Dienstag, 28. März 2023

Artemis

 

 

 

 

Kants Alptraum! Warum soll meine Maxime allgemeines Gesetz werden können? Gibt es etwas creepieres? Und Aristoteles mit dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs: Systemphilosophen, gebt doch einfach zu, dass ihr Autisten seid, und mit der Unordnung in der Natur nicht zurechtkommt! Aber: die Natur kann nichts dafür.

Sie ist die Tochter einer lunaren Mutter. Die chthonische Mutter ist die radikalfeministische Kybele, der Männer in vorauseilendem Gehorsam als Kastraten dienen. Die tellurische Mutter ist die langweilige und etwas schwermütige Demeter, die beständige und zuverlässige Göttin der Landwirtschaft. Leto ist die lunare Mutter der Artemis.

Materie: Schwerstgeburten, Missgeburten, Monster. Das ist die Welt der Kybele. Jahreszeiten: Saat, Wachstum, Ernte. Damit auch sie etwas Drama hat, wurde Demeters Tochter Persephone entführt. Mit Hades ist sie übrigens glücklich; das einzige glückliche Paar der griechischen Göttermythologie. Begehrtwerden, Entführtwerden, Beschütztwerden: Leto ist ganz Frau, schwelgt in aphroditischer Weiblichkeit, ohne selbst das mühsame Geschäfte der Geschlechtsliebe besorgen zu müssen. Ihr Beitrag sind ihre solaren Kinder, das Licht der Welt.

Artemis ist Letos Tochter, ewig junge Göttin der Jagd und der Jungfräulichkeit. Sie steht für die unschuldige und unbekümmerte Natur. Sie ist dionysisch, lunar, nicht wie ihre solaren Geschwister, die die Vernunft, nicht die Natur verkörpern. Athene und Apollo sind die Götter der Kultur: Staatskunst, Wissenschaft, Kunst. Mit dem lunaren Ares kommt die Kriegskunst hinzu. Der ebenfalls lunare Hermes ist der Henry Kissinger des Olymps, er steht für die Kunst der Diplomatie. Doch mit dieser Welt der Menschen hat die freiheitsliebende, wahrhaft starke und unabhängige Frau Artemis nichts zu tun.

So arbiträr wie es nur geht, von Lust und Langeweile geleitet, SP/NF-Temperament (sinnlich/wahrnehmend, aber auch intuitiv/fühlend), selbstgenügsam, unprätentiös lesbisch, lesbische Jungfrau, umgeben von jungfräulichen Nymphen des Waldes, hat ihr Dasein keinen ihr selbst äußerlichen Sinn. Sich selbst gegenüber erfüllt Artemis den kategorischen Imperativ bestens: sie lässt sich nicht als Mittel für Zwecke anderer einspannen. Bei der berüchtigten Frivolität der altgriechischen Götterwelt besteht Artemis felsenfest auf ihrer Jungfräulichkeit und bestraft hammerhart Gefährtinnen, die diese verlieren.

Das Reich der Naturnotwendigkeit (Demeter, tellurisch) und der system(at)ischen Kulturschöpfung (diverse Götter, solar) neigen zur Eliminierung der Freiheit: entweder wird die Individualität von vorn herein untergeordnet oder sie ist nur da, um transzendiert zu werden, in Größerem aufzugehen. Doch ohne das Einzelne ist das Allgemeine, das Ganze, für niemanden da. Artemis ist die Gottheit des Besonderen, der Einzel(n)heit, die sich nicht unter Gesetze subsummieren lässt, nicht in Schubladen packen, nicht einordnen, und selbst ihre Einordnung in der anthropologischen Trias ist nur in der Relation zu anderen Aspekten der Trias sinnvoll.

Die verspielte lockende Jägerin macht verliebt und läuft weg, ist über- und unterirdisch (wurde auch mit der Hekate identifiziert), regellos und grausam streng. Keineswegs steht ihre Widersprüchlichkeit für ein Krankheitsbild wie Bipolarität oder Narzissmus; auf der autistisch-schizophrenen Männlich-Weiblich-Skala ist sie sicherlich dem schizophrenen Spektrum zuzuordnen, wobei sie sich souverän an dessen Rand aufhält, fast in der Mitte, sodass keine Gesetze, auch die der Weiblichkeit, für Artemis wirklich gelten.

Freitag, 24. März 2023

Die Unmutter

 

 

 


Der Sinn des Lebens ist solar.

Die Lust am Leben ist lunar.

Das gute fremdbestimmte Leben ist tellurisch.

Das schlechte fremdbestimmte Leben ist chthonisch.



"Frau, Leben, Freiheit!" ist der Wahlspruch der Kurden. In umgekehrter Reihenfolge wäre das ein solarer Spruch; weil die Freiheit darin vorkommt, und offensichtlich nicht als ultradekadente Freiheit-von (die letztlich auf eine Freiheit von der Freiheit hinausläuft) gemeint ist, ist der Spruch zumindest tellurisch. Weil das Leben in der Mitte steht, könnte er auch lunar gemeint sein. Wie auch immer: der kurdische Wahlspruch ist heiter und lebensbejahend. Darum ist er sympathisch. Im Gegensatz zum de facto Wahlspruch der chthonischen europäischen Ultradekadenz: "Frau!"

Die Frau als nur Frau, als selbstzeugende Mutter, als Hera der Hölle, die Monster zeugt. Die Frau als männerhassende Höllenschlampe, als narzisstische Mutter, die ihre missratenen Kinder in zugekackten Club-Toiletten zeugt, und das Kind umso mehr liebt, je missratener es wird. Die chthonische Kybele, die verwesende Weiblichkeit, das Gesicht strahlend vor Jugend und sexueller Attraktivität, der Hinterkopf halb aufgelöst im Schleim der Verwesung; der oral eingeführte Phallus würde bereits auf halbem Wege auf Kot und Gewürm stoßen; aus dem Magen stoßen Reste unverdauter Kinder, Frauen, Männer, alter Menschen auf, erbrochen und wieder aufgeleckt.

Die devouring mother, die erdrückende, auffressende Mutter (die Nähe von mother und smother im Englischen lässt tief blicken): das ist die alte Kybele, bei der es sich ausgefickt hat. Nun wird gefressen. Ja, die fickende Kybele ist der weibliche Libertin schlechthin, eine ultradekadente amoralische Figur. Aber dafür ist die fressende Kybele, die alte Mutter, antimoralisch: sie ist zwar durch und durch moralisch, aber mit umgekehrtem Vorzeichen. Das Böse ist für sie moralisch gut, das Gute böse. Leid soll sein, Lust nicht; leben macht schuldig, sterben ist nicht erlaubt; du gehörst wie ein Sklave ganz der Mutter, doch bist für alle deine Taten immer selbst verantwortlich (du tust, was sie dir sagt, und bezahlst dafür, als wäre es deine Schuld).

Die Unmutter will das Lebendige quälen, fressen, verdauen, wieder auskotzen, es für immer an sich fesseln. Ihre Welt ist die der sich um den Globus schlängelnden Nabelschnüre, an deren Enden alle Lebeswesen ihr sklavisches Dasein fristen. Sie ist die chthonische Gottheit der dunklen Hölle der Materie.