Donnerstag, 24. Mai 2018

Das Antiintelligenzressentiment





"Im Club der Idioten" wäre ebenfalls ein passsender Titel für diesen Kommentar, aber das Wort Idiot in seiner ironischen Verspieltheit und mit seinem altgriechischen Ursprung ist mir zu lieb und zu teuer, um es den im Folgenden psychiatrisch behandelten Vollpfosten zu schenken. Als Vorwort möchte ich mit einem der dümmsten relativistischen Vorurteile aufräumen: "wertend = subjektiv". Jenes gilt für den speziellen Fall, dass das Wertende und das Bewertete sich auf derselben Stufe befinden: ein Amoralischer kann einem Amoralischen zwar Amoral vorwerfen, aber dieser Vorwurf ist nicht mehr als ein subjektives Empörungsgut; ein ethischer Mensch kann einen Parasiten, der davon lebt, dass sich alle außer ihm ethisch verhalten, mit gutem Recht von Oben herab werten und bewerten.

Nun zu unseren falschen Freunden, die Christen und Heiden unbedingt von Jesus erzählen müssen, die sich berufen fühlen, Katholiken und Protestanten zum Christentum zu bekehren. Ich sage einem jener Freunde, dass ich die von ihm angeführte Bibelstelle anders als er interpretiere, woraufhin dieser erwidert, das sei eben nur eine Interpretation, wonach er mir seine Interpretation durchpaukt. Ich weise ihn auf die inneren Widersprüche seiner Worte hin, er warnt mich vor dem stolzen und sündhaften Verstand, der sich gegen Gottes Wort wehrt und gegenüber der Liebe Gottes das Herz verschließt. Was meint er mit der Liebe Gottes? Dass ich meine Persönlichkeit und meine Integrität gänzlich aufgeben soll, um seine Bibelinterpretation für die allerwahrste Wahrheit zu halten?

Ich habe viele Jahre auf der Welt gelebt, habe gesucht, gehofft, geglaubt und gezweifelt. Nun kommt dieser Missionar daher, "evangelisiert" mich, und erwartet von mir, dass ich alles was ich war und bin vergesse, und ihm und seiner Schafherde nachfolge. Da will man Atheist sein, da will man Bibeln verbrennen. Da will man in einem Staat leben, in dem Religion verboten ist und Kirchen Museen sind. Wo findet man noch Menschen, die von einem den inneren Selbstmord erwarten um der angeblichen Erlösung willen? Aber vielleicht spricht hier nur mein egoistisches Ego, das sich über Gott, meinen Freund und einen IQ von 75 überhebt.

"Die Klugen sind die Verdammten". "Wer denkt, hat kein Herz". Wie oft trifft man auf Vorurteile, einfachere Leute seien dafür herzlicher, liebevoller, lustiger, hilfsbereiter? Ein Wunschdenken, das darauf beruht, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: der Klügere ist nämlich in Wirklichkeit (meist) auch emotional höher entwickelt, sensibler, liebevoller, hilfsbereiter, humorvoller und musikalischer. Größer. So einfach ist das.

Der hilflose Neid gegenüber seelisch-geistig Größeren gießt sich allzugern in Vorwürfe der Arroganz und des Größenwahns aus. Gott erscheint in den Worten der einfachen Leute schockierenderweise als ein selbstsüchtiger Despot, der die Menschen zwingt, sich so tief zu erniedrigen, bis. Bis? Bis sie auf dem Niveau unseres viehischen Freundes ankommen. Warum verehrten die Massen Stalin? Weil er die Besseren erniedrigen und töten ließ, bis alle gleich waren, bis der Neid des Geringen auf den Größeren befriedigt war. Warum jubeln die Massen dem jüdisch-christlich-islamischen Gott zu? Weil Klerikalfaschisten und deren debile Nachbeter die Deutungshoheit über die heiligen Schriften haben. Ich habe oft über eine ungewöhnliche Maßnahme nachgedacht: man könnte doch den Leuten ihre Bibeln wegnehmen und alle kirchlichen Ämter abschaffen. Das Wort eines lebendigen Gottes würde mitnichten verstummen, das dämliche Muhen vom primitivsten Neid gesteuerter Rinder vielleicht.

Montag, 14. Mai 2018

Keuschheit





Dreijährige spielen mit ihren Holzbauklötzen, doch etwas ist faul im Staate Dänemark: ein besonders lieber Junge, nennen wir ihn Hiob, muss immer die Burg neu aufbauen, und darf sie nie kaputt machen. Er beginnt mit Gott zu hadern: "Warum, o großer Gott, darf ich, der die höchsten Burgen baut, nie eine Burg kaputt machen?" Eine schreiende Ungerechtigkeit. Ein teuflischer Sechsjähriger bringt den kleinen lieben Jungen auf die Idee, die Burg unerlaubt kaputt zu machen, bevor die Spielkameraden ihre Kaputtmachbälle bereit gestellt haben. Doch Hiob ist ein rechtschaffener Junge, und lässt sich nicht zum Wortbruch verführen. Was hat er davon? Bloß, dass die anderen Dreijährigen weiterhin seine Burgen kaputt machen, und er sie immer und immer wieder aufbauen muss. Ein altersweiser Neunjähriger spendet Hiob Trost: "Wenn du erwachsen bist, wirst du ein großer Kaputtmacher sein! Du wirst nichts mehr bauen müssen, und alle werden für dich bauen, damit du kaputt machen kannst!"

Wer will dieser unglückliche Dreijährige sein? Wer will der Kumpeltyp bei einer Frau sein? Niemand. Doch meist langt es nicht, etwas nicht zu wollen, das Gegenteil davon zu wollen, oder etwas ganz anderes zu wollen, - alles bleibt beim Alten. Wer sich nicht traut, sich sein Kaputtmachrecht mit Gewalt zu nehmen, ob aus feigheitlichen oder moralischen Gründen, zieht der Kürzeren, und hat als der Dumme nichts zu melden. Also phantasiert er sich in ein besseres Leben, in welchem er der Kaputtmachkönig ist.

Unkeuschheit ist das Laster schlechthin, und die Moral eines Menschen ist nichts wert, wenn sie nicht über den Mittelpunkt seines Seins zum Tier gebietet. Das Tierische im Menschen will sich fortpflanzen, will den ungezügelten ekelerregenden Wucher. Zurecht darüber erschrocken, strebt der Mensch, der sich seiner Kreatürlichkeit bewusst ist, unterbewusst den Tod an. Als Objekt dient der sexuelle Mensch der trostlosen Weitergabe des Trostlosen, als Subjekt will er diesen Prozess endlich zu einem Ende bringen, und strebt den Tod an. Das Naheliegendste, der Suizid, ist aus Feigheitsgründen eine schlechte Option, das berserkerhafte Vernichten all dessen, was da wuchert, wird früh genug wegsozialisiert. Was bleibt, ist der Sex, der Ersatztod und der Ersatzmord, der größte Fluch und schönste Traum aller Sinnenwesen.

Die ursprüngliche Ganzheit, die Jungfräulichkeit, wird durch den sexuellen Akt kaputt gemacht. Nicht die genitale Jungfräulichkeit ist gemeint, sondern die Jungfräulichkeit als ursprüngliche Ganzheit: alles, was an einem Sexobjekt bereits verbraucht ist, scheidet beim nächsten Mal aus, und so geht es weiter, bis nichts mehr vorhanden ist, worauf sich die natürliche Zerstörungswut richten könnte. Dann kommt der Fetisch ins Spiel: er erfindet neue Gebiete der Begierde, findet immer bizarrere Oasen in der Wüste der Lust. Irgendwann geht nichts mehr, das Objekt ist so verbraucht, dass sein Anblick nur noch Ekel auslöst. Wer "es nicht so erlebt hat", hält winzige Mosaiksteine für ein Ganzes. Doch dies sei nur nebenbei bemerkt, denn das eigentlich Irre ist, dass wir Menschen genau diesen jämmerlichen Zerstörungsprozess immerfort wollen, und ihn sogar ins Jenseits projizieren, wo wir ihn uns als Belohnung ausmalen.

Was soll ich tun, um ins Paradies zu kommen? Falsche Frage, wenn das Paradies ein kostenloses Bordell ist, ein Garten der ewigen Lust, die nie versiegt, und deren Objekte unkaputtbar sind. Die nimmerschwangeren 72 Jungfrauen werden einem schnell wie menschenfressende Monster vorkommen, wenn man merkt, dass man auf ewig ein Sklave seiner auf sie gerichteten Begierde ist, und sie durch keine sexuelle Perversion so endgültig verbrauchen wird, dass man sie nie mehr begehren könnte. Das sinnliche Paradies ist die Hölle, ein Ort, an dem man nur eins möchte: sterben. Deshalb fängt das Himmelreich schon in diesem Leben an, im eigenen Herzen, das sich vom Fluch des Töten- und Sterbenwollens befreit, und zum ewigen Leben, zur Keuschheit findet.

Samstag, 12. Mai 2018

Faire Chance





Ein mephistophelischer Schurke hat irgendwo im Nirgendwo zwei Gruppen von Menschen in zwei Kerker gesperrt. Die Kerker lassen sich von Außen leicht öffnen, aber von Innen weder durch Muskelkraft noch durchs Nachdenken. Diese Menschen sind in einer Not, die nicht erfinderisch macht, sondern tot. In einer Stunde werden diese Menschen ersticken. Du bist etwas weniger als eine Stunde von jedem der Kerker entfernt - geometrisch gesehen so ziemlich in der Mitte - und kannst somit nur eine Gruppe retten. Alles, was du weißt, ist, dass die eine Gruppe aus 11 Personen besteht und die andere aus zwei. Wen rettest du? Die 11 Leute, das ist immerhin eine Fussballmannschaft. Die zwei könnten ein Paar sein - und du, bist du zufällig unfreiwillig Single? Nimm doch Rache am glücklichen Pärchen und rette die größere Anzahl - jeder wird sagen, du hast das Richtige getan. Nicht?

Streng moralisch gesehen, ist mehr nicht besser. Die zwei Unglücklichen sind auch Menschen. Jeder hat eine faire Chance verdient. Du hast eine Münze in der Tasche - wirf sie! Kopf heißt die zwei Glücklichen da, Zahl heißt Zahl. Du wirfst Kopf. Die Zwei dürfen es sein. Aber etwas stört dich daran - du kannst ja nicht nur zählen, sondern auch rechnen. In der Gruppe mit 11 Personen sind natürlich auch zwei Leute enthalten, sogar fünfkommafünf Mal. Warum also die Zwei da, und nicht zwei von den 11? Der Münzwurf ist unfair. Du hast noch vom Glücksspiel letzten Samstag einen zwölfseitigen Würfel. Du schimpfst, dass es insgesamt 13 sind, und der Würfel somit zwecklos. Du machst dir 13 Lose. Ziehst du einen der Zwei, rettest du die Beiden. Ziehst du einen der 11, rettest du natürlich die 10 anderen mit. Ist doch fair, oder?

Mathematisch wäre nichts daran auszusetzen, aber das Leben ist keine Mathematik. Etwas gefällt dir nicht an dieser Fairness, du hast ein ungutes Gefühl. Du bist wahrscheinlich nah an den Sprüngen, doch um dir ganz sicher auf dieselben zu helfen, sage ich: stell dir vor, du wärst einer dieser Menschen. Da kommt irgendein Idiot daher und wirft eine Münze oder zieht Lose, und es geht darum, ob du überlebst oder stirbst. Es hätte genausogut eine Maschine sein können. Wie fühlst du dich, wenn du eine faire Chance gehabt hast, aber, so läuft nunmal das Spiel, eine Niete gezogen hast? Du musst sterben, das ist ohnehin klar, aber du stirbst nicht als Mensch, sondern als ein Los, eine Spielfigur. Kein gutes Gefühl. Natürlich kann es dir egal sein, warum dich jemand rettet oder sterben lässt. Hauptsache Tatsache: entweder du lebst, oder du stirbst.

Jetzt darfst du wieder den Helden spielen. Ganz ehrlich - willst du so einen Nihilisten wirklich retten? Ist es dir nicht egal, ob jemand, dem es egal ist, warum er lebt oder stirbt, lebt oder stirbt? Du hast ein moralisches Prinzip, das da lautet 11 : 2 = 5,5 (und es ist demnach 5,5 mal moralisch besser, die 11 Leute zu retten als die zwei), oder aber, dass jeder eine faire Chance verdient. Du arbeitest dein Prinzip an einem ihm angemessenen Verfahren ab, und ansonsten ist es dir furzegal, wer lebt und wer stirbt. Würde jemand dich retten wollen? Wahrscheinlich nicht, sondern nur sein Prinzip an einem angemessenen Verfahren abarbeiten, wobei es dieser Person furzegal wäre, ob du lebst oder stirbst.

Wenn du dich entscheidest, selbst zu entscheiden, macht es dich menschlicher, aber auch fehlbarer. Du könntest aus minderwertigen psychologischen Gründen eine folgenschwere Entscheidung treffen, die du moralisch nicht würdest vertreten können. Du könntest nach Lust und Laune, also nach Willkür entscheiden, was nicht weniger zynisch wäre, als sich hinter einer Münze zu verstecken. Es wäre nur nicht feige, und deine Falten würden, wenn du alt bist, nicht die Geschichte eines abgenutzten Körpers erzählen, sondern die Geschichte eines Menschen, der richtige und falsche, gute und schlechte Entscheidungen getroffen hat. Du entscheidest, du stellst dich der Verantwortung, darauf kommt es an, und wenn du dich aus psychologischen Gründen für unfähig erklärst, auf eigene Faust die richtige Entscheidung zu treffen, dann eliminierst du dich selbst als moralisches Subjekt und machst dich zu einem Psychoroboter. Aber ist das nicht eine Spur zu romantisch, die Eigenverantwortung so zu überhöhen, wo sie im Endeffekt zu keinem besseren Ergebnis führen kann, als der mechanische Zufall? Du bist besser - ein besserer Mensch - wenn du auf eigene Faust und Verantwortung entscheidest, aber dadurch handelst du nicht besser. Der Münzwurf kann übrigens, wenn man es romantisch mag, auch als eine Entscheidung Gottes interpretiert werden.

Error. Rechner abgestürzt. Egal, wie deine persönliche Einstellung ist, was für Wertvorstellungen du hast, wie du handelst, es werden entweder zwei oder elf Menschen sterben. Alles umsonst. Alles sinnlos. Mach, was du willst. Sei böse. Damit dich keiner der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigen kann, musst du eine der Türen aufmachen. Aber ansonsten kannst du dir genüsslich ausmalen, wie die Elf kurz vorm Ersticken durchdrehen und sich die Köpfe einschlagen, während du die Zwei rettest, und dich somit heimlich als den Mörder von neun Extraleuten feiern kannst. Du kannst aber auch dir größere Gruppe retten - dir werden neun Menschen mehr dankbar sein, und Dankbarkeit kann man immer gut gebrauchen. Denk dir dabei, wie die Zwei, womöglich Eltern von zehn glücklichen Kindern, erbärmlich verrecken, - du sexy Bösewicht, hast zwar die größere Gruppe gerettet, aber mindestens einen Menschen mehr unglücklich gemacht, als die Differenz zwischen 11 und 2 - und dazu noch kleine, unschuldige Kinder! Nun, selbst wenn du so ein Teufel bist, kannst du in dieser Situation nicht böser handeln, als der allerheiligste Märtyrer. Na gut, der Märtyrer würde sich wahrscheinlich aus dem höchstmoralischen Prinzip des größtmöglichen Leidens der Entscheidung verweigern und ins Gefängnis gehen. Weniger dramatisch geht auch: ein streng gläubiger Mensch würde nicht Gott spielen wollen, und aus dieser Borniertheit heraus alle sterben lassen.

Wie also, zum Teufel, handelt man hier richtig? Wie handelt man so richtig falsch, dass einem die Hörner wachsen? Hier fällt beides zusammen. Was lernen wir? Dass eine Handlung an sich nicht moralisch sein kann, sondern nur der Wille, die Absicht, der Gewissensbiss? Wer es noch nicht gelernt hat, hat eben was gelernt. Aber hier geht es nicht um eine Kantstunde, hier geht es um Menschen, lebende und sterbende Menschen, keine abstrakten Probleme der Moralphilosophie. Vielleicht sollte man die Letztere als Gotteslästerung verbieten, denn jeder moralphilosophische Satz ist zynisch und riecht streng nach Hybris. Nicht dass wir, wenn wir über Moral nachdenken, Gott spielen - der Einwand wäre zu naiv - , aber dass wir dabei die anderen Menschen, die echte, lebende, leidende und hoffende Menschen sind wie wir, zu Zahlen, Fällen und Problemen herabsetzten, dass wir vom Menschen als Menschen abstrahieren, ist das unverzeihlich Überhebliche dabei.  

Sonntag, 6. Mai 2018

Theologisches Casino





Jedes Wesen auf Darwins Erde ist Opportunist. Man tut, was man kann, um Lust zu fördern, und Unlust zu vermeiden. In profanen Dingen ist das keine schlechte Idee, aber die Versuchung ist groß, sie auch in religiösen Belangen anzuwenden. Ich lebe, ich werde sterben, aber so richtig vorstellen, tot zu sein, kann ich mir nicht. Vielleicht lebt meine Seele doch nach dem Tod weiter - ich kann es nicht wissen, sollte aber sicher gehen. Tausende esoterische Konzepte bieten meiner Seele zu unterschiedlchen Konditionen den Jenseitsdeal an. Mit wem soll ich einen Vertrag schließen?

Es gibt als sicher geltende Jenseitsversicherungen: Christentum, Judentum und Islam genießen bei Rating-Agenturen wie dem gesunden Menschenverstand und dem Bauchgefühl ein hohes Ansehen. Buddhismus, Taoismus und sektiererisches Christentum gelten als unsicher bis hoch spekulativ. Wenn sich an eine Jenseitsversicherung vertraglich binden, dann schon an eine mit hohem Marktanteil und klaren Vertragsbedingungen. Bei Buddhismus, Taoismus und anderen diesseitslastigen Marken sind die Bedingungen sehr klar, aber der Gewinn tendiert gegen Null: du bekommst zurück, was du investierst. Das ist ein Bollwerk gegen die Inflation, wie etwa das physische Gold, aber für gierige Naturen nicht sonderlich verlockend.

Nach langem Überlegen entscheide ich mich für die relativ sichere Jenseitsversicherung Christentum - sie ist durchaus spekulativ, aber es spekulieren so viele mit, dass auch nach Ponzi-Schema viel Gewinn zu machen ist, vorausgesetzt, es gibt massenweise noch größere Idioten. Leider gilt diese Überlegung nur für das Diesseits: Idioten kann ich ausnutzen, um etwa als Kleriker auf Kosten der Gesellschaft leben zu könen, aber auch zwei Gigaidioten werden mir im Jenseits nicht nützlich sein, wenn es im Jenseits nichts gibt. Ich muss darauf spekulieren, dass ich nach meinem Ableben durch ein Nadelöhr ins Paradies gelange, und bei dieser Veranstaltung ist jede  Jenseitsversicherung gleich spekulativ.

Wozu dann eine Jenseitsversicherung abschließen? Ganz einfach: man schließt eine gewöhnliche Versicherung auch nicht dazu ab, dass sie ungünstige Zwischenfälle verhindert, sondern dafür, dass sie die Schäden abmildert. Wenn ich als Christ schon nicht in den Himmel komme, weil es nach dem Tod schlicht nichts mehr gibt, so profitiere ich durch die Zugehörigkeit zu dieser Spekulationsgemeinschaft: sozial, weil je größer die eigene Gruppe, umso mehr Macht durch die Zugehörigkeit zu ihr, und moralisch, weil wiederum je größer die Gruppe, umso mehr Leute teilen meinen Glauben an die Überlegenheit meines Glaubens.

Eine kluge Rechnung, aber ohne das Jenseits gemacht: für wen sich eine Religion im Sozialen erschöpft, dessen Leben erschöpft sich darin ebenso. Wenn es im Jenseits etwas gibt, dann müssen alle Menschen nach dem Tod durch einen Flaschenhals hindurch, und können nur sich selbst und ihr Gewissen, aber keine Wertpapiere und Beziehungen mitnehmen. Wen das Jenseits ohnehin nicht interessiert, für den gibt es einen sicheren Tipp: die Investmentbank Nihilismus zockt, mit hohen Dividenden lockend, an den Jenseitsversicherungsmärkten, und macht sich das Investitionsverhalten ihrer Kunden geschickt zunutze.

Freitag, 4. Mai 2018

Negative Theologie





Gott, der Allmächtige, der Allwissende, der Herr der Heerscharen und der Herrscher der Herrschaften, - so das allgemein angebetete Bild. "Gott ist der Größte", heißt ein bekannter Ausspruch einer monotheistischen Religion. Nein, Michael Jackson ist der Größte - der Größte zu sein, ist für ein Wesen wie Gott ein Wenig zu wenig. So sagt Nicolaus Cusanus: "Daher ist die negative Gotteslehre eine so nothwendige Ergänzung der positiven, daß ohne sie Gott nicht als unendlicher Gott, sondern vielmehr als Geschöpf verehrt würde. Diese Letztere ist Götzendienst, der dem Abbilde erweist, was nur der Wahrheit gebührt".

Gott ist ein Mann ohne Eigenschaften, ja nicht einmal ein Mann. Wer Gott bei seinen Eigenschaften nimmt, um ihn aufgrund ihrer anzubeten, betet die Eigenschaften an, und nicht Gott. Eine solche Frömmigkeit ist eine Unterwerfung aus Feigheit - man würde sich jedem unterwerfen, sofern er nur der Größte (genauer: der Größtbekannte) wäre.

Cusanus entwickelt eine negative Theologie indem wer weiß, "dass Gott unaussprechlich ist, weil er größer ist, als Alles, was genannt werden kann". Freilich ist er nicht der erste Theologe, der darauf gekommen ist, - viele Kirchenväter waren sich dessen bewusst. Hier geht es nicht darum, die Geschichte der negativen Theologie zu rekonstruieren, sondern um die Tatsache, dass es kein Jenseits des Nihilismus geben kann, bevor der Nihilismus (besser: sein Prinzip, das Nichts) in seiner tiefsten Dunkelheit ergründet wurde. "Nach dieser negativen Gotteslehre ist daher Gott weder Vater, noch Sohn, noch heiliger Geist, sondern nur unendlich", Cusanus nicht faul. So weit, so negativ.

Ein Christentum, das in der sinnlichen Anschauung des Kreuzes hängen bleibt, kann Gott nicht erfassen. Es betet einen Götzen an. Das Kreuz ist lediglich ein Symbol, und nicht mehr als das sind auch all die positiven Aussagen über das Wesen Gottes. Gott ist nicht gut, allmächtig oder allwissend, er ist darüber hinaus. Im Wesen Gottes sind Einzelheit und Allheit eins und dasselbe: als einfach nur "der Größte" begriffen, bleibt er nur Einzelner, und somit nicht Gott.