Freitag, 1. April 2022

Große Katharsis oder große Verblendung?

 

 

 

Europa steht vor einer Wahl. Es kann sich als das Imperium der Lügen erweisen, als welches Putin es (zusammen mit den USA) in seiner Angriffsrede bezeichnet hat. Dafür muss nur weiter die Propaganda von der Alleinschuld Putins am Krieg Russlands gegen die Ukraine wiederholt werden. Es kann aber auch in einem Erdbeben der Wahrhaftigkeit sich von einem Imperium der Lügen lossagen, dessen Vassall es (schon 30 Jahre zu lange) immer noch ist: den USA.

Die USA gaben damals Saddam Hussein das Signal, sie würden nicht eingreifen, wenn er sein Nachbarland Kuwait angreift. Er griff an, die US-Medien begannen einen Imformationskrieg mit Gräuelpropaganda, und das US-Militär griff den Irak an. Fool me once, shame on you; fool me twice, shame on me. Sollte man meinen. Aber Hussein ist gleich zweimal hintereinander betrogen worden: erst wurde er dazu verführt, den Iran anzugreifen (erster Golfkrieg), und dann den Kuwait (zweiter Golfkrieg), und beides wurde für ihn zur Katastrophe (und für die USA großes Geschäft bzw. glänzender militärischer Sieg, beginn der Neuen Weltordnung). Und er ist sogar zum dritten Mal betrogen worden: er öffnete sein Land den UN-Inspektoren, um zu beweisen, dass er keine Massenvernichtungswaffen hat. Mit der Sicherheit, dass es nicht gefährlich sein würde, den Irak anzugreifen, griffen die USA an (dritter Golfkrieg).

Die USA sind das Zentrum des kapitalistischen Weltsystems. Das erklärt die unzähligen Machenschaften, die dieses Land zum Geißel der Menschheit machen. Doch die Tyrannen an der Semiperipherie: Hussein, Milosevic, und nun Putin, spricht das nicht von ihrer Schuld an ihren Angriffskriegen frei. Die USA haben Gorbatschow reingelegt, und trotz dokumentierter Zusicherungen, die NATO nicht bis an Russlands Grenzen zu erweitern, die NATO bis an Russlands Grenzen erweitert. Die USA haben Putin signalisiert: Die Sicherheitsgespräche werden zu keinem Ergebnis führen, und wir nehmen sogar in Kauf, dass du die Ukraine militärisch angreifst. In der Propaganda klang das so: Wir wissen, dass Putin einen Angriff auf die Ukraine plant.

Den Haag sollte nun seine Tore für die Verbrecher der Angriffskriege gegen Jugoslawien (1999), Afghanistan (2001) den Irak (2003) und Libyen (2011) öffnen. Diese Kriege hatten verschiedene Hintergründe, aber jeder von ihnen überschritt die Schwelle zum völkerrechtwidrigen Angriffskrieg (ob nun mit UNO-Mandat oder ohne). Auch Putin sollte in den Haag nicht vor verschlossenen Toren stehen bleiben, das Kriegsverbrechertribunal sollte ihn herzlich willkommen heißen.

Europa ist im Krieg. Wie von den USA geplant, wird es seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland kappen, und dadurch großen Schaden nehmen. Die USA befinden sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte, und werden versuchen, diese Krise auf Kosten Europas zu lösen. Deshalb muss in Europa eine Politik der Wahrheit beginnen. Europa darf sich nicht weiter hinter Narrativen und Kriegslügen verstecken, sondern muss in die Realität zurückfinden. Europa hat keine Feinde, es hat aber skrupellose (USA, Russland) und problematische Partner (China, Indien). Europa muss einerseits zwischen USA und China bzw. USA und Russland vermitteln, andererseits seinen eigenen Platz in der Welt als unabhängiger politischer Akteur und Konkurrent dieser Mächte finden.

Russisch-Mordor und Lügenimperium USA sind temporäre Escheinungen, diese Supermächte werden sich transformieren, und zwar zu bloßen Großmächten, weniger stark und weniger böse als bisher. Der totalitäre chinesische Überwachungsstaat und die Wundertüte Indien, die ihre dunkle Seite noch nicht gezeigt hat, weil noch nicht mächtig genug, sind nicht besser als die USA und Russland. Doch das sind nunmal die Machtblöcke auf diesem Planeten, willkommen in der Geopolitik. Europa kann den Anstoß dazu geben, die Regeln der Geopolitik fairer, humaner, win-win-artiger zu gestalten. Die USA und Russland spielen, wie schon im Kalten Krieg, ein Nullsummenspiel. Im Zeitalter der Nuklearwaffen hat ein Nullsummenspiel die Neigung, bei Eskalation zu einer Lose-Lose-Situation zu werden.