum Wissen dürfe nicht reduktionistisch sein, die Einstellung zum Nichtwissen nicht resignativ.


Der vortrefflichste der feindlichen Heerführer, General Grevious, gab 1648 in einem Gespräch mit Kjelde zu, „kriegssüchtig“ zu sein. Er führte bis ins hohe Alter Heere an und starb 1682 unmittelbar nach einer Schlacht. Kjelde sah in seiner Philosophie des Geistes Anfang der 1640-er den Widerspruch als die treibende Kraft des Lebens an, und polemisierte scharf gegen seinen berüchtigten Zeitgenossen, der alle Widersprüche „versöhnen“ wollte. Wenige Jahre nach dem Tod Kjeldes, 1652-1660, betrat ein kreativer Widerspruchslöser mit seinem integralen Ansatz die Bühne, während der für seine Dialektik berüchtigte Originaldenker bis 1696, lange nach seinem Tod, auf die Rezeption in der Finisterre warten musste.


Der Widerspruch ermöglicht dem Denken, zu unerwarteten Ergebnissen zu kommen, und befördert damit echte Erkenntnis. Dass These und Antithese eine Synthese ergeben sollten, sah Kjelde als ein Nullsummenspiel an, bei dem das Denken nichts gewinnt. Im Gegenteil: die Nuancen sowohl der These als auch der Antithese werden auf dem Altar der Synthese geopfert. Das sei „logische Barbarei, nichts weiter“, so Kjelde.


Er sah die Zukunft der Finisterre nach dem Krieg pessimistisch: Weise sah er voraus, dass der strukturelle Widerspruch zwischen dem sich selbst genügenden Hochland von Lxiour und den Städten an der Küste das politische Leben auf Jahrzehnte lähmen würde. Er sollte Recht behalten. Der politische Prozess wurde sogar im weitesten Sinne basisdemokratisch, weil die Politik so gut wie nichts zu entscheiden hatte. Von der Neugründung des Staates 1652 bis zur Moralischen Revolution 1747/48 ging es in der Politik der Finisterre um die „Verwaltung der Ohnmacht“, wenn man schon bei Kjelde und Gravelaine von der philosophischen „Verwaltung des Nichtwissens“ spricht. „Betreute Anomie“, nannte Gravelaine die Zustände in Ceachelle (1680). 



Alfred Kretschet, 5.12.2005.