Dienstag, 2. Januar 2018
Absolute Transzendenz
Dass ich nur für etwas verantwortlich sein kann, was in meiner Macht liegt, und zu den Möglichkeiten meiner Freiheit gehört, ist die Grundlage aller Moral, und infolgedessen auch das Fundament jedes zivilisierten Rechts. Was mir nicht zugerechnet werden kann, ist nicht meine Tat. So ist das Geborenwerden - logisch, nicht psychologisch - ein Leiden, da ich nichts dafür kann, dass mich andere Menschen in die Welt gesetzt haben. So ist ein Mörder im Affekt nicht schuldfähig, da er zu einem Maß der Erregung - nicht selten teuflisch-raffinierterweise - gebracht wurde, das die Macht der Selbstkontrolle durch die Vernunft übersteigt. Es hat der Körper und die Psyche des Mörders im Affekt getötet, aber nicht seine Person.
Kaum haben wir uns mit den schönen Beispielen versichert, dass die logisch-moralischen Naturkonstanten allgemeingültig und unhintergehbar sind, schon müssen wir das Luftschloss der letzten Sicherheit wieder einreißen. Gott erlaubt keine letzten Sicherheiten, er muss ein Spieler sein, ein Spekulant, - und Gott muss Nazis hassen, denn er mag keine Endlösungen. Gleich sehen wir, warum.
Der Gott der Bibel ist ein herrschsüchtiger, eifersüchtiger, eitler, machtgieriger, jähzornier und humorloser Mensch. Jeder kennt aus seinem Alltag solche Menschen, nur sind diese zu unserem Glück nicht allmächtig. Gott schon. Und nun sagt er: aus dir mache ich einen guten Menschen, und aus dir einen bösen Menschen, ihr - nicht etwa ich - seid aber dafür verantwortlich, obwohl ihr nicht anders handeln könnt, als nach dem, wozu ich euch allmächtigerweise bestimmt habe. Da können wir uns nur zurecht empören, und sogleich Atheisten werden, denn dieser Sadismus der absoluten Willkür bedeutet das Ende aller Moral, mindestens. Doch wir kennen ebenfalls aus dem Alltag etwas, das nach demselben Prinzip funktioniert: es fällt über uns herein, bestimmt unseren Willen, und dennoch sind wir höchstselbst dafür verantwortlich. Der Unterschied ist, dass wir diese absurde Ungerechtigkeit dankbar, gar euphorisch hinnehmen.
Die Liebe trifft einen wie der Blitz aus heiterm Himmel. Wir können nichts dafür, dass und in wen wir uns verlieben. Dennoch rechnen wir den Willen, der aus der Liebe entsteht, uns selbst zu, und können uns eher vorstellen, nicht mehr zu sein, als die geliebte Person nicht mehr zu lieben. Wenn wir etwas - oder jemanden als etwas, als eine Sache, sprich sexuell, - begehren, können wir sehr wohl die Begierde in Gedanken von der eigenen Person abtrennen, und der Lust auch praktisch widerstehen. Der Liebe zuwider zu handeln, wäre aber ein Verrat an der eigenen Person. Wir können nicht anders, als zu lieben, obwohl wir uns weder dass wir lieben noch wen wir lieben selbst ausgesucht haben. Erst wenn die Liebe zerbricht, beschweren wir uns, dass sie uns ohne unseren Willen traf.
Hier soll nun keineswegs ein Persilschein für irre und psychopathische Götter ausgestellt werden. Auch die vermeintliche Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft, Gott zu ergründen, wird hier nicht behauptet. Der Zweifel an der Möglichkeit eines universellen Systems von letzten Gründen kann aber niemals groß genug sein, denn das Universum, das absolut Ganze, ist kein Uhrwerk aus feststehenden absoluten Wahrheiten, - der Geist ist immer über das Letzte, Größte, Höchste hinaus. Es gibt weder eine Weltformel noch die reine Immanenz; unsere Welt ist kein geschlossenes System, - weil alle Realität in ihrem Wesen geistig ist, gibt es nichts, was nicht transzendiert werden könnte.