Samstag, 28. Oktober 2017
Das unmotivierte Böse
Große Schurken sind oft große tragische Figuren, aus denen auch große Helden hätten werden können. Selbstredend sind es immer eigene freiwillige Entscheidungen, die einen zum Bösewicht machen, denn wenn der Wille unfrei wäre, wenn menschliche Schicksale von den Launen des Zufalls abhängen würden, wären Wertungen wie "gut" und "böse" sinnlos. Sinnlos ist aber der Löwenanteil des Bösen in der Welt: nur im Film, in der Literatur, in einem auf sinnvoll getrimmten Weltbild sind es die Schurken, die das meiste Böse anrichten. Im wahren Leben entsteht das Böse im Regelfall aus Ignoranz und Dummheit.
Wir ertappen uns dabei, große Schurken zu mögen, weil sie eindeutig böse waren, weil sie zum Bösen, das sie taten, standen, und es nicht en passant, sondern aus Überzeugung taten. Wer es im Tun des Bösen persönlich meint, respektiert wenigstens den Mitmenschen als Person. Eichmann war sich keiner Schuld bewusst, weil er es nicht persönlich meinte, sondern nur den Befehlen gehorchte. Das radikale Böse, von dem Kant in der "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" spricht, erfordert ein klares Bewusstsein von Gut und Böse. Die von Arendt festgestellte Banalität des Bösen erfordert überhaupt kein Bewusstsein.
Die heimliche Verehrung der großen Tyrannen sowie der Kult um die psychopathischen Serienmörder lassen sich teilweise durch das klare Weltbild erklären, das sie durch ihre Taten befördern: hier der gute Mensch mit seinem guten Willen und seinen guten Werken, dort der Bösewicht, der Böses tut, weil er Böses will. Den Bösewicht kann man hassen, man kann seinen Tod wünschen, und dieser wäre nur gerecht. Wenn man jedoch nicht persönlich gemeint wurde, als einem Böses widerfuhr, wenn man für den rücksichtslosen oder bloß automatischen Täter kein Mensch, sondern eine bloße Ziffer war, - wem soll man vergeben, wenn man die Größe dazu hat?
Das feige, nicht so gemeinte, bloß ignorante Böse entmenschlicht und verdinglicht. In einer Gesellschaft, in der die Verdinglichung die Norm ist, und die Menschenwürde nur ein Lippenbekenntnis, fällt es allerdings überhaupt nicht auf. Wenn einen das unmotivierte Böse einfach so, ohne Grund trifft, kann man nicht anders, als zu fragen: warum? Doch ein Blick in die Menschheitsgeschichte genügt, um zu begreifen, wie sinnlos diese Frage ist. Die ganze Geschichte ist ein unmotiviertes Gemetzel.
Es gibt womöglich einen Trost: große Schurken kommen in die Hölle, ins Fegefeuer, wohin auch immer, wo die Läuterung stattfinden kann, denn die Seele lebt ewig. Die Guten kommen zunächst in ein hygienisches Purgatorium, und dann ins Paradies, denn die Seele lebt ewig. Die Ignoranten und Verlogenen, die ichlosen und automatischen Subjekte kommen nach ihrem Tod nirgendwohin, denn Seelenloses stirbt mit seiner Materie. Nichts wird zu Nichts.
Sonntag, 22. Oktober 2017
Leib und Seele
Der Körper ist das, was bei einem Tritt von Hinten in die Beine umfällt, sein Dasein ist sinnlich so evident, wie das Rot der Karte. Die Seele wiegt 21000000 Mikrogramm, ist sehr feinstofflich, und unsichtbar, nein? Dann nicht. Von mir aus ist sie überhaupt nicht stofflich, muss aber irgendwie in den Leib kommen. Descartes, der alte Mathematiker, vermutete das Loch, durch welches die Seele in den Leib kommt, in der Zwiebeldrüse im Hirn. Wenn nun diese Zwiebeldrüse selbst stofflich ist, dann muss wiederum eine Zwischendrüse zwischen der Zwiebeldrüse und dem rein Geistigen hin, damit sich die ausgedehnte Materie mit der denkenden verbinden kann. Wenn die Zwischendrüse zwischen der Zwiebeldrüse und dem Reich der Geister stofflich ist, muss eine weitere Zwischendrüse her, und so weiter ins Unendliche. Die Verbindung zwischen Körper und Geist kann nicht körperlich sein, - ist sie vielleicht geistig? Wenn ja, dann nicht wie viele, sondern wie wirkt sich etwas rein Geistiges ohne stoffliche Verbindung auf Körperliches aus? Gar nicht, das heißt, entweder sind Leib und Seele als Einheit, monistisch zu denken, oder man denkt sich das denkbar Undenkbarste herbei.
Der Leib ist evident: wir sehen ständig - oft unerfreulicherweise - Leiber anderer Leute. Auch der eigene Leib ist evident, wenn er jeden Tag neuen Hunger hat, sich an derselben Eckkante stößt, und an derselben Muskelfaser reißt. Die Seele ist eine Hypothese - von Außen gesehen. Von Innen gesehen, gibt es nichts Evidenteres, als die Seele, das Ich, die Perspektive der ersten Person: wir können nicht anders als ichhaft, als Seelen, existieren.
Welche Sicht ist die Wahrere? Alle Erkenntnisse über unsere Welt - und viele davon haben sich als so richtig erwiesen, dass wir die Welt nach unseren Bedürfnissen derart umgestaltet haben, dass wir an die Stelle der natürlichen die degenerative Auslese setzten - kommen von der Außenperspektive. Alles Interesse daran, überhaupt etwas erkennen zu wollen, kommt von Innen.
Äußerlich gesehen, braucht alles, was da ist, eine erste Ursache. Gott muss ein Schweizer gewesen sein: das Universum läuft präzise wie eine Uhr, und ist ein löchriger Käse. Evident ist aber nur, was tatsächlich da ist. Was mal war, ist Dichtung. Hören wir jedoch auf, uns die Welt als unter Naturgesetzen (und der Kausalität) stehend zu denken, ist jeder Unsinn möglich, warum dann auch nicht die absurdeste Schöpfungsgeschichte. Als rationale Naturalisten müssen wir uns die Welt als ausnahmslos unter Naturgesetzen stehend denken, und kommen so zwangsläufig zu Fragen, die an die Grenzen des theoretischen Erkennens stoßen.
Innerlich gesehen, ist die Unsterblichkeit der Seele evident. Wir können nicht anders handeln, als unter der Idee der Willensfreiheit (wenn sie auch stets nur implizit allen Entscheidungen zugrunde liegt), obwohl wir uns sehr wohl vorstellen können, dass alle außer uns selbst unfrei handeln, und der Mensch an sich keinen freien Willen hat. Wir können unser Leben nicht anders leben, als wären wir unsterblich (weil wir Personen sind: wir haben nicht nur ein Bewusstsein, sondern auch ein Selbstbewusstsein, sprich denken uns bei jeder unserer Erfahrungen selbst mit), obgleich wir durchaus in der Lage sind, theoretisch anzunehmen, dass der Tod des Körpers auch das Ende der Seele bedeutet.
Die beiden Perspektiven, Innen und Außen, sind nicht aufeinander reduzierbar: weder der Materialismus noch der subjektive Idealismus erfassen die ganze Wirklichkeit. Es kann natürlich nur eine Wirklichkeit geben, aber diese Einheit ist schonmal mehr als eine Zweiheit. 1 größer 2 gleich 3? Das ist Mystik, und das ist Vernunft. Wem die Vernunft zu hoch hängt, für den wird sie in der offenbarten Religion bildlich vorgestellt.
Donnerstag, 19. Oktober 2017
Langeweile
Ich sitze vor dem PC und trinke Tee. Mir ist langweilig. Ich quäle mich durch den Abend. Auf einmal ist es, als hätte jemand einen Zauberknopf gedrückt: ich sitze vor dem PC und trinke Tee. Ich bin glücklich. Was ist los? Und was war los? Warum wird eine für den äußeren Beobachter identische Situation mal als langweilig, mal als lebenslocker empfunden? Nein, locker ist hier keine Schraube, und mystisch ist daran zunächst noch nichts.
Wer sich langweilt, weiß nicht, was er gerade tun soll. Doch es gibt immer mehr zu tun, als man Lebenszeit hat. Das ist das Problem: man kann keine Prioritäten setzen. Nun gibt es Menschen, die das können. Ich kann das, doch ich langweile mich durch den Abend. Wieso? Ich könnte alles mögliche tun, aber das dringendste Bedürfnis, den sexuellen Harndrang, kann ich derzeit nicht befriedigen. Ich bin zu müde dafür, aber wegen der Geilheit zu unkonzentriert, um an etwas anderes zu denken. Doch ich kann den Schalter von einem Moment auf den nächsten umlegen: ich beschließe, dass ich jetzt einfach mal Tee trinke.
Wie schaltet man quälende Bedürfnisse, die man gerade nicht befriedigen (oder nicht befriedigend befriedigen) kann, aus? Nicht indem man sie verdrängt oder versucht, sich abzulenken. Indem man Wachsamkeit übt. Ich weiß, was mir fehlt. Und jetzt trinke ich Tee.
Wer meint, glücklich sei derjenige, der seine Bedürfnisse stets befriedigen kann, der irrt: Bedürfnisse regenerieren sich, werden immer mehr, immer anspruchsvoller. Machen wir uns nichts vor: wir sind alle drogensüchtig. Essen, Trinken, Sex, Vergnügen, Unterhaltung, Selbstmitteilung, Selbstdarstellung, Selbstverwirklichung: jeder ist süchtig danach, oder zumindest abhängig davon. Gäbe es eine Pille gegen den Hunger mit allen vom Körper benötigten Nährstoffen: kaum jemand würde sie nehmen. Gäbe es eine Pille, die den Sexualtrieb direkt im Gehirn stillen würde, keiner würde sie schlucken. Der menschliche Organismus ist in einem serotonergen Teufelskreis aus Sucht und Befriedigung gefangen.
Es geht aber gar nicht darum, alle Bedürfnisse für immer zu befriedigen. Das kann höchstens der Tod leisten. Es geht darum, im Jetzt wachsam zu sein, seinen Willen von allen möglichen Objekten der Lust zurückzuziehen, und Tee zu trinken.
Wer sich langweilt, gleicht Tantalos in der Unterwelt, oder aber Buridans Esel. Tantalos steht für den von quälenden Bedürfnissen heimgesuchten Menschen, der auf seine Objekte der Lust die ganze Zeit fixiert ist, sie aber niemals zum Greifen bekommt. Buridans Esel kann sich zwischen zwei gleichen Haufen Heu nicht entscheiden und verhungert. Die Langeweile ist kein entspannter Zustand des Nichtstuns, sondern ein verspannter, verkrampfter Zustand der Fixierung auf alles mögliche und nichts bestimmtes. Da hilft nur der Rückzug in sich selbst und eine Tasse Tee.
Dienstag, 17. Oktober 2017
Zölibat
Zur Forderung, unheilbar Kranken, deren Leben nur noch Qual ist, und die körperlich nicht in der Lage sind, sich das Leben zu nehmen, Sterbehilfe leisten zu müssen, kann man auf unterschiedliche Arten gelangen. Die menschenverachtenden Nationalsozialisten hätten diese Kranken für "unwertes Leben" erklärt, und darum Euthanasie gefordert. Jene, denen die Würde des Menschen wichtig ist, und kein bloßes Lippenbekenntnis, hätten auf Sterbehilfe plädiert, weil ein fremdbestimmtes Leben als lebende Leiche die Würde des Menschen verletzt.
Es kommt also nicht auf das Endergebnis einer Argumentation an, sondern darauf, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. Eine vernünftige Diskussion um den Zölibat für Geistliche lässt sich nicht führen, wenn das nicht passende Resultat zu einem Totschlagargument wird: man hört die Argumente der Gegenseite nicht mehr an, sondern verdammt sie, wenn das Ergebnis der Argumentation pro Zölibat ausfällt. Wenn einem das Ergebnis nicht gefällt, kann man beliebige äußere Gründe finden, warum die Argumentation ungültig sein muss; man kann also Unsinn reden, oder einer Argumentation immanent folgen, und deren innere Widersprüche, falls vorhanden, aufzeigen.
Was ist ein Geistlicher? Ein Geistlicher ist eine Person, die ihr Leben in den Dienst Gottes gestellt hat. Man kann also davon ausgehen, dass ein Geistlicher an Gott glaubt. Nun ist die Unsterblichkeit der Seele untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden, ja selbst mit einer ganz auf Vernunft gegründeten moralischen Religion, wie sie Immanuel Kant in seiner Moralphilosophie entwickelt hat: damit die Würdigkeit, glücklich zu sein, mit der Strenge eines Naturgesetzes auch Glückseligkeit zur Folge hat, muss es eine Welt jenseits dieser geben, denn in dieser Welt ist alles Glück zufällig.
Ein Geistlicher ist nicht bloß ein gläubiger Christ, sondern die Religion, der Glaube, ist der Mittelpunkt seines Lebens, wie etwa die Familie für den natürlichen Menschen, oder der Beruf (die Karriere) für das bürgerliche Individuum. Geistliche leben in vielen Ländern vom Staat, d. h. vom Geld anderer Menschen. Ihre Aufgabe ist, ein Vorbild im Glauben zu sein, und ihre Qualifikation als Seelsorger kommt durch ihren Glauben zustande. Es kann keinen Gottesbeweis geben, aber es muss einen Glaubensbeweis geben, und dieser kann nur in der Lebensweise bestehen.
Wenn ein Mensch, der sein Leben dem Gottesdienst widmet, nicht bereit ist, auf das natürliche Gattungsleben (Familie, Sexualität) zu verzichten, muss davon ausgegangen werden, dass er nicht wirklich an Gott glaubt. So jemand eignet sich nicht als Geistlicher. Ein wirklich gläubiger Christ wird, selbst wenn er moralisch auf einer niedrigen Stufe steht, und somit ausschließlich um der größeren Freuden im Jenseits willen auf die Freuden im Diesseits verzichtet, niemals den Grundsatz vertreten, auf die Gefahr hin, dass es Gott doch nicht gibt, so viel wie möglich an Vergnügungen aus dieser Welt mitzunehmen. Wer aber so stark daran zweifelt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dass er für seinen Glauben niemals auf irdische Freuden verzichten würde, von dem ist doch wenigstens zu erwarten, dass er kein Geistlicher wird.
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