Donnerstag, 31. Oktober 2019

Darwinismus als asoziale Ausrede





Wenn die USA morgen Russland angreifen, und Russland zurückschlägt, könnte die Menschheit die Folgen des Atomkriegs nicht übrleben. Selbst wenn Russland nicht zurückschlägt, werden sich die Folgen des nuklearen Angriffs auf der ganzen Welt bemerkbar machen. Wenn aber USA und Russland sich grundsätzlich nicht mehr bekriegen, sondern kooperieren, steigert es die Überlebenschancen der Menschheit auch angesichts des Klimawandels, der Russland kurzfristig sogar große wirtschaftliche Vorteile bringen kann, bevor es mit dem Rest der Welt untergeht.

Wenn sich zwei Arten brutal bekämpfen, kann es für die siegreiche Art so viele Verluste bedeuten, dass sie kurz darauf ebenfalls ausstirbt. Wenn zwei Männer sich um eine Frau schlagen, verliert nicht nur der Tote, sondern auch der Schwerverletzte, während der lachende Dritte, falls ihn gibt, zum Sieger gekürt wird, oder die Frau wird allein in der Savanne verhungern (es sei denn, sie ist eine starke und unabhängige emanzipierte Steinzeitfrau). Der Kampf ums Überleben, das Überleben der Stärksten, der Angepasstesten, der Hinterfotzigsten, der genetisch Überlegenen, der Opportunisten, irgendeiner Gruppe auf Kosten der anderen: das ist Quatsch. Individuen und Arten überleben gemeinsam im Kampf gegen harte Lebensbedingungen und gleichgültige Elemente.

Der angeblich wissenschaftliche Darwinismus ist keine seriöse Theorie, sondern ein ideologisches Dogma, und letztlich nichts anderes als Sozialdarwinismus. Der asoziale Kampf ums Überleben wird als wissenschaftliche Theorie aufgebaut, um einen naturalistischen Fehlschluss auf die menschliche Gesellschaft begehen zu können. Denn wenn es in der Natur so ist, dann können wir nichts machen, dann müssen die da halt Not leiden und verhungern, wir können schließlich nicht die ganze Welt retten. Hätten unsere Vorfahren so gedacht, wären wir wie 99,99% aller Arten längst ausgestorben.

Es gibt in der Natur im engen Rahmen auch Konkurrenz, doch Arten und Individuen überleben vor allem durch Symbiose, gegenseitige Hilfe oder sogar Altruismus. Die menschliche Zivilisation bedarf erst recht langfristiger Kooperation auf breiter Basis, denn sie kann bereits untergehen, wenn auf 1000 Akte der Zusammenarbeit ein einziger Akt der Zerstörung kommt, und durch unsere geistigen Fähigkeiten sind wir zu hochwertiger gegenseitiger Hilfe und sogar zum Schutz anderer Arten fähig. Derjenige Idiot, der sich den Darwinismus aufschwatzen lässt, wird auch glauben, dass Versklavung und Ausbeutung die einzige mögliche Art der Kooperation ist, und dass ansonsten der Krieg aller gegen alle droht.

Sonntag, 27. Oktober 2019

Incels und Feminismus auf Maslows Bedürfnispyramide





Incels sind unfreiwillig sexlos (involuntarily celibate) lebende Männer. Neben einer breiten Internet-Gemeinschaft hat ihre Bewegung auch einen radikalen Flügel, der Incel-Terroristen (tödliche Anschläge: LA 2014, Toronto 2018) als Helden einer Incel-Rebellion stilisiert. Rebellieren sie gegen die Unterdrückung ihrer Grundrechte? In Paradiesen wie Kanada wohl kaum. Geht es um unerfüllte Sicherheitsbedürfnisse, leiden sie unter Obdachlosigkeit oder hoffnungsloser Armut? Das Überleben und die Sicherheit sind den Incels wie allen Einwohnern der heutigen liberalen Demokratien garantiert, sie streiten vielmehr um soziale Bedürfnisse. Das Anmaßende in ihren Forderungen ist, dass sie meinen, sie hätten ein Recht auf eine Beziehung mit einer Frau. Da keine Frau freiwillig eine Beziehung mit ihnen eingeht, fühlen sie sich von der Gesellschaft diskriminiert.

Die Sklavenaufstände früherer Zeiten waren ein Kampf dafür, sich selbst zu gehören; die soziale Frage des 19. Jahrhunderts stellte sich um die prekären Lebensverhätnisse der Arbeiterklasse. Heute sind in den Wohlstandsgesellschaften Grund- und Sicherheitsbedürfnisse grundsätzlich erfüllt. Keiner muss hungern, mehr Menschen sterben durch Verhausschweinung oder Verfettung als durch harte Arbeit oder Hunger. Die Incels sind Menschen, die sich ganz unten in der Gesellschaftshierarchie befinden, doch ganz unten wird nicht mehr um Essen und Grundrechte gekämpft, sondern es wird das private Glück politisiert.

Es gibt Darstellungen der Maslowschen Bedürfnispyramide, in denen Sex zu den Grundbedürfnissen gehört. Dies ist nur dann zu rechtfertigen, wenn man unter Sex die Befriedigung des sexuellen Harndrangs versteht, und so wie das Urinieren den urinalen Harndrang stillt, befriedigt die Selbstbefriedigung das Bedürfnis nach Sex. Wenn jedoch unter Sex die Interaktion mit einem menschlichen Sexualpartner verstanden wird, dann handelt es sich aus der Grundbedürfnis-Perspektive um ein Luxusbedürfnis. Ohne einen Sexualpartner stirbt man nicht; beziehungslos leidet man keine existenzielle Not.

Zeitgleich mit dem Incel-Phänomen macht sich ein Feminismus breit, der um eine rücksichtslose Selbstverwirklichung von Frauen kämpft. Fordert der Incel das Recht auf Erfüllung sozialer Bedürfnisse, so fordert die Feministin das Recht auf Erfüllung höchster Individualbedürfnisse, die viel höher in Maslows Bedürfnispyramide zu finden sind. Nun gebietet all das, was Moral, Ethik, Humanität und letztlich Vernunft genannt wird, mehr Empathie mit Leidenden, deren Grundbedürfnisse (needs) unerfüllt sind als mit jenen, die ihre Luxusbedürfnisse (wants) nicht erfüllt bekommen. Wer den heutigen Feminismus aus moralischen Gründen unterstützt, aber die Incel-Bewegung verachtet, offenbart seine gynozentrische Haltung. Wenn Luxusbedürfnisse von Frauen wichtiger sind als Grundbedürfnisse von Männern, ist die Gesellschaft männerfeindlich.

Das Problem ist zugleich die Lösung: keiner darf einen Menschen dazu zwingen, die sozialen Bedürfnisse eines anderen Menschen zu befriedigen. Den Incels schuldet sie Gesellschaft es eben nicht, dass sie mit Frauen versorgt sind. Genausowenig schuldet die Gesellschaft den Feministinnen ihre Frauenquoten. Wenn das Scheitern an der Erfüllung eigener sozialer Bedürfnisse die eigene Schuld des Incels ist, ist das Scheitern der Selbstverwirklichung die eigene Schuld der Feministin. Die Wut der gemäßigten Incels richtet sich diese Ungleichbehandlung: den einen wird Selbstverwirklung garantiert, den anderen wird Liebe und Zugehörigkeit verweigert. Die Natur dieser Bedürfnisse betrachtend, sieht man leicht ein, dass die Liebe eines anderen Menschen nicht zu erzwingen ist. Und die Selbstverwirklichung ist etwas, das einem nicht von außen gegeben werden kann, sondern etwas, das nur aus innerer persönlicher Entwicklung zu erreichen ist.


Dienstag, 30. Juli 2019

Die Westliche Zivilisation




Der dunkle Logos

“Auf der Suche nach dem dunklen Logos” befindet sich Dugin, Russlands Johannes Scotus Eriugena, doch dieser Logos befindet sich noch in der Zukunft, da die Russische Zivilisation erst im Entstehen ist. Ist Putin Russland Charlemagne? Unser Carolus Magnus zog gen Zaragossa und wurde auf dem Heimweg bei Roncesvalles von den Basken angegriffen, die die Zerstörung ihrer Hauptstadt Pamplona durch den präemptiv denkenden Vater Westeuropas rächten. Der Ritter Roland rettete angeblich, sich selbst dabei aufopfernd, die Armee Karls des Großen. Wie das Rolandslied, basiert auch das Nibelungenlied auf einer wahren Geschichte: auf den Intrigen an den merowingischen Höfen im 7. Jahrhundert. Noch früher sind die realen Ereignisse für die Artussage: im 5. Jahrhundert zogen sich die Römer aus Britannien zurück und hinterließen unkontrolliertes Chaos, eine Strategie, die das heutige Weltimperium mit Al Kaida, dem Arabischen Frühling und dem IS verfolgt.

Dugin schreibt derzeit die 20-bändige “Noomachie”, die, wenn sie so gut sein wird wie seine Interviews und Vorlesungen über sein Opus Magnum, das wegweisende metaphysische Werk für das 3. Jahrtausend werden könnte. Er kann auf die fast vollendete abendländische Geschichte zurückgreifen. Die Gnade oder der Fluch der späten Geburt? Nun, die Frühzeit des Abendlandes passierte nach dem Untergang einer damals unbegreiflich hoch entwickelten Zivilisation der griechisch-römischen Antike. Als “der” Philosoph galt im Hochmittelalter Aristoteles, sein al-andalusischer Kommentator Ibn Rushd galt deshalb als “der” Kommentator. Aber langsam. Das Paradigma des ideellen Raums ist entwickelt worden, es ist Zeit für einen Überblick über die ideelle Zeit. Artussage, Nibelungenlied, Rolandslied: das sind die Ilias und die Odyssee und des Abendlandes. Der Weg vom Mythos zum Logos beginnt im 11. Jahrhundert mit Anselm von Canterbury und Abaelard. Das Bewusstsein, eine, und zwar eine Zivilisation zu sein, beginnt mit dem 1. Kreuzzug am Ende des 11. Jahrhunderts.

Die Araber gehören zu “unserer” Welt wie die Byzantiner, aber das, was nicht sein sollte, waren die Türken. Sie schlugen Byzanz 1071 vernichtend bei Manzikert und brachen ins “Heilige Land” ein. Die Angst vor dem bzw. den Unbekannten und der steigende Testosteronspiegel des westeuropäischen Rittertums riefen den Papst Urban II. zum Aufruf zum Kreuzzug auf. Die Wikinger hatten von 793 bis 1066 den ersten, unorganisierten Sturm unbändiger solarer Gewalt zelebriert, nun ging es, durch den Logos geordndet, mir guten Gründen gegen einen monströsen Feind und für eine gerechte Sache. Aber die Sache war die: die Abendländer lebten im ständigen Bewusstsein ihrer Minderwertigkeit. Das maurische Spanien war prächtiger, die arabischen Kalifate waren mächtiger, Byzanz war gebildeter und das große alte Rom war durch seine bewundernswerten wie nützlichen Hinterlassenschaften allgegenwärtig.

Die Kreuzzüge scheiterten, die Reconquista zog sich ewig hin, und die türkischen Oghusen, nach ihrem ursprünglichen Anführer Seljuk Seldschuken genannt, erwiesen sich als leichte Brise angesichts des im 13. Jahrhundert einsetzenden Mongolensturms. Der minderwertige Logos des christlich-gotischen Kulturamalgams zerbrach endgültig in der nominalistischen Wende, dem metaphysischen Bewusstseinswandel vom harmonischen Universalismus zum voluntaristischen Nihilismus. Die Magdalenenflut 1342, als Einzelereignis eine Jahrtausendkatastrophe, und die Pest Mitte des 14. Jahrhunderts setzten im zweitklassigen Drama des abendländischen Logos den demozidalen Schlusspunkt.



Die Logik der Vernichtung

Die Pestpandemie im 14. Jahrhundert kann man mit Egon Friedell die Inkubationszeit der Neuzeit nennen, die Inkubationszeit der abendländischen Logik war der Universalienstreit. Die Nominalisten setzten sich durch bzw. die Universalisten starben aus. Die Immanenz siegte im kranken Geiste gegen die Transzendenz, an die Stelle der absoluten Unendlichkeit Gottes trat die relative Unendlichkeit des Universums. Im 15. Jahrhundert begannen die abendländischen Seevölker, die Unendlichkeit der Erde zu erforschen, und entdeckten ihre Endlichkeit und die Neue Welt. Die Zeit der Reformation war gekommen.

Die Reformation vollzog die im Geiste bereits vollendete Tatsache der nominalistischen Wende. Der Islam gegenüber dem Christengott wich dem Protest, die Unterwerfung der Revolte. Der heilige Krieg der Reconquista setzte sich als unheiliger Krieg der Conquista fort. Das Highlight des Unheils war ein dreißigjähriger Krieg. Descartes und der Sonnenkönig kamen als Sieger hervor: aber bei wer gegen wen? Verstand gegen Gefühl, Bürgertum gegen Adel, Maschine gegen Mensch. Um 1485 begann das Zeitalter der Menschenproduktion (Gunnar Heinsohn) und Menschenvernichtung (Robert Kurz) in Europa, um 1688 schaffte England den Übergang von der Logik zur Logistik und wurde zur Nation der Ladenbesitzer.

Im späten 17. Jahrhundert wurde die kontinentaleuropäische Logik reaktionär. Den hybriden rot-weißen Drachen konnte weder das germanische noch das gallische Entwederoder einholen, also erstarrte Frankreich (wie auch Spanien und Österreich) im Absolutismus, und Deutschland versank in der Mystik, aus der der Deutsche Idealismus, die Klassische Deutsche Philosophie erwuchs.

Kants Antinomien und die Gottesbeweiskritik des gewissenhaften Preußen zerstörten im Geiste, was die Französische Revolution in der empirischen Realität zertrat. Die Neuzeit, die erst vor Kurzem eine alte Welt überwand, verschwand nun selbst als eine alte Welt. Die Moderne bedeutete die Herrschaft der Logistik, der zweiten Ableitung des Logos. Mit dem Vorsprung eines ganzen Jahrhunderts konnte Britannien locker das Zeitalter der Logistik anführen, das mit der Pax Britannica begann und endete.



Die teuflische Logistik

Das Wahre ist das Ganze, wie Logosjäger Hegel feststellte. Die Vernunft erkennt den Logos, doch Hegels Fernrohr war die Wissenschaft der Logik. Der obere Verstand, von Kant Urteilskraft genannt, ist in der Logik zuhause. Der untere Verstand, der gemeine Menschenverstand, bedient sich der Logistik. Und so war die höchste englische Philosophe der common sense. Und nicht anders schlug Hegels Erkenntnisversuch des Weltganzen in Nihilismus um, da er den Logos mit den Mitteln der Logik erforschte.

Als die Päpste zu Kreuzzügen aufriefen, rieben sich unzählige Seelenheiljäger positiv-sakrifiziell auf. In den Religionskriegen der Neuzeit töteten und starben unzählige “wahre Christen” negativ-sakrifiziell für die Purifikation ihres Glaubens. Zwischen Neuzeit und Moderne (man lese den Wälzer “Gewalt” von Steven Pinker) war das Sterben im Krieg nicht mehr schick, man suchte negativ-victim nach Machbarkeitsbedingungen des ewigen Friedens. Grausame, sowie auch harte aber gerechte Bestrafungen wurden abgeschafft, man erfand ein Menschenrecht auf Gnade.

Doch nicht nur die industrielle und zivilisatorische Revolution war die Konsequenz der Entfaltung des Paradigmas der Logistik. Der atlantische Sklavenhandel kostete 11 Millionen Afrikanern das Leben und setzte den tausendjährigen arabischen Sklavenhandel nahtlos fort (Egon Flaig: Weltgeschichte der Sklaverei). Die Briten hörten als erste mit dem Sklavenhandel auf – und führten zur selben Zeit Opiumkriege am anderen Ende der Welt. Chinesische Drogentote, indische Hungertote: das glorreiche Viktorianische Zeitalter.

Die verspätete deutsche Nation holte in rasendem Tempo auf, führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wissenschaft und Technik. Dies vermochte auch die Schmach von Versailles nicht zu ändern: die meisten harten Nobelpreise der Zwischenkriegszeit gingen ins Deutsche Reich. Doch in Versailles ist etwas anderes kaputtgegangen, das bis heute schwer beschädigt ist: die deutsche Nationalpsyche, die sich durch Ersatzhandlungen wie Wirtschaftswunder und Fussball-Weltmeistertitel mitnichten vom narzisstischen Trauma zu heilen vermochte. Der Nazismus ging nahtlos in der Narzissmus über.

Das Kartoffelklatschen ist noch nicht zu Ende. Zwischen der Zwischenkriegszeit und der Nachkriegszeit, da war doch etwas? Ja, richtig. Da war der Kampf der Titanen im pejorativen Sinne: das barbarisch-moderne Monster des Kommunismus und das romatisch-moderne Ungeheuer des Faschismus zankten sich um Europa. Die freie Welt schlug sich auf der Seite des roten Titanen, der braune verlor. Doch als Rache vergaste er Millionen von Menschen im teuflischen Triumpf der Wissenschaft der Logistik. 12 Jahre Fliegenschiss auf 1000 ruhmreichen Jahren deutscher Geschiche? Was für ein Nazidreck. Oder waren die 12 Jahre vielmehr die Konsequenz und letztlich Quintessenz der deutschen Geschichte? Das wäre zu fatalistisch geadcht. Die Konsequenz der Tatsache, dass das Paradigma der Logistik durch und durch nihilistisch ist, war es durchaus.



Das Logem oder die Ultradekadenz

Was in den Sieben Höllen ist ein Logem? Im Paradigma des Logos kämpft man für absolute Werte (für das Gute, gegen das Böse); Logik: höhere relative Werte (Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, Religionsfreiheit); Logistik: niedere, hedonistische relative Werte (wirtschaftliche Interessen). Das Logem kennt keinen Kampf, es kennt nur Shitstorms. Nicht einmal weltlicher Erfolg in einer freien und inklusiven Gesellschaft (Acemoglu/Robinson) motiviert mehr den verhausschweinten Logem-Schlaraffenländer. Den Weg zum Logem ging das Abendland, zumindest dessen rückständiger Teil, nicht ohne die verwerflichsten Verwerfungen: das verspätete Paradigma der Logistik flüsterte den Deutschen und den Russen ein, dass das Paradies auf Erden nur durch millionenfachen Mord an jeweils anderen Sündenböcken errichtet werden kann.

Der führenden Anglo-Welt wurde das faschistisch-kommunistische Elend aufholender Mächte erspart. Mit beispiellosem Wohlstand durch Öl und kapitalistisch befeuertem technologischem Fortschritt wurde das Schlaraffenland endlich Realität. Darauf folgte die sexuelle Revolution im Harem Sozialstaat: der wachsende allgemeine Lebensstandard mit immer höheren Sozialausgaben löste die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Mann auf, die emotionale Abhängigkeit des Mannes von der Frau blieb. Es entstand eine strukturell vaterlose Gesellschaft mit emanzipierten Frauen und entmannten Männern. Anstatt die neu gewonnene Freiheit-zu zu realisieren, radikalisierte sich der Feminismus in weiteren Wellen, um die absolute Freiheit-von zu fordern.

Die Fortschritte der Freiheit-zu wurden nicht gesellschaftlich, sondern technologisch realisiert. Rilkes romantische Kritik der Maschine und Herbert Wehners Forderung, der Roboter solle wie der Arbeiter Sozialabgaben zahlen, wurden durch das Outsourcing des sozialen Lebens aus dem Bereich, in dem tatsächlich die Musik spielt, überholt. Dieser Bereich lässt sich durch verschwörungstheoretische Schlagworte wie Silicon Valley oder Bilderberg versinnblidlichen. Da der Ernst des Lebens aus der Gesellschaft in die Banken und Versicherungen, Labore der Wissenschaftler und Konferenzen der Superreichen verschwand, folgte der Feminisierung die Infantilisierung der Gesellschaft. Politik verkam zu einem Mix aus Verwaltung und Showbusiness, in dem Gemütlichkeitspopulisten wie Merkel und Krawallpopulisten wie Trump um das Amt des Politikdarstellers wetteifern.

Mit der Degeneration zum Logem läutet sich das Ende einer Kultur ein. Der technologische Fortschritt bietet jedoch die Möglichkeit, als ganze Spezies das Level des Transhumanismus zu erreichen, und den bisherigen Verlauf der Geschichte menschlicher Zivilisationen nicht zu wiederholen. Das wäre der Triumph der “faustischen” Zivilisation des Westens, der einzigen Zivilisation, die auf ihrem Höhepunkt nur als globale Zivilisation existieren kann, als universalistische, menschheitliche Zivilisation. Der Selbsthass der postmodernen westlichen Kultur kann nicht nur als Zeichen des endgültigen Verfalls gedeutet werden, sondern auch als inhärenter und historisch nachvollziehbarer Minderwertigkeitskomplex. Wenn Letzteres der Fall ist, besteht erst recht allein im Transhumanismus die Rettung des Abendlandes vor der geschichtlich unvermeidlichen Umnachtung. Wir müssen diese einmalige Chance nutzen, damit ein neuer Tag für die Menschheit anbricht, denn die Nacht ist dunkel und voller Schrecken.


Samstag, 27. April 2019

Der tiefensoziologische Raum




Der Sumpf

Zwei Tage nicht geduscht: äglich, am liebsten sofort duschen! Drei Tage nicht geduscht: morgen unbedingt duschen! Eine Woche nicht geduscht: nie wieder duschen! Man wird gar wasserscheu, der Schmutz wird erträglich, den Eigengestank riecht man nicht. Der Sumpf ist gemütlich, bequem. Warm ist es im Schlamm. Das Sumpfgetier nervt, aber man gewöhnt sich. Schlamm auf der Haut, bultych, plätscher, platsch! Und jetzt schnell den Frosch fangen. Eine Wasserschlange schlängelt sich am Bein, es kitzelt.

Die Beflecktheit der Mutter ist das große Tabu. Das tellurische Patriarchat verehrt die Demeter, das chthonische Matriarchat die Kybele. Hier ist Beflecktheit kein Problem mehr, es ist Polyamorie, Panmixie. Nicht als Mutter, sondern als Materie ist das Weib heilig. Je profaner, umso heiliger. Mutterliebe ist alles. Söhnchen, warum isst du nicht? Die Großmutter macht sich Sorgen, du bist schon wieder so dünn geworden!

Du bist, was du isst. Wenn du nichts als Fleisch bist, ist das ein Truismus. Die Wissenschaft kann diesen nur bestätigen. Was nicht Materie ist, das existiert nicht; eine Aussage hat entweder empirischen Inhalt oder sie ist sinnlos. Doch damit sind wir fast schon auf der Ebene, zurück in den Sumpf. Dass der Kopf über den Körper herrscht, ist faschistoid. Wir brauchen eine Demokratie der Organe! Der Baum ist ein Tyrann. Wir müssen Pilz werden.

Eigentlich ist Mama Gott. Oma ist Großgott. Glaube an die Bibel oder den Koran, und beschäftige dich bloß nicht mit Philosophie und Psychologie! Kinder haben dankbar zu sein, dass sie auf die Welt gebracht werden, insbesondere der Mutter, die sie ausgetragen hat. Schlechte Eltern gibt es nicht, schlechte heterosexuelle Männer schon: siehe, sie unterdrücken, diskriminieren, machen Unterschiede, als ob nicht jeder, der aus einem Mutterschoß gekrochen ist, liebenswert wäre. Die Kultur ist das radikal Böse. Zurück zur Natur: das sagen uns eigentlich Jesus und Zhanzhaq Rousseau, Marx und Dzhastin Trudeau.



Die Ebene


Es ist herrlich, nach dem Bad zu sonnen. Den wohltrainierten Body muss man natürlich zeigen. Die Hose nervt, sie ist nicht optimal geschnitten, und da ich eh Parfüm kaufen wollte, gehe ich morgen ins Einkaufszentrum. Die Damen bei Douglas sind zwar alle nicht mein Typ, aber ich darf keinen schlechten Eindruck machen, also erst googeln, bevor ich mich nach dem Duft erkundige. Kleider machen Leute, Gerüche verführen. Am Wochenende muss man ausgehen, sonst lebt man nicht.

Eine Aussage hat entweder empirischen Inhalt oder sie ist sinnlos. Die Idealisten mit ihrem Getue! Platon spinnt, Aristoteles hat Recht. Es gibt keine Ideen! Es gibt nur Einzeldinge, ganz konkret! Auch Aristoteles spinnt: was meint er mit Form, doch wieder Ideen, aber die gibt es nicht. Alles ist relativ. Die Psychologie ist die wahre Philosophie. Metaphysik-Luftschlösser vom Elfenbeinturm sind weltfremd, es muss um das Leben gehen. Vielleicht gehe ich nächsten Samstag tanzen, vielleicht aber auch nicht, vielleicht womöglich möglicherweise doch.

Ist mein Schwanz lang genug, und wenn ja, auch breit genug? Was wollen Frauen eigentlich, was gefällt ihnen an einem Mann? Schwanz, Muskeln, Geld, Humor, Brutalität, Schwanz? Joggen ist für Autisten. Sport ohne Partner, wo ist da der Spaß? Es ist kalt in den Bergen. Man kann da Urlaub machen, Skifahren, aber dort wohnen? Die Mönche und Einsiedler, die spinnen. Moral ist für Zukurzgekommene. Wer ein schönes Leben hat, braucht nicht an ein Jenseits zu glauben. Aber an Gott glaube ich schon: ich bin ehrlich, und sage offen, dass ich viel Neid empfinde. Darum muss ich an Gerechtigkeit glauben. Sollte ich zu kurz kommen, will ich nicht auf Zuflucht in Religion und Moral verzichten.

Die Ebene ist mal flach mal gehügelt, es gibt vielerlei Vielfalt. Der Sumpf ist zu eklig, das Gebirge zu kalt, das Plateau zu karg. Das Meer ist unbeständig wie das Schicksal, und doch bleibt der Meeresspiegel auf Dauer gleich. James Bond und Don Juan sein, gut essen und ruhig schlafen, das wäre Dolce Vita! Der Weg ist das Ziel, das gilt vor allem für die Partnerwahl und später Familiengründung. Vater werden: gern, Vater sein: naja, nunja, lieber doch nicht; aber wenn schon, denn schon: wer das Filet gekostet hat, muss auch die Knochen nehmen.



Das Hochland

“Diversity is our strength”, verkünden scheinliberale Politiker, empfinden tellurische Kommunisten und chthonische Braunmischer. Dabei ist stets die oberflächtlichste Vielfalt gemeint, und zwar als Narrenfreiheit, die den geistig gleichgeschalteten Individuum-Drohnen gestattet ist. Im Hochland nimmt die äußere Vielfalt rapide ab, ab einer bestimmten Höhe gibt es nur noch Schnee. Dafür ist jeder Hochlandbewohner anders, ein wahres, echtes Individuum; er hat keine individuellen Tätowierungen, dafür eine einzigartige Persönlichkeit.

Doch was wäre die Höhe ohne die Furcht vor dem Abgrund, die Fallparanoia? Überall lauert Gefahr, Steine und Lawinen rollen herunter und unten warten die sündhaften Horden nur darauf, dass der Bergsteiger einen Fehler macht, herunterfällt, um ihn in den Sumpf zu ziehen und dort zu fressen, falls sie es nicht schaffen, aus ihm einen von ihnen zu machen. Die Angst vor Nivellierung und Gleichmacherei, vor Selbstverlust, vor moralischer Schuld, vor Integration und Assimilation erreicht beim Hochländer pathologische Ausmaße. Kein Wunder, dass er die Einöde sucht, die zwar vielleicht sein Überleben, aber nicht seine Identität bedroht.

Chthoniker und Lunaristen fühlen sich oft einsam, aber nur der Solarist kennt die wahre Einsamkeit, das absolute Getrenntsein. Kein Mensch bis zum Plateau hinauf ist eine Insel, im Hochland gibt es nur Inseln. Noch stärker als die Furcht vor dem Fall ist das Ekelempfinden. Diese macht intolerant und zuweilen tyrannisch, auf die Permanenz der extremen Bedrohungslage reagiert der Höhenmensch mit extremer Gewalt, die in der Regel gegen sich selbst gerichtet ist: als Askese, Entsagung, Selbstdisziplin, Selbstvervollkommnung.