Donnerstag, 31. Oktober 2019

Darwinismus als asoziale Ausrede





Wenn die USA morgen Russland angreifen, und Russland zurückschlägt, könnte die Menschheit die Folgen des Atomkriegs nicht übrleben. Selbst wenn Russland nicht zurückschlägt, werden sich die Folgen des nuklearen Angriffs auf der ganzen Welt bemerkbar machen. Wenn aber USA und Russland sich grundsätzlich nicht mehr bekriegen, sondern kooperieren, steigert es die Überlebenschancen der Menschheit auch angesichts des Klimawandels, der Russland kurzfristig sogar große wirtschaftliche Vorteile bringen kann, bevor es mit dem Rest der Welt untergeht.

Wenn sich zwei Arten brutal bekämpfen, kann es für die siegreiche Art so viele Verluste bedeuten, dass sie kurz darauf ebenfalls ausstirbt. Wenn zwei Männer sich um eine Frau schlagen, verliert nicht nur der Tote, sondern auch der Schwerverletzte, während der lachende Dritte, falls ihn gibt, zum Sieger gekürt wird, oder die Frau wird allein in der Savanne verhungern (es sei denn, sie ist eine starke und unabhängige emanzipierte Steinzeitfrau). Der Kampf ums Überleben, das Überleben der Stärksten, der Angepasstesten, der Hinterfotzigsten, der genetisch Überlegenen, der Opportunisten, irgendeiner Gruppe auf Kosten der anderen: das ist Quatsch. Individuen und Arten überleben gemeinsam im Kampf gegen harte Lebensbedingungen und gleichgültige Elemente.

Der angeblich wissenschaftliche Darwinismus ist keine seriöse Theorie, sondern ein ideologisches Dogma, und letztlich nichts anderes als Sozialdarwinismus. Der asoziale Kampf ums Überleben wird als wissenschaftliche Theorie aufgebaut, um einen naturalistischen Fehlschluss auf die menschliche Gesellschaft begehen zu können. Denn wenn es in der Natur so ist, dann können wir nichts machen, dann müssen die da halt Not leiden und verhungern, wir können schließlich nicht die ganze Welt retten. Hätten unsere Vorfahren so gedacht, wären wir wie 99,99% aller Arten längst ausgestorben.

Es gibt in der Natur im engen Rahmen auch Konkurrenz, doch Arten und Individuen überleben vor allem durch Symbiose, gegenseitige Hilfe oder sogar Altruismus. Die menschliche Zivilisation bedarf erst recht langfristiger Kooperation auf breiter Basis, denn sie kann bereits untergehen, wenn auf 1000 Akte der Zusammenarbeit ein einziger Akt der Zerstörung kommt, und durch unsere geistigen Fähigkeiten sind wir zu hochwertiger gegenseitiger Hilfe und sogar zum Schutz anderer Arten fähig. Derjenige Idiot, der sich den Darwinismus aufschwatzen lässt, wird auch glauben, dass Versklavung und Ausbeutung die einzige mögliche Art der Kooperation ist, und dass ansonsten der Krieg aller gegen alle droht.

Sonntag, 27. Oktober 2019

Incels und Feminismus auf Maslows Bedürfnispyramide





Incels sind unfreiwillig sexlos (involuntarily celibate) lebende Männer. Neben einer breiten Internet-Gemeinschaft hat ihre Bewegung auch einen radikalen Flügel, der Incel-Terroristen (tödliche Anschläge: LA 2014, Toronto 2018) als Helden einer Incel-Rebellion stilisiert. Rebellieren sie gegen die Unterdrückung ihrer Grundrechte? In Paradiesen wie Kanada wohl kaum. Geht es um unerfüllte Sicherheitsbedürfnisse, leiden sie unter Obdachlosigkeit oder hoffnungsloser Armut? Das Überleben und die Sicherheit sind den Incels wie allen Einwohnern der heutigen liberalen Demokratien garantiert, sie streiten vielmehr um soziale Bedürfnisse. Das Anmaßende in ihren Forderungen ist, dass sie meinen, sie hätten ein Recht auf eine Beziehung mit einer Frau. Da keine Frau freiwillig eine Beziehung mit ihnen eingeht, fühlen sie sich von der Gesellschaft diskriminiert.

Die Sklavenaufstände früherer Zeiten waren ein Kampf dafür, sich selbst zu gehören; die soziale Frage des 19. Jahrhunderts stellte sich um die prekären Lebensverhätnisse der Arbeiterklasse. Heute sind in den Wohlstandsgesellschaften Grund- und Sicherheitsbedürfnisse grundsätzlich erfüllt. Keiner muss hungern, mehr Menschen sterben durch Verhausschweinung oder Verfettung als durch harte Arbeit oder Hunger. Die Incels sind Menschen, die sich ganz unten in der Gesellschaftshierarchie befinden, doch ganz unten wird nicht mehr um Essen und Grundrechte gekämpft, sondern es wird das private Glück politisiert.

Es gibt Darstellungen der Maslowschen Bedürfnispyramide, in denen Sex zu den Grundbedürfnissen gehört. Dies ist nur dann zu rechtfertigen, wenn man unter Sex die Befriedigung des sexuellen Harndrangs versteht, und so wie das Urinieren den urinalen Harndrang stillt, befriedigt die Selbstbefriedigung das Bedürfnis nach Sex. Wenn jedoch unter Sex die Interaktion mit einem menschlichen Sexualpartner verstanden wird, dann handelt es sich aus der Grundbedürfnis-Perspektive um ein Luxusbedürfnis. Ohne einen Sexualpartner stirbt man nicht; beziehungslos leidet man keine existenzielle Not.

Zeitgleich mit dem Incel-Phänomen macht sich ein Feminismus breit, der um eine rücksichtslose Selbstverwirklichung von Frauen kämpft. Fordert der Incel das Recht auf Erfüllung sozialer Bedürfnisse, so fordert die Feministin das Recht auf Erfüllung höchster Individualbedürfnisse, die viel höher in Maslows Bedürfnispyramide zu finden sind. Nun gebietet all das, was Moral, Ethik, Humanität und letztlich Vernunft genannt wird, mehr Empathie mit Leidenden, deren Grundbedürfnisse (needs) unerfüllt sind als mit jenen, die ihre Luxusbedürfnisse (wants) nicht erfüllt bekommen. Wer den heutigen Feminismus aus moralischen Gründen unterstützt, aber die Incel-Bewegung verachtet, offenbart seine gynozentrische Haltung. Wenn Luxusbedürfnisse von Frauen wichtiger sind als Grundbedürfnisse von Männern, ist die Gesellschaft männerfeindlich.

Das Problem ist zugleich die Lösung: keiner darf einen Menschen dazu zwingen, die sozialen Bedürfnisse eines anderen Menschen zu befriedigen. Den Incels schuldet sie Gesellschaft es eben nicht, dass sie mit Frauen versorgt sind. Genausowenig schuldet die Gesellschaft den Feministinnen ihre Frauenquoten. Wenn das Scheitern an der Erfüllung eigener sozialer Bedürfnisse die eigene Schuld des Incels ist, ist das Scheitern der Selbstverwirklichung die eigene Schuld der Feministin. Die Wut der gemäßigten Incels richtet sich diese Ungleichbehandlung: den einen wird Selbstverwirklung garantiert, den anderen wird Liebe und Zugehörigkeit verweigert. Die Natur dieser Bedürfnisse betrachtend, sieht man leicht ein, dass die Liebe eines anderen Menschen nicht zu erzwingen ist. Und die Selbstverwirklichung ist etwas, das einem nicht von außen gegeben werden kann, sondern etwas, das nur aus innerer persönlicher Entwicklung zu erreichen ist.